Freitag, 1. Januar 1999

Rede anlässlich der Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag des Sieges der Revolution im Céspedes-Park von Santiago de Cuba

Rede des Comandante en jefe Fidel Castro Ruz anlässlich der Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag des Sieges der Revolution im Céspedes-Park von Santiago de Cuba, am 1. Januar 1999

Santiagueros,
Landsleute aus ganz Kuba!

Ich versuche mich an jenen Abend des ersten Januars 1959 zu erinnern -ich spüre und erlebe dabei noch einmal die Eindrücke und Geschehnisse als ob sie gerade jetzt passieren würden. Es scheint unwirklich zu sein, dass uns das Schicksal das seltene Privileg hat zukommen lassen, vierzig Jahre später erneut zur Bevölkerung von Santiago de Cuba vom selben Ort aus zu sprechen.

Vor dem Morgengrauen jenes Tages spürte ich für einen Moment lang eine seltsame Leere, als die Nachricht kam von der Flucht des Tyrannen und der wichtigsten Funktionäre seines erdrückenden Regimes vor dem unaufhaltsamen Vormarsch unserer Truppen. Wie ist dieser unglaubliche Sieg in etwas mehr als 24 Monaten nur möglich gewesen - von dem Augenblick an, dem 18. Dezember 1956 -, als wir nach einem harten Rückschlag, der unser Kommando quasi ausgelöscht hatte, wieder sieben Gewehre beisammen hatten, um erneut den Kampf aufzunehmen gegen eine militärische Streitmacht von 80.000 Soldaten mitsamt ihren Waffen, Tausenden von Führungskadern aus Militärakademien, ihrer starken Moral, attraktiven Privilegien, dem nie in Frage gestellten Mythos der Unbesiegbarkeit und einer verlässlichen militärischen Beratung sowie gesicherten Waffenlieferungen aus den Vereinigten Staaten? Gerechte Ideale, die sich das Volk zu eigen gemacht hatte, vollbrachten das militärische und politische Wunder. Spätere- vergebliche und lächerliche- Versuche, das zu retten, was übrig war von diesem ausbeuterischen und repressiven System, wurden von der Rebellenarmee, den Arbeitern und dem Volk generell innerhalb von 24 Stunden zerschlagen.

Der Anflug von Traurigkeit, der uns nach dem Sieg erfasste, war Folge der noch frischen Erinnerungen an die im Laufe des Kampfes gefallenen Kameraden - im vollen Bewusstsein, dass jene so ausserordentlich schwierige und widrigen Jahre uns zwangen, besser zu sein als wir es waren und unser schöpferisches Potential auszunutzen. Wir mussten unsere Berge, unsere Felder verlassen und unser Leben in absoluter und unumgänglicher Enthaltsamkeit aufgeben - ein Leben, stets auf der Hut vor dem Feind, der jederzeit in den 761 Tagen, die der Krieg dauerte, zu Land oder aus der Luft angreifen konnte. Ein gesundes, hartes, reines Leben voller gemeinsam erlebter Entbehrungen und Gefahren, das die Menschen zusammenschweisst und in ihnen nobelste Tugenden entwickelt: eine grenzenlose Opferbereitschaft und Selbstlosigkeit, die in jedem Menschen stecken können.

Die enorme Überlegenheit des Feindes an Waffen und Soldaten zwang uns, Unmögliches zu vollbringen. Man muss sich nur einmal vor Augen halten, dass wir den Krieg mit Gewehren und Panzerminen gewonnen haben. Wir hatten dabei in jeder bedeutenden Schlacht stets gegen Artillerie, Panzer und vor allem gegen die feindliche Luftwaffe zu kämpfen, die bei jeder Kriegshandlung sofort zur Stelle war.

Die Gewehre und andere halbautomatische und automatische leichte Geschütze, die wir besassen, hatten wir dem Feind zuvor im Kampf abgenommen. Der Sprengstoff, aus dem wir in einfachen Werkstätten Panzer- und Antipersonenminen herstellten, entnahmen wir stets einigen Blindgängern nach Bombenangriffen, die sie gegen uns führten. Unsere verlässliche Taktik, den Feind stets bei Truppenbewegungen anzugreifen, spielte dabei eine Schlüsselrolle. Die Kunst, ihn zu provozieren, um ihn aus seinen gut befestigten und in der Regel uneinnehmbaren Stellungen zu locken, wurde so zu einer der wichtigsten Fähigkeiten unserer Führung.

Die feindlichen Kampfeinheiten oder Garnisonstruppen wurden von uns belagert und ihre Verstärkungstruppen zerstört. Sie sahen sich aus Hunger und Durst gezwungen, sich zu ergeben - und das unter ständiger Befeuerung durch unsere Schützen, die den Belagerungsring jeden Tag enger schnürten, dabei aber auf Frontalangriffe verzichteten, die nur unnötig viele Kameraden das Leben gekostet hätte, da wir dazu nicht über genügend Mann und Waffen verfügten. Was wir in den Bergen und dichten Wäldern gelernt hatten, wendeten wir anschliessend auch im Flachland an - neben asphaltierten Überlandstrassen, im Schatten von Zitronen- und Orangenpflanzungen, Obstbäumen und sogar in Zuckerrohrfeldern, die als Tarnung dienten für unsere - in der Regel unerfahrenen - Truppen, was auf das rasche Anwachsen unserer Armee zurückzuführen war, in dem Masse wie neue Waffen erbeutet werden konnten. Die Führung bei Überraschungsangriffen auf die Verstärkungstruppen wurden jedoch immer von erfahrenen Kämpfern übernommen. Die gleiche Methode wurde dann auch in den Städten praktiziert, wozu die einzelnen Truppenstandorte isoliert wurden.

So konnte in nur drei Tagen die Stadt Palma Soriano eingenommen werden, und so wurde auch der Angriffsplan für die 5000 Mann starke Garnison von Santiago de Cuba entworfen, die durch 1200 Rebellenkämpfer zur Aufgabe gezwungen wurde. Über die Bucht von Santiago de Cuba konnten dazu zuvor hundert Waffen eingeschmuggelt werden, die dort erbeutet worden waren, um den Aufstand am fünften Tag nach dem Beginn der Operationen auszulösen, die nacheinander die vier Bataillone belagerten, die den Stadtrand von Santiago verteidigten. Ich lasse hierbei die Details des Angriffsplans aus und möchte nur darauf hinweisen, dass auf einen Rebellen vier feindliche Soldaten kamen. Nie zuvor hatten wir ein günstigeres Kräfteverhältnis gehabt.

Wenige Kilometer von Bayamo entfernt wurde der Kampf in Guisa mit 180 Kämpfern aufgenommen, die gegen die Verstärkung zu kämpfen hatten, die auf einer asphaltierten Landstrasse und auf anderen Wegen aus jener Stadt vorrückten, in der sich die Kommandantur der feindlichen Armee befand und Tausende ihrer besten Soldaten stationiert waren, die über schwere Kriegspanzer verfügten. Nach intensiven Gefechten, die sich über elf Tage erstreckten, in denen unsere Armee dank der Waffen anwuchs, die beschlagnahmt werden konnten und dank einiger kleiner Verstärkungstruppen, fiel Guisa am 30. November 1958 in unsere Hände.

Dieser Kampf war einmal mehr Beweis der ausserordentlichen Schlagkraft, die unsere Soldaten erworben hatten, sowie der Schnelligkeit, mit der sie vorgingen. Fünf Monate zuvor, im Juni jenes Jahres, startete der Feind seine letzte und augenscheinlich unaufhaltsame Offensive gegen die Generalkommandantur in La Plata in der Sierra Maestra. Allerdings waren wir zu diesem Zeitpunkt nicht mehr die unerfahrenen Kämpfer, die am 2. Dezember 1956 in Kuba an Land gegangen waren. Auf der anderen Seite waren wir jedoch zahlenmässig nicht besonders stark. Die Verteidigung begannen wir mit ungefähr 170 Kämpfern. Die immer noch sehr dezimierten Truppen von Che, Camilo, Ramiro und Almeida wurden zusammengeschlossen. Sie hatten zuvor die Anweisung erhalten, sich zu den Stellungen der 1. Kolonne zu begeben, die das strategische Ziel der Feindesoffensive darstellte. Das heisst also, bis auf die 2. Ostfront unter dem Befehl von Raúl, die in den Bergen des Nordostens zu weit entfernt war, um unsere Front zu unterstützen, zählten vier Wochen später alle unsere Kolonnen zusammengenommen aus etwa 300 Kämpfer. Hunderte von freiwilligen Jugendlichen ohne Waffen wurden in der Rekrutenschule von Minas del Frío ausgebildet.

Nach 74 Tagen intensiver Gefechte hatten die feindlichen Bataillone durch Gefallene, Verletzte und Gefangene ungefähr 1000 Verluste zu verzeichnen. Mehr als 440 Kriegsgefangene verblieben in unserer Hand und wurden einige Tage später über das Internationale Rote Kreuz ausgeliefert. Ich schreibe das, woran ich mich erinnere. Die Historiker können diese Daten anhand von unseren Unterlagen, die erhalten geblieben sind und später in den Archiven des Feindes gefunden wurden, vielleicht noch genauer angeben. Ich kann aber mit Sicherheit behaupten, dass mehr als 500 Waffen erbeutet wurden, mit denen die Rekruten ausgerüstet wurden, in dem Masse wie wir sie dem Feind abnahmen. Am Ende der Kämpfe betrieben waren wir nur 900 Mann unter Waffen, die wir uns unverzüglich in verschiedene Richtungen begaben. Die Rebellenkolonnen drangen in dem vom Feind kontrollierten Gebiet bis zur Landesmitte vor - mit Ausnahme des grossen östlichen Gebietes, das bereits unter fester Kontrolle von der 2. Ostfront Frank País stand, und schufen neue Kriegsfronten, die schnell grösser wurden. Ich blieb mit einigen wenigen Kameraden im Befehlsstand. Als gerade diese Operationen durchgeführt wurden, als Che und Camilo mit ungefähr 140 Mann ersterer - nach meiner Erinnerung, ohne dass ich ein entsprechendes Dokument nachgeschlagen habe - und etwa 100 Mann der zweite, eine der grössten Heldentaten vollbrachten unter all den vielen, von denen ich in den Geschichtsbüchern gelesen habe, nämlich von der Sierra Maestra nach einem Hurrikan 400 Kilometer bis zum Escambray-Gebirge, wobei sie Flachland und Sumpfgebiete zu durchqueren hatten, die von Moskitos und feindlichen Soldaten nur so wimmelten. Sie wurden ständig von der Luft aus überwacht, hatten keine Führer, keine Nahrungsmittel und konnten auch nicht auf die logistische Unterstützung unserer Untergrundbewegung zurückgreifen. Sie waren auf ihrem langen Marsch durch dieses Gebiet nur schwach organisiert. Mit List und Geschick entgingen sie Belagerungen, Hinterhalten, aufeinanderfolgenden Absperrungslinien und Bombardierungen und erreichten ihr Ziel. Durch unser grosses Vertrauen in die Kämpfer schlugen sie die Feindesoffensive nieder. Das wichtigste dabei war, dass sie ein grenzenloses Vertrauen in sich selbst und ihre legendären Befehlshaber hatten. Es waren Männer aus Stahl. Den Jugendlichen empfehle ich, die wundervollen Erzählungen aus dem Buch Pasajes de la guerra revolucionaria (Vom Revolutionskrieg), das Che geschrieben hat, zu lesen oder wiederzulesen.

Wo ich mich beinahe unfreiwillig in diese Gedanken über unsere Gefechte in den Bergen vertieft habe, will ich euch, um die Geschichte der Ereignisse zu beenden, die mich erneut in diese geliebte Stadt an jenem ersten Januar geführt haben, dessen 40. Jahrestag wir heute feiern, erzählen wie ich am 11. November aus La Plata mit 30 bewaffneten Männern und 1000 Rekruten ohne Waffen aufbrach.

Jene mutigen und selbstlosen jungen Männer waren besser geschult im Ertragen von Hunger, Bombardierungen und Mangel als im Umgang mit Waffen, da für Übungsschiessen niemals eine echte Patrone vorhanden war. Aus allen Teilen des Landes kamen sie massenweise voller Begeisterung in die Guerillaschulen. Damals konnte aber nur jeder zehnte diese Bedingungen ertragen. Sie füllten unsere Reihen auf, sie waren furchtsamer als unseren alten Kämpfer. Ermuntert von den Traditionen und Geschichten, die sie hörten, wollten sie an einem Tag vollbringen, wozu andere Jahre benötigt hatten.

Unsere grosse Kolonne nahm kleine Rebelleneinheiten entlang des Vormarschs auf und erbeutete Waffen zweier feindlicher Trupps, die in unsere Reihen überliefen, wozu sie von dem damaligen Kommandanten Quevedo überzeugt wurden, der uns ein würdiger und mutiger Gegner in der Schlacht von Jigüe gewesen war. Es war vereinbart worden, dass sie nicht gegen ihre ehemaligen Waffengefährten kämpfen mussten. So erhielt unsere grosse Kolonne eine Vorhut 180 mit Kriegswaffen ausgerüsteten Mann. In Guisa, Baire, Jiguaní, Maffo und Palma Soriano - allesamt Schauplätze zahlreicher Gefechte - erfüllte sich mit der Unterstützung anderer Einheiten, die im Laufe des Vormarsches zu uns stiessen, der Traum der Rekruten auf einen Kampfeseinsatz. Nachdem Palma eingenommen worden war, besassen nun alle Rekruten, die mit mir zusammen sechs Wochen zuvor aus La Plata aufgebrochen waren, eigene Waffen und bildeten eine hervorragende Truppe. Sie waren teilweise nachgerückt für gefallene, verletzte oder kranke Kameraden, die bereits eine Ausrüstung gehabt hatten und erhielten die erbeuteten neuen Waffen, deren Zahl sich etwa auf 700 belief. Allein in Palma wurden 350 Waffen erbeutet.

Ich muss betonen, dass nicht alle Waffen, die dazu beitrugen, die jungen Männer aus der Guerillaschule Minas del Frío zu Soldaten an forderster Front zu machen, ausschliesslich bei unseren Siegen erbeutet wurden. Mitte Dezember erhielten wir nämlich die meiner Meinung nach wichtigste Waffenunterstützung aus dem Ausland: 150 halbautomatische Gewehre und ein FAL-Automatikgewehr für mich, die im Namen des venezolanischen Volkes von Konteradmiral Larrazábel und der Revolutionsjunta geschickt wurden, die einige Monate vor dem kubanischen Sieg die Macht in Venezuela übernommen hatte. Wie man sich denken kann, sind die Waffen schnell zum Einsatz gekommen und fanden Verwendung in den Gefechten von Jigauní, Maffo und Palma Soriano.

Daher waren nach der Einnahme von Palma und Maffo unsere Waffen nicht nur ausreichend, sondern konnten auch an die bis dahin nicht bewaffneten Kämpfer verteilt werden. So konnten wir für den Aufstand in Santiago zusätzlich 100 Waffen entsenden sowie eine beträchtliche Anzahl nach Belarmino Castillo, wo dem Bataillon, das sich in Mayarí befand, der Rückweg abgeschnitten werden sollte.

Ich habe also die Unterstützung aus Venezuela erwähnt habe, muss aber hinzufügen, dass wir während unseres revolutionären Kampfes nur in einigen wenigen Fällen durch Waffen und Munition aus dem Ausland unterstützt wurden, von denen die Lieferung aus Venezuela die weitaus die grösste war. Ich erinnere mich oder habe doch gehört, dass sie fast genauso umfangreich war, wie alle anderen zusammengenommen. Mehr als 90 Prozent der Waffen und Munition, mit der wir den Krieg geführt und gewonnen haben, hatten wir dem Feind im Kampf entrissen. Es waren nur wenige Tausend, doch einem obersten Prinzip folgend wurden ausnahmslos alle an vorderster Front eingesetzt.

Im Verlauf des gerade zu Ende gegangenen Jahres hat man der Geschehnisse gedacht, von denen ich hier nur sehr wenige in Erinnerung gerufen habe.

Ehre und ewiger Ruhm, unendlicher Respekt und Liebe jenen, die damals gefallen sind für die endgültige Unabhängigkeit des Vaterlandes zu; allen, die jenes Heldenepos in den Bergen, den Ebenen und den Städten geschrieben haben - Guerilleros und Untergrundkämpfer; jenen, die nach dem Sieg bei anderen ruhmreichen Missionen ihr Leben gelassen oder in Treue ihre Jugend und ihre Energie in den Dienst der Gerechtigkeit, der Souveränität und der Erlösung ihres Volkes gestellt haben; jenen, die bereits verstorben sind und jenen, die noch leben. Wenn man nämlich an jenem 1.Januar von dem Sieg reden konnte, der fünf Jahre, fünf Monate und fünf Tage nach dem 26. Juli 1953 errungen wurde, so muss man am heutigen Jahrestag, nimmt man das gleiche Datum als Ausgangspunkt, von einem heldenhaften und bewundernswerten Kampf sprechen, der seit 45 Jahren, fünf Monaten und fünf Tagen andauert. (Beifall)

Für die jüngsten Generationen beginnt die Revolution heute gerade erst. Ein Tag wie der heutige hätte keinen Sinn, wenn man sich nicht an sie richtet.

Wer ist heute hierhergekommen? Es sind überwiegend nicht die gleichen Männer, Frauen und Jugendlichen jenes 1. Januars. Das Volk, zu dem ich spreche, ist nicht das Volk jenes 1. Januars. Es sind nicht die gleichen Männer und Frauen. Es ist ein anderes Volk, aber gleichzeitig doch das gleiche ewige Volk. (Beifall)

Derjenige, der hier von dieser Tribüne aus spricht, ist auch nicht genau derselbe wie damals. Es ist nur jemand, der wesentlich weniger jung ist, den gleichen Namen trägt, die gleiche Uniform anhat, gleich denkt und die gleichen Träume hat. (Beifall)

Von den 11 142 700 Einwohnern, die die heutige Bevölkerung des Landes ausmachen, waren 7 190 400 an jenem Tag noch nicht geboren und 1 359 698 waren noch keine 10 Jahre alt. Die grosse Mehrheit derjenigen, die damals 50 Jahre alt waren und jetzt mindestens 90 Jahre alt wären - wenn auch immer mehr dieses Alter erreichen - ist bereits verstorben.

30 % jener Landsleute konnten weder lesen noch schreiben. Ich denke, dass vielleicht weitere 60 Prozent keinen Volksschulabschluss hatten. Es gab nur einige Dutzend technische Fachschulen, Gymnasien - die nicht alle dem Volk zugängig waren -, Lehrerbildungsinstitute, drei staatliche und eine private Universität. Insgesamt gab es 22.000 Dozenten und Lehrer. Knapp 5 % aller Erwachsenen, d.h. ungefähr 250 000 Menschen besassen eine Bildung, die über den Volksschulabschluss hinausreichte.

Ich habe einige Zahlen im Gedächtnis. Heute gibt es 250 000 erwerbstätige Lehrer und Dozenten mit viel höherem Ausbildungsniveau. Es gibt 64 000 Ärzte, 600 000 Hochschulabsolventen.

Es gibt keinen Analphabeten, kaum jemand, der nicht mindestens die 6. Klasse abgeschlossen hat. Schulpflicht besteht bis zum 9. Schuljahr. Alle, die den Abschluss schaffen, ausnahmslos alle, können kostenlos die Sekundarstufe II absolvieren. Es ist nicht der Mühe wert, auf absolut präzise und exakte Daten zurückzugreifen. Es gibt Tatsachen, die sich niemand wagt, in Zweifel zu ziehen. Wir sind heute mit Stolz das Land in der Welt mit den meisten Dozenten, Ärzten und Sportlehrern pro Kopf sowie das Dritte-Welt-Land mit der niedrigsten Kinder- und Müttersterblichkeitsrate.

Jedoch will ich hier nicht von diesen oder von vielen anderen sozialen Fortschritten sprechen. Es gibt viel wichtigere Dinge.

Unzweifelhafte Realität ist, dass es unmöglich ist, das Volk von damals mit dem von heute zu vergleichen.

Das Volk von gestern, in dem es Analphabeten und Halbanalphabeten gab, in dem es kaum eine echte politische Kultur gab, war in der Lage, die Revolution zu vollbringen, das Vaterland zu verteidigen, im Anschluss ein aussergewöhnliches politisches Bewusstsein zu erlangen und einen revolutionären Prozess einzuleiten, zu dem es weder auf dieser Erdhälfte noch sonstwo auf der Welt Parallelen gibt. Das sage ich nicht etwa aus einem lächerlichen Chauvinismus oder dem absurden Vorhaben heraus, uns glauben zu machen, besser als andere zu sein. Ich sage es, weil der Zufall oder das Schicksal es so wollte, dass dieser Revolution, die an jenem ersten Januar geboren wurde, die härtesten Proben auferlegt wurden, die jemals auf der Welt ein revolutionärer Prozess zu bestehen hatte.

Unser heldenhaftes Volk von gestern und von heute, unser ewiges Volk, hat unter der Beteiligung von mittlerweile bereits drei Generationen 40 Jahre lang Aggressionen, einer Blockade sowie einem wirtschaftlichen, politischen und ideologischen Krieg der mächtigsten und reichsten imperialistischen Macht widerstanden, die je in der Geschichte der Menschheit existiert hat. Die aussergewöhnlichste Seite voller Ruhm und patriotischer und revolutionärer Standhaftigkeit ist in diesen Jahren der Spezialperiode geschrieben worden, seitdem wir völlig allein unter den westlichen Ländern dastehen - 90 Meilen entfernt von den Vereinigten Staaten - und trotzdem entschieden haben, weiterzumachen.

Unser Volk ist nicht besser als andere Völker. Seine immense historische Grösse rührt von dem einmaligen Umstand, sich dieser Probe unterzogen und standgehalten zu haben. Es handelt sich nicht von vornherein um ein grosses sondern um ein Volk, das durch sich selbst gewachsen ist. Aus dieser Fähigkeit entspringt die Grösse der Ideale und der gerechte Charakter der Sache, die es verteidigt. Es gibt keine andere Sache wie diese, es hat sie nie gegeben. Es geht heute nicht darum, aus purem Egoismus eine nationale Sache zu verteidigen. In der Welt von heute kann eine ausschliesslich nationale Sache für sich allein keine grosse Sache sein. Unsere Welt wird aufgrund ihrer eigenen Entwicklung und historischen Evolution auf schnelle, unaufhaltsame und unumkehrbare Art und Weise globalisiert. Ohne nationale und kulturelle Identitäten oder etwa die legitimen Interessen der Völker eines jeden Landes zu vernachlässigen, gibt es keine wichtigere als die globale Sache, d.h. die Sache der Menschheit selbst.

Auch ist es weder unsere Schuld noch unser Verdienst, dass für das Volk von heute und von morgen der am 1. Januar begonnene Kampf unweigerlich zu einem Kampf für die Interessen der gesamten Menschheit werden muss, der gemeinsam mit anderen Völkern zu führen ist. Kein Volk, so gross und reich es auch sein mag -und weniger noch ein mittleres oder kleines Land-kann von sich aus und für sich allein seine Probleme meistern. Das Verleugnen dieser Realität zeugt von einer begrenzten Vision, politischer Kurzsichtigkeit oder Blindheit oder dem völligen Fehlen von Besorgnis oder Mitgefühl für das Schicksal der Menschen.

Doch die Lösungen für die Menschheit sind nicht dem guten Willen derer zu verdanken, die sich heute der Welt bemächtigen und sie ausbeuten, wenngleich sie auch nichts anderes erträumen oder begreifen können als die Fortdauer dessen, was für sie den Himmel bedeutet und für die übrige Menschheit die Hölle, ein reales Inferno ohne möglichen Ausweg.

Die heute auf unserem Planeten vorherrschende Wirtschaftsordnung wird unweigerlich zusammenbrechen. Das kann sogar von einem Schüler begriffen werden, der gut genug addieren, subtrahieren, multiplizieren und dividieren kann, um im Fach Rechnen ein einfaches Bestanden zu erhalten.

Viele sind derartig infantil, dass sie jene als Skeptiker bezeichnen, die diese Themen ansprechen. Andere träumen sogar von der Errichtung von Kolonien auf dem Mond oder dem Mars. Ich kritisiere nicht die Tatsache, dass sie träumen. Sollten sie es erreichen, so wäre es vielleicht der Ort, an den sich so mancher flüchten könnte, wenn die brutale und immer stärker werdende Aggression auf unseren Planeten nicht gestoppt werden kann.

Das gegenwärtige System ist unhaltbar, denn es fusst auf blinden, chaotischen, verderblichen und destruktiven Gesetzen der Gesellschaft und der Natur.

Selbst die Theoretiker der neoliberalen Globalisierung, ihre besten Leute, Verkünder und Verfechter des Systems, zeigen sich unsicher, schwankend, widerspruchsvoll. Es gibt tausend Fragen, auf die man keine Antwort hat. Es ist heuchlerisch, wenn gesagt wird, dass die Freiheit des Menschen und die absolute Freiheit des Marktes untrennbare Begriffe sind, als ob die Gesetze des letzteren, die die egoistischsten, ungleichsten und erbarmungslosesten Sozialordnungen hervorgebracht haben, mit der Freiheit des Menschen vergleichbar wären, der vom System zu einer blossen Ware herabgestempelt wird.

Viel richtiger wäre es zu sagen, dass es ohne Gleichheit und Brüderlichkeit, unantastbare Parolen der bürgerlichen Revolution, nie Freiheit geben kann und dass Gleichheit und Brüderlichkeit mit den Gesetzen des Marktes absolut unvereinbar sind.

Die Millionen Kinder auf der Welt, die gezwungen sind, für ihren Lebensunterhalt zu arbeiten, sich zu prostituieren, Organe zu spenden und Drogen zu verkaufen; die Abermillionen Beschäftigungslosen, die kritische Armut, der Handel mit Drogen, Immigranten und menschlichen Organen sind, wie der Kolonialismus von gestern und seine dramatische Folgeerscheinung der heutigen Unterentwicklung und was es sonst noch in der Welt von heute an sozialem Übel gibt, das Produkt von Systemen, deren Fundament diese Gesetze waren. Es ist unmöglich zu vergessen, dass der Kampf um die Märkte die Ursache für das schreckliche Massenmorden beider Weltkriege dieses Jahrhunderts war.

Auch ist nicht zu verkennen, dass die Marktprinzipien Bestandteil der historischen Entwicklung der Menschheit bilden, doch ist es das gute Recht eines jeden vernünftigen Menschen, den angestrebten Fortbestand solcher Prinzipien gesellschaftlichen Charakters als Grundlage der Weiterentwicklung des Menschen abzulehnen.

Die fanatischsten Verfechter und Anhänger des Marktes haben diesen zu einer neuen Religion werden lassen. So kommt es zur neuen Glaubenslehre des Marktes. Ihre Wortführer sind mehr Theologen als Wissenschaftler. Für sie ist es eine Glaubensfrage. Aus Achtung vor den eigentlichen Religionen, die weltweit von Milliarden Menschen achtbar ausgeübt werden, und vor den echten Theologen müssen wir noch hinzufügen, dass die Theologie des Marktes sektiererisch, fundamentalistisch und antiökumenisch ist.

Die heutige Weltordnung ist aus noch vielen anderen Gründen unhaltbar. Ein Biotechnologe würde sagen, dass ihre Erbanlagen zahlreiche Gene enthalten, die sie zu ihrer eigenen Zerstörung führen.

Neue und unerwartete Phänomene treten auf, die sich jeglicher Kontrolle seitens der Regierungen und internationalen Finanzorgane entziehen. Es geht bereits nicht mehr nur um die künstliche Schaffung unermesslichen Reichtums ohne jegliches Verhältnis zur realen Wirtschaft. Das trifft auf die Hunderte neuer Multimillionäre zu, die im Zuge der in den letzten Jahren erfolgten Verdoppelungen der Aktienpreise an den New Yorker Wertpapierbörsen wie ein Riesenballon entstanden, der bis ins Absurde aufgeblasen wird und das grosse Risiko in sich birgt, früher oder später zu platzen. So war es schon einmal 1929 und bewirkte eine tiefe, ein ganzes Jahrzehnt andauerne Depression.

Allein die Finanzkrise Russlands, auf das nur 2 % des Bruttoinlandsproduktes aller Länder der Welt fallen, bewirkte ein Sinken des Dow-Jones-Index an der New Yorker Wertpapierbörse um 512 Punkte an nur einem Tag. Panik brach aus, es drohte ein Südostasien in Lateinamerika und damit ein grosses Risiko für die nordamerikanische Wirtschaft. Mit Mühe und Not konnte bislang die Katastrophe abgewendet werden. In diesen an den Börsen notierten Aktien sind die Ersparnisse und Pensionsfonds von 50 % der Nordamerikaner angelegt. Während der Krise von 1929 waren es nur 5 %, wobei es damals schon zu zahlreichen Suiziden kam.

In einer globalisierten Welt hat jedes Ereignis, ganz gleich wo es eintritt, sofortige Auswirkungen auf den restlichen Teil des Planeten. Der kürzlich erlebte Schrecken war stark. Die von den Vereinigten Staaten einberufenen reichsten Länder der Welt machten Ressourcen flüssig, um den Brand zu löschen oder einzudämmen. Doch man will Russland weiterhin am Rande des Abgrunds halten, und Brasilien werden unnötig harte Bedingungen auferlegt. Der Internationale Währungsfonds weicht nicht einen Millimeter von seinen fundamentalistischen Prinzipien ab. Die Weltbank wird ungehorsam und denunziert.

Alle Welt spricht von einer internationalen Finanzkrise. Die einzigen, die noch nichts darüber erfahren haben, sind die nordamerikanischen Bürger. Sie haben mehr denn je ausgegeben und schreiben bereits rote Zahlen. Doch das macht nichts. Ihre transnationalen Konzerne investieren das Geld der anderen. Auch das bereits 240 Milliarden betragende Handelsbilanzdefizit ist unwichtig. In Krisenzeiten setzt die Massenflucht der Spekulanten in Richtung Schatzanweisungen ein. Da der Binnenmarkt gross ist und hier mehr ausgegeben wird, hält sich die Wirtschaft anscheinend gut, wenngleich die Gewinne der Konzerne gesunken sind. Megafusionen, Euphorie: Die Aktienpreise steigen erneut. Noch einmal wird russisches Roulett gespielt. Die Theoretiker des Systems haben den Stein der Weisen entdeckt. Sämtliche Zugänge werden überwacht, damit keine den Traum störende Gespenster eindringen können. Schon wird das Unmögliche möglich. Nie wird eine Krise eintreten.

Doch ist etwa der grösser werdende Ballon die einzige Bedrohung und das einzige Spekulationsspiel? Ein Phänomen, das täglich riesige und unkontrollierbare Ausmasse annimmt, sind die Spekulationsgeschäfte mit den Währungen. Sie belaufen sich auf mindestens eine Billion Dollar täglich. Einige behaupten, es seien 1,5 Billionen. Vor noch knapp 14 Jahren betrug diese Spekulationssumme noch 150 Milliarden im Jahr. Die Zahlen können möglicherweise zu Verwechslungen führen. Es ist schwer, sie auszudrücken, und noch schwieriger ist es, sie von der englischen in die spanische Sprache zu übersetzen. Was im Spanischen eine Billion, das heisst eine Million Millionen ist, ist im Englischen eine Trillion, und eine Billion bedeutet im Englischen 1000 Millionen. Nun wird die Milliarde erfunden, die sowohl im Spanischen als auch im Englischen 1000 Millionen bedeutet. Diese Sprachprobleme veranschaulichen, wie schwierig es ist, die Riesenbeträge zu verfolgen und zu begreifen, die den Grad der Spekulation in der gegenwärtigen Weltwirtschaftsordnung widerspiegeln. All das bezahlen die immense Mehrheit der Völker der Welt bei dem steten Risiko ihres Zusammenbruchs. Bei der geringsten Unvorsichtigkeit entwertet der Ansturm der Spekulanten die Währung eines jeden ihrer Länder. Sie lösen in nur wenigen Tagen ihre vielleicht jahrzehntelang angesammelten Devisenreserven auf. Die Weltordnung hat dafür die Bedingungen geschaffen. Absolut niemand ist sicher oder kann es sein. Die Wölfe, in Rudeln und auf Computerprogramme gestützt, wissen, wo, wann und warum sie angreifen.

Ein Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften schlug vor vierzehn Jahren vor, als diese Spekulationen ein Zweitausendstel der heutigen betrugen, jedes Spekulationsgeschäft dieser Art mit 1 % zu besteuern. Heute wäre dieses 1 % ausreichend für die Entwicklung sämtlicher Länder der Dritten Welt. Es wäre eine Form der Regulierung und Eindämmung einer derart schädlichen Spekulation. Doch regulieren? Das kollidiert mit der lautersten fundamentalistischen Doktrin. Bestimmte Wörter wie Regulierung, Unternehmen der öffentlichen Hand, wirtschaftliches Entwicklungsprogramm, jegliche Form der Mindestplanung, Beteiligung oder Einflussnahme des Staates im Bereich der Wirtschaft dürfen im Tempel der Fanatiker der bestehenden Weltordnung nicht ausgesprochen werden. All das stört den idyllischen Traum vom Paradies des freien Marktes und des privaten Unternehmertums. All das ist zu deregulieren, sogar der Arbeitskräftemarkt. Die Arbeitslosenunterstützung ist auf das unbedingt Erforderliche und ein Mindestmass zu reduzieren, um nicht für "Bummelanten" und "Faulenzer" zu sorgen. Das Rentensystem ist umzustrukturieren und zu privatisieren. Der Staat hat sich nur mit Polizei und Armee zu befassen, um für Ordnung zu sorgen, Protestaktionen zu unterdrücken und Krieg zu führen. Es ist nicht einmal zulässig, dass er an der Währungspolitik der Zentralbank teilhat. Diese hat absolut unabhängig zu sein. Luis XIV. würde sehr leiden, denn er hatte ja einmal gesagt: "Der Staat bin ich"; und nun müsste er hinzufügen: "Ich bin überhaupt nichts."
Neben der phänomenalen Währungsspekulation ist ein beschleunigtes und unglaubliches Anwachsen der sogenannten Einlösungsfonds und des Marktes der Derivate -ein weiterer ziemlich neuer Begriff- zu beobachten. Ich will nicht versuchen, ihn zu erklären. Es ist kompliziert. Es genügt zu wissen, dass es sich um ein zusätzliches System von Spekulationsspielen handelt, ein weiteres Riesenkasino, in dem mit allem und auf alles gesetzt wird, gestützt auf raffinierte Risikoberechnungen unter Einsatz von Computern, hochkaratigen Programmierern und eminenten Ökonomen. Sie nützen die Unsicherheit aus und benutzen das Geld der Sparer der Banken. Sie unterliegen faktisch keinerlei Restriktionen, erzielen Riesengewinne und können Katastrophen auslösen.

Dass die gegenwärtige Wirtschaftsordnung unhaltbar ist, zeigt die Verletzlichkeit und Schwäche des Systems, das unseren Planeten in ein gigantisches Kasino, Millionen Menschen und gelegentlich sogar ganze Gesellschaften in Glücksspieler verwandelt und die Funktion des Geldes und der Investitionen verfälscht hat, denn ihr Streben ist weder auf die Produktion noch auf das Anwachsen der Güter der Welt gerichtet, sondern darauf, um jeden Preis Geld mit Geld zu gewinnen. Eine derartige Deformation führt die Weltwirtschaft zum unvermeidbaren Desaster.

Ein noch nicht lange zurückliegendes Ereignis in den Vereinigten Staaten war Anlass für einen Skandal und tiefe Besorgnis. Einer der erwähnten Einlösungsfonds, deren Kern ich versucht habe zu erklären, ausgerechnet der berühmteste dieser Fonds der USA, dessen Name, ins Spanische übersetzt, Verwaltung Langfristigen Kapitals lautet und zu dem zwei Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften und mehrere der besten Programmierer der Welt gehören und dessen Jahresgewinne 30 % übersteigen, stand kurz vor dem Zusammenbruch, dessen Folgen unberechenbar gewesen wären.

Mit einem Eigenkapital von lediglich 4,5 Milliarden Dollar stützte sich der Einlösungsfonds auf das erlangte Prestige und vertraute blind auf die Unfehlbarkeit seiner berühmten Programmierer und seiner Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften und machte Kapital von 75 verschiedenen Banken in Höhe von 120 Milliarden Dollar für seine Spekulationsgeschäfte flüssig, das heisst, er erhielt für jeden Dollar Eigenkapital über 25 Dollar Anleihe. Diese Verfahrensweise durchbrach sämtliche Parameter und vermeintliche Finanzpraktiken. Die Berechnungen und Programme schlugen fehl. Die Verluste waren beträchtlich; der Bankrott, ein dramatisches Wort in diesem Bereich, unvermeidbar. Es war nur noch eine Frage von Tagen. Das Federal Reserve System (System der Staatsrücklagen) der Vereinigten Staaten eilte dem Einlösungsfonds zu Hilfe. Das stand im Widerspruch zu all dem, was die USA predigen, die an der neoliberalen Philosophie festhalten, wonach dies als ein unverantwortliches Verhalten einer Institution dieser Art gilt. Den etablierten Prinzipien gemäss hätte der berühmte Reservefonds in Konkurs gehen müssen, das Gesetz des Marktes hätte ihm mit Verhängen der entsprechenden Strafe eine Lektion erteilt. Der Senat lud Greenspan, Direktor des Federal Reserve System, zur Aussage vor. Dieser in der Wall Street gross gewordene hohe Staatsbeamte gilt als einer der sachkundigsten und eminentesten Verantwortlichen der US-amerikanischen Wirtschaft. Ihm wird das Hauptverdienst der wirtschaftlichen Erfolge der gegenwärtigen Regierung zugesprochen, und zur Zeit wird ihm eine Sonderhommage in den Finanzkreisen und in der Presse zuteil als der Mann, der es nicht zur Börsenkrise in den Vereinigten Staaten kommen liess, indem er dreimal nacheinander den Zinssatz senkte. Er gilt nach dem Präsidenten als der zweitwichtigste Mann des Landes. Nun gut, dieser berühmte und anerkannte Direktor erklärte dem Senat, dass, sollte er den Fonds nicht retten, es zu einer Wirtschaftskatastrophe kommen würde, von der die USA und die ganze Welt betroffen wären.

Wie beständig also ist eine Wirtschaftsordnung, in der eine als abenteuerlich und unverantwortlich bezeichnete Aktion einer Spekulationsinstitution mit einem Eigenkapital von nur 4,5 Milliarden die Vereinigten Staaten und die Welt in ein Wirtschaftsdesaster führen kann?

Führt man sich eine derartige Kraftlosigkeit und Immunschwäche des Systems vor Augen, so könnte man ihm die Diagnose stellen, dass es an etwas Ähnlichem wie dem AIDS-Virus leidet.

Ich möchte hier bei dieser Gelegenheit keine weiteren Argumente anführen. Es gibt noch viele andere Probleme in der Weltwirtschaft. Die vorherrschende Ordnung hat zu kämpfen mit Inflation, Rezession, Deflation, möglichen Überproduktionskrisen, einem anhaltenden Sinken der Produkte des Grundbedarfs. So unendlich reiche Länder wie Saudi Arabien haben bereits Haushalts- und Handelsbilanzdefizite, obwohl sie 8 Millionen Barrels Erdöl pro Tag exportieren. Die optimistischen Wachstumsprognosen lösen sich in Rauch auf. Es gibt nicht die geringste Vorstellung, wie die Probleme der Dritten Welt zu lösen sind. Welches Kapitalvermögen, welche Technologien, Vertriebsnetze, Exportkredite stehen diesen Ländern zur Verfügung, um sich Zutritt zu Märkten zu verschaffen, zu konkurrieren und zu exportieren? Wo sind die Verbraucher ihrer Produkte? Wie können die Mittel für das Gesundheitswesen in Afrika bereitgestellt werden, wo 22 Millionen Menschen HIV-positiv sind und die Bekämpfung nur dieser einen Krankheit nach dem heutigen Preisniveau 200 Milliarden Dollar jährlich kosten würde? Wieviel werden noch sterben müssen, bis ein schützender Impfstoff oder ein die Krankheit heilendes Medikament zur Verfügung steht?

Die Welt braucht eine gewisse Führung, um ihre gegenwärtigen Realitäten meistern zu können. Wir sind bereits 6 Milliarden, die wir unseren Planeten bevölkern. Es ist fast sicher, dass es in nur fünf Jahrzehnten 9,5 Milliarden sein werden. Die Gewährleistung von Nahrungsmitteln, Gesundheit, Bildung, Beschäftigung, Kleidung, Schuhwerk, Wohnraum, Trinkwasser, Elektrizität und Transport für eine derart grosse Anzahl von Personen, die ausgerechnet in den ärmsten Ländern leben werden, wird eine kolossale Herausforderung sein. Man wird zuerst die Konsumptionsmuster definieren müssen. Wir dürfen nicht weiterhin den Geschmack und den Lebensstil nachahmen wollen, die sich am Verschwendungsmodell der Industriegesellschaften orientieren. Das wäre zum einen unmöglich und zum anderen Selbstmord.

Die Entwicklung der Welt muss programmiert werden. Diese Aufgabe darf nicht den Transnationalen Konzernen und den blinden und chaotischen Gesetzen des Marktes überlassen werden. Die Vereinten Nationen sind ein guter Startblock dafür. Sie verfügen bereits über umfassende Information und Erfahrung. Es muss nur ihre Demokratisierung durchgesetzt werden, das Ende der Diktatur des Sicherheitsrates sowie der Diktatur innerhalb des Rates selbst; zumindest soll er durch neue ständige Mitglieder eine Erweiterung erfahren, unter denen die Dritte Welt entsprechend vertreten ist, und zwar mit sämtlichen Vorrechten wie sie auch die gegenwärtigen Mitglieder besitzen. Auch die Regeln für die Entscheidungsfindung sind zu modifizieren. Ausserdem sind die Funktionen und das Ansehen der Vollversammlung zu stärken.

Es werden hoffentlich keine katastrophalen Wirtschaftskrisen sein, die zu Lösungen führen. Milliarden Menschen in der Dritten Welt wären die am meisten Betroffenen. Das elementare Wissen um die technologischen Realitäten und die Zerstörungskraft der modernen Waffen zwingt uns, alles zu tun um zu verhindern, dass die unvermeidbar ausbrechenden Interessenkonflikte blutige Kriege auslösen.

Die Existenz nur einer Supermacht, einer globalen und erstickenden Wirtschaftsordnung macht es schwer -vielleicht auch unmöglich-, dass eine Revolution wie sogar die unsrige, sollte sie heute einsetzen und nicht als sie in einer damals bipolaren Welt Unterstützung fand, überleben kann. Unserem Land stand also die notwendige Zeit zur Verfügung, um ein unbezwingbares Durchhaltevermögen zu entwickeln und gleichzeitig auf internationaler Ebene den starken Einfluss seines Beispiels und seines Heldentums wirken zu lassen, um auf allen Tribünen die grosse Schlacht der Ideen zu schlagen.

Die Völker werden kämpfen. Eine bedeutende und entscheidende Rolle in diesen Kämpfen werden die breiten Massen spielen, und das wird im Grunde ihre Antwort auf die Armut und die Leiden sein, die ihnen auferlegt wurden. Es wird Tausende neue und findige Formen des politischen Drucks und der politischen Aktion geben. Viele Regierungen werden durch die Wirtschaftskrisen und die Ausweglosigkeit aus dem etablierten Weltwirtschaftssystem eine Destabilisierung erfahren.

Wir durchleben eine Etappe, in der die Ereignisse dem Bewusstsein der Realitäten, die uns berühren, vorauseilen. Es müssen Ideen verbreitet, Betrug, Spitzfindigkeiten und Heucheleien entlarvt werden unter Einsatz von Methoden und Mitteln, die der Desinformation und den institutionalisierten Lügen entgegenwirken. Die im Verlaufe von vierzig Jahren über Kuba wie Regengüsse niedergeprasselten Verleumdungen haben uns gelehrt, dem Instinkt und Intellekt der Völker zu vertrauen.

Die europäischen Länder haben der Welt ein gutes Beispiel dessen geliefert, was man mit Vernunft und Intelligenz erreichen kann. Nachdem sie sich jahrhundertelang bekriegt hatten, haben sie nun begriffen, dass auch sie als reiche und industrialisierte Länder nicht isoliert überleben können. Soros, eine bekannte Persönlichkeit der Finanzwelt, und seine Gruppe zwangen Grossbritannien auf die Knie, einstiger Herrscher über ein grosses Imperium, unangefochtener Finanzkönig und Besitzer der Reservewährung, eine Rolle, die heute dem Dollar und den USA zukommt.

Der Franc, die Peseta und die Lira bekamen die Schläge der Spekulation ebenfalls zu spüren. Der Dollar und der Euro bewachen sich gegenseitig. Vor der privilegierten nordamerikanischen Währung wurde ein zukunftsträchtiger Gegner aus der Wiege gehoben. Die USA setzen sehnlichst auf seine Schwierigkeiten und sein Scheitern. Betrachten wir die Ereignisse aus der Nähe.

In ihrer Angst, Unsicherheit und ihren Zweifeln suchen einige nach eklektischen Alternativen. Der neoliberalen entmenschlichten, moralisch und gesellschaftlich unakzeptierbaren, ökologisch und ökonomisch unhaltbaren Globalisierung gegenüber bleibt der Welt keine andere Alternative als eine gerechte Verteilung der Güter, die die Menschen mit ihren fleissigen Händen und ihrer fruchtbaren Intelligenz in der Lage sind zu schaffen. Stop der Tyrannei einer Ordnung, die blinde, anarchische und chaotische Prinzipien aufzwingt und unsere Gattung an den Abgrund führt! Rettung der Natur! Wahrung der nationalen Identität! Schutz der Kultur eines jeden Landes! Es herrsche Gleichheit und Brüderlichkeit und mit ihnen die wahre Freiheit. Die gewaltigen Unterschiede zwischen Reichen und Armen innerhalb eines jeden Landes und zwischen den Ländern dürfen nicht noch grösser werden, sonder sie müssen sich ganz im Gegenteil allmählich verringern und eines Tages ganz verschwunden sein. Die Grenze der Unterschiede ist nicht von Raub, Spekulation und Ausbeutung der Schwächeren zu setzen, sondern von den Verdiensten, den Fähigkeiten, dem kreativen Geist und all dem, was der Mensch real zum Allgemeinwohl beiträgt. Der Humanismus ist aufrichtig zu praktizieren, mit Taten und nicht mit heuchlerischen Losungen.

Liebe Landsleute!

Das Volk, das den heldenhaften Kampf der Spezialperiode kämpft, um das Vaterland, die Revolution und die Errungenschaften des Sozialismus zu retten, schreitet unaufhaltsam in Richtung seiner gestellten Ziele voran, gleich den Kämpfern um Camilo und Che in der Sierra Maestra und dem Escambray-Gebirge. Wie Mella sagte, hat jede Zukunft besser zu sein. Lasst uns dieses mit den Zielen bestätigen, die wir uns für 1999 gestellt haben. Wir wollen festigen und vertiefen, arbeiten und mit dem gleichen Mut kämpfen wie unsere heldenhaften Kämpfer bei Uvero in den ruhmreichen Tagen der grossen feindlichen Offensive, in den Schlachten und Aktionen, derer wir heute gedacht haben. Den Rückschlag von Alegría de Pío haben wir bereits hinter uns gelassen, sind an Cinco Palmas vorbei und haben wieder Kräfte gesammelt. Wir sind schon wieder in der Lage zu siegen so wie 300 über 10 000 gesiegt haben; wir sind schon wieder viel stärker und uns des Sieges sicher. (Beifall)

Allen unseren Landsleuten, doch besonders der Jugend versichere ich, dass die kommenden vierzig Jahre für die Welt entscheidend sein werden. Vor ihnen stehen unvergleichlich komplexere und schwierigere Aufgaben. Sie erwarten neue ruhmreiche Ziele; die überaus grosse Ehre, kubanische Revolutionäre zu sein, verlangt von ihnen die Realisierung dieser Aufgaben. Kämpfen wir für unser Volk und für die Menschheit. Unsere Stimme kann und wird sehr weit zu vernehmen sein.

Die Schlacht von heute ist hart und schwer. Wie im kriegerischen gibt es auch im ideologischen Kampf Verluste. Zum Durchstehen harter Zeiten und schwerer Bedingungen hat nicht jeder die erforderliche Veranlagung.

Heute hatte ich daran erinnert, dass während des Krieges bei Luftangriffen und aller Art von Entbehrungen von den freiwilligen Jugendlichen, die in unsere Guerillaschule kamen, nur einer von zehn dies alles ertrug; doch dieser Eine war zehn, hundert, tausend Mann wert. Vertiefen im Bewusstsein, Formung des Charakters, Erziehung in der harten Schule des Lebens unserer Epoche, Verbreiten stichhaltiger Ideen, Benutzen von unwiderlegbaren Argumenten, Überzeugen mit eigenem Beispiel und Vertrauen auf die Ehre des Menschen; damit kann erreicht werden, dass von zehn neun auf ihrem Kampfposten bleiben, eng verbunden mit der Fahne, der Revolution und der Heimat. (Beifall)

Sozialismus oder Tod!

Vaterland oder Tod!

Wir werden siegen! (Ovation)