Samstag, 17. April 1999

Rede während der ersten Arbeitssitzung des Gipfels der Vereinigung Karibischer Staaten. Santo Domingo, Dominikanische Republik, am 17. April 1999

Rede des Comandante en Jefe Fidel Castro Ruz, Erster Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas und Vorsitzender des Staats- und des Ministerrates, während der ersten Arbeitssitzung des Gipfels der Vereinigung Karibischer Staaten. Santo Domingo, Dominikanische Republik, am 17. April 1999, "Jahr des 40. Jahrestages des Sieges der Revolution

Da man mich nun darum gebeten hat, oder man doch erwartet, wenn ich auch noch keine Zusammenfassung von all dem machen konnte, was hier gesagt wurde, werde ich einige Dinge ansprechen mit dem Versprechen, mich dabei kurz zu halten (Lachen).

Während die anderen Kollegen sprachen, dachte ich nach über die verschiedenen Umstände, die die Geschichte bestimmen und das Leben und die Interessen all der Länder, die hier zusammengekommen sind, und wie schwierig es ist, eine gemeinsame Sprache zu finden.

Es schien mir notwendig zu sein, einige Begriffe zu erklären in bezug auf die Bedeutung, die für jeden einzelnen von uns FTAA, NAFTA, Initiative für das Karibische Becken, AKP-Staaten und Lomé-Abkommen haben.

Manchmal habe ich den Eindruck, daß wir Bürger sind, die an einer Ecke stehen, weil wir irgendwo hin wollen und dann den erstbesten Bus nehmen, der vorbeikommt - an einem Tag einen Bus, an einem anderen einen anderen Bus, und so fahren wir oft in alle möglichen Richtungen.

Dabei stoßen Interessen aufeinander, das ist unbestreitbar, und wir müssen anfangen, uns dessen bewußt zu werden. Einige dieser Interessenkonflikte sind hier erneut aufgewärmt worden.

Wir haben keine klare Vision von der zukünftigen Welt. Was bedeutet zum Beispiel für uns eigentlich die Welthandelsorganisation? Dabei wünscht sich doch jeder eine Weltorganisation für den großen Handel. Diese Bewegung wurde sogar vor langer Zeit in Havanna ins Leben gerufen.

Was halte ich z.Zt. von der WTO? Ich halte sie tatsächlich - und das sage ich offen - für ein furchteinflößendes Instrument der Rekolonialisierung und Ausbeutung der Welt. Wie sonst etwa könnte man eine Politik rechtfertigen, die darauf abzielt, die bescheidenen Vorrechte abzuschaffen, die die 70 Lomé-Staaten mit knapper Not genießen? Denn als Land aus der Familie der Dritten Welt mache ich mir nicht nur Sorgen um unsere Probleme - die der Karibik und Lateinamerikas -, sondern auch um die Afrikas und die Probleme in anderen Teilen der Welt, weil wir Teil haben an dieser globalisierten Welt und unser Schicksal nicht getrennt gesehen werden kann von dem Schicksal all dieser Länder.

Warum will man von heute auf morgen zahlreichen kleinen Volkswirtschaften der Karibik, die sich mit Bananen über Wasser halten, die Mittel zum Leben entreißen, wobei die Gewinne von einem großen transnationalen US-Unternehmen eingestrichen werden, das - wie jeder weiß - diese Beschwerde bei der WTO eingereicht hat, weil die USA weder Bananen produzieren noch exportieren? Sie sind einfach nur ein großer Bananenkonsument, was sie zum kleinstmöglichen Preis sein wollen.

Wir Kubaner sind Mitglied der lateinamerikanischen Familie.

Ich weiß, daß man in Guatemala Bananen anbaut, ebenso wie in Honduras, Ecuador, Mexiko und weiteren Ländern.

Oft habe ich mich im Zusammenhang mit diesem Problem gefragt, welche Position wir einnehmen sollten. Als ich darüber nachdachte, habe ich nicht gezögert, die Position der Karibik zu unterstützen. Will ich damit sagen, daß wir uns voneinander entfernen, oder daß wir die Interessen der mittelamerikanischen Länder ignorieren? Nein, auf keinen Fall. Aber ich erkenne hier einen Interessenkonflikt.

Wenn man berücksichtigt, daß diese Karibikinseln, einige mehr und andere weniger, gerade einmal 1½% der Bananen ausführen, die weltweit konsumiert werden - wenn ich mich nicht irre, vielleicht ist es ja weniger -, frage ich mich, warum gerade das zum Zankapfel werden soll, wo es sich doch um Interessen handelt, die in Einklang gebracht werden können? Denn wir können und müssen die mittelamerikanischen Länder in vielen Dingen und vielen Aspekten unterstützen. Gerade jetzt unterstützen wir sie in der Idee einer integralen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung. Und wir unterstützen sie bei dem Kampf um den Schuldenerlaß. Wir fordern die entwickelte Welt dazu auf, daß sie alle Mittel aufbringt, die Mittelamerika nach dem Hurrikan braucht. Wir kennen die Lage dort, die Notwendigkeit einer integralen, und zwar nicht nur wirtschaftlichen, sondern auch gesellschaftlichen und menschlichen Entwicklung.

Es gibt viele Dinge, in denen wir sie unterstützen können, weil wir gemeinsame Interessen haben, und mir scheint es so, daß dieser Konflikt ein lösbarer Konflikt ist. Die Anzahl der beteiligten Länder der Karibik ist dabei unbedeutend, ihre Landfläche ist klein. Wenn ich außerdem daran denke, daß zwei oder drei große transnationale US-Unternehmen den weltweiten Bananenmarkt kontrollieren, frage ich mich, warum Tausende von Familien geopfert werden müssen, die in Jamaica - ich habe sie gesehen - und in anderen Ländern der Karibik zwei oder drei Hektar Bananen anbauen. Wenn man so eine Entscheidung wie jene der WTO trifft, legt man dabei keinerlei humane Maßstäbe an. Wenn ich sehe, wie man die Vorzugspreise von Lomé zerschlagen will, wird es mir wirklich angst und bange. Denn wovon soll Afrika leben? Wie kann man ihnen nur diese Präferenzen nehmen? Ich glaube, daß dies nicht der Weg sein kann. Man muß Mittel fordern, man muß sich vereinen, um Beschwerde einzulegen, um anzuklagen, um die Wirklichkeit der Welt, in der wir leben, auf den Tisch zu legen.

Wieviel wird für Waffen ausgegeben? Wieviel wird für Luxusgüter ausgegeben? Wieviel wird für Flugzeugträger, Panzerkreuzer, Flugzeuge, Raketen, die Weltraumeroberung, etc. etc. ausgegeben? Und umgekehrt, wieviel wird für Entwicklungshilfe ausgegeben?

Die Industriestaaten - Leonel hat das angesprochen - sind auf der Suche nach ihren eigenen Interessen. Er sprach über Fragestellungen im Zusammenhang mit Freihandelszonen und Tolling-Industries, das ist das, was sie im wesentlichen interessiert. Und so wie ich das sehe, wollen sie die Dritte Welt zu einer großen Freihandelszone machen, wo nur Löhne gezahlt werden, und dazu auch noch niedrige Löhne. Nicht einmal Steuern, weil sie um Steuerbefreiung bitten. Sie haben uns dazu gebracht, daß wir untereinander konkurrieren, um zu sehen, wer die meisten Erleichterungen einräumt und wer am wenigsten Steuern verlangt. Das sind nicht nur gemeinsame Interessen der Länder des Karibischen Beckens, sondern der gesamten Dritten Welt.

Trotzdem denke ich, daß ungeachtet dieser etwaigen Interessensdifferenzen und orts- oder geschichtsbedingter Meinungsverschiedenheiten das Beste, was wir machen können, das ist, was wir hier tun: uns zu treffen und zu diskutieren.

Auf der Isla Margarita habe ich gemerkt, daß es in der Karibik ein Problem gibt, als ich die Anstrengungen sah, die die Dominikanische Republik mit den Ländern Mittelamerikas unternommen hat, und es wurde mir bewußt, daß Mittelamerika und die Karibik sich wirklich von Gottes Hand alleine gelassen fühlten.

Man hat vom MERCOSUR gesprochen - eine ausgezeichnte Idee, die wir beklatscht haben. Eine Anstrengung in Richtung Andenpakt. Heute ist für mich glasklar, daß sich ganz Südamerika vereinen muß und ich frage die Regierenden stets - und nicht nur die Regierenden der Länder, sondern auch die Führungskräfte der internationalen Organisationen - wann sie sich zusammenschließen und welches die Hindernisse sind, die die Vereinigung von MERCOSUR und Andenpakt erschweren.

Vielen Freunden aus Südamerika - Chávez weiß es, Präsident Pastrana weiß es, der Präsident von Brasilien weiß es - habe ich tatsächlich verdeutlicht, daß sich die Karibik und Mittelamerika vergessen fühlen. Das habe ich auf jenem Treffen auf der Isla Margarita gemerkt, als wir alleine blieben, als der Vertreter aus Puerto Rico sprach und sagte, was vor sich ginge (jemand sagt Costa Rica). Ja, es war Costa Rica. Es wäre schön, wir könnten auch Puerto Rico sagen, weil es so lateinamerikanisch ist wie jedes andere unserer Länder und so karibisch wie jeder von uns. Aber wir kennen ja die Gründe, warum es nicht auf diesem Treffen vertreten sein kann.

Ich sagte ihnen: Man darf die Karibik nicht vergessen. Man darf Mittelamerika nicht vergessen. Ich dachte dabei nicht an Kuba. Kuba hat man bereits seit langer Zeit vergessen, seit mehr als 40 Jahren, weil wir vorher vergessen waren und jetzt auf eine andere Weise vergessen sind, weil wir unabhängig geworden sind. Wir sind wirklich Herr über unser eigenes Land geworden. Das ist der Grund dafür, warum man uns vor fast 40 Jahren aus der OAS geworfen hat, das ist der Grund dafür, warum es hier Wörter gibt, die ich nicht verstehe, deren Bedeutung ich nicht einmal kenne. Was bedeutet z.B. Weltbank für uns? Was bedeutet Interamerikanische Bank, deren Vorsitz unser geschätzter und großer Freund Iglesias hat? Was bedeutet für uns Amerikagipfel, was ist das? Sie werden davon ein wenig mehr verstehen als ich, weil Sie wenigstens aus dem einen oder anderen Grund, vielleicht weil Sie viel besser sind als wir alle und heiliger als wir alle und nicht aus den Tiefen der Hölle heraufgestiegen sind, wissen, was Amerikagipfel bedeutet und einige dieser Sachen. Wir haben das fast vergessen.

FTAA? Was bedeutet FTAA für uns? Ich bin Patterson sehr dankbar dafür, daß er ein sehr subtiles, sehr kluges und sehr diskretes Wort in Erinnerung gerufen und erwähnt hat, als er sagte: "Warum müssen einige ausgeschlossen sein?" Tatsächlich handelt es sich nicht um einige; der einzige Fehler ist, daß er in der Mehrzahl spricht. Es gibt nur einen, der ausgeschlossen ist (Lachen) und das ist Kuba.

Glücklicherweise haben wir aber in unserem Unglück gelernt, mit dem zurecht zu kommen, was wir haben, bescheiden zu leben, aber mit großer Würde, untereinander zu teilen, was wir haben, und ein bißchen von dem, was wir haben, unter den anderen zu verteilen, wenn es möglich ist.

Deswegen haben wir an die Geschehnisse der letzten Monate erinnert, als wir von Hurrikans und anderen Dingen sprachen, und an die Anstrengungen, die unser kleines Land, über das eine Blockade verhängt ist, unternommen hat, um einen Beitrag zur Bewältigung der Schwierigkeiten der Hurrikanopfer zu leisten. Ich will nicht davon sprechen, warum sollte ich, wir wollen auf keinen Fall die Werbetrommel für uns rühren, wir arbeiten im Stillen. Wir arbeiten im Stillen nicht nur in bezug auf Fragestellungen, die man, sagen wir, kennt, sondern auch bei unseren Gesprächen mit Europäern, mit nordamerikanischen Führungspersönlichkeiten, weil einige uns trotz allem besuchen, verstehen sie? Darunter sind einige angesehene und intelligente Persönlichkeiten. Ich rede über alles mit ihnen, ich kann mit ihnen, angefangen von den allgemeinen Weltproblemen und der wirklichen Lage der Welt bis hin zu der Möglichkeit reden, daß eines Tages alle diese superaufgeblasenen Börsen in sich zusammenfallen und es in den USA zu einer schlimmeren Katastrophe als 1929 kommt. Wenn man nämlich nachrechnet, kommt man zu diesem Ergebnis. Das wird eines Tages explodieren. Daran muß man auch denken.

Ich kann Ihnen von irgendeinem Konflikt erzählen, so etwa von der Lage in Rußland, warum man dieses Land auf eine Explosion zusteuert, oder Sie genauso gut daran erinneren, daß der Westen Rußland 300 Milliarden Dollar entzogen hat, von denen wir wissen, wo sie angelegt wurden. Und Europa weiß das. Davon aber reden sie nie, wenn sie mit ihnen um einen 20-Milliarden-Kredit feilschen, was einem Tropfen auf den heißen Stein gleichkommt, wenn man wie ich die Lage dieses Landes kennt, das die treibende Kraft der Krise war, die in Südostasien losbrach und die bereits dabei war, auf Mexiko überzugreifen und nur mit großer Mühe aufgehalten werden konnte. Von dort aus dehnte sie sich auf Rußland aus.

Als ich mich hier in Santo Domingo anläßlich des Treffens mit den Universitäten aufhielt, sagte ich genau an diesem Tag - ich glaube es war der 19. August-, daß die russische Wirtschaft explodieren würde. Ich wußte damals noch nicht, daß sie gerade in jenem Moment dabei war, zu explodieren. Wir erfuhren es ein paar Tage später - das Trauma, der Schrecken, der deprimierende Fall des berühmten Dow-Jones-Index in den USA um 512 Punkte und wie erschreckt infolgedessen der Internationale Währungsfonds und die Weltbank waren. Sie alle haben wahrscheinlich von der Selbstkritik seitens des Internationalen Währungsfonds in New York auf den Sitzungen am 5. und 6. Oktober gehört und von den Protesten der Weltbank in bezug auf ihre Rolle, die gesellschaftliche Entwicklung zu unterstützen. All das kennen Sie. Danach drohte eine Ausweitung auf Brasilien und den Rest Lateinamerikas.

Um nicht zu weit auszuholen möchte ich nur sagen, daß ich nicht an einen einzigen der Befehle des Katechismus des Internationalen Währungsfonds glaube - er ist einfach ruinös.

Ich habe den Präsidenten von Costa Rica gehört, der Ökonom ist, als er darüber klagte, daß die Rücklagen geringer würden. Sie werden nicht geringer, sie verschwinden von heute auf morgen. Länder wie Malaysia, die über 40 Milliarden Dollar Rücklagen verfügten, die in zwei Tagen verschwanden, mußten sich auflehnen. Und die Reserven eines dieser berühmten Tigerstaaten, Korea, verschwanden in einigen Minuten. Die von Thailand verschwinden in einigen Minuten. Die Reserven von Brasilien, Sie wissen ja bereits was geschah, reduzierten sich von 70 Milliarden Dollar auf 35 Milliarden Dollar, wobei der Westen und die Vereinigten Staaten merkten, daß dies der Anfang vom Ende sein würde, weshalb sie Brasilien zu Hilfe kamen. Der Wert aller Privatisierungen, der Telefongesellschaft, der großen Mineralvorkommen, wobei es sich sogar um rentable Unternehmen handelte, verschwanden in drei Wochen.

Das sind Tatsachen der Welt. Jetzt hat niemand irgendeine Sicherheit darüber, was passieren wird. Leonel sprach von den High-Tech-Industrien, dabei sank doch in diesen Industriezweigen, die in diesen Ländern Südostasiens entwickelt wurden, der Wert der Computerchips innerhalb weniger Tage von 2 Dollar auf 10 Cents, weil sie alle Welt dazu angehalten hatten, Computer, Fernseher und sogar Automobile zu produzieren, als ob die bestehende Produktionskapazität nicht ausreichen würde.

Du hast es auf den Punkt gebracht (er meint Leonel), als Du fragtest, wo die Kunden seien. Eben, wir wissen ja, daß Jeans hergestellt werden. Sie halten uns dazu an, Jeans, Schuhe und diese Kunstgewerbesachen herzustellen, für die man viele Arbeitskräfte braucht, aber nicht weiß, wo die Kunden herkommen sollen.

Von Jeans kann man 40 Milliarden herstellen. Es gibt keine Ordnung in der Weltwirtschaft. Ich weiß nicht, ob der Internationale Währungsfonds oder sonst jemand etwas hätte unternehmen sollen oder ob es eines Tages so etwas wie eine Koordinierung geben wird. Heute ist die weltweite Entwicklung ein Chaos, eine Anarchie. Alle Welt wird angehalten, Jeans zu produzieren, bis man 40 Milliarden Jeanshosen produziert hat. Sie werden aber auf 30 Milliarden dieser 40 Milliarden sitzenbleiben, weil die Afrikaner keine Jeans kaufen und auch keine Computer benutzen können, wovon Clinton träumt - das hat er vor der Welthandelsorganisation gesagt, das habe ich nur wenige Meter von ihm entfernt gehört.

Er hat uns an Karl Marx erinnert (Lachen). Wissen Sie auch weshalb? Weil Karl Marx von einer einzigen Klasse träumte, so wie Clinton. Marx aber träumte dabei von einer Arbeiterklasse und Clinton träumt von einer Welt, die zu einer einzigen Mittelklasse geworden ist, im Stil von Kalifornien, Los Angeles, San Francisco, wo jeder einen Computer hat, zwei Autos, ein Haus, fünf Telefone. Dabei weiß man, daß es in Tokio mehr Telefone gibt als in ganz Afrika mit seinen 700 Millionen Einwohnern und daß es ohne Telefone keine Computer gibt, keine Computertechnik, kein Internet.

Man weiß, daß in Lateinamerika nur 2% der Menschen Zugang zum Internet haben. Das ist etwas für die Reichen. Und wann werden wir diese Welt geschaffen haben?

Vor einigen Tagen traf ich mich mit dem Präsidenten Nigers - der tragischerweise vor kurzem durch einen Unfall verstarb oder umgebracht wurde, man weiß noch nicht, wie er starb -, und er sagte mir, daß die Kindersterblichkeitsrate in seinem Land bei 213 Kindern pro 1.000 Lebendgeborenen pro Jahr läge. Unglaublich!

Einige, oder fast alle, werden mehr oder weniger verstehen, was das bedeutet. Dazu kommen aber auch die Daten bezüglich des Analphabetismus, der 87% ausmacht, sowie eines Schulbesuchs von nur 16% der Kinder. Wann werden die Einwohner von Niger lernen, per Telefon zu kommunizieren, das Internet zu benutzen und allesamt der Mittelklasse anzugehören?

Manchmal frage ich einige der reichen Länder, wie man das AIDS-Problem in Afrika lösen kann, wo man allein dafür, daß die mit diesem Virus Infizierten einige Jahre länger überleben, 300 Milliarden Dollar pro Jahr benötigt, wenn man die Preise zugrunde legt, die diese Medikamente in den USA haben. Das ist ein Luxus reicher Länder.

In Kuba sprach man früher von einem Luxus der Weißen. In den reichen USA aber haben die Schwarzen nicht diese Möglichkeiten. Auch nicht die Indianer oder die Mischlinge. Das ist nur für Reiche. Das sind die Träume der Reichen, so wie die Eroberung des Mars und all dies. Und dabei fehlt es in vielen unserer Völker an Schulen.

Die Lage, die es in Niger gab, ist ähnlich. Wir haben Niger ein Gesundheitshilfsprogramm vorgeschlagen, was wir auch einem ganzen Gebiet der ärmsten Länder Nordafrikas anbieten, weil wir beweisen wollen, was man mit menschlicher Arbeitskraft erreichen kann. Wir haben kein Geld, man leiht sich bei uns keine 10 Dollar aus, weil ich Ihnen versichere, daß wir sie ihnen nicht borgen können. Aber wir verfügen über ein gewisses Humankapital, mit dem wir mit den Ländern der Karibik und Mittelamerikas kooperieren können, aber auch mit anderen Teilen der Welt, die wir nicht vergessen dürfen und mit denen wir vereint sein müssen.

Wir haben uns hier und heute getroffen; die Mittelamerikaner streiten sich mit den Karibikstaaten um die Bananenfrage, die Lateinamerikaner streiten sich mit dem Rest der Länder, die der Lomé-Konvention angehören, weil die WTO sämtliche Präferenzen abschafft. Was bleibt uns dabei?

Die reichen Länder geben immer weniger für Entwicklungshilfe aus. In glücklichen Tagen sprach man von 0,7%, das war noch zu Zeiten des Kalten Krieges und des Wettbewerbs. Als dies alles vorbei war, sprach man nicht einmal mehr von 0,8%, 0,7% oder 0,5% - jetzt sind es gerade einmal 0,4%. Und die am wenigsten geben, sind die reichsten von allen, die Vereinigten Staaten, die nur 0,1% oder 0,2% für Entwicklungshilfe ausgeben. Das ist die Wahrheit. Gleichzeitig nehmen die Börsenspekulationen ein solches Ausmaß an, daß der tägliche Währungsankauf und -verkauf mindestens eine Billion Dollar ausmacht. Es wird mit Währungen spekuliert, mit Aktien, mit allem wird spekuliert.

Du hast (er bezieht sich auf Leonel) das Wort Kasino erwähnt. Ja, diese Welt ist ein einziges riesiges Spielkasino - und ein Chaos dazu. Ich sage das hier nicht etwa, um irgendeinem den Mut zu nehmen, sondern eigentlich, um meiner Meinung Ausdruck zu geben, daß wir wenigstens anfangen müssen, uns zu treffen, um zusammenzuarbeiten und Fragen zu klären.

Bei jedem dieser Treffen wird mir vieles deutlich, lerne ich etwas, höre zu, sehe Probleme, Sorgen, Standpunkte. Man muß es ganz laut herausschreien, daß nicht nur wir aus der Karibik und Mittelamerika uns zusammentun müssen, sondern daß wir uns auch mit Südamerika zusammentun müssen. Sie brauchen das genauso wie wir, weil sie zwar alle groß sind und über bessere Volkswirtschaften verfügen, aber vom technologischen und finanziellen Standpunkt aus gesehen im Vergleich zu den reichen Riesen nichts besitzen. Wir haben die Notwendigkeit, uns zusammenzuschließen und man muß diesem Treffen in Rio mit Europa größte Bedeutung zukommen lassen. Ich glaube es ist ein großer Fortschritt, daß sie sich an uns erinnert haben und daß wir uns wenigstens einen Spielraum eröffnen können, wenn wir nicht nur vom Norden abhängen. Das ist von enormer Bedeutung und ich glaube wirklich, Leonel, daß wenn wir uns hier darauf einigen, daß sich Arbeitsgruppen intensiv darauf vorbereiten, gemeinsame Positionen Mittelamerikas, der Karibik und Südamerikas gegenüber der Europäischen Union herauszuarbeiten, dies das Beste sein würde, was wir von hier aus bis Juni oder Juli machen können - ich weiß schon nicht mehr, wann das Treffen stattfinden wird, weil es schon mehrmals verschoben wurde.

Dies ist ein historischer Augenblick, wenn wir alle dort mit Europa zusammenkommen, weil auch Europa sich bedroht fühlt. Es hat über 500 Jahre lang Kriege ertragen, aber es tut sich nun zusammen, weil es nicht gespalten leben kann. Sogar die so individualistische, unabhängige Schweiz will dem Euro beitreten und will sich in die Europäische Union eingliedern. Sie, die so reich sind, würden in diesem Jahrhundert, von dem man spricht, nicht überleben können, wenn sie sich nicht zusammenschließen. Das ist die wahre Lektion. Ich will nicht weiter ausschweifen, sondern möchte Ihnen nur sagen, daß ich wirklich sehr aufmerksam und sehr interessiert allen Redebeiträgen gefolgt bin. Ich glaube, daß alle, die das Wort ergriffen haben, etwas Interessantes gesagt haben.

Besondere Anerkennung verdient - und ich denke, daß Sie mit mir einverstanden sein werden - etwas, daß Anlaß zur Freude war, und das ist die Gegenwart des Präsidenten Venezuelas, Hugo Chávez, der mit einem riesigen Volk im Rücken dazu entschlossen ist, die Lebensbedingungen seines Landes zu ändern. Ein Land, das heute tatsächlich weiter entwickelt sein könnte als Schweden, weil es über viel mehr Ressourcen verfügt als Schweden. Es besitzt Talent, es besitzt Universitäten, und er weiß sehr genau - und wir alle wissen das, er sagte es -, daß der Index für die kritische Armut in Venezuela über 80% liegt. Die Mittelschicht wird nicht zum Muster, der Typ C der Mittelschicht ist jetzt schon unter die Armutsgrenze gerutscht. Die Dinge sind unglaublich. Er will das alles ändern. Aber seine Worte erschienen mir sehr edel, sehr gesund, sehr spontan.

Das hat Chávez gestern gesagt und es mir tatsächlich in zwei Wörtern ausgedrückt. Nie zuvor hatten wir ein Wort darüber verloren, noch haben wir jemals etwas verlangt, weil wir nicht gerne um etwas bitten, das sagen wir Ihnen offen. Wir haben uns daran gewöhnt, nichts zu empfangen, isoliert zu leben, in der Apartheid und darüberhinaus haben wir versucht, unsere moralischen Verpflichtungen den anderen gegenüber zu erfüllen in dem Bewußtsein, daß wir zum Menschengeschlecht gehören.

Jemand sagte, daß Martí davon sprach, daß das Vaterland Lateinamerika sei. Martí sagte noch mehr als das. Er sagte: Das Vaterland ist die Menschheit, was ein viel weitgefaßterer Begriff ist.

Der junge Präsident Venezuelas ist ein überzeugter Bolivarianer, der hier diesen Gedanken zum Ausdruck brachte. Aber er hatte uns gesagt... Gestern erst sagte er mir, und wenn er mir erlaubt, sage ich es und wenn nicht, werde ich schweigen (Lachen). Da Du das nun schon gesagt hast, fühle ich mich im Recht, es auch zu sagen. Er sagte, er wolle andere Länder einbeziehen, ich weiß nicht, welche es wohl sein werden, ich denke schon, daß es ein paar sein werden; aber er sagte, daß er möchte, daß Kuba den gleichen Nutzen bekommen sollte, den die Länder genießen, die im Beschluß von San José eingeschlossen sind. Ich war voller Bewunderung, Erstaunen und war beeindruckt, weil es mir nicht einmal in den Sinn gekommen wäre, ihn tatsächlich darum zu bitten (Beifall).

Und ich möchte darüberhinaus sagen, daß Kuba das letzte Land ist, um das er sich zu sorgen braucht, weil es andere Karibikstaaten gibt, die über weniger Ressourcen verfügen als Kuba, denen man Priorität einräumen muß, und daß man Kuba einfach an die letzte Stelle setzen sollte, für den Zeitpunkt, wenn Sie bessere Erdölpreise erzielen und die Bedingungen besser sind. Wir sind bereit, darauf zu warten. Wir warten schon seit 40 Jahren, Chávez. Aber Deine Idee rührt uns und ich bin überzeugt davon, daß alle hier dies mit großer Genugtuung aufnehmen werden.

Aber ich habe gut beobachtet. Seit 40 Jahren bereits beobachte ich. Wenigstens habe ich das Privileg der Stabilität (Lachen). Vielleicht besitzt Patterson ja auch das Privileg der Stabilität. In Europa hatte Thatcher für 15 oder 16 Jahre diese Stabilität und Kohl für 16 und strebte 20 an (Lachen). Ich möchte tatsächlich nichts. Es ist das Schicksal, das mir eine Arbeit übertragen hat, die ich verfolgt habe, solange es einen Konsens gibt, der das wesentlichste demokratische Prinzip darstellt. Niemand, der nicht den Konsens des Volkes und die Unterstützung des Volkes besitzt, sollte irgendein Amt bekleiden oder irgendeine verantwortliche Stellung übernehmen. Daher denke ich, daß auch andere eine gute Zeit lang an der Macht waren.

Ich werde kritisiert dafür, daß man mich dorthin gesetzt hat, oder daß ich mich selbst dorthin gesetzt habe, ohne es zu wollen - ich weiß es nicht -, weil es uns in den Sinn kam, vor den Toren der Vereinigten Staaten eine Revolution zu machen und wir einen harten Kampf aufnahmen. Die Stabilität hat uns geholfen zu überleben. Aber Sie können sicher sein, daß sobald meine Kollegen es so entscheiden - an erster Stelle - oder ich nicht nicht mehr kann, ich Ihnen hier nicht mehr auf den Wecker fallen werde, sondern allenfalls als fast vergessener Gast kommen werde, wie es in der Regel geschieht, wenn man sich von Ämtern und den Geschäften zurückzieht. Aber achten Sie einmal darauf, solche Leute werden von ihnen immer mit einem kleinen Applaus bedacht (Lachen) - das habe ich schon gesehen. So haben wir hier nämlich mit Freude dem Salvadorianer applaudiert. Wissen Sie eigentlich, daß er mir niemals applaudiert? Ich möchte, daß Sie das wissen (Lachen). Ich aber applaudiere ihm immer - das eine schließt das andere nicht aus. Und man muß für die Einheit kämpfen und all diese Dinge.

Das möchte ich herausstellen. Die Idee hat mir sehr gefallen, in Venezuela eine Universität für die Karibik zu eröffnen. So werden wir jetzt zwei haben - Chávez kann auf unsere Zusammenarbeit zählen. Wir haben die Universitäten in Kuba in den Dienst der Karibik gestellt und die Regierenden aus der Karibik wissen, daß es für sie keine festgesetzte Anzahl für auszubildende Ingenieure, Architekten und Ärzte gibt.

Nach den Hurrikans wurde in wenigen Wochen eine lateinamerikanische Medizinhochschule errichtet, die von bereits fast 1.000 Studenten besucht wird. Im September nehmen zirka 1.800 Studenten aus Lateinamerika ihr Studium dort auf - nicht gerechnet die Studenten aus Haiti, weil es in bezug auf die Sprache zu Schwierigkeiten kommt, wenn wir in mehr als einer Sprache unterrichten, so daß wir in der ihrem Land am nächsten gelegenen Region am Ostende Kubas für Haiti eine eigene Hochschule aufbauen werden, wo sie erst einmal Spanisch lernen müssen.

Studenten aus der Karibik finden sich an allen Universitäten unseres Landes und es gibt für sie keine Aufnahmebeschränkungen. Diese Idee von Chávez gefällt mir außerdem sehr gut, weil er die Bedeutung des Humankapitals und der Ausbildung in dieser Epoche kennt, um einen Platz auf der Welt einzunehmen.

Ich danke auch Patterson herzlich für seine Anmerkungen und seine Worte, die ich mit großem Interesse verfolgt habe.

Und ich danke Ihnen allen unendlich für Ihre Geduld, mir zuzuhören.

Danke.

(Ovationen)