Mittwoch, 10. Oktober 2007

Das komplizenhafte Schweigen

Reflexionen des Comandante en Jefe: Das komplizenhafte Schweigen

Die Welt kann es sich nicht leisten zu erlauben, dass das Drama des Krieges der NATO gegen Jugoslawien aufgrund des Schweigens derjenigen, die Ausführende und wichtige Mittäter jenes brutalen Völkermords waren, dem Vergessen anheim fällt.

In der Unterredung von Clinton mit Aznar am 13. April 1999 im Weißen Haus, wo die Entscheidung zur Intensivierung der Bombardements getroffen wurde und Aznar den Angriff auf das Fernsehen, den Rundfunk und andere Punkte anregte, was dann das Leben von unzähligen wehrlosen Zivilopfern fordern würde, waren Präsident Clinton, der Berater für Nationale Sicherheit Sandy Berger, die Außenministerin Madeleine Albright und weitere, dem Präsidenten nahe stehende Mitarbeiter anwesend, darunter derjenige, der von Berger den Befehl bekam, nicht Protokoll zu führen, sobald über Kuba gesprochen würde.

Es kann sein, dass irgendjemand von ihnen in Presseerklärungen oder in irgendeinem Buch bzw. in Memoiren im Einzelnen etwas über das Abenteuer geschrieben hat, aber nicht im Kontext der realen Gefahrensituation und selbstmörderischen Kriege, zu denen die Vereinigten Staaten die Menschheit führen. Es gibt geheime Dokumente, die in 200 Jahren als Vermächtnis irgendeines Präsidenten veröffentlicht werden sollen, zu einem Zeitpunkt, zu dem es bei dem jetzigen Gang der Ereignisse schon keine Veröffentlichungen oder Leser mehr geben wird.

Seitdem sind weniger als zehn Jahre vergangen.

In Europa und anderenorts haben sie viele Komplizen, die Schweigen bewahren.

Nach der dritten Botschaft an Milosevic kam der Verkehrsminister von Italien zu einem Besuch nach Kuba, den ich empfing und mit dem ich am 30. März 1999 direkt über die Angelegenheit des Krieges gegen Jugoslawien sprach.

Im Folgenden das, was ich gemäß den gemachten Aufzeichnungen unserer Unterredung im Beisein des Personals meines Büros und des Außenministers zu ihm sagte:

„Ich begann ihn zu fragen, warum sie Serbien überfallen hatten. Wie sie eine Lösung finden würden. Dass es meines Erachtens ein großer Fehler war und dass es sie in eine Sackgasse führen würde, wenn die Serben widerstehen würden. Welche Notwendigkeit bestand für Europa, Jugoslawien zu teilen, das viele Reformen durchgeführt hatte und das streng gesagt am Ende des Kalten Krieges weder als ein kommunistischer Staat und noch weniger als ein Feind Europas bezeichnet werden konnte? Dass Europa, um die Forderung der deutschen Regierung zu befriedigen, die Abspaltung von Kroatien betrieben und unterstützt hatte, wo in Wirklichkeit das Nazi-Deutschland während des Zweiten Weltkrieges die gefürchteten Tschetnik-Gruppen organisierte, welche unzählige Verbrechen und Massaker gegen die Serben und die von Tito angeführte Befreiungsbewegung begingen.

Aufgrund dieser Gefälligkeit und fehlender politischer Voraussicht inmitten der Hochstimmung der Tage der Krise des sozialistischen Lagers und der UdSSR hat Europa Jugoslawien geteilt, was zu blutigen Ereignissen geführt hat und besonders zum langen und blutigen Krieg von Bosnien und schließlich zum jetzigen Krieg der NATO gegen Serbien. Wie ebenfalls die Abspaltung von Mazedonien erfolgt war, was die Verstümmelung des größten Teils der Bundesrepublik Jugoslawien bedeutete. Auf diese Art und Weise blieben nur Serbien, Montenegro und Kosovo übrig.

Wie bekannt ist, hat die Bevölkerung albanischer Abstammung während mehreren Jahrzehnten nicht aufgehört zu wachsen, bis sie die große Mehrheit darstellte. Zu Lebzeiten von Tito, recht lange vor seinem Tod, haben viele serbische Familien Kosovo verlassen, da sie Sicherheit vor zahlreichen Gewaltakten suchten, die Extremistengruppen von Kosovo gegen sie begingen. Zu jener Zeit fand gegen die in Kosovo lebenden Serben das statt, was heute als ethnische Säuberung bezeichnet wird.

Die unnötige und blutige Desintegration von Jugoslawien stimulierte und entfesselte die schwelenden Konflikte zwischen der Mehrheit albanischer Abstammung und der serbischen Minderheit von Kosovo, die die Grundlage für die jetzigen Probleme bilden.

Das serbische Volk stellt im Wesentlichen den Kern dessen dar, was von dem ehemaligen Jugoslawien übrig geblieben ist. Es ist ein kämpferisches und mutiges Volk, das außerordentlich gedemütigt worden ist. Ich war der Überzeugung, dass Serbien eine ehrenhafte und friedliche Lösung des Kosovo-Problems auf der Grundlage einer weitgehenden Autonomie akzeptiert hätte.

Die gemäßigten Gruppen von Kosovo, die intelligent und konstruktiv handelten, unterstützten diese Lösung, da das Vorhandensein einer großen Bevölkerungsmehrheit albanischer Herkunft früher oder später das Entstehen eines unabhängigen Staates auf friedlichem Wege ermöglichen würde. Europa weiß genau, dass die Extremistengruppen von Kosovo jene Lösung nicht wollten; sie forderten die sofortige Unabhängigkeit und wünschten deshalb die Intervention der NATO-Kräfte.

Es ist ungerecht, die gesamte Verantwortung Serbien aufzuladen. Serbien hat kein souveränes Land überfallen. Es hat sich im Grunde genommen der Anwesenheit von ausländischen Truppen in seinem Gebiet widersetzt. Monatelang und besonders in den letzten Wochen wurde nichts anderes getan, als es ständig zu bedrohen. Man forderte von ihm die bedingungslose Kapitulation. Kein Land kann so behandelt werden, und noch weniger das Volk, das in der Zeit des besetzten Europas mit dem größten Heldentum gegen die Nazis gekämpft hat und große Erfahrung im irregulären Krieg besitzt.

Wenn die Serben widerstehen – und ich bin überzeugt, dass sie widerstehen werden - bleibt der NATO nichts weiter als ein Völkermord übrig; aber ein Völkermord der aus den folgenden zwei Gründen keinen Erfolg haben würde:

Erstens: Sie könnten das serbische Volk nicht besiegen, wenn dies alle seine Erfahrung und seine Doktrin des irregulären Kampfes anwendet.

Zweitens: Die öffentliche Meinung der Nato-Länder selbst würde es nicht zulassen.

Es ist nicht eine Frage der Panzerdivisionen, unsichtbaren Bombenflugzeuge, Tomahawk-Raketen und Marschflugkörper oder jeglicher anderer der so genannten intelligenten Waffen. Es müsste eine Rakete oder eine Bombe für jeden Mann, der in der Lage ist, ein Gewehr, eine Bazooka bzw. eine tragbare Luftabwehrwaffe zu tragen, abgeworfen werden. Die gesamte Macht der NATO wäre in diesem Falle überflüssig. Es gibt Kriege der Sterne und Kriege auf der Erde. Trotz aller technologischen Fortschritte, würde der individuelle Kämpfer das Hauptgewicht in dieser Art Kampf tragen.

Abgesehen von Kosovo befindet sich ein viel größeres Problem zum Nachteil der Interessen von Europa und der Welt in Entwicklung. Russland wurde schrecklich gedemütigt. Die NATO ist schon bis zu den Grenzen dessen vorgedrungen, wo die UdSSR war. Sie verspricht, weitere Staaten des ehemaligen sozialistischen Lagers einzubegreifen, und sogar die baltischen Länder, die Bestandteil der Sowjetunion waren. Die Russen haben allen Grund zu meinen, dass sie unaufhörlich bis zu den Mauern des Kremls vordringen will.

Die Russen sind Slawen, genau wie die Serben, und dieses Gefühl ist sehr stark unter jenen Völkern. Die Angriffe gegen Serbien stellen für sie eine ungeheure Demütigung dar und haben mehr als jedes andere Ereignis tiefgehende und berechtigte Gefühle der Unsicherheit nicht nur für sie, sondern ebenfalls für andere Länder wie Indien und China ausgelöst, die logischerweise versuchen werden, sich mit Russland zu verbünden, um ihre Sicherheit zu garantieren. Ich glaube nicht, dass die Russen darauf verzichten werden, alles zu tun, was notwendig ist, um die Reaktionsfähigkeit als einzige Garantie gegenüber dem zu bewahren, was jetzt gerade geschieht.

Weder Europa noch die Welt, mit den jetzigen bedrückenden Wirtschaftsproblemen, hätten durch diesen Kurs der Geschehnisse auch nur im Geringsten etwas zu gewinnen.

Vor wenigen Tagen, am Freitag, den 26. März bei Tagesanbruch, als er vorzeitig aus Kolumbien nach der UdSSR zurückkehrte, hat der Vorsitzende der Staatlichen Duma der Russischen Föderation, Gennadi Seleznjow, eine Zwischenlandung auf dem Flughafen von Havanna gemacht. Auf eigene Initiative sprach ich diese Probleme an. Ich sagte zu ihm, dass es keine mögliche militärische Lösung gäbe, dass ohne Zweifel jegliche Anstrengung, Serbien militärisch zu unterstützen, unweigerlich zu einem allgemeinen Krieg führen würde, da die einzigen jetzt dazu zur Verfügung stehenden Mittel nicht die konventionellen sind; dass die Schlacht politischen Charakters sei und nicht militärischen.

Seleznjow selbst informierte öffentlich über diesen ihm von mir übermittelten Standpunkt.

Sowohl Europa als auch die Welt haben die Pflicht, jene Lösung zu suchen, die, obwohl schwierig und kompliziert, voll und ganz möglich ist. Wenn man, anstelle sich vollkommen dem zu widmen, Serbien mit schrecklichen Bombardierungen zu drohen, Druck auf die Extremisten von Kosovo ausgeübt hätte, dann wäre jene Lösung auffindbar gewesen. Allein die NATO kann die Extremisten von Kosovo bremsen, wenn sie dies auf aufrichtige und kategorische Art und Weise tut. Es geht nicht darum, zu diesem Zweck die Waffen zu verwenden, sondern auf so eine Art und Weise zu warnen, dass jene nicht den geringsten Zweifel hegen, dass sie nicht mit ihrer Unterstützung rechnen können.

Es ist nicht zu bestreiten, dass die Bomben, die seit einer Woche auf Serbien abgeworfen werden, niemals zu jenen Überredungsbemühungen beitragen werden.

Andererseits halte ich es für einen schwerwiegenden Fehler jener sowohl seitens der Vereinigten Staaten als auch von Europa verfolgten Politik, Russland auf wirtschaftlichem Gebiet am Rande des Abgrunds zu halten, indem man versucht, dem Land die unmöglichen Formeln des Internationalen Währungsfonds aufzuzwingen.

Der Westen spricht nicht über die 300 Milliarden Dollar, die in Russland geraubt und nach Portugal, Spanien, Frankreich, Italien, Österreich und andere Länder überwiesen wurden. Fünfzehn Mal mehr als die armselige Summe von 20 Milliarden, welche als Anleihe des Internationalen Währungsfonds schon seit Monaten diskutiert wird. Der Westen ist nicht ganz unschuldig an dieser unbarmherzigen Ausplünderung der russischen Reichtümer, aufgrund der von ihm empfohlenen und aufgezwungenen Methoden und Modelle der Wirtschaftspolitikleitlinien.

Eine innere Explosion in Russland wäre eine Katastrophe. Hinzu kommt das schon von mir erwähnte Vorrücken der NATO, das Vorhaben, den ABM-Vertrag (strategische Raketenabwehr) aufzukündigen und jetzt die unwahrscheinliche Demütigung des von den mächtigen Kräften der NATO lancierten Angriffs gegen ein kleines Land wie Serbien.

Dass ich gegen jede Art von Völkermord bzw. Gemetzel bin, egal wer ihn ausübt und dass alle Ethnien und Religionen ohne Ausnahme die Achtung ihres Rechts auf das Leben, auf die Kultur und den Frieden verdienen.

Wenn ich mir die Freiheit genommen habe, das zu erklären, dann deshalb, weil ich an die Pflicht denke, vor diesen Gefahren zu warnen und die Notwendigkeit zu ihrer Lösung aufzuzeigen. Dies darzulegen, schadet absolut niemandem und kann im Gegenteil allen Nutzen bringen. Ich wiederholte meine Überzeugung, dass die Serben widerstehen würden, und dass, trotzdem es nicht einfach sein wird, mit einem Land zu verhandeln, auf das tausende Bomben abgeworfen und dessen Ehre, Würde und Wirtschaft hart angeschlagen wurden, meiner Meinung nach eine friedliche Lösung möglich ist.

Der NATO verbleiben schon keine militärischen Angriffsziele mehr, vielleicht nur Truppenkonzentrationen oder Truppen in Bewegungen, und nichts ist einfacher auf der Welt, als diese zu verstreuen, um eine andere Art Krieg zu führen, ohne dass man sie durch Luftangriffe zerstören kann.

Europa weiß, dass der Bodenkrieg sehr viele Menschenleben fordern und außerdem unnütz sein würde; dass für den Fall, dass die Serben die selbe Konzeption anwenden, die wir in unserem Lande für den Fall einer Invasion seitens der Vereinigten Staaten anwenden würden, und bei der sie schon eine außerordentliche Erfahrung bewiesen haben, der von der NATO angezettelte Krieg unnütz und widerlich sein, und eine universelle Verurteilung gegen einen Völkermord im Herzen selbst von Europa erfahren würde.“


Heute ist ein ruhmreicher Tag unseres Vaterlandes, der Tag, an dem Carlos Manuel de Céspedes den Unabhängigkeitskrieg gegen die spanische Metropole begonnen hat.

An seinem Beispiel haben sich die nachfolgenden Generationen von Kubanern inspiriert. Die uns hieraus auferlegte Lehre besteht in der Pflicht zu denken und gegen die Gefahren zu kämpfen, welche heutzutage die menschliche Gattung bedrohen.


Fidel Castro Ruz
10. Oktober 2007
19.55 Uhr

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