Sonntag, 7. März 2010

Die Gefahren, die uns drohen

Reflexionen des Genossen Fidel: Die Gefahren, die uns drohen

Es handelt sich nicht um eine Frage der Ideologie in Bezug auf die unvermeidbare Hoffnung, dass eine bessere Welt möglich ist und möglich sein muss.

Es ist bekannt, dass es den Homo sapiens seit circa 200.000 Jahren gibt, was einem sehr kurzen Zeitabschnitt im Vergleich zu jenem Moment entspricht, zu dem vor ungefähr drei Millionen Jahren die ersten Formen eines elementaren Lebens auf unserem Planeten entstanden sind.

Die Antworten auf die unergründlichen Rätsel des Lebens und der Natur trugen vorwiegend religiösen Charakter. Es wäre sinnlos zu erwarten, dass es anders wäre, und ich bin überzeugt, dass es niemals aufhören wird, so zu sein. Je weiter die Wissenschaft in der Deutung des Universums, von Raum und Zeit, von Materie und Energie, in der Deutung der unendlichen Galaxien und der Theorien über den Ursprung der Sternbilder und Sterne, der Atome und Bestandteile derselben, die im Ursprung des Lebens standen und der Kürze desselben, und der Abermillionen Kombinationen pro Sekunde, die seine Existenz bestimmen, fortschreitet, desto mehr Fragen wird sich der Mensch auf der Suche nach Erklärungen stellen, die immer vielschichtiger und schwieriger sein werden.

Je mehr sich die Menschen darin vertiefen, Antworten auf so tiefgehende und komplexe, im Zusammenhang mit der Intelligenz stehende Aufgaben zu suchen, desto mehr werden sich jene Bemühungen lohnen, sie aus ihrer kolossalen Ignoranz über die realen Möglichkeiten dessen, was unsere Gattung geschaffen hat und zu schaffen in der Lage ist, zu befreien. Zu leben und das zu ignorieren, das ist die totale Verneinung unseres menschlichen Naturells.

Eines ist jedoch vollkommen wahr – sehr Wenige ahnen, wie nahe das Aussterben unserer Gattung sein kann. Vor knapp 20 Jahren, auf einem Weltgipfeltreffen über die Umwelt in Rio de Janeiro, habe ich diese Gefahr vor einem ausgewählten Publikum von Staats- und Regierungschefs behandelt, welches respektvoll und interessiert zuhörte, wenn auch absolut nicht besorgt wegen dem Risiko, dass es Jahrhunderte, vielleicht Jahrtausende entfernt wähnte. Sie waren der Meinung, dass mit Sicherheit die Technik und die Wissenschaft und außerdem ein elementarer Sinn der politischen Verantwortung in der Lage sein würden, dem begegnen zu können. Mit einem großen Foto wichtiger Persönlichkeiten, darunter die mächtigsten und einflussreichsten, fand jener wichtige Gipfel seinen glücklichen Abschluss. Es war keinerlei Gefahr vorhanden.

Über den Klimawechsel wurde kaum gesprochen. George Bush senior und andere glänzende führende Persönlichkeiten des Atlantikpakts genossen den Sieg über das europäische sozialistische Lager. Die Sowjetunion war in ihre Bestandteile aufgelöst und ruiniert worden. Riesige Mengen russischer Währung wurden den westlichen Banken übertragen, die Wirtschaft der Sowjetunion wurde desintegriert und ihr Verteidigungsschild gegenüber den NATO-Stützpunkten war demontiert worden.

Der ehemaligen Supermacht - die über 25 Millionen ihrer Söhne und Töchter im Zweiten Weltkrieg gegeben hatte - verblieb nur die Fähigkeit zur strategischen Antwort als Atommacht. Macht, die sie sich zu schaffen gezwungen sah, nachdem die Vereinigten Staaten im Geheimen die Atomwaffe entwickelt hatten, die sie auf zwei japanische Städte abwarfen, als der durch den unaufhaltsamen Vormarsch der alliierten Truppen besiegte Gegner schon nicht mehr zu kämpfen in der Lage war.

So begann der Kalte Krieg und die Herstellung von tausenden von atomaren, immer zerstörerischeren und in höherem Grade genauen Waffen, die in der Lage sind, die Erdbevölkerung mehrfach zu beseitigen. Die atomare Konfrontation ging jedoch weiter, die produzierten Waffen hatten eine immer größere Genauigkeit und Zerstörungskraft. Russland findet sich nicht mit der unipolaren Welt ab, die Washington aufzwingen möchte. Andere Nationen wie China, Indien und Brasilien machen sich mit außergewöhnlicher Wirtschaftsstärke bemerkbar.

Zum ersten Male hat die menschliche Gattung – in einer globalisierten Welt voller Widersprüche – die Fähigkeit geschaffen, sich selbst zu zerstören. Hierzu kommen noch Waffen von nie da gewesener Grausamkeit hinzu, wie zum Beispiel die bakteriologischen und chemischen, Waffen mit Napalm und weißem Phosphor, die gegen die Zivilbevölkerung zur Anwendung kommen, was vollkommene Straflosigkeit genießt, die elektromagnetischen Waffen und andere Formen der Ausrottung. Kein Winkel in den Tiefen der Erde bzw. der Meere würde außer Reichweite der heutigen Kriegsmittel bleiben.

Es ist bekannt, dass auf diesen Wegen zehntausende atomare Vorrichtungen geschaffen worden sind, sogar tragbare.

Die größte Gefahr geht von der Entscheidung von Führungskräften mit Befugnissen zu solchen Entscheidungen aus, davon, dass die in der menschlichen Natur so häufigen Dinge wie der Irrtum und der Wahnsinn zu unglaublichen Katastrophen führen können.

Es sind knapp 65 Jahre vergangen, seitdem die ersten beiden atomaren Vorrichtungen durch die Entscheidung eines sehr mittelmäßigen Individuums, das nach dem Tod von Roosevelt das Kommando über die mächtige und reiche US-amerikanische Macht bekam, explodiert sind. Heute verfügen acht Länder über solche Waffen, die meisten durch die Unterstützung seitens der Vereinigten Staaten, und einige weitere verfügen über die Technologie und die Mittel, um diese in kurzer Zeit herstellen zu können. Terroristische, vor Hass verrückte Gruppen, könnten in der Lage sein, auf diese zurückzugreifen, ebenso wie terroristische und verantwortungslose Regierungen aufgrund ihrer völkermörderischen und unbeherrschbaren Verhaltensweise nicht davor zurückschrecken würden, diese anzuwenden.

Die Rüstungsindustrie ist die blühendste aller Industrien und die Vereinigten Staaten sind der größte Waffenexporteur.

Wenn sich unsere Gattung von all den genannten Gefahren befreit, dann besteht eine noch größere, oder zumindest in noch höherem Grade unvermeidbare: der Klimawechsel.

Die Menschheit zählt heute sieben Milliarden Menschen und wird bald, d. h. in 40 Jahren, die neun Milliarden erreichen, eine neun Mal größere Zahl als vor kaum 200 Jahren. Ich wage anzunehmen, dass es zu Zeiten des antiken Griechenlands circa 40 Mal weniger Menschen auf der Erde gab.

Das Erstaunliche unserer Zeitepoche ist der Widerspruch zwischen der imperialistischen bürgerlichen Ideologie und dem Überleben der Gattung. Es geht schon nicht mehr darum, dass es die Gerechtigkeit unter den Menschen geben soll, was heute mehr als möglich und unverzichtbar ist; sondern es geht um das Recht und die Möglichkeiten zum Überleben derselben.

Wenn der Kenntnishorizont sich bis zu jemals auch nur gedachten Endlosigkeiten erweitert, dann ist er dem Abgrund näher, zu dem die Menschheit geführt wird. Alle bis heute bekannten Leiden sind kaum ein Schatten dessen, was der Menschheit noch bevorstehen kann.

In nur 71 Tagen gab es drei Ereignisse, welche die Menschheit nicht übersehen kann.

Am 18. Dezember 2009 hat die internationale Staatengemeinschaft die größte Schlappe der Geschichte erlitten, und zwar bei ihrem Versuch, eine Lösung für das dringendste Problem zu finden, das die Welt in diesem Augenblick bedroht: Die Notwendigkeit, mit aller Dringlichkeit die Emissionen von Treibhaus-Gasen einzustellen, die gegenwärtig das schwerwiegendste Problem verursachen, dem die Menschheit bis heute gegenüber gestanden hat. Nach jahrelangen Vorbereitungen die auf das Kyoto-Protokoll folgten, dessen Ignorierung sich die US-amerikanische Regierung ― der größte Umweltverschmutzer auf der Erde ― leistete, waren alle Hoffnungen auf den Gipfel von Kopenhagen gesetzt worden. Der Rest der Weltgemeinschaft, 192 Länder, diesmal einschließlich der Vereinigten Staaten, hatten sich zum Abschluss einer neuen Vereinbarung verpflichtet. Der US-amerikanische Versuch, ihre hegemonischen Interessen aufzuzwingen, war dermaßen schändlich, dass sie unter Missachtung der elementarsten demokratischen Prinzipien versuchten, kraft bilateraler Vereinbarungen mit einer Gruppe der einflussreichsten Mitgliedsländer der Vereinten Nationen, auf nichtdemokratische Weise unannehmbare Bedingungen für die restliche Welt festzulegen.

Die Staaten, die diese internationale Organisation bilden, wurden zur Unterzeichnung eines Dokuments aufgefordert, welches eine Verspottung darstellt. In diesem Dokument wird über künftige, rein theoretische Beiträge zur Dämpfung des Klimawandels gesprochen.

Es waren noch keine drei Wochen vergangen, als am späten Nachmittag des 12. Januar Haiti, das ärmste Land der Hemisphäre und das erste, dass das verhasste Sklavereisystem abschaffte, die größte je bekannte Naturkatastrophe der Geschichte dieses Erdteiles erlitten hat: Ein Erdbeben von 7,3 Grad auf der Richter-Skala, in nur 10 Kilometer Tiefe und in sehr kurzer Entfernung seiner Küsten, suchte die Hauptstadt des Landes heim, in deren schwachen Lehm-Häuser die Mehrzahl jener Personen wohnten, die später tot aufgefunden bzw. vermisst wurden. Ein bergisches und erodiertes Land von 27 000 km2 Fläche, in dem das Brennholz praktisch der einzige Haushalt-Brennstoff für neun Millionen Menschen ist.

Wenn irgendwo auf dem Planeten eine Naturkatastrophe zu einer unermesslichen Tragödie wurde, dann in Haiti, einem Symbol von Armut und Unterentwicklung, wo die Nachkommen jener Menschen leben, die von den Kolonialisten aus Afrika gebracht wurden, um als Sklaven der weißen Herren zu arbeiten.

Dieses Ereignis erschütterte die Welt an allen Ecken und Enden des Planeten, der über das an das Unglaubliche grenzende, verbreitete Bildmaterial erschaudert ist. Die blutenden und schwer verletzten Verwundeten bewegten sich zwischen den Leichen und schrieen nach Hilfe. Unter den Trümmern lagen die leblosen Körper ihrer nahen Angehörigen. Die Zahl der Todesopfer überstieg laut amtlichen Berechnungen 200.000 Menschen.

Das Land war vorher schon von den MINUSTAH-Truppen interveniert worden, die von den Vereinten Nationen zur Wiederherstellung der von haitianischen Söldnertruppen zerrütteten Ordnung geschickt worden waren. Letztere hatten, ermuntert durch die Bush-Regierung, die vom haitianischen Volk gewählte Regierung angegriffen. Auch einige Gebäude, wo Soldaten und Befehlshaber der Friedenstruppen wohnten, sind eingestürzt, was schmerzhafte Opfer verursacht hat.

Laut amtlichen Meldungen wird geschätzt, dass außer den Toten etwa 400.000 Haitianer verletzt und mehrere Millionen, fast die Hälfte der Gesamtbevölkerung, betroffen worden sind. Das war eine echte Prüfung für die Völkergemeinschaft, die nach dem beschämenden Gipfel in Dänemark die Pflicht hatte zu beweisen, dass die reichen Industrieländer in der Lage sein würden, den Bedrohungen für das Leben auf unserem Planet durch den Klimawandel die Stirn zu bieten. Haiti muss ein Vorbild dafür darstellen, was die reichen Länder für die Nationen der Dritten Welt gegenüber dem Klimawandel tun müssen.

Man kann es glauben oder nicht, und den meiner Meinung nach unwiderlegbaren Angaben der seriösesten Wissenschaftler des Planeten und der großen Mehrheit der sehr gebildeten und seriösesten Personen der Welt trotzen, die denken, dass beim aktuellen Erderwärmungsrhythmus die Treibhausgase die Temperatur nicht nur um 1,5 Grad sondern um bis zu 5 Grad erhöhen werden, und dass die durchschnittliche Temperatur bereits die höchste von den letzten 600 000 Jahren ist, einen Zeitpunkt, lange bevor die Menschen als Gattung auf dem Planeten existierten.

Absolut undenkbar ist, dass 9 Milliarden Menschen, die im Jahre 2050 die Welt bewohnen werden, solch eine Katastrophe überleben können. Es bleibt die Hoffnung, dass die Wissenschaft selbst eine Lösung für das Energieproblem findet, das heute dazu zwingt, in weiteren 100 Jahren den Rest der gasförmigen, flüssigen und festen Brennstoffe zu verbrauchen, für deren Erschaffung die Natur 400 Millionen Jahre gebraucht hat. Die Wissenschaft kann vielleicht eine Lösung für die notwendige Energie finden. Die Sache ist zu wissen, wie lange und zu welchen Kosten die Menschen das Problem meistern können, das nicht das einzige ist, denn viele andere nicht erneuerbare Mineralien und schwere Probleme bedürfen einer Lösung. Ausgehend von allen heute bekannten Begriffen können wir uns folgender Tatsache sicher sein: Wenn man mit einer Geschwindigkeit von 300 000 Kilometern pro Sekunde reisen würde, dann befindet sich der nächstgelegene Stern 4 Lichtjahre von unserer Sonne entfernt. Ein Raumschiff braucht vielleicht tausende Jahre, um diese Entfernung zurückzulegen. Der Mensch hat keine andere Wahl, als auf diesem Planet zu leben.

Es würde unnötig erscheinen, das Thema zu behandeln, wenn nicht knapp 54 Tagen nach dem Erdbeben in Haiti ein unglaubliches Beben mit der Stärke von 8,8 Grad auf der Richterskala in Chile eine weitere menschliche Katastrophe hervorgerufen hätte. Das Epizentrum war 150 Km entfernt, lag in 47,4 km Tiefe und nordwestlich der Stadt Concepción. Es war nicht das größte Beben in der Geschichte dieses Bruderlandes, Überlieferungen zufolge gab es einmal eines mit der Stärke 9. Aber diesmal handelte es sich nicht nur um eine Erscheinung mit Erbebeneffekten. Während man in Haiti stundenlang ein Meeresbeben erwartet hat, das nicht stattgefunden hat, folgte auf das Erbeben in Chile ein großer Tsunami der in einer Zeitspanne von knapp 30 Minuten bis zu einer Stunde danach je nach der Distanz und laut Angaben die noch nicht detailliert bekannt sind, die chilenischen Küsten betroffen hat. Die großen Wellen erreichten Japan. Dank der fachlichen Erfahrungen der Chilenen auf dem Gebiet der Erdbebenangelegenheiten, ihrer solidereren Gebäude und größeren Mittel, hat die Naturkatastrophe nicht Zehn- oder sogar Hunderttausende Menschenleben gekostet. Offiziellen Angaben zufolge gab es dennoch ca. tausend Todesopfer und tausende Verletzte und vielleicht mehr als zwei Millionen Menschen haben materielle Schäden erlitten. Fast die gesamte Bevölkerung von 17.094.275 Einwohnern wurde vom Beben, das länger als zwei Minuten gedauert hat, sehr schwer betroffen und leidet immer noch unter seinen Auswirkungen, seinen wiederholten Nachbeben und den schrecklichen Szenen und Leiden, die der Tsunami an den tausenden Kilometern Küste hervorgerufen hat. Unser Land solidarisiert sich voll und ganz und unterstützt moralisch das materielle Bemühen, das die Internationale Gemeinschaft Chile zur Verfügung zu stellen verpflichtet ist. Falls es etwas gibt, das vom menschlichen Standpunkt aus gesehen in unserer Macht stünde, d.h. das wir für das chilenischen Brudervolk tun könnten, würde das kubanische Volk nicht zögern, das zu tun.

Ich denke, dass die Internationale Gemeinschaft verpflichtet ist, über die von beiden Völkern erlittene Tragödie sachlich zu berichten. Es wäre grausam, unfair und verantwortungslos die Völker der Welt nicht über die Gefahren, die uns bedrohen, zu belehren.

Die Wahrheit soll sich gegenüber der Gemeinheit und den Lügen durchsetzen, mit denen der Imperialismus die Völker betrügt und irreführt!


Fidel Castro Ruz

7. März 2010
21: 27 Uhr

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