Montag, 19. Juli 2010

Ein Brief von Fidel: Ich erzähle es dir, damit du davon berichtest

Sehr geehrter Randy: *

Gern teile ich dir den folgenden Kommentar mit:

Ich las mit Genuss ein paar Verse von Espronceda, einem spanischen Poeten, der 1808 geboren wurde und mit 34 Jahren starb, im Jahr 1842. Die Lektüre führte mich in meine Jahre als Schüler der Mittelstufe zurück.

Plötzlich hatte ich einen Einfall, als ich mich an den sympathischen Versen des "Lieds des Piraten" ergötzte.

Das Gedicht birgt eine ethische Idee. Mit dem Wort Pirat wird im Allgemeinen die Gewalt, Plünderung und die gewaltsame Eroberung fremden Eigentums beschrieben.

Aber der Poet erzählt uns von den Verhaltensnormen und dem Denken eines wahren Piraten, von denen einige ein Lob verdienen.

In bestimmten Strophen verkündet der Pirat:

"Könige streiten dadrüben
in blinder Gier
um ein paar Äcker Rüben.
Seht, ich lache! Meine Gefilde
reichen, soweit das weite wilde
Meer entrollt sein frei Panier."

"Da ist kein Wimpel,
wie er auch glänze,
da keine Küste,
wo sie auch grenze,
die nicht Salut getan
meinem Geschlecht,
die nicht erkannten
mein Hoheitsrecht."

"Denn meine Barke ist mein Reichtum
denn mein Gesetz ist mein Begehr,
mein Gott der Wind, mein Recht die Freiheit,
mein einzig Vaterland das Meer."

"Aber wie Brüder
Ich und Ihr,
meine Getreuen,
teilen die Beute wir.
Ein einzig Eigentum
nehm ich für mich
ohne Rivalen:
dich, Schönheit, dich!"

"Und wenn ich falle:
was ist das Leben!
Hab es schon damals
verloren gegeben,
als ich die Kette brach,
als ich, ein Held,
mir schuf mein eigen Recht,
mir meine Welt."

"Melodien wie brausend
Orgelgewühl
spielt mir im Nachtsturm, sausend,
meiner geschüttelten Taue Gestöhne,
meiner Kanonen Donnergedröhne
und des schwarzen Meeres Gebrüll.
Von ihren tobenden
Liedern umschnoben,
geh ich zur Ruhe,
wogenumwoben,
jubelnde Zungen
rings um mich her,
in Schlaf gesungen
vom Meer, vom Meer." **

Natürlich bin ich Politiker und ich vergleiche gern die Tugenden eines Piraten mit den höchsten Führungskreisen des Imperiums in Washington.

Für keinen von ihnen war die Freiheit Gott, noch brachen sie eine Kette, noch dachten sie jemals daran, "die Beute gleich" zu verteilen.

Ich erzähle es dir, damit du davon berichtest.


Mit brüderlichen Grüßen,

Fidel Castro Ruz
19. Juli 2010

* Randy Alonso, Direktor des Fernsehprogramms "Runder Tisch" und der WebSite CubaDebate

** Für die Übersetzung der Auszüge des Gedichts benutzten wir folgende Quelle: Richard Dehmel (1863-1920), aus: Aber die Liebe. München 1893, S. 86-91

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