Sonntag, 16. November 2008

Die Geburt der Berge

Reflexionen des Genossen Fidel: Die Geburt der Berge

Bush zeigte sich glücklich während des Abendessens am Freitag, mit Lula an seiner rechten Seite. Hu Jintao, den er wegen des riesigen Marktes seines Landes, wegen der Kapazität, Konsumgüter zu niedrigen Preisen zu produzieren und wegen der großen Reserven an Dollars und Gutscheine aus den USA respektiert, saß an seiner linken Seite.

Medvédiev, den er mit der Androhung beleidigt, die Radaranlagen und strategischen Raketen unweit von Moskau zu stationieren, wurde weit weg vom Gastgeber des Weißen Hauses platziert.

Der König von Saudi-Arabien, ein Land, das in unmittelbarer Zukunft 15 Millionen Tonnen Leichtöl zu höchst konkurrenzfähigen Preisen produzieren wird, saß ebenfalls an seiner linken Seite, neben Hu.

Sein treuester europäischer Verbündeter, Gordon Brown, Premierminister von Großbritannien, war auf den Fotos nicht in seiner Nähe zu sehen.

Nicolás Sarkozy, unzufrieden mit der gegenwärtigen Architektur der Finanzordnung, stand mit verbittertem Gesicht weit von ihm entfernt.

Den Präsidenten der spanischen Regierung, José Luis Rodríguez Zapatero, Opfer persönlicher Ressentiments von Bush und Teilnehmer am Washingtoner Treffen, habe ich kaum auf den Fernsehbildern beim Abendessen gesehen.

Auf diese Weise wurden die Teilnehmer am Bankett platziert.

Jeder hätte gedacht, dass am nächsten Tag die tief greifende Debatte über das heikle Thema stattfinden würde.

In den früheren Stunden des Sonnabends berichteten die Agenturen über das im National Building Museum von Washington stattfindende Programm. Jede Sekunde war vorprogrammiert. Es sollten die aktuelle Krise und die zu treffenden Maßnahmen analysiert werden. Angefangen würde um 11:30 Uhr Ortzeit. Zuerst, Fotosession: „Familienfotos”, wie Bush sie nannte; zwanzig Minuten später, das erste Plenum, das in der zweiten Hälfte des Tages fortgesetzt wird. Alles, sogar die noblen Toilettenbesuche, wurden streng programmiert.

Die Reden und Analysen sollten ca. drei Stunden und 30 Minuten dauern. Um 15:25 Uhr Ortzeit das Mittagsessen. Unmittelbar danach, um 17:05 Uhr, die Abschlusserklärung. Eine Stunde später, um 18:05 Uhr, würde Bush sich zurückziehen, um sich zu erholen, zu Abend zu essen und gemütlich in Camp David zu schlafen.

Der Tag verlief für diejenigen, die die Veranstaltung verfolgt haben, gespannt darauf, wie die Probleme des Erdballs und der menschlichen Gattung in einer so kurzen Zeitspanne erörtert werden könnten. Eine Abschlusserklärung war angekündigt.

Tatsache ist, dass die Abschlusserklärung des Gipfels von im Voraus ausgewählten Wirtschaftsberatern verfasst wurde, die der neoliberalen Denkweise ziemlich nahe standen, während Bush in seinen Aussagen vor und nach dem Gipfel mehr Macht und mehr Geld für den Internationalen Währungsfond, die Weltbank und andere weltweite Einrichtungen reklamierte, die unter der strikten Kontrolle der USA und seiner nächsten Verbündeten stehen. Jenes Land hatte beschlossen, 700 Milliarden US-Dollar zur Rettung seiner Banken und transnationalen Unternehmen einzupumpen. Europa hatte eine gleich hohe oder höhere Summe geboten. Japan, seine allerfesteste Stütze in Asien, versprach einen Beitrag von 100 Milliarden US-Dollar. Sie erwarten einen weiteren Beitrag von 100 Milliarden aus den Reserven der Volksrepublik China, die wachsende und günstige kommerzielle Beziehungen zu Lateinamerika entwickelt.

Woher sollen so viele Dollars, Euros und Englische Pfund kommen ohne die künftigen Generationen dabei ernsthaft zu verschulden? Wie kann man das Gebäude der Weltwirtschaft auf Papierscheinen errichten, die unmittelbar als erste in Verkehr gebracht werden, wenn das emittierende Land unter einem riesigen Finanzdefizit leidet? Haben sich die vielen Flugreisen zu einem Punkt des Planeten namens Washington gelohnt, um sich mit einem Präsidenten zu treffen, der nur noch 60 Tage im Amt ist, und ein Dokument zu unterschreiben, das von Vornherein als beschlossene Sache galt, die im Washingtoner Museum nur noch abgesegnet werden sollte? Hatten Funk, Fernsehen und die Presse Recht damit, dieser allzu bekannten imperialistischen Machenschaft keine besondere Aufmerksamkeit auf diesem viel gepriesenen Treffen zu widmen?

Das Unglaubliche ist die Abschlusserklärung selbst, die einstimmig von allen Teilnehmern angenommen wurde. Es ist offensichtlich, dass damit die Forderungen Bushs vor und während des Gipfels eine vollständige Akzeptanz erfuhren. Für einige der Teilnehmerländer gab es keine andere Alternative als zuzustimmen. In ihrem verzweifelten Kampf um die Entwicklung wollten sie sich nicht von den Reichsten und Mächtigsten sowie deren Finanzinstitutionen, die innerhalb der G-20 die Mehrheit bilden, fern halten.

Bush sprach mit echter Euphorie, wobei er demagogische Ausdrücke verwendete und Ausschnitte aus der Abschlusserklärung las:

„Die erste Entscheidung, die ich treffen musste“, sagte er, “war, wer am Treffen teilnimmt. Ich habe mich dafür entschieden, dass wir, die Staaten der Gruppe der 20 und nicht nur der Gruppe der Acht oder Dreizehn dabei sein müssen.“

„Aber, nachdem die Entscheidung getroffen war, die Gruppe der 20 dabei zu haben, blieb die Hauptfrage, mit wie vielen Staaten aus sechs verschiedenen Kontinenten, die verschiedene Etappen der wirtschaftlichen Entwicklung repräsentieren, ist es möglich, wesentliche Vereinbarungen zu erzielen? Und es mir eine Freude darüber zu informieren, dass die Antwort auf diese Frage das Ergebnis ist, das wir erreicht haben.“

„Die USA haben außerordentliche Maßnahmen getroffen. Sie, die Sie meine Karriere verfolgt habt, wissen, dass ich ein Anhänger des freien Marktes bin, und wenn man keine entscheidenden Maßnahmen trifft, die Gefahr besteht, dass unser Land in eine Depression gerät, schlimmer als die Große Depression.”

„Vor kurzem haben wir mit einem Fond von 700 Milliarden Dollar angefangen zu arbeiten, der bereits Geld für die Banken freizugeben beginnt.”

„Auf diese Weise können wir die Notwendigkeit verstehen, Wirtschaftspolitik zugunsten des Wachstums zu fördern.”

“Transparenz ist von großer Bedeutung, damit die Investoren und Regulierer genau wissen, was gerade passiert.”


Der restliche Teil der Ansprache von Bush verlief auf ähnliche Art und Weise.

Die Abschlusserklärung des Gipfels, die aufgrund ihres Umfangs einer halben Stunde bedurfte, um öffentlich vorgelesen zu werden, charakterisiert sich selbst durch einige ausgewählte Ausschnitte:

“Wir, die Führungskräfte der Gruppe der 20, haben am 15. November aufgrund der ernsthaften Herausforderungen für die Wirtschaft und die Finanzmärkte der Welt eine erste Tagung in Washington abgehalten …”

“…wir müssen die Grundlagen für eine Reform schaffen, die uns in die Lage versetzt, dass eine solche globale Krise sich nicht wiederholt. Unsere Arbeit muss sich von den Prinzipien des Marktes, den Mechanismen des freien Handels und der freien Investitionen leiten lassen…”

“…die Händler am Markt haben ohne eine angemessene Bewertung der Risiken nach höheren Renditen gesucht und scheiterten …”

“Die Behörden, Regulierer und Prüfer einiger entwickelter Länder haben die Risiken, die auf den Finanzmärkten entstanden, weder berücksichtigt noch davor gewarnt, …”

“…die ungenügend und unhaltbar koordinierten makroökonomischen politischen Maßnahmen und die unangemessenen Strukturreformen haben zu einem unhaltbaren makroökonomischen globalen Ergebnis geführt.”

„Viele Schwellenländer, die dazu beigetragen haben, die Weltwirtschaft aufrechtzuerhalten, leiden jedes Mal mehr unter der Wirkung solcher weltweiter Bremsung.”

„Wir bekräftigen die bedeutende Rolle des internationalen Währungsfonds bei der Antwort auf die Krise und begrüßen den neuen kurzfristigen Liquiditätsmechanismus und fordern die ständige Revision der Instrumentarien, um die Flexibilität abzusichern.

„Wir werden die Weltbank und andere multilaterale Entwicklungsbanken anregen, ihre volle Kapazität bei der Unterstützung ihrer Hilfsagenda einzusetzen …”

„Wir werden uns vergewissern, dass der Internationale Währungsfond, die Weltbank und die anderen multilateralen Entwicklungsbanken über ausreichende Ressourcen verfügen, um ihrer Rolle bei der Lösung der Krise gerecht werden zu können.”

„Wir werden eine starke Überwachung der Kreditinstitutionen ausüben und einen internationalen Verhaltenscode ausarbeiten.”

„Wir verpflichten uns, die Integrität der Finanzmärkte der Welt zu schützen, indem Investoren und Verbraucher stärker geschützt werden.”

„Wir sind verpflichtet, in der Reformierung der Einrichtungen von Bretton Woods so voranzuschreiten, dass sie die Änderungen in der Weltwirtschaft widerspiegeln können, um ihre Legitimität und Wirksamkeit zu erhöhen.”

„Wir treffen uns erneut am 30. April 2009, um die Ingangsetzung der heute beschlossenen Prinzipien und Entscheidungen zu überprüfen.”

„Wir erkennen an, dass diese Reformen nur dann Erfolg haben werden, wenn sie auf einem Kompromiss mit den Prinzipien des freien Marktes beruhen, einschließlich des Legalitätsprinzips, des Respekts des Privateigentums, der Investition und des freien Handels, konkurrenzfähiger und effizienter Märkte sowie sinnvoll geregelter Finanzsysteme.”

„Wir werden davon absehen, für Investitionen und den Handel mit Gütern und Dienstleistungen Beschränkungen aufzuerlegen.”

„Wir sind uns der Folgen der gegenwärtigen Krise in den Entwicklungsländern, besonders in den anfälligsten, bewusst.“

„Während wir voranschreiten, sind wir dessen sicher, dass wir mittels der Zusammenarbeit, Kooperation und des Multilateralismus die vor uns stehenden Herausforderungen überwinden und die Stabilität und die Prosperität der Weltwirtschaft wieder herstellen werden.”


Eine technokratische Sprache, den Massen unverständlich.

Eine Huldigung an das Imperium, ohne jede Kritik an dessen missbräuchlichen Methoden.

Lobgesänge auf den Internationalen Währungsfond, die Weltbank und die multilateralen Kreditinstitutionen, welche die Schulden, die fabulösen Ausgaben für die Bürokratie und die Investitionen hervorbrachten, die auf die Belieferung der großen Transnationalen mit Rohstoffen ausgerichtet sind, die darüber hinaus für die Krise verantwortlich sind.

In diesem Stile geht es bis zum letzten Absatz. Die Abschlusserklärung ist langweilig, von Allgemeinplätzen geprägt. Sie sagt absolut nichts. Sie wurde von Bush, dem Meister des Neoliberalismus unterzeichnet, der für Massen- und Völkermorde verantwortlich ist und das ganze Geld in seine blutigen Abenteuern investiert hat, Geld, das für die Änderung des wirtschaftlichen Antlitzes der Welt ausgereicht hätte.

In diesem Dokument wird weder ein Wort über die von den USA verteidigte absurde Politik zur Umwandlung von Nahrungsgütern in Kraftstoffe, über den ungleichen Austausch, dessen Opfer wir Völker der Dritten Welt sind, über die zwecklose Aufrüstung, über die Produktion und den Handel mit Waffen, den Abbau des ökologischen Gleichgewichtes noch über die ernsthafte Bedrohung des Friedens gesagt, die die Welt an den Abgrund der Vernichtung stellt.

Nur ein im ganzen Dokument verlorener winziger Satz bezieht sich auf die Notwendigkeit, „dem Klimawandel zu trotzen”, vier Wörter.

Aus der Erklärung geht hervor, dass sich die Teilnehmerländer des Gipfels in Großbritannien, Japan oder einem andere Land, das die erforderlichen Voraussetzungen bietet, -niemand weiß welches - im April 2009 wieder treffen, um die Lage der Weltfinanzen zu überprüfen, in der Hoffnung, dass die zyklischen Krisen mit ihren dramatischen Folgen sich nie wiederholen.

Jetzt gebührt es den Theoretikern der Linken und der Rechten kaltblütig oder hitzig über das Dokument zu debattieren.

Meiner Ansicht nach wurde an den Privilegien des Imperiums nicht mal mit der Zartheit eines Blütenblattes gerührt. Wenn man über die erforderliche Geduld verfügt, die Erklärung vom Anfang bis zum Ende zu lesen, wird man ersehen, dass es sich lediglich um die bedächtige Anrufung der Ethik des technologisch und militärisch mächtigsten Landes des Planeten in der Zeit der wirtschaftlichen Globalisierung handelt, als ob jemand den Wolf anflehen würde, das Rotkäppchen nicht aufzufressen.


Fidel Castro Ruz

16. November 2008
16:12 Uhr

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