Mittwoch, 29. Januar 2003

Rede zum Abschluß der Internationalen Konferenz Für das Gleichgewicht der Welt

Rede des Präsidenten der Republik Kuba, Fidel Castro Ruz, zum Abschluß der Internationalen Konferenz Für das Gleichgewicht der Welt, veranstaltet als Hommage auf den 150. Geburtstag unseres Nationalhelden, José Martí, am 29. Januar 2003

Sehr geehrte Teilnehmer des Internationalen Treffens Für das Gleichgewicht der Welt, veranstaltet zu Ehren des 150. Geburtstages von José Martí!

Sehr geehrte Gäste!

Mitbürger!

Was bedeutet Martí für die Kubaner?

In seinem Aufsatz „Das Politische Gefängnis in Kuba" – Martí war kaum 18 Jahre alt, als er ihn verfaßte, nachdem er mit 16 Jahren, an Fußeisen gekettet, eine grausame Haft erdulden mußte – behauptet José Martí: „Es gibt einen Gott, doch im Sinne des Guten, der über die Geburt eines jeden Wesens wacht und in der Seele, die sich ihm einverleibt, eine unverfälschte Träne hinterläßt. Das Gute ist Gott. Die Träne ist die Quelle des ewigen Leides."

Für uns Kubaner verkörpert Martí das Gute, so wie er es beschrieb.

Wir, die am 26. Juli 1953 den am 10. Oktober 1868 begonnen Unabhängigkeitskampf im hundertsten Geburtsjahr Martís wieder aufnahmen, hatten uns von ihm vor allem die ethischen Prinzipien zu eigen gemacht, ohne die an eine Revolution nicht einmal zu denken ist. Ebenso hatte er uns seinen inspirierenden Patriotismus vermittelt sowie einen derartig hohen Begriff von Ehre und Menschenwürde, wie es kein anderer auf der Welt hätte tun können.

Er war ein außergewöhnlicher Mensch; Sohn eines Militärs und geboren als Kind spanischer Eltern, wird er Verkünder und Schmied der Unabhängigkeit des Landes, in dem er das Licht der Welt erblickte. Intellektueller und Dichter, bei Beginn des ersten großen Krieges noch ein Heranwachsender, war er später dann fähig, das Herz und die Achtung, das Vertrauen und die Ehrfurcht der alten und erprobten militärischen Führer zu gewinnen, die in jenem Kriege zu Ruhm gelangten.

Den Frieden, den Zusammenhalt und die Harmonie zwischen den Menschen leidenschaftlich liebend, zögerte er nicht, den gerechten und notwendigen Krieg gegen das Kolonialsystem, die Sklaverei und die Ungerechtigkeit zu organisieren und zu beginnen. Sein Blut war das erste, das vergossen wurde und sein Leben das erste, das als unauslöschliches Symbol von Opferwilligkeit und persönlichem Einsatz hingegeben wurde. Bei einem großen Teil des Volkes, für dessen Unabhängigkeit er gekämpft hatte, war dies viele Jahre lang in Vergessenheit geraten oder unbekannt, und nun stiegen seine unsterblichen Ideen wie ein Phönix aus der Asche empor und ließen fast ein halbes Jahrhundert nach seinem Tode ein ganzes Volk einen kolossalen Kampf führen, bei dem es dem mächtigsten Gegner gegenüberstand, den es je für ein Land, ob groß oder klein, gegeben hat.

Heute nun – nur einige Stunden nach seinem 150. Geburtstag – veranstalten Hunderte brillante Denker und Intellektuelle aus aller Welt eine Hommage auf ihn in tiefster Anerkennung seines Lebens und seines Werkes.

Was vermachte er der Welt über die Grenzen Kubas hinaus? Ein außergewöhnliches Vorbild als Schöpfer und Humanist, der es wert ist, daß man seiner noch Jahrhunderte lang gedenkt.

Für wen und warum tat er es? Für all jene, die heute kämpfen und die, die morgen kämpfen werden für die gleichen Träume und Hoffnungen auf die Rettung der Welt und weil es der Zufall wollte, daß sich heute die Menschheit der Risiken bewußt wird, die er vorausgesehen und vor denen er mit seiner ausgeprägten Vision und seinem hochbegabten Talent gewarnt hat.

Der Tag, an dem er fiel, am 19. Mai 1895, opferte sich Martí dem Recht auf Leben aller Menschen unserer Erde.

In dem berühmten unvollendeten Brief an seinen innigen Freund Manuel Mercado – er unterbricht ihn, um sich in ein unerwartetes Gefecht einzureihen, ohne daß es jemand hätte verhindern können – enthüllt er seine innersten Gedanken, die, obwohl bekannt und wiederholt, ich hier erneut darlegen will: „Ich bin jeden Tag in Gefahr, mein Leben für mein Land und meine Pflicht hinzugeben ..., um rechtzeitig mit der Unabhängigkeit Kubas zu verhindern, daß sich die USA über die Antillen ausdehnen und mit dieser Kraft mehr über die Länder unseres Amerikas herfallen. Was ich bis heute tat und weiter tun werde, tue ich dafür."

Wochen vorher, als er und der vorbildliche lateinamerikanische Patriot Máximo Gómez – gebürtiger Dominikaner und von Martí zum militärischen Führer der kubanischen Truppen bestimmt, der bald nach Kuba aufbrechen sollte – das Manifest von Montecristi unterzeichneten, schrieb Martí, neben den vielen anderen brillanten revolutionären Ideen, etwas so Bewundernswertes, daß ich es, auch wenn ich damit langweilig werden sollte, hier wiederholen muß: „Der Krieg für die Unabhängigkeit Kubas ... ist ein Ereignis von großer menschlicher Tragweite und ein zweckmäßiger Dienst, den der vernünftige Heldenmut der Antillen der Standhaftigkeit und gerechten Behandlung der amerikanischen Nationen und dem noch wankenden Gleichgewicht der Welt erweist."

Wie früh schon hat er doch diesen letzten Satz formuliert, der zum Hauptthema dieses Treffens geworden ist. Heute gibt es nichts, das notwendiger und lebenswichtiger wäre als jenes entfernte und augenscheinlich utopische Gleichgewicht.

106 Jahre, vier Monate und zwei Tage nach dem Brief Martís an Manuel Mercado und 106 Jahre, fünf Monate und 26 Tage nach der Unterzeichnung des Manifestes von Montecristi durch José Martí und Máximo Gómez machte der Präsident der Vereinigten Staaten in einer Rede vor dem Kongreß jener Nation am 20. September 2001 folgende Äußerungen:

„Wir werden jede notwendige Kriegswaffe einsetzen, die gebraucht wird."

„Das Land hat keine einzelne Schlacht zu erwarten, sondern einen langen Feldzug, einen Feldzug, der in unserer Geschichte nicht seinesgleichen hat."

„Alle Nationen, wo auch immer, müssen sich jetzt entscheiden: Entweder sind sie für uns oder für den Terrorismus."

„Ich habe die Streitkräfte ersucht, sich in Alarmbereitschaft zu halten; und es gibt einen Grund dafür: Es nähert sich die Stunde, da wir zur Tat schreiten müssen, und ihr werdet uns stolz machen."

„Dieser ist ein Kampf der Zivilisation."

„Die Errungenschaften unserer Zeit und die Hoffnungen aller Zeiten hängen von uns ab."

„Wir wissen nicht, wie der Ablauf dieses Konfliktes sein wird, doch wir wissen, wie er ausgehen wird. ... Und wir wissen, daß Gott nicht neutral ist."

In seiner Rede zum 200. Jahrestag der Militärakademie in West Point am 1. Juni 2002 erklärte der Präsident der Vereinigten Staaten unter anderem:

„In der Welt, in der wir leben, ist der einzige Weg zur Sicherheit der Weg des Handelns. Und diese Nation wird handeln."

„Unsere Sicherheit wird die Umgestaltung des Militärs erfordern, daß Sie anführen werden –ein Militär, daß jeder Zeit bereit sein muß, in jeder dunklen Ecke der Welt einzugreifen, ... daß wir bereit sind für den Präventivschlag, wenn es notwendig ist, unsere Freiheit und unsere Leben zu verteidigen.."

„In 60 oder mehr Ländern müssen wir terroristischen Zellen aufdecken."

...

„Wir werden Diplomaten dorthin entsenden, wo sie gebraucht werden, und wir werden Sie, unsere Soldaten, dorthin entsenden, wo Sie gebraucht werden."

...

Wir befinden uns in einem Konflikt zwischen Gut und Böse... Wir schaffen kein Problem, sondern wir decken ein Problem auf. Und wir werden die Welt gegen dieses Problem anführen."

Ich frage mich, welche Gedanken wären in Lichtgeschwindigkeit durch das geniale Gehirn eines Mannes wie Martí gegangen, um ihn im tiefsten Grunde seines unendlichen Herzens zu verwunden, hätte er diese Worte vernommen in einer Welt, in der heute mehr als 6,4 Milliarden Menschen leben und in der, aus welchem Grund auch immer, sowohl die Superreichen als auch die Superarmen ihre Überlebenschancen bedroht sehen.

Jene Worte stammen nicht von einem Verrückten aus einer dunklen Ecke einer Irrenanstalt. Ihr Fundament bilden Kernwaffen in vierstelligem Umfang; Millionen Bomben und Geschosse; Abertausende ferngesteuerte und Präzisionsraketen; Tausende Bomben- und Kampfflugzeuge mit und ohne Piloten; Dutzende Geschwader und Flotteneinheiten mit Flugzeugträgern und Unterseebooten mit konventionellem oder Kernantrieb; Militärstützpunkte – mit und ohne Genehmigung – an allen Enden der Welt; Militärsatelliten, die jeden Quadratkilometer unseres Planeten ausspionieren; sichere und sofortige Kommunikationssysteme mit der Fähigkeit, die Systeme eines jeden anderen Landes zu überspielen sowie der Möglichkeit, sich in Milliarden Gespräche gleichzeitig einzuschalten; enorme Arsenale an chemischen und biologischen Waffen und Militärbudgets von etwa 400 Milliarden Dollar, womit viele der Hauptprobleme der Welt angegangen und gelöst werden könnten. Die Worte der Bedrohung sprach jemand aus, der über diese Mittel verfügt und ihren Einsatz befehlen kann. Der Vorwand? Der brutale Terroristenangriff vom 11. September, der Tausenden US-Amerikanern das Leben kostete. Die ganze Welt bekundete Solidarität mit dem US-amerikanischen Volk und verurteilte entrüstet den Angriff. Mit einmütiger Unterstützung durch die Weltöffentlichkeit konnte gegen die Geißel des Terrorismus von allen Ecken der Welt und allen politischen und religiösen Strömungen aus vorgegangen werden.

Die Schlacht hat, wie von Kuba vorgeschlagen, grundsätzlich eine politische und ethische sein, im Interesse und mit der Unterstützung aller Völker der Welt. Niemand darf absurde, verwerfliche und volksfeindliche terroristische Gedanken hegen, die unschuldige Menschen in Mitleidenschaft ziehen, umgesetzt von Einzelnen, Gruppen, Organisationen, diesem oder jenem Staat oder Regierung. Sie soll zur Bekämpfung eines brutalen universalen Staatsterrorismus dienen, der als das Recht einer Supermacht die mögliche Ausrottung ganzer Nationen durch Einsatz sogar von Kern- und anderen Massenvernichtungswaffen proklamiert.

Zu dieser Stunde, da des 150. Geburtstages von José Martí gedacht wird, des Mannes, der möglicherweise als erster in der Geschichte den Begriff des Gleichgewichts der Welt ansprach, steht die Welt vor einem Krieg als Folge des überaus kolossalen Ungleichgewichts aus militärischem Gebiet, wie es dieses auf unserer Erde noch nie gegeben hat. Gestern lief die Frist ab, derzufolge der mächtigste Staat der Welt sein einseitiges Recht bekundete, sein Arsenal hochmodernster Waffen gegen ein anderes Land zu lancieren, und zwar mit oder ohne Zustimmung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, wobei sich diese Institution sowieso schon fragwürdig gemacht hat, da das Vetorecht eine Prärogative ausschließlich der fünf ständigen Mitgliedsländer ist und damit den fast 200 in der Vollversammlung der Vereinten Nationen vertretenen Staaten das elementarste Demokratieprinzip verwehrt bleibt.

Vom Privileg des Vetorechtes wurde ausgerechnet von der Regierung Gebrauch gemacht, die heute ihr Recht proklamiert, sich über den Sicherheitsrat hinwegzusetzen. Sehr wenig von den übrigen Mitgliedern geltend gemacht, läßt es der in den letzten zwölf Jahren erfolgte radikale Wandel im militärischen Kräfteverhältnis der Mitgliedsländer faktisch unmöglich werden, von diesem Vorrecht gegen jenen Gebrauch zu machen, der nicht nur in seiner erdrückenden militärischen Stärke, sondern auch auf wirtschaftlichem, politischem und technologischem Gebiet das Sagen hat.

Die Weltöffentlichkeit ist mehrheitlich gegen diesen angekündigten Krieg. Doch das Wichtigste hierbei ist, daß kürzlichen Umfragen zufolge 65 % des US-amerikanischen Volkes ohne die Zustimmung des Sicherheitsrates diesen Angriff ablehnen. Jedoch stellt das kein unüberwindbares Hindernis dar: Sind einmal die Truppenverbände vor Ort und einsatzbereit und müssen die modernsten Waffen getestet werden, dann ist es äußerst unwahrscheinlich, daß dieser Krieg nicht ausbricht, wenn die Behörden des mit Vernichtung bedrohten Landes nicht allen Forderungen derer nachkommen, die es bedrohen.

Keiner kann wissen oder vorhersehen, was in einem Krieg oder einer ähnlichen Situation geschehen kann. Das einzige, was gesagt werden kann, ist, daß die Gefahr eines Irakkrieges die Weltwirtschaft beträchtlich belastet hat, die heute eine schwere und tiefe Krise durchlebt, was neben dem faschistischen Putsch gegen die bolivarianische Regierung Venezuelas, eines der stärksten erdölexportierenden Länder, den Preis dieses lebenswichtigen Produktes für die große Mehrheit der übrigen, insbesondere der ärmeren Länder auf unerträgliche Höhen getrieben hat, und dabei ist in Irak noch kein Schuß gefallen.

Man ist allgemein der Meinung, daß das Bestreben eines Irakkrieges auf der Besitzergreifung an den weltweit drittgrößten Erdöl- und Erdgasvorkommen fußt. Dieser Aspekt beschäftigt fast alle anderen Industrieländer, wie die Länder Europas, die 80 % ihrer Energie importieren, ganz im Gegenteil zu den Vereinigten Staaten, deren Import gegenwärtig 20 bis 25 % ihres Verbrauches ausmacht.

Am gestrigen 28. Januar erklärte der Präsident der Vereinigten Staaten vor dem Kongreß:

„Die Vereinigten Staaten werden beim UN-Sicherheitsrat beantragen, am 5. Februar zu tagen, um die Aspekte zu den Herausforderungen Iraks der Welt gegenüber zu behandeln.

...

„Wir werden uns beraten lassen, doch dieses soll nicht falsch verstanden werden. Kommt es nicht zu einer kompletten Entwaffnung durch Saddam Hussein, dann werden wir für die Sicherheit unseres Volkes und für den Frieden der Welt uns an die Spitze einer ihn entwaffnenden Koalition stellen."

...

„Werden wir zum Krieg gezwungen, so werden wir mit der ganzen Stärke unserer Streitkräfte kämpfen."

Nicht ein Wort wird gesagt über die vorherige Zustimmung durch den Sicherheitsrat.

Abgesehen von den schrecklichen Folgen eines Krieges in jener Region, den die einzig existierende Supermacht nach ihrem Gutdünken aufzwingen könnte, so ist doch das wirtschaftliche Ungleichgewicht, unter dem die Welt gegenwärtig leidet, gleichermaßen eine enorme Tragödie.

Es wachsen und vertiefen sich die Unterschiede zwischen den reichen und den armen Ländern, zwischen ihnen und in den Ländern selbst; das heißt, es vergrößert sich der Abgrund bei der Verteilung des Reichtums, die härteste Geißel unserer Ära. Die Folgeerscheinungen sind Armut, Hunger, mangelnde Bildung, Krankheiten, Schmerz und Leid, die allesamt für den Menschen unerträglich sind.

Warum sagen wir nicht einfach, daß es keine Demokratie, keine freie Wahl noch wahre Freiheit geben kann inmitten jener entsetzlichen Ungleichheiten, der Unkenntnis, des totalen oder partiellen Analphabetentums, des Mangels an Kenntnissen und des erstaunlichen Mangels einer politischen, ökonomischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Bildung, zu der nur geringe Minderheiten Zutritt haben, sogar in den Industrieländern; dabei wird die Welt von einer Billion Dollar zu Zwecken der kommerziellen und Verbrauchswerbung überschwemmt, die die breiten Massen mit unerfüllbaren Träumen und Wünschen vergiftet; die zur Verschwendung, zur Entfremdung und der unerbittlichen Zerstörung der natürlichen Lebensbedingungen des Menschen führt. In knapp eineinhalb Jahrhundert werden wir die Energieressourcen sowie ihre vorhandenen und noch zu erschließenden Reserven erschöpft haben, die die Natur in 300 Millionen Jahren schuf und für die kein äquivalenter Ersatz in Sicht ist.

Was wissen die breiten Massen von den komplexen ökonomischen Probleme der heutigen Welt? Wer hat ihnen erklärt, was der Internationale Währungsfonds, die Weltbank, die WTO und andere ähnliche Institutionen sind? Wer hat ihnen die Wirtschaftskrisen, ihre Ursachen und Folgen erklärt? Wer hat ihnen gesagt, daß es den Kapitalismus, die Unternehmensfreiheit, die freie Konkurrenz kaum noch gibt und daß 500 Monopole 80 % der Weltproduktion und des Welthandels unter ihrer Kontrolle haben? Wer belehrte sie über die Wertpapierbörse, die steigende Spekulation mit den Produkten, von denen die Dritte Welt abhängig ist, und über die Währungsgeschäfte, deren Umfang sich heutzutage auf Billionen Dollar täglich beläuft? Wer hat ihnen beigebracht, daß die Währungen der Dritten Welt einer ständigen Abwertung ausgesetzte Scheine sind und daß ihre realen oder fast realen Geldreserven, unbeirrbar wie das physikalische Energiegesetz Newtons, in die reichen Länder abwandern und welche schrecklichen materiellen und sozialen Folgen sich aus dieser Realität ergeben? Oder warum wir unbezahlbare und nicht beitreibbare Billionen Dollar schulden, während Dutzende Millionen Menschen, einschließlich Kinder von Null bis zu fünf Jahren, Jahr für Jahr an Hunger und heilbaren Krankheiten sterben? Wieviel Menschen wissen, daß es die Souveränität der Staaten kaum noch gibt infolge der Abkommen, an deren Ausarbeitung wir Länder der Dritten Welt gar nicht mehr beteiligt werden, durch die wir jedoch von Mal zu Mal mehr ausgebeutet und unterworfen werden? Wie viele sind sich bewußt, daß unsere nationalen Kulturen immer mehr zerstört werden?

Man könnte noch unendlich viele Fragen stellen. Doch noch eine soll genügen für all jene, die von Heuchelei und Lüge über die heiligsten Rechte des Menschen, der Völker und der Menschheit insgesamt leben: Warum setzt man nicht der schönen und tiefgründigen Wahrheit, die der martianische Denkspruch „Gebildet sein ist die einzige Art, frei zu sein" enthält, ein lebendes Denkmal?

Ich bekräftige dieses im Namen eines Volkes, das unter den Bedingungen einer harten Blockade und eines unerbittlichen Wirtschaftskrieges, dazu mit dem Zerfall des sozialistischen Lagers und der UdSSR der Verlust des fast gesamten Absatzmarktes, des Handels und der Importe, mehr als vier Jahrzehnte standhaft durchgehalten hat und das heute eines der Völker der Welt mit der ausgeprägtesten Einigkeit, sozialer Entwicklung, Grundkenntnissen, politischer und künstlerischer Bildung ist.

Wenn es etwas gibt, worin wir den Helden zu ehren verstanden haben, dessen Geburtstages und fruchtbaren Lebens wir heute gedenken, so ist es der Beweis, daß ein kleines und armes Land mit sehr wenig sehr viel erreichen kann, auch wenn es zu vielen unvermeidlichen Fehlern in den Lehrjahren kam

gegeben hat.

Das beste Denkmal, das ihm die Kubaner setzen konnten, war die Errichtung und die Verteidigung dieses Schützengrabens, damit niemand mit einer Kraft mehr über die Völker Amerikas und der Welt herfallen kann.

Er lehrte uns den unendlichen Wert und die Kraft der Ideen.

Die von dem mächtigen Nachbarn des Nordens der Menschheit aufgezwungene Wirtschaftsordnung ist unhaltbar und untragbar. Auch die modernsten Waffen werden den Lauf der Geschichte nicht aufzuhalten vermögen.

Die Jahrhunderte lang Mehrwert und billige Arbeitskraft geliefert haben und noch liefern, sind heute Milliarden Menschen. Sie können nicht einfach wie Fliegen ausgerottet werden. Immer stärker werden sie sich der Ungerechtigkeiten bewußt, deren Opfer sie sind durch Hunger, Leiden, Demütigungen, die sie als menschliche Wesen zu erdulden haben, mehr noch als durch die ihnen verwehrten Schulen und Bildung und als die abgedroschenen Lügen, mit denen die Monopole und der Gebrauch und Mißbrauch der Medien sie in ewiger und unmöglicher Unterwürfigkeit zu halten trachten. Sie haben ziemlich neue, bedeutungsvolle Lektionen gelernt, wie die von Iran, Indonesien, Ecuador und Argentinien. Die breiten Massen können Regierungen hinwegfegen, ohne auch nur einen Schuß abzugeben, ja sogar ohne im Besitz von Waffen zu sein.

Der Soldaten sind es immer weniger, die bereit sind, auf ihre Landsleute zu schießen und sie in Blut zu ersticken. Die Welt kann nicht regiert werden, indem man einen ausländischen Soldaten mit Gewehr, Helm und Bajonett in jede Fabrik, jede Schule, jeden Park, in jede große und kleine Gemeinde stellt.

Eine steigende Anzahl Intellektueller, gebildeter Arbeiter, Fachkräfte und Angehöriger des Mittelstandes der Industrieländer schließen sich dem Kampf zur Rettung der Menschheit vor unerbittlichen Kriegen gegen die Völker und gegen die Natur an.

Die Geschichte hat bewiesen, daß die großen Krisen zu großen Lösungen führten; und in ihnen und aus ihnen sind die Führungskräfte hervorgegangen.

Keiner glaubt, daß die Geschichte von einzelnen gemacht wird. Die subjektiven Faktoren haben ihren Einfluß; mit ihren zutreffenden Entscheidungen beschleunigen sie die historischen Prozesse oder sie verlangsamen sie durch ihre Mängel und Fehler, doch das Endergebnis bestimmen sie nicht. Nicht einmal ein so überragender Mensch wie Martí – dasselbe könnte man von Bolívar, Sucre, Juárez, Lincoln und vielen anderen bewunderungswürdigen Männern sagen – wäre in die Geschichte eingegangen, wenn er beispielsweise dreißig Jahre früher oder später geboren wäre.

Nehmen wir den Fall Kuba. Wäre unser Nationalheld 1823 geboren und 1853 dreißig Jahre als gewesen inmitten einer Sklavenhalter- und Gesellschaft mit Annexionsbestrebungen mit Eigentum an großen Plantagen und zahlreichen Sklaven und ohne die Existenz eines starken patriotischen und Nationalgefühls, gestählt durch die ruhmreichen Vorkämpfer, die 1868 unseren ersten Unabhängigkeitskrieg auslösten, dann hätte er in der Geschichte unseres Vaterlandes unmöglich diese überragende Rolle spielen können.

Deshalb glaube ich ganz fest, daß die große Schlacht im Bereich der Ideen und nicht mit den Waffen geschlagen werden wird, ohne jedoch auf ihren Einsatz zu verzichten in Fällen wie dem unseres oder eines anderen Landes unter ähnlichen Umständen, sollte man uns zu einem Krieg zwingen; denn jede Kraft, jede Waffe, jede Strategie und jede Taktik hat ihre Antithese, die aus dem unerschöpflichen Intellekt und Bewußtsein derer quillt, die für eine gerechte Sache kämpfen.

Selbst im US-amerikanischen Volk, das wir nie als einen Feind betrachtet noch es der Drohungen und Aggressionen beschuldigt haben, die wir mehr als vierzig Jahre lang erlitten, spüren wir, von seinen ethischen Wurzeln ausgehend, einen Freund und potentiellen Verbündeten jeder gerechten Sache der Menschheit. Wir sahen es im Zusammenhang mit dem Krieg in Vietnam. Wir sahen es bei einem uns sehr nahe gehenden Fall, der Entführung des Kindes Elián González. Wir sahen es bei der Unterstützung des Kampfes von Martin Luther King. Wir sahen es in Seattle und Quebec neben Kanadiern, Lateinamerikanern und Europäern, gegen die neoliberale Globalisierung protestierend. Wir konnten bereits seine Opposition gegen einen unnötigen Krieg sehen, ohne daß zumindest die Zustimmung des Sicherheitsrates vorliegt. Wir werden es morgen neben allen anderen Völkern der Welt sehen, den einzig möglichen Weg zur Erhaltung der Gattung Mensch vor den wahnsinnigen Aktionen der Menschen selbst verteidigend.

Wenn ich mich den illustren Gästen hier etwas zu empfehlen erdreiste, dann das, was sie offensichtlich bereits tun. Und trotzdem, auch auf das Risiko hin, Sie zu langweilen, gestatte ich mir, zu wiederholen und erneut darauf hinzuweisen: Gegenüber den modernen und zerstörerischen Waffen, mit denen sie uns einschüchtern und eine ungerechte, unvernünftige und unhaltbare internationale Wirtschafts- und soziale Ordnung aufzwingen wollen: Ideen säen! Ideen säen! Ideen säen! Bewußtsein säen! Bewußtsein säen! Bewußtsein säen!

Vielen Dank.

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