Samstag, 25. November 2000

Fidel Castro auf der Offenen Tribüne der Revolution auf dem Platz Plaza Batalla von Guisa

Ansprache des Comandante en Jefe Fidel Castro Ruz, Erster Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas und Präsident des Staatsrates und des Ministerrates der Republik Kuba, auf der Offenen Tribüne der Revolution auf dem Platz Plaza Batalla von Guisa, Granma, am 25. November 2000

Mitbürger aus Guisa, aus Granma und aus ganz Kuba:

Nicht einmal wir selbst bemerkten das Ausmaß der Kühnheit, mit der wir uns in diese Schlacht verwickelt sahen, die hier zwischen dem 20. und 30. November vor bereits zweiundvierzig Jahren geschlagen wurde. Nur 13 Kilometer Asphaltstraße trennten uns von Bayamo, daß damals der Hauptstützpunkt für die Operationen der feindlichen Armee war. Einhundertachtzig neu angeworbene Kämpfer, fast alles Jugendliche, die gerade erst aus unserer Rekrutenschule kamen, forderten 5 000 Männer der feindlichen Elitetruppen heraus.

Während jener unvergeßlichen Tage griff die Luftwaffe unaufhörlich vom Morgengrauen bis in die Nacht an. Unsere Truppen, die in kleine Einheiten aufgeteilt waren, besetzten ihre Positionen in einem breiten Raum, die meisten davon in der Hauptrichtung Bayamo-Guisa. Eine nach der anderen fielen die Nachschubkräfte, die versuchten, die in der kleinen Stadt eingekreiste Kompanie zu befreien, in Hinterhalte. Die Nachschubkräfte blieben gleichzeitig isoliert und wurden von der Nachhut angegriffen, und in bestimmten Augenblicken liefen unsere Positionen Gefahr, durch eine unwiderstehliche Bewegung der feindlichen Truppen, die sich in der überwiegenden Mehrzahl befanden, umzingelt zu werden. Ein komplettes Bataillon, das bei einem zweiten Versuch zur Unterstützung der Garnison in Guisa mit 14 Lastwagen und zwei leichten Panzern zur Vorhut aufrückte, wurde vollständig eingeschlossen. Einer mächtigen Kolonne, die vom Obersten Befehlsstab mit starker Luftunterstützung und schweren Panzern geschickt worden war, gelang es, das eingeschlossene Bataillon nach mehr als dreißig Stunden pausenlosen Kampfes mit zahlreichen Verlusten zu befreien. Zu diesem Zeitpunkt betrug die Anzahl unserer Kämpfer bereits etwa 250 Mann, die die erbeuteten Waffen hinzu bekommen hatten. In unserem Besitz verblieben 14 Lastwagen, einer der zwei Panzer und mehr als 30 000 Gewehrkugeln, zu einem Zeitpunkt, als unser Waffenbestand, der gewöhnlich nur in geringen Mengen genutzt wurde, schon in gefährlicher Weise auszudünnen begann.

Diese Anhöhe wurde entscheidend, um das Eindringen der feindlichen Nachschubkräfte zu verhindern. Sie wurde von nicht mehr als dreißig Männern verteidigt und unaufhörlich bombardiert. Dreimal gaben sie ihre Verteidiger auf und einige weitere Male war es nötig, sie erneut zu besetzen, und beim letzten Mal wurde sie mit zwei Frauengeschwadern verstärkt, die weder zurückwichen noch ihre Positionen aufgaben, auch dann nicht, als ein direkter Schuß aus der Kanone eines schweren Panzers ihren mutigen Chef, tötete, den Hauptmann Braulio Coroneaux, der mit dem einzigen Maschinengewehr vom Kaliber 50, über das wir in diesem harten Kampf verfügten, zuverlässig und unschlagbar war.

Am 30. November wurde während des ganzen Tages intensiv gekämpft. Der Feind, der fast alle seine Kräfte zusammengezogen hatte und in einem letzten Versuch, uns von unseren Positionen zu vertreiben, aus allen möglichen Richtungen angriff, zog sich im Abendgrauen vollständig geschlagen nach Bayamo zurück und in dieser selben Nacht wurde Guisa von unseren Truppen eingenommen.

Die Schlacht von Guisa war eines der Geschehnisse, die bewiesen, daß nichts unmöglich war für eine kleine Armee, die mit nur sieben Waffen nach dem äußerst schweren Rückschlag, mit der sie drei Tage nach der Landung der „Granma" für ihre anfängliche Unerfahrenheit bezahlte, wieder aufstand.

Jene Heldentat, der wir heute gedenken, war das Werk von Arbeiter- und Bauernsöhnen und –töchtern, die in ihrer Mehrheit nicht einmal lesen und schreiben konnten. Bei ihrer harten Ausbildung hatten sie keine einzige wirkliche Kugel abgefeuert; ihre gesamten Kenntnisse beim Gebrauch der Zielvorrichtungen ihrer Waffen waren theoretisch und geometrisch. Niemals werde ich aufhören, Stolz, Dankbarkeit und Bewunderung für sie zu fühlen, viele von ihnen befinden sich nicht mehr unter uns! Die Jugendlichen, die sich in unsere Reihen eingliederten, lernten das Kämpfen während des Kampfes und das Siegen während des Siegens.

Heutzutage ist der Kampf unterschiedlich, aber nicht weniger episch; heute besteht unsere unbesiegbare Armee aus Millionen von Männern und Frauen, die über eine hohe politische Kultur verfügen und seit langem lesen und schreiben können. Unser Waffenarsenal in der Schlacht der Ideen, in die wir verwickelt sind, ist unerschöpflich. Wir lernen Geschichte, während wir Geschichte machen; wir kräftigen unsere revolutionären und gerechten Ideen, indem wir die Ideen der Gegner vernichten, und wir festigen unsere Wahrheit, indem wir ihre Lügen zerstören.

Das Ausmaß und den Charakter unseres momentanen Kampfes konnte unser Volk anläßlich des 10. Iberoamerikanischen Gipfeltreffens wahrnehmen. Männer, die verantwortlich waren für abscheuliche Verbrechen und alle von der CIA ausgebildet und über mehr als vierzig Jahre hinweg von den US-Regierungen für die Aktionen gegen Kuba direkt oder indirekt benutzt wurden, bereiteten in Panama ein terroristisches Attentat vor, das einige Delegationsleiter das Leben hätte kosten können und das in seiner grausamsten Variante Hunderte von Universitätsstudenten von den mehr als tausend hätte umbringen können, die sich mit der kubanischen Delegation in der Aula der Universität von Panama trafen. Das scheint der Ort gewesen sein, den sie auswählten, um ihr Massaker durchzuführen.

Man weiß heute ganz genau, daß die Terroristen eine Studie des Gebäudes unternommen hatten, in dem die enthusiastischen und kämpferischen Studenten am Samstag, dem 18. November, in den Abendstunden ein brüderliches Treffen mit uns organisiert hatten. Das war etwas, das wir fast ohne Ausnahme immer machten bei unseren Reisen nach Lateinamerika aus Anlaß der Teilnahme an Treffen der Staats- und Regierungschefs. Die Anzahl und die Sprengkraft der Bomben, die die Terroristen in Panama einschleusten, hätten genügt, um das ganze Gebäude zu zerstören. Diese Sprengkörper wurden zusammen mit den weiteren notwendigen Gebrauchselementen von einigen Komplizen sofort an einem entlegenen Ort auf dem Land versteckt, als die Anführer der Terroristen in dem bequemen Aparthotel, in dem sie wohnten, verhaftet wurden. Es wird keine Möglichkeit geben zu verhindern, daß alle Einzelheiten bekannt werden.

Das Personal des panamaischen Staatssicherheitsdienstes, seine Chefs, Offiziere und weitere Mitarbeiter der ihm zugehörigen Institutionen handelten zu jedem Zeitpunkt mit Mut und Effizienz. Der Plan wurde von ihnen weniger als zwei Stunden nach der angemessenen Anklage und der von unserem Land gelieferten präzisen Information aufgedeckt. Einmal mehr wurde die Ernsthaftigkeit und Wahrhaftigkeit von Kubas Wort unter Beweis gestellt.

Das Ereignis führte beim Gipfeltreffen zu einem harten Wortwechsel, als ein lückenhafter und ausschließender Resolutionsentwurf gegen den Terrorismus vorgelegt wurde, und zwar von dem Präsidenten desjenigen Landes, das die Basis der Vereinigten Staaten für die Konterrevolution in Mittelamerika und der Zufluchtsort des schlimmsten in der Hemisphäre bekannten Terroristen war, der von El Salvador aus unter Verwendung von Söldnern unzählige Verbrechen gegen Kuba und andere Länder der Region organisierte und durchführte. Nachdem er durch die kubanische Anklage in fragranti ertappt und überrascht wurde, reagierte der salvadorianische Präsident mit ungehemmter Hysterie, wobei er behauptete, daß ich ihn als Komplizen der Verschwörung zu meiner Ermordung beschuldigt hätte.

Ich beschuldigte ihn nicht, Komplize des makabren Plans zu sein, sondern ich sagte schlicht und einfach, daß der Anführer der Terroristen in El Salvador wohnte und von dort aus konspirierte und operierte, was die salvadorianische Regierung wußte, tolerierte und verschleierte. Dessen beschuldigte ich ihn sehr wohl, und er kann das nicht leugnen, nicht nur deswegen, weil einige Mitglieder der Regierung des vorherigen Präsidenten Armando Calderón Sol und andere Komplizen und Mitarbeiter von Posada Carriles weiter in seiner Regierung geblieben waren - deren Namen dem Präsidenten Calderón Sol von Seiten Kubas mitgeteilt wurden, worüber er seinen Nachfolger informierte -, sondern auch, weil ich Herrn Flores, dem jetzigen Präsidenten, nach seiner Amtseinführung über einen Sondergesandten die entsprechenden Informationen über das Leben und das Werk, die Aktivitäten und die finsteren Pläne des Terroristen Luis Posada Carriles zukommen ließ. Die besagte Information wurde ihm am 5. Oktober 1999 um 16.00 Uhr übergeben. Er unternahm absolut nichts; vielleicht konnte er aufgrund des Mangels an Autorität und Mut nichts tun. Er log schamlos, als er sich beim Gipfeltreffen die Hände in Unschuld wusch, so als ob er das Opfer einer grausamen Verleumdung sei.

Logischerweise wurde sein scheinheiliger Vortrag über den Terrorismus vorher mit der Regierung Spaniens abgesprochen, einer aufstrebenden europäischen Wirtschaftsmacht in Lateinamerika, die gelegentlich nützlich ist beim Kampf gegen die Gefräßigkeit des Nordens, deren politische Leitung aber eine offensichtliche Neigung zur Präpotenz an den Tag legt. Und diese spanische Regierung wurde sofort unterstützt vom Präsidenten eines gegenüber früher unterschiedlichen Mexikos, das heutzutage von den Interessen, Prinzipien und Verpflichtungen geleitet wird, die vom Freihandelsvertrag mit seinem Nachbarn im Norden aufgezwungen werden. Aufgrund der neoliberalen Affinität oder wegen dem trügerischen Charakter des Themas erhielt der Vorschlag die Unterstützung der anderen Nationen. Fast alle, die dort versammelt waren, hegen – wie man weiß – politische, wirtschaftliche und soziale Ideen, die sich sehr von dem revolutionären und ethischen Denken unseres heldenhaften Volkes unterscheiden. Es gab nicht das geringste Zögern bei der Beibehaltung unserer Position, auch wenn wir bereits vorher wußten, was sie tun würden.

Der auf Einheit bedachte, bolivarianische und ernsthaft revolutionäre Präsident Chávez sah sich in einem bitteren und peinlichen Dilemma gefangen. Seine Majestät, der König Spaniens, ein nobler und Kuba gegenüber immer freundlich eingestellter Mann, war eher konsterniert.

Letztendlich waren alle an diesem Mittag sicherer, weil der furchterregende Terrorist, der alle mit seinen Plänen in Gefahr gebracht hatte, in seine eigene Falle gestürzt war, und zwar dank der Anklage Kubas, das hingegen in einem diskriminierenden und opportunistischen antiterroristischen Resolutionsentwurf von Schutz und Unterstützung ausgeschlossen wurde.

Der wütende und unerfahrene Verursacher des Vorfalls schlug - Friedensfahnen hissend - vor, die Angelegenheit auf bilateraler Ebene zu diskutieren, obwohl die Frage nichts Bilaterales hat. Da - gemäß einem bekannten Refrain - Höflichkeit nichts mit Mut zu tun hat, antworteten wir ihm, daß wir bereit seien, auf dieser Ebene zu diskutieren. Wir werden sehen, auf welche Weise und wofür ein solches Treffen dient.

Wir haben jetzt genügend Arbeit, die unsere Zeit in Anspruch nimmt, unter anderem um zu verhindern, daß ihr „illustrer Gast" und terroristischer Anführer und dessen Spießgesellen mit Hilfe ihrer Freunde aus dem Norden der Justiz entgehen können.

Niemand weiß, was unser immer vereinteres, gebildeteres und stärkeres Volk fähig ist zu erreichen. Wir werden in unserem heldenhaften und würdigen Kampf nicht ruhen. Wir werden alle Ziele erfüllen, die wir in Baraguá schworen. Wir werden die epische Schlacht der Ideen gewinnen. Wie in Guisa werden wir oftmals beweisen, daß nichts unmöglich ist.

Ewiger Ruhm denjenigen, die – als sie fast noch Jugendliche waren – für die Revolution an diesem heiligen Ort des Vaterlandes fielen! (Ausrufe: „Ruhm!)

Wir werden ihrem Gedenken bis zum letzten Atemzug treu bleiben!

Vaterland oder Tod!

Wir werden siegen!

Samstag, 18. November 2000

Fidel Castro während der Arbeitssitzung des 10. Iberoamerikanischen Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs in Panama-Stadt am 18. November

Redebeitrag von Dr. Fidel Castro, Präsident des Staatsrates und des Ministerrates der Republik Kuba, während der Arbeitssitzung des 10. Iberoamerikanischen Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs in Panama-Stadt am 18. November

Werte Kollegen:

Ich hatte gestern das Privileg, über die Kinder zu sprechen. Ich dachte deswegen nicht, daß ich hier über das Thema sprechen würde, doch die wichtige Debatte, die hier heute morgen stattgefunden hat, zwingt mich dazu, einige kurze Worte an Sie zu richten. Ich weise auf die Kürze hin, damit niemand erschreckt. (Lachen).

Die neoliberale Globalisierung führt die Welt in eine Katastrophe. Schluß und aus.

Ich teile keine Philosophien und Dogmen irgendeiner Art. Schluß und aus.

Wenn wir hier sprechen, vergessen wir viele Dinge. Wir vergessen, daß es lateinamerikanische und europäische Nationen gibt. Wir vergessen, daß als große Ausnahmen nur einige wenige lateinamerikanische Länder – und wir freuen uns darüber – bestimmte Niveaus der wirtschaftlichen, industriellen und sozialen Entwicklung erreichen, die weit über dem Rest der lateinamerikanischen Länder liegen.

Chile sprach zum Beispiel davon, daß die Zahl der Armen von fünf auf drei Millionen zurückgegangen sei. Und es verdient für diesen Erfolg unsere Anerkennung und unseren Glückwunsch.

Die seriösesten Studien beweisen nichtsdestotrotz, daß im gesamten Lateinamerika die Anzahl der Armen täglich und jährlich anwächst, und daß etwa 50 % Arme und Mittellose sind. Ich beziehe mich hierbei auf die Kinder.

Wir vergessen zum Beispiel, daß die öffentliche Verschuldung Lateinamerikas und der Karibik, die sich 1992 auf 478 Milliarden Dollar belief, heutzutage 750 Milliarden Dollar beträgt.

Wir vergessen, daß es zu diesem kolossalen Anstieg gekommen ist, nachdem in jenem Zeitraum 913 Milliarden Dollar gezahlt worden waren.

Wir vergessen, daß der Internationale Währungsfonds, den wir alle gut kennen, und seine Herren existieren.

Wir vergessen, daß die privaten ausländischen Investitionen, die sich zum Ende des letzten Jahrzehnts auf 115 Milliarden Dollar beliefen, heute – oder im Jahr 1999 – auf 865 Milliarden Dollar angestiegen sind. Und daß von dieser Summe 71 % in den reichen Ländern selbst und nur 29 % in den sogenannten Entwicklungsländern investiert wurden. Von diesen 29 % wurden 45 % in China, 40 % in Lateinamerika und 15 % in Afrika und Asien investiert. Von dieser investierten Gesamtsumme wurden 85 % nicht investiert, um neue Industrieanlagen und Dienstleistungen – und damit Quellen für Beschäftigung und die Schaffung von neuen Reichtümern – zu schaffen, sondern um bestehende Unternehmen und Dienstleistungen zu erwerben. Ein neues Phänomen.

Es gibt keine wirkliche Antwort auf die Bedürfnisse der überwiegenden Mehrheit der Menschen in unseren Nationen.

Sogar in Ländern wie Kuba, das die Ungleichheit bei der Verteilung auf ein Minimum reduziert hat, gibt es Unterschiede, die man spürt. Wenn diese abgrundtief sind und aus der Armut Marginalisierung entsteht, kommt es zur Tragödie. Die Marginalisierung, eine Frucht der enormen Einkommensunterschiede, führt im Bereich der Bildung zu katastrophalen Folgen; es gibt nicht die geringste Gleichheit bei den Perspektiven eines armen Kindes und eines Kindes mit dem unverzichtbaren Minimum an Einkünften, und die Armut betrifft praktisch die Hälfte der Kinder in Lateinamerika und der Karibik. Diese wirkliche Tragödie erfordert eine Antwort.

Ich kann nicht bestreiten, daß auch unter diesen Bedingungen ein Spielraum für das existiert, was man für die Kinder in Lateinamerika machen kann. Dies muß gemacht werden, und hier ist bewiesen worden, daß einige Länder eine besondere Anstrengung in diese Richtung unternehmen. In Kuba, von dessen trotz Blockade und Armut erreichten Fortschritten ich gestern sprach, sind wir nicht zufrieden, denn wir haben begriffen, daß uns noch unermeßlich viel zu tun bleibt. Man kann es machen, und wir werden es tun, unterstützt von den wunderbaren technischen und audiovisuellen Mitteln, über die man heute verfügen kann.

Nebenbei füge ich hinzu, daß wir in unserem Land eine Methode entwickelt haben, um das Lesen und Schreiben mittels Radio beizubringen, eine solche Methode wird in der Republik Haiti getestet, wo man mit 300 Personen begann, und die Ergebnisse sind spektakulär gewesen. Jetzt ist es auf 3 000 Personen ausgeweitet worden, und sie planen, es im ganzen Land durchzuführen. Wir entwickeln das Programm in Kreolisch, welches die Sprache der Haitianer ist. Die Ergebnisse erwecken wirklich Hoffnung. Wenn dies so ist, ist die Chance einer Reduzierung der Zahl der Analphabeten groß, mit einem Minimum an Ressourcen, einem Minimum. Eine zentrale Radiostation überträgt schlicht und einfach diese Kenntnisse.

Ich spreche nicht vom Fernsehen, das ist sehr einfach. Wir weiten die Bildung schrittweise per Fernsehen aus, bis zu einem solchen Extrem, daß praktisch das ganze Land zu einer Universität wird. Ich spreche nicht von Dingen, die noch gemacht werden müssen, sondern von solchen, die bereits gemacht werden, und zwar mit spektakulären Ergebnissen und ausgehend von dem immensen Wissensdurst des Menschen.

Wir führen neben anderen Dingen eine tiefgehende Untersuchung über die Verbindung zwischen Armut, Marginalisierung und Bildung durch. Wir suchen wirklich dort, wo die Quellen oder die Nährböden des Verbrechens sind. Und hier wurden einige sehr interessante Dinge hinsichtlich der Situation – einschließlich des familiären Aspekts – der Jugendlichen gesagt. Darüber haben wir, und sind weiterhin dabei, unzählige Daten zusammengetragen.

Eine Welt eröffnet sich vor unseren Augen, nicht nur in diesem Bereich, sondern auch in vielen anderen. Ohne daß wir reich sind, ermöglicht uns heute das Verfügen über ein reichhaltiges Humankapital, die Frucht des erreichten Bildungsniveaus, Träume zu verwirklichen, die vor Jahren noch als unerreichbare Utopien gegolten hätten, und diese Träume lassen uns Scham fühlen angesichts des Wenigen, was wir bis heute erreicht haben.

Gehen wir von den momentanen Realitäten aus, schreiten wir nicht auf Wolken der Illusionen und Täuschungen; lassen Sie uns in der ungerechten politischen und wirtschaftlichen Ordnung, die der Welt aufgezwungen ist, den realen und hauptsächlichen Grund dafür suchen, daß wir der ersehnten Mittel entbehren, mit denen wir das Schicksal aller unserer Kinder gerne menschlicher machen würden.

Ich danke Ihnen allen, mit Ihren verschiedenartigen, aber interessanten und bemerkenswerten Vorträgen und Kriterien, für die von mir gefühlte tiefgreifende Notwendigkeit, diese Überlegungen zu verfassen.

Ich reihe mich ein in die äußerst gerechtfertigten Glückwünsche für Ihre Majestät, König Juan Carlos, den ich sehr, sehr schätze. Ich hoffe, daß er sich nicht darüber ärgert, daß ich ihm sagte, daß wir zwei übrigblieben. Gott wollte, daß er König ist, und Gott wollte, daß ich am Leben bin.

Danke (Beifall).

Freitag, 17. November 2000

Fidel Castro bei der Eröffnung des 10. Iberoamerikanischen Gipfeltreffens im Kongresszentrum Atlapa von Panamastadt

Ansprache des Präsidenten des Staatsrates und des Ministerrates der Republik Kuba, Fidel Castro Ruz, bei der Eröffnung des 10. Iberoamerikanischen Gipfeltreffens im Kongresszentrum Atlapa von Panamastadt, am 17. November 2000

Exzellenz Frau Mireya Moscoso;

Majestät;

Exzellenzen;

Sehr verehrte Gäste:

Die Initiative, den Satz „Vereint für die Kinder und die Jugendlichen, Grundlage der Gerechtigkeit und Gleichheit im Neuen Jahrtausend" als zentrales Motto dieses Gipfeltreffens anzunehmen, war glücklich. Bereits die Idee für sich allein genommen rechtfertigt dieses wichtige Treffen. Ich beglückwünsche dafür die Präsidentin des Gastgeberlandes, Frau Mireya Moscoso.

Die Situation der Kinder ist nicht in jedem unserer Länder gleich. Trotz der erreichten Fortschritte in den vergangenen Jahrzehnten – zum Teil dank der zum Thema geförderten Initiativen und der hartnäckigen Anstrengungen von UNICEF, WHO und anderen Institutionen der Vereinten Nationen, mit größerer oder geringerer Annahme und Unterstützung durch die jeweiligen nationalen Regierungen und ohne dabei die ungleiche Entwicklung und die Ressourcen jeder Nation zu vergessen – ist die Realität, die die Kinder in Lateinamerika insgesamt durchleben, offensichtlich dramatisch.

Die Zahl der Armen in Lateinamerika und der Karibik erreicht bereits 45 % der Gesamtbevölkerung, das sind 224 Millionen Personen, und von diesen sind 90 Millionen mittellos. Mehr als die Hälfte dieser Armen und Mittellosen sind Kinder und Jugendliche.

Es ist so, wie es der UN-Kinderfonds beschreibt: „Die Kinder sind am meisten von der Armut betroffen. Keine andere Altersgruppe ist so verletzlich. Die Armut verursacht in ihnen physische und psychologische Schäden, die das ganze Leben andauern."

Laut Daten der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation sind schwere Atemwegsinfektionen, Durchfallerkrankungen und Ernährungsdefizite weiterhin drei der hauptsächlichen Todesgründe bei Kindern unter 5 Jahren.

Die durchschnittliche Sterblichkeitsrate bei Kindern unter 5 Jahren in Lateinamerika und der Karibik im Jahr 1998 betrug 39 von 1 000 Lebendgeborenen, was einer Zahl von annähernd einer halben Million verstorbenen Kindern entspricht.

Die schweren Atemwegsinfektionen wie Influenza und Lungenentzündung führen zu einem Drittel der Todesfälle bei Jungen und Mädchen unter 5 Jahren in der Region; etwa 60 % der Kinderarzt-Sprechstunden haben mit diesen Krankheiten zu tun, und ein Großteil der Todesfälle als Ergebnis dieser Infektionen sind mittels einer rechtzeitigen Diagnose und einer angemessenen Behandlung vermeidbar.

Zwischen 20 % und 50 % der Stadtbevölkerung in der Region lebt unter katastrophalen Bedingungen von massiver Überbelegung der Wohnungen, extremer Armut, Gewalt und Marginalisierung; sie haben keinen Zugang zu Basisdiensten wie ärztlicher Grundbetreuung oder sanitären Einrichtungen; in den ländlichen Gebieten verfügen mehr als 60 % der Menschen über keine sanitären Einrichtungen und 50 % haben keine Trinkwasserversorgung. Die Abwesenheit von angemessenen sanitären Einrichtungen, Trinkwasser und ärztlicher Betreuung erhöht die Todesrisiken durch Durchfall, Cholera, Typhus und andere auf verschiedenen Wegen übertragbare Krankheiten um mehr als 40 %.

Die Nahrungs- und Ernährungsdefizite drücken die Abwehrmechanismen der Jungen und Mädchen nieder und machen sie anfälliger gegenüber nicht übertragbaren chronischen Krankheiten. Die UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika (CEPAL) schätzt, daß sich im Jahr 2000 etwa 36 % aller Kinder unter 2 Jahren in einer Situation hohen Ernährungsrisikos befinden. In den ländlichen Gebieten betrifft diese Bedrohung einen noch höheren Anteil, und zwar etwa 46 %, aufgrund der im allgemeinen prekären sanitären Bedingungen und der größeren Schwierigkeiten für die Bevölkerung, Zugang zu den öffentlichen Gesundheitseinrichtungen zu bekommen.

In den armen Sektoren der Bevölkerung sind Mangelkrankheiten präsent; einige wie das Defizit an Vitamin A, das einen der Hauptgründe für die Blindheit darstellt, betreffen Millionen Jungen und Mädchen bis zu 5 Jahren in der Region.

Der direkte Preis für die Impfung zur Immunisierung eines Kindes, das jünger als ein Jahr ist, gegen sechs vermeidbare Kinderkrankheiten wie Diphtherie, Masern, Keuchhusten, spinale Kinderlähmung, Tuberkulose und Wundstarrkrampf übersteigt keine 80 US-Cent. Trotzdem versichert die Weltgesundheitsorganisation, daß die Abdeckung mit Impfungen gegen diese Krankheiten bei Kindern bis zum ersten Lebensjahr auf dem gesamten amerikanischen Kontinent, einschließlich der Vereinigten Staaten und Kanada, zwischen 85 % und 90 % schwankt, weswegen man errechnet, daß in der gesamten Hemisphäre mehr als 15 Millionen Kinder bis zum fünften Lebensjahr nicht gegen diese sechs Krankheiten geimpft sind.

Die durchschnittliche Müttersterblichkeit in Lateinamerika und der Karibik beträgt etwa 200 pro 100 000 Geburten. In den entwickelten Ländern schwanken die Zahlen etwa um 15. Als Ergebnis dessen werden in unserer Region nicht weniger als 50 000 Jungen und Mädchen aus diesem einen Grund zu mutterlosen Waisen. Zusätzlich kommen auf jede verstorbene Mutter Hunderte überlebende Frauen, die aber unter chronischen Problemen als Folge der Unterernährung und der unangemessenen Betreuung während der Schwangerschaft und der Geburt leiden. Millionen von Müttern leiden unter irgendeinem chronischen Gesundheitsproblem als Ergebnis des Fehlens einer angemessenen Betreuung während der Schwangerschaft und der Geburt.

Im Hinblick auf zwei Hauptziffern, die Kindersterblichkeit und die Müttersterblichkeit, sterben pro 1 000 Lebendgeborenen in Lateinamerika und der Karibik jährlich 6,5mal mehr Kinder und 12,6mal mehr Mütter als in den entwickelten Ländern.

Zusätzlich werden 2 Millionen von den jedes Jahr geborenen 12 Millionen Kindern von jugendlichen Müttern in die Welt gesetzt.

Der Aids-Virus HIV verbreitet sich in der Region in gefährlichem Rhythmus und es haben sich laut Angaben der UN-Aidskommission bereits 1,7 Millionen Personen infiziert. Laut UNICEF infizieren sich jedes Jahr 65 000 Kinder, wobei 90 % von ihnen durch ihre eigenen Mütter angesteckt wurden. Bereits 195 000 Kinder sind aus diesem einen Grund zu Waisen geworden. Im Jahr 1999 gab es in Lateinamerika und der Karibik mehr als 78 000 Todesfälle durch AIDS.

Im Bereich der Bildung wird geschätzt, daß 20 % der Jungen und Mädchen zu spät mit der Schule beginnen, 42 % die erste Klasse und 30 % die zweite Klasse wiederholen. Nur 80 % der Jungen und Mädchen in der Region erreichen das vierte und nur 73 % das fünfte Schuljahr. Acht von zehn Schülern besuchen sieben Jahre die Schule, doch der durchschnittliche Schulbesuch beträgt etwa vier Schuljahre.

Die Abdeckung mit Einrichtungen der Vorschulbildung beträgt in der Region im Durchschnitt nur 17 %.

Die Kinderarbeit vermehrt sich wie eine wahrhafte Plage. Etwa 20 Millionen Kinder unter 15 Jahren arbeiten. Mehr als die Hälfte dieser Kinderarbeiter sind Mädchen, und die große Mehrheit verrichtet Arbeiten, die nicht einmal anerkannt sind oder in den offiziellen Statistiken berücksichtigt werden.

Laut der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation ist die Gewalt einer der Hauptgründe für den Tod von Kindern zwischen 5 und 14 Jahren. Obwohl keine exakten Ziffern über Mißhandlungen existieren, weisen verschiedene Studien darauf hin, daß nicht weniger als 6 Millionen heranwachsende Jungen und Mädchen das Ziel von schwerwiegenden Aggressionen sind und daß von diesen jährlich etwa 80 000 als Opfer der Gewalt in ihren eigenen Familien sterben.

Eine 1996 von der Weltkonferenz gegen Sexuelle Ausbeutung durchgeführte Studie deckte auf, daß im Jahr zuvor 47 % der in sieben Ländern der Region sexuell ausgebeuteten Mädchen Opfer von Mißhandlungen und Vergewaltigungen in den eigenen vier Wänden wurden; fast die Hälfte begann zwischen dem 9. und 13. Lebensjahr, sich zu prostituieren, und 50 bis 80 % von ihnen nahmen Drogen.

Hunderttausende von Jungen und Mädchen arbeiten und leben auf der Straße, und in einigen Hauptstädten sind 46 % der Prostituierten Mädchen unter 16 Jahren.

Ich möchte in dieser Ansprache nicht die Ihnen gut bekannten politischen und wirtschaftlichen Gründe einbeziehen, die zu dieser Tragödie führen.

Zum Abschluß möchte ich nur hinzufügen – und ich habe die Pflicht, dies zu tun -, daß 400 000 Kinder jährlich überlebt hätten, wenn die Kindersterblichkeitsrate in Lateinamerika und der Karibik ähnlich niedrig gewesen wäre wie die Rate von 6,4 pro 1 000 Lebendgeborenen bis zur Vollendung des ersten Lebensjahres und 8,3 bei Kindern bis zum fünften Lebensjahr, die Kuba erreichte, das isoliert, angefeindet und seit über mehr als 40 Jahren einem unerbittlichen Wirtschaftskrieg unterworfen ist. 99,2 % der Kinder in Lateinamerika und der Karibik wären in die Vorschulbildung einbezogen, 99,9 % begännen ab dem sechsten Lebensjahr mit der Schule, 99,7 % der Schüler wären von der ersten bis zur sechsten Klasse in der Schule geblieben, 98,9 % derjenigen, die in der ersten Klasse begannen, würden die sechste Klasse abschließen, von diesen würden 99,9 % die Mittelschule beginnen, 99,5 % der Mittelschulabsolventen würden mit der Gymnasialstufe beginnen; die Schüler dieser Region würden erste Preise bei Wissensolympiaden gewinnen, es gäbe keine Schüler, die einer spezialisierten Ausbildung bedürften und keine Schule dafür fänden, es gäbe keine Analphabeten, das durchschnittliche Bildungsniveau der erwachsenen Bevölkerung läge über neun Schuljahren und man würde kein einziges Kind unter 16 Jahren sehen, das arbeiten muß, um zu überleben.

Unsere harte Erfahrung hat bewiesen, daß man mit wenig Mitteln viel erreichen kann.

Zum Abschluß möchte ich allen hier anwesenden Staats- und Regierungschefs meinen Dank dafür ausdrücken, daß sie am vergangenen 9. November in der UNO-Vollversammlung mit Ausnahme von Zweien zugunsten der Resolution gegen die gegen Kuba verhängte Blockade stimmten.

Danke.