Mittwoch, 3. Februar 1999

Eine Revolution kann nur die Tochter von Kultur und Ideal sein

Rede des Präsidenten des Staatsrates der Republik Kuba, Fidel Castro Ruz, in der Aula Magna der Zentraluniversität von Venezuela am 3. Februar 1999

Kurzes Vorwort des Verfassers

AN DIEJENIGEN, DIE DIE FREUNDLICHKEIT UND DIE GEDULD BESITZEN, DIESES MATERIAL ZU LESEN

Diese Rede in der Aula Magna der Zentraluniversität von Venezuela ist für mich von besonderer Bedeutung. Ich hielt diese Rede vor knapp eineinhalb Monaten am 3. Februar 1999.

Ich weiß nicht, wieviele Sterbliche wohl jemals eine so einzigartige und unvergleichliche Erfahrung gemacht haben, wie ich an jenem Nachmittag.

Ein neuer und junger Präsident hatte vor knapp 24 Stunden nach einem spektakulären Sieg, der von einem riesigen Volk unterstüzt wurde, sein Amt übernommen. Anläßlich des Besuches, den ich aus diesem Grund diesem Land abstattete, beharrten die Behörden und die Studenten der besagten Universität darauf, daß von vielen anderen geladenen Gästen ausgerechnet ich einen Vortrag halten sollte, den man als Meistervorlesung bezeichnet, deren Name allein schon vor allem uns, die wir keine Akademiker sind, oder etwa gelernt hätten etwas anderes zu tun, als den bescheidenen Beruf, das Wort dazu zu gebrauchen, um in unserem eigenen Stil und unserer eigenen Art das zu vermitteln, was wir denken, die Röte ins Gesicht treibt und Angst macht.

Nachdem mein immerwährender Widerstand gegen solche Abenteuer gebrochen war, nahm ich die Verpflichtung an, die für jemanden, der als offizieller Gast ein Land inmitten eines politischen Aufbrausens besucht, stets Risiken birgt und stets heikel ist. Dazu verpflichtete mich außerdem auf unabänderliche Weise die stets unumstößliche Solidarität mit Kuba seitens derjenigen, die mich zu dem Vortrag eingeladen hatten. Ich war zuvor schon einmal dort gewesen, was ich nie vergessen hatte. Ich fühlte mich, als ob ich die gleichen Leute dort wiedertreffen würde.

Kurz bevor ich in die Universität aufbrechen wollte, kam mir plöztlich eine Erinnerung: Die Zeit vergeht und wir merken es gar nicht.

Vierzig Jahre und zehn Tage genau waren vergangen, seitdem ich das Privileg hatte, in jener eindrucksvollen Aula Magna der kampfeslustigen und angesehenen venezolanischen Universität vor den Studenten zu sprechen an jenem 24. Januar 1959. Einen Tag zuvor, am 23. Januar in jenem Jahr, war ich nach Venezuela gekommen. Man gedachte des ersten Jahrestages des Sieges des Volkes über eine autoritäre Militärregierung. Unser eigener revolutionärer Sieg vom 1. Januar 1959 lag gerade einmal drei Wochen zurück. Eine riesige Menge erwartete mich auf dem Flughafen und belagerte mich überall wo ich hinkam in diesen Tagen, in denen ich mich dort aufhielt. Das unterscheidete sich überhaupt nicht von der Erfahrung, die ich in meinem eigenen Vaterland gemacht hatte.

Ich versuche mich so genau wie möglich daran zu erinnern, was in mir vorging. Es mischten sich soviele Ideen, Gefühle und Emotionen, die ich im Kopf und im Herzen trug! Bei diesem Strudel an Erinnerungen kann ich wohl eher der Logik als der Erinnerung vertrauen.

Ich war damals 32 Jahre alt. Wir hatten innerhalb von 24 Monaten und 13 Tagen eine Streitkraft von 80.000 Männern - ursprünglich mit nur 7 Gewehren - besiegt, die nach unserem Rückschlag unseres kleinen Kommandos aus 82 Männern drei Tage nach unserer Landung am 2. Dezember 1956, aufgestellt worden waren.

Voller Ideen und Träume, aber noch überaus unerfahren, nahmen wir an jenem 23. Januar an einem riesigen Festakt auf dem Platz des Schweigens teil. Am nächsten Tag besuchten wir die Nationaluniversität - die traditionelle Bastion der Intelligenz, der Rebellion und des Kampfes des venezolanischen Volkes. Ich selbst fühlte mich immer noch wie ein Student, der kürzlich erst vor knapp 8 Jahren die Hörsäle der Universität verlassen hatte. Von dieser Zeit hatte ich - seit dem verräterischen Staatsstreich vom 10. März 1952 - fast sieben Jahre zugetragen mit dem Aufbau des bewaffneten Widerstands, saß im Gefängnis, im Exil - dann die Rückkehr und der siegreiche Kampf. In dieser Zeit hatte ich jedoch nie den Kontakt zu Studenten unserer höchsten Bildungseinrichtungen verloren.

Bei jenem Anlaß sprach ich vor den Professoren und Studenten von der Befreiung der unterdrückten Völker unseres Amerikas. Diesmal kam ich zurück mit dem gleichen revolutionären Fieber von damals und zusätzlich mit der geballten Erfahrung aus 40 Jahren eines von unserem Volk geführten epischen Kampfes gegen die mächtigste und egoistischste Macht, die es jemals gab.

Trotzdem sah ich mich einer großen Herausforderung gegenüber. Die Professoren und Studenten waren nicht dieselben; Venezuela war nicht dasslbe; die Welt war nicht dieselbe. Wie würden jene Jugendlichen wohl denken? Welche Probleme würden sie wohl am meisten beschäftigen? Inwieweit teilten sie oder wichen sie ab von dem aktuellen Prozeß? In welchem Grad waren sie sich der objektiven Lage der Welt und ihres Landes selbst bewußt? Als ich zwei Tage zuvor in Venezuela angekommen war, nahm ich die freundliche und freundschaftliche Einladung sofort an. Mir stand nicht ein Mindestmaß an Zeit zur Verfügung, um mich gebührend zu informieren. Was würde sie wohl interessieren? Worüber sollte ich zu ihnen sprechen? Mit wieviel Freiheit konnte das ein geladener Gast tun während eines Regierungswechsels, der außerdem aufgrund eines elementaren Sinns der Achtung vor der Souveränit und dem Stolz des Landes, das unsere Unabhängigkeitskämpfe begonnen hatte, dazu verpflichtet war, sich nicht in dessen innere Angelegenheiten einzumischen? Wie würden meine Worte wohl ausgelegt werden können in den so unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen, Institutionen und politischen Parteien? Trotzdem hatte ich keine andere Alternative. Ich mußte zu ihnen sprechen und hatte das mit aller Aufrichtigkeit zu tun.

Mit einigen Eckdaten im Kopf, mit vier oder fünf Thesenblättern, die unvermeidlich ins Reine übertragen werden mußten, um sie präzise zitieren zu können, sowie mit drei oder vier Grundideen, sah ich dem Treffen mit den Studenten entschlossen entgegen. Sie hatten mich darum gebeten, die Rede unter freiem Himmel zu halten, um mehr Platz zur Verfügung zu haben. Ich bestand darauf, daß es besser wäre, sie innerhalb des Gebäudes in der Aula Magna zu halten, da dies meiner Meinung nach der Ort wäre, der sich am ehesten für den Austausch und die Reflexion eignet.

Als ich auf dem Campus ankam, sah ich Tausende von Stühlen auf unterschiedlichen Plätzen unter freiem Himmel, die vollends von Studenten besetzt waren, die vor riesigen Bildschirmen saßen und darauf den Vortrag verfolgen wollten. Die 2.800 Plätze in der Aula Magna waren besetzt. Nun also begann die schwierige Probe. Ich sprach in aller Offenheit zu ihnen und gleichzeitig unter Achtung aller Normen, die ich als für mich verbindlich erachtete. Ich brachte zusammenfassend meine Grundideen dar - das was ich von der neoliberalen Globalisierung denke; von der absoluten gesellschaftlichen und ökologischen Nichttragbarkeit der Menschheit aufgezwungenen Wirtschaftsordnung; dem Ursprung derselben, die auf die Interessen des Imperialismus zurechtgeschnitten ist und angetrieben wird von dem Fortschritt der Produktivkräfte und der beschleunigten Entwicklung von Wissenschaft und Forschung; von ihrem vorübergehenden Charakter und ihrem unweigerlichen Verschwinden aufgrund von historischen Gesetzmäßigkeiten; den Betrug der Welt und die unbegreiflichen Privilegien, die die USA an sich gerissen haben. Ich unterstrich dabei besonders den Wert der Ideale; die Demoralisierung und Ungewißheit der Systemtheoretiker; Kampftaktiken und -strategien; den wahrscheinlichen Verlauf der Ereignisse; das volle Vertrauen auf die menschliche Überlebensfähigkeit.

Gespickt mit Anekdoten, Geschichten, höchst auotobiographischen Verweisen, die im Verlauf der Überlegungen allmählich aufkamen, machte das meinen alles andere als meisterlichen Vortrag aus, mit dem ich dem gerecht wurde, was mir angetragen worden war. Ich stellte ihnen mit der gewohnten Inbrunst und Hingabe und in einer so tiefen Überzeugung wie noch nie, die Ideale dar, die ich mit kühlem und nachdenklichem Fanatismus vertrete. Als Kämpfer, der nie aufgehört hat zu kämpfen, hatte ich in dem langen Zeitraum von 1959 bis 1999 das seltene Privileg, mich in einer geschichtsträchtigen und angesehenen Universität mit zwei verschiedenen Generationen von Studenten in zwei radikal verschiedenen Welten zu treffen. Beide Male nahmen sie mich mit derselben Warmherzigkeit und demselben Respekt auf.

Man könnte ja vielleicht schon abgehärtet sein durch alle Emotionen, die man erlebt hat - ich war es aber nicht.

Die Stunden waren vergangen. Am Ende versprach ich ihnen, daß ich mich in vierzig Jahren bei unserem Wiedersehen kürzer fassen würde. Viele aus der begeisterten und kampfeslustigen Menge blieben bis zum Schluß mit Interesse und Aufmerksamkeit auf ihren Plätzen. Einige gingen fort - vielleicht war es ja schon zu spät. Ich werde jenes Treffen niemals vergessen.


Fidel Castro Ruz

18. März 1999



Ich habe keine schriftliche Rede mitgebracht - leider (Lachen) - aber ich habe mir einige Notizen gemacht, die ich für geeignet erachte, genauer zu erörtern. Und trotz allem - wie dumm (Lachen) - ist mir aufgefallen, daß ich eine Broschüre vergessen habe, die ich sehr aufmerksam gelesen hatte, in der ich Textstellen markiert und Anmerkungen an den Rand geschrieben habe - ich habe sie im Hotel vergessen (Lachen und Beifall). Ich habe jemanden losgeschickt, um sie herzubringen und hoffe, daß sie auftaucht, weil das andere Exemplar eine Kopie ist, in der ich nichts unterstrichen habe.

Ich muß mich nun aber wenigstens förmlich an unsere Zuhörerschaft wenden, oder? (Lachen). Ich werde keine Liste unserer vortrefflichen und zahlreichen Freunde, die wir hier haben, verlesen (jemand aus dem Publikum sagt "Wir können hier nichts verstehen!"). Schau mal, meine Stimme reicht nicht aus, um bis dorthin zu kommen (Lachen und Beifall), denn wenn ich schreie...

Ich dachte eigentlich, daß ihr hier bessere Mikrofone hättet (Lachen). Wer kann da drüben nichts verstehen? Hebt bitte die Hände (sie heben die Hände). Wenn das nicht behoben werden kann, können wir euch einladen, nach vorne zu kommen oder euch irgendwo hinzusetzen, wo ihr hören könnt (Beifall).

Ich werde versuchen, noch näher an dieses kleine Mikrofon zu treten, oder?, aber laßt mich erst einmal beginnen, so wie es sich gehört.

Liebe Freundinnen und Freunde (Beifall),

Zuerst einmal wollte ich euch sagen, daß es heute, am 3. Februar, genau 40 Jahre und 10 Tage her ist, daß ich zu Besuch in dieser Universität war, wo wir uns heute zusammengefunden haben. Ich bin schon ein bißchen bewegt, wie ihr verstehen werdet, - zwar nicht so melodramatisch wie in einigen zeitgenössischen Romanen (Lachen) - angesichts der Tatsache, nach so vielen Jahren wieder zurückgekommen zu sein an diesen Ort, was ich mir damals niemals hätte vorstellen können.

Vor einigen Wochen, als wir in Santiago de Cuba am ersten Januar 1999 an den 40. Jahrestag des Sieges der Revolution erinnerten, dachte ich von dem gleichen Balkon des gleichen Gebäudes, von dem ich an jenem 1. Januar 1959 sprach, mit dem dort versammelten Publikum darüber nach, daß unser Volk von heute nicht das gleiche Volk von damals sei, da von den heute 11 Millionen Landsleuten 7.190.000 nach jenem Tag geboren wurden. Daß es sich um zwei verschiedene Völker handelte, es gleichzeitig aber das gleiche ewige Volk Kubas sei.

Ich erinnerte ebenso daran, daß diejenogen, die damals 50 Jahre alt waren, zum Großteil nicht mehr unter uns weilten, und daß die Kinder von damals heute älter als 40 seien.

Seht nur, wieviele Veränderungen stattgefunden haben, welche Unterschiede es heute gibt und wie wichtig es für uns war, daß dort ein Volk war, das eine tiefgreifende Revolution begann, als es praktisch aus lauter Analphabeten bestand, als 30% der Erwachsenen weder Lesen noch Schreiben konnten und als zusätzlich vielleicht 50% nicht das fünfte Schuljahr erreicht hatten. Vielleicht sogar noch weniger. Wir haben einmal nachgerechnet, daß bei einer damaligen Bevölkerung von 7 Millionen Einwohnern nicht mehr als 250.000 nach dem fünften Schuljahr weiter zur Schule gegangen sind - heute gibt es allein 600.000 Hochschulabgänger und insgesamt 300.000 Hochschuldozenten und Lehrer.

Ich sagte meinen Landsleuten in Ehrung eines Volkes, daß seinen ersten großen Sieg vor 40 Jahren trotz seines enormen Ausbildungsrückstandes erreicht hatte, daß dieses Volk in der Lage war, eine außergewöhnliche revolutionäre Heldentat zu vollbringen und zu verteidigen. Mehr noch: Es ist möglich, daß seine politische Kultur sogar noch hinter dem Ausbildungsniveau lag. Es war die Zeit eines erbitterten Antikommunismus, es waren die letzten Jahre der Mc Carthy-Ära, in der jener mächtige imperiale Nachbar auf jede nur erdenkliche Art und Weise versucht hatte, unserem edlen Volk alle möglichen Lügen und Vorurteile einzutrichtern, so daß ich oft, wenn ich einen normalen Bürger traf, eine Reihe von Fragen stellte: Ob er denke, daß wir eine Landreform durchführen sollten. Ob es nicht gerecht wäre, daß die Familien eines Tages Eigentümer ihrer Wohnungen wären, für die sie manchmal bis zur Hälfte ihres Einkommens an die großen Hausbesitzer bezahlten. Ob er es nicht für richtig erachte, daß all die Banken, auf die die Bürger ihr Geld eingezahlt hatten, anstelle privaten Institutionen zu gehören, Eigentum des Volkes sein sollten, um mit diesem Geld das Land zu entwickeln. Wenn jene Großfabriken, die zum Großteil in ausländischem Besitz waren - einige gehören auch kubanischen Firmen - dem Volk gehören würden und für das Wohl des Volkes produzieren würden. In dieser Art konnte ich zehn oder fünfzehn ähnliche Fragen stellen und er war jedesmal absolut einverstanden: "Ja, das wäre ausgezeichnet."

Also schließlich, wenn all die großen Warenhäuser und all die fetten Geschäfte, die allein ihre privilegierten Besitzer reicher machten, dem Volk gehören würden, um das Volk zu bereichern, wärst du damit einverstanden? "Ja, ja", antwortete er sofort. Er war hundertprozentig einverstanden mit jeder dieser kleinen Vorschläge. Dann fragte ich ihn plötzlich: Wärst du mit dem Sozialismus einverstanden? (Beifall) Antwort: "Sozialismus?" Nein, nein, nein, mit dem Sozialismus nicht." So tief saßen die Vorurteile... Ganz zu schweigen von Kommunismus, das noch ein viel furchteinflößenderes Wort war.

Die revolutionären Gesetze waren es, die am meisten dazu beigetragen haben, in unserem Land ein sozialistisches Bewußtsein zu schaffen. Und es war genau dieses anfangs aus Analphabeten und Halbanalphabeten bestehende Volk, das vielen seiner Söhne Lesen und Schreiben beibringen mußte, das aus reiner Liebe zur Freiheit und dem Drang nach Gerechtigkeit die Tyrannei besiegte und die tiefgreifendste gesellschaftliche Revolution in diesem Teil der Welt vollbrachte und verteidigte.

Knapp zwei Jahre nach dem Sieg schafften wir es 1961, rund eine Million Menschen mit der Unterstützung von jungen Studenten, die zu Lehrern wurden, zu alphabetisieren. Sie gingen auf das Land, in die Berge, in die entlegendsten Gebiete und unterrichteten dort Lesen und Schreiben - darunter sogar 80jährige. Anschließend gab es Folgekurse und es wurden die notwendigen Schritte eingeleitet und ununterbrochenene Anstrengungen unternommen, um das zu erreichen, was wir heute haben. Eine Revolution kann nur die Tochter von Kultur und von Idealen sein.

Kein Volk wird durch Gewalt revolutionär. Derjenige, der Ideale aussät, braucht das Volk nicht zu unterdrücken. Die Waffen in den Händen eben dieses Volkes sind dazu da, gegen diejenigen zu kämpfen, die von außen versuchen, ihm seine Errungenschaften zu entreißen.

Entschuldigt, daß ich über dieses Thema gesprochen habe, weil ich nicht hergekommen bin, um über den Sozialismus oder Kommunismus zu predigen - daß mich niemand falsch versteht -, ich bin auch nicht hergekommen, um radikale Gesetze vorzuschlagen oder ähnliche Dinge. Ich dachte lediglich über erlebte Erfahrungen nach, die uns gezeigt haben, wie wertvoll die Ideale waren, wie wertvoll der Glaube an den Menschen, wie wertvoll das Vertrauen in die Völker war, was außerordentliche wichtig ist in einer Epoche, in der die Menschheit sich einer so komplizierten und schwierigen Zeit gegenübersieht.

Natürlich war es am ersten Januar dieses Jahres in Santiago de Cuba nur mehr als gerecht, auf ganz besondere Weise anzuerkennen, daß jene Revolution, die 40 Jahre lang Widerstand geleistet hat, die es geschafft hatte, diesen Jahrestag zu erreichen, ohne ihre Fahne zu streichen, ohne zu kapitulieren, vor allem jenem dort versammelten Volk zu verdanken war - junge Menschen und reifere Männer und Frauen, die mit der Revolution aufgewachsen sind und in der Lage waren, diese Heldentat durchzuführen. Sie schrieben Seiten vollen edlen und verdienten Ruhms für unser Volk und unsere Brüder in Amerika.

Wir könnten sagen, daß diese Art Wunder, angesichts der mächtigsten Macht, dem größten Imperium, daß es jemals in der Menschheitsgeschichte gegeben hat, daß unser kleines Land eine so harte Probe bestanden und siegreich daraus hervorgegangen ist, dank der Anstrengung von drei Generationen erreicht wurde.

Besonders anerkannt haben wir in noch stärkerem Maße jene Landsleute, die in den letzten zehn Jahren, um es genau zu sagen in den letzten acht Jahren, in der Lage waren, der doppelten Blockade zu widerstehen, nachdem das sozialistische Lager in sich zusammenbrach, die UdSSR auseinanderbrach und jener Nachbar als einzige Weltmacht in einer unipolaren Welt ohne Rivalen auf politischer, wirtschaftlicher, militärischer, technologischer und kultureller Ebene übrigblieb. Ich nehme damit keine Bewertung der Kultur vor, ich bewerte lediglich die immense Macht, mit der sie ihre Kultur dem Rest der Welt aufdrücken wollen (Beifall).

Sie konnten unser vereintes und mit gerechten Idealen bewaffnetes Volk nicht besiegen. Ein Volk, das ein großes politisches Bewußtsein besitzt, denn diesem Aspekt schenken wir größte Wichtigkeit. Wir haben über die ganzen Jahre Widerstand geleistet und sind dazu bereit, die Zeit, die es weiterhin bedarf, Widerstand zu leisten (Beifall), und zwar aufgrund des Keims, der sich im Laufe dieser Jahrzehnte entwickelt hat, aufgrund der Ideale und des Bewußtseins, das sich in dieser Zeit entwickelt hat.

Das war unsere beste Waffe und unsere Hauptwaffe und sie wird es auch weiterhin sein - selbst im Atomzeitalter. Wo ich gerade bei dem Thema bin - sogar Erfahrungen in bezug mit Waffen dieser Art hatten wir, denn zu einem bestimmten Zeitpunkt waren ich weiß nicht wieviele Bomben und wieviele Atomraketen während der berühmten Kuba-Krise 1962 auf unsere kleine Insel gerichtet. Selbst in der Zeit von intelligenten Waffen, die sich trotzdem hin und wieder irren und ihr anvisiertes Ziel um 100 oder 200 Kilometer verfehlen (Lachen), wenn sie auch über eine gewisse Treffsicherheit verfügen, wird die Intelligenz des Menschen immer noch diesen intelligenten Waffen überlegen sein (Beifall und Ausrufe).

Die Art und Weise, einen Kampf zu führen, wird zu einer Frage von Konzepten. Das gilt für die Verteidigungsdoktrin unseres Landes, das sich heute noch stärker fühlt, weil es diese Konzepte perfektionieren mußte und weil wir zu der Überzeugung gelangt sind, daß letztlich der Kampf in der Endphase für die Invasoren ein Kampf Körper gegen Körper, Mann gegen Mann und Frau gegen Invasor oder Mann gegen Frau sein wird (längerer Beifall).

Einen Kampf, der noch schwieriger zu führen ist, hat man beginnen müssen und wird ihn auch in der Zukunft weiterführen gegen dieses überaus starke Imperium. Ich rede von dem ideologischen Kampf, der pausenlos geführt wird und den sie nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Lagers, als wir uns entschieden, fest überzeugt von unseren Idealen, weiter unseren Weg zu gehen, immer stärker vorantreiben mit all den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln. Mehr noch, wir mußten diesen Weg alleine weitergehen. Wenn ich alleine sage denke ich an staatliche Stellen, ohne dabei die immense und unbeirrbare solidarische Unterstützung der Völker zu vergessen, die uns seit jeher begleitet haben, weswegen wir umso stärker in ihrer Pflicht stehen, zu kämpfen (Beifall).

Wir haben ehrenhafte internationalistische Missionen erfüllt. Mehr als 500.000 unserer Landsleute haben an harten und schwierigen Missionen dieses Charakters teilgenommen - Söhne jenes Volkes, das weder Lesen noch Schreiben konnte, und das diesen hohen Bewußtseinsgrad erreichte, der es in die Lage versetzte, Schweiß und sogar sein eigenes Blut für andere Völker zu vergießen. In zwei Worten gesagt - für jedes Volk der Erde (Beifall).

Ab Beginn der Spezialperiode haben wir dann gesagt: "Unsere erste internationalistische Pflicht ist es in diesem Augenblick, diesen Schützengraben hier zu verteidigen", den Schützengraben, von dem Martí sprach in den letzten Worten, die er am Vorabend seines Todestages schrieb, als er sagte, daß das Hauptziel seines Kampfes im Stillen zu liegen habe, weil Martí nicht nur sehr martianisch war, sondern weil er noch mehr bolivarianisch war als martianisch (Beifall), und dieses Ziel, das er sich gesetzt hatte, war nach seinen eigenen Worten, "rechtzeitig mit der Unabhängigkeit Kubas zu verhindern, daß sich die Vereinigten Staaten über die Antillen ausbreiteten und so mit noch mehr Wucht über unsere amerikanischen Bruderländer fallen. All das, was ich bis heute getan habe und weiterhin tun werde, dient diesem Ziel" (Beifall).

Es war sein politisches Vermächtnis, das er uns in seinem Lebensziel zum Ausdruck bringt: den Fall jenes ersten Schützengrabens zu vermeiden, den die Nachbarn aus dem Norden schon so oft einnehmen wollten und der immer da steht und dastehen wird mit einem Volk, das bereit ist, bis zum Tod zu kämpfen, um zu verhindern, daß dieser Schützengraben Amerikas fällt (Beifall). Ein Volk, das in der Lage wäre, sogar diesen letzten Schützengraben zu verteidigen, weil derjenige, der den letzten Schützengraben verteidigt und es nicht zuläßt, daß er in die Hände von irgendeinem anderen fällt, bereits von diesem Augenblick an begonnen hat, den Sieg davonzutragen (Beifall).

Genossinnen und Genossen - erlaubt mir, daß ich euch so nenne -, weil wir das hier und jetzt sind, und ich denke, daß wir auch hier und jetzt dabei sind, einen Schützengraben zu verteidigen (Beifall), und zwar ideologische Schützengräben - entschuldigt, daß ich einmal mehr auf Martí verweise, der sagte, daß sie mehr wert seien als die Schützengräben aus Stein (Beifall).

Wir haben hier von Idealen zu sprechen, und ich komme damit zurück auf das, was ich vorhin ansprach, nämlich daß in diesen 40 Jahren viele Dinge geschehen sind. Das Wichtigste aber ist, daß diese Welt sich verändert hat. Diese Welt von heute, in der ich zu euch spreche, da ihr an jenem Tag noch gar nicht geboren wart und viele noch lange nicht geboren werden sollten, hat überhaupt nichts mehr mit der Welt von damals zu tun.

Ich habe versucht, eine Zeitung aufzutreiben, um zu sehen, ob es dort eine Notiz jener Veranstaltung in der Universität gegeben hat. Glücklicherweise haben wir über die gesamte Rede auf der Plaza del Silencio gesprochen. Mit jenem revolutionären Fieber, mit dem wir einige Tage zuvor aus den Bergen kamen, sprachen wir von den Befreiungsprozessen in Lateinamerika und legten das Hauptmerkmal dabei auf die Befreiung des Volkes der Dominikanischen Republik aus den Klauen Trujillos. Ich glaube, daß jenes Thema fast die gesamte Zeit in Anspruch nahm oder wenigstens einen Teil der Zeit dieses Treffens, wobei es auf allen Seiten eine enorme Begeisterung gab.

Heute könnte man hier nicht von so einem Thema sprechen. Heute nämlich gilt es nicht, ein Volk zu befreien, es gilt nicht ein Volk zu retten, heute geht es darum, eine Welt und eine Menschheit zu befreien und zu retten (Beifall), und das ist nicht unsere Aufgabe, das ist eure Aufgabe (Beifall).

Damals gab es keine unipolare Welt, also eine einzige hegemonische Supermacht. Heute wird die Welt und die Menschheit von einer enormen Supermacht beherrscht und trotzdem sind wir davon überzeugt, den Kampf zu gewinnen (Beifall), und das ohne jeden panglossianischen Optimismus - ich glaube, das ist ein Wort, das Schriftsteller manchmal benutzen (Lachen) -, sondern weil man sicher sein kann, daß wenn man dieses Büchlein hier (zeigt das Büchlein) losläßt, daß es dann in Sekundenbruchteilen runterfällt, daß wenn es nicht diesen Tisch geben würde, das Büchlein auf dem Boden liegen würde. Dieser Tisch, auf dem es liegt, diese mächtige Supermacht, die die unipolare Welt bestimmt, ist objektiv gesehen im Verschwinden begriffen (Beifall).

Es gibt objektive Gründe dafür und ich bin sicher, daß die Menschheit ihren unverzichtbaren subjektiven Teil dazu beitragen wird. Dazu bedarf es keiner Atomwaffen oder großer Kriege - was man dazu braucht sind Ideale (Beifall). Das sage ich im Namen dieses kleinen Landes, über das wir vorhin sprachen und das den Kampf standhaft und unbeirrbar während 40 Jahren geführt hat.

Ihr habt mich, was mich in Verlegenheit gebracht hat, mit dem Namen genannt, unter dem ich bekannt bin - ich meine meinen Vornamen Fidel, weil ich tatsächlich keinen anderen Titel innehabe. Ich verstehe ja, daß das Protokoll dazu anhält, Seine Exzellenz, Herr Präasident und noch andere solche Dinge zu verwenden (Beifall und "Fidel, Fidel!"-Rufe) - und als ich hörte, wie ihr jenes "Fidel, Fidel, was hat Fidel, daß die Amerikaner nicht mit ihm klarkommen?" (Rufe: "Fidel, Fidel, was hat Fidel, daß die Amerikaner nicht mit ihm klarkommen?"), fiel es mir ein, und ich wendete mich an meinen rechten Nachbarn, d.h. der Nachbar, der geografisch gesehen rechts neben mir saß, oder? (Lachen und Ausrufe) - einige dort machen Zeichen, die ich nicht verstehe, aber ich sagte ja, daß wir uns hier alle in der gleichen Kampfeinheit befinden (Beifall) - und so kam es mir in den Sinn, ihm zu sagen: "Verdammt nochmal, die Frage, die man sich eigentlich stellen müßte, lautet: Was haben die Amerikaner, daß sie nicht mit ihm klarkommen? (Lachen und Beifall), und wenn man statt "ihm" sagt: Was haben die Amerikaner, daß sie nicht mit Kuba klarkommen?, wäre das gerechter (Beifall). Ich weiß, daß man Wörter benutzen muß, um Ideen zu symbolisieren. In diesem Sinne habe ich das immer verstanden. Ich kann mir das niemals alleine zuschreiben, noch kann ich mir solche Verdienste zuschreiben (Rufe: "Es lebe Fidel").

Ja, wir alle haben die Hoffnung, unser Leben zu leben - wir alle - (Beifall) nach den Idealen, für die wir kämpfen und in der Überzeugung, daß diejenigen, die nach uns kommen, in der Lage sind, sie zu vollenden, wenn auch - was man nicht verschweigen darf - die Aufgabe, die auf euch zukommt, schwieriger ist als diejenige, die wir hatten.

Ich sagte euch, daß wir in einer sehr veränderten Welt leben. Unsere erste Pflicht ist, das zu begreifen. Ich habe ja bereits einige bestimmte politische Eigenschaften erläutert. Außerdem aber handelt es sich um eine globalisierte Welt - eine wirklich globalisierte Welt. Eine Welt, die dominiert wird von der Ideologie, den Vorschriften und den Prinzipien einer neoliberalen Globalisierung.

Die Globalisierung ist unserer Meinung nach nicht einfach eine Laune von irgendjemandem, sie ist nicht einmal von irgendjemandem erfunden worden. Die Globalisierung ist eine historische Gestzmäßigkeit und die Folge der Entwicklung der Produktivkräfte - und entschuldigt mich, daß ich diesen Satz verwende, der einige vielleicht immer noch wegen seines Autors erschreckt -, sie ist Folge der Entwicklung der Wissenschaften und der Technik und hat ein solches Ausmaß angenommen, das sich selbst der Verfasser dieses Satzes, Karl Marx (Beifall), der großes Vertrauen in die menschlichen Fähigkeiten hatte, nicht hätte ausmalen können.

Es gibt einige andere Dinge, die mich an die Grundideen jenes großen Denkers erinnern. Es kommt einem nämlich die Idee, daß das, was er sogar als Ideal für die menschliche Gesellschaft angesehen hat, und was immer deutlicher wird, nur in einer globalisierten Welt zu verwirklichen ist. Nicht eine Sekunde lang dachte er, daß man auf dem so kleinen Inselchen Kuba versuchen könnte, eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen oder den Aufbau des Sozialismus zu wagen, umso weniger noch in Anbetracht der Nachbarschaft des so mächtigen kapitalistischen Nachbarn.

Nun gut, ja, wir haben es versucht - mehr noch, wir haben es getan und wir haben es verteidigen können. Und wir haben auch 40 Jahre Blockade, Drohungen, Aggressionen und Leiden kennengelernt.

Heute, wo wir alleine dastehen, setzten die Vereinigten Staaten all ihre Propaganda, alle Massenmedien, die sie auf der Welt kontrollieren, in ihrem politischen und ideologischen Krieg gegen unseren revolutionären Prozeß ein und richten auf die gleiche Weise ihre immense Macht auf allen Gebieten, vor allem im Wirtschaftsbereich, sowie ihren weltweiten politischen Einfluß in ihrem Wirtschaftskrieg gegen Kuba ein.

Man redet von Blockade, aber Blockade sagt gar nichts. Wenn wir doch nur eine Wirtschaftsblockade hätten: was unser Land nämlich in all dieser langen Zeit hat ertragen müssen, ist ein wahrer Wirtschaftskrieg. Soll ich das zeigen? Geht nur einmal irgendwo auf der Welt zu einer Fabrik, die einem US-Amerikaner gehört, um ein Mütze oder ein Halstuch zu kaufen, das ihr nach Kuba exportieren wollt. Selbst wenn es dort die Bürger des betreffenden Landes herstellen und das Rohmaterial aus dem Land selbst stammt, verbietet die Regierung der Vereinigten Staaten in tausenden von Meilen Entfernung, die Mütze zu verkaufen oder das Halstuch zu verkaufen. Ist das Blockade oder ist das Wirtschaftskrieg?

Wollt ihr noch ein zusätzliches Beispiel?: Wenn zufällig jemand von euch in der Lotterie gewinnen sollte - ich weiß nicht ob es hier eine Lotterie gibt - oder einen Schatz findet - das ist ja durchaus möglich - und nun entscheidet, eine kleine Fabrik in Kuba zu bauen, hat er mit Sicherheit sehr schnell Besuch eines bedeutenden Beamten der US-Botschaft oder sogar des US-Botschafters selbst, der ihn versuchen wird zu überreden, ihn drängen wird oder ihn mit Repressalien bedrohen wird, damit er diesen kleinen Schatz nicht in eine kleine Fabrik in Kuba investiert. Ist das Blockade oder Wirtschaftskrieg?

Ebensowenig erlauben sie es, daß man Kuba Medikamente verkauft, selbst wenn dieses Medikament unverzichtbar ist, um ein Leben zu retten. Die Beispiele, die wir in diesem Sinne nennen können, sind nicht gerade wenige.

Wir haben diesen Krieg überlebt und wie in jedem Krieg, egal ob militärisch, politisch oder ideologisch, gibt es Verluste. Es gibt einige, die vielleicht verwirrt sind und es auch sind, oder weich geworden oder schwach geworden sind angesichts der verschiedenartigen wirtschaftlichen Engpässe, der materiellen Entbehrungen, der Zurschaustellung des Luxus der Konsumgesellschaften und der verfaulten, aber zuckersüß dargebrachten, Vorstellungen von den fabelhaften Vorteilen ihres Wirtschaftssystems, ausgehend von dem armseligen Standpunkt, daß der Mensch ein Tierchen sei, das sich nur dann in Bewegung setzt, wenn man ihm eine Möhre vor die Nase hält oder ihn mit der Peitsche antreibt. Wir könnten sagen, daß sie ihre gesamte ideologische Strategie auf diese Grundlage stellen.

Es gibt Verluste, aber wie in allen Kriegen und in allen Kämpfen wird in anderen Menschen die Erfahrung weiterentwickelt, werden die Kämpfer zu Veteranen, vermehren sie ihre Qualitäten und erlauben es dadurch, die Moral und die notwendige Kraft für den weiteren Kampf aurechtzuerhalten und zu erhöhen.

Wir sind dabei, den Kampf der Ideale zu gewinnen (Beifall). Trotzdem ist unsere kleine Insel nicht das einzige Schlachtfeld, wenn man auch auf der kleinen Insel kämpfen muß. Das Schlachtfeld ist heute die gesamte Welt, überall, auf allen Kontinenten, in allen Institutionen, auf allen Bühnen. Das ist das Gute des globalisierten Kampfes (Lachen und Beifall). Man muß die kleine Insel verteidigen und gleichzeitig an allen Ecken und Enden dieser immensen Welt kämpfen, die sie fast vollständig beherrschen oder beherrschen möchten. Auf vielen Gebieten beherrschen sie sie fast vollständig, aber nicht auf allen Gebieten, auch nicht überall im gleichen Maße, noch in absolut allen Ländern.

Sie haben sehr intelligente Waffen entdeckt, aber wir Revolutionäre haben eine Waffe entdeckt, eine viel mächtigere Waffe! - daß der Mensch denkt und fühlt (Beifall). Das lehrt uns die Welt, das lehren uns die unzählbaren internationalistischen Missionen, die wir hier und da auf der Welt erfüllt haben.

Dazu nur eine Zahl: 26.000 kubanische Ärzte haben an diesen Missionen teilgenommen, wobei das Land 3.000 von den 6.000 Ärzten verlassen hatten, die Kuba nach dem Sieg der Revolution hatte, von denen viele arbeitslos waren, aber immer schon den Wunsch hatten, auszuwandern, um soundsoviel Gehalt und soundsoviele Einnahmen zu erreichen. Die 3.000 , die uns verlassen hatten, konnte die Revolution vervielfachen, und allmählich Ärzte und immer mehr Ärzte ausbilden, die zunächst mit dem ersten oder zweiten Schuljahr in den Schulen begannen, die sofort überall im Land errichtet wurden. Ihre Opferbereitschaft und ihre Solidarität ist so groß, daß 26.000 von ihnen internationalistische Missionen erfüllt haben (Beifall), genauso wie, worauf ich bereits hingewiesen habe, Hunderttausende von Landsleuten als Techniker, Lehrer, Bauarbeiter und Kämpfer gearbeitet haben. Ja, Kämpfer, und das sagen wir mit Stolz (Beifall), weil der Kampf gegen die Soldaten des Faschismus und des Rassismus der Apartheid und sogar der Beitrag zum Sieg der Völker Afrikas, die in diesem System ihre größte Schande sahen, stets ein Grund zum Stolz sein wird (Beifall).

Aber durch diese Anstrengung, die gar nicht wahrgenommen wurde, ja ignoriert wurde, haben wir viel von den Völkern gelernt. Wir haben gelernt, die Völker und ihre außergewöhnlichen Eigenschaften kennzulernen und u.a. haben wir nicht nur durch abstrakte Ideen, sondern durch das praktische und alltägliche Leben gelernt, daß wir Menschen nicht alle in unseren äußeren Merkmalen gleich sind, daß wir Menschen aber alle gleich sind in bezug auf Talent, Gefühle und in bezug auf alle anderen Tugenden, die notwendig sind, um zu zeigen, daß wir in puncto moralische, gesellschaftliche, intellektuelle und menschliche Fähigkeit alle genetisch gleich sind (Beifall).

Das genau war der Fehler von vielen, die dachten, eine überlegene Rasse zu sein. Wie ich euch sagte, hat das Leben uns viele Dinge gelehrt, und das ist es, was unseren Glauben an die Völker nährt, unseren Glauben an die Menschen. Das haben wir nicht in einem kleinen Buch nachgelesen - wir haben es selbst erlebt, wir haben das Privileg gehabt, es zu erleben (Beifall).

Ich bin etwas bei diesen ersten Ideen ausgeschweift wegen der Broschüre, die mir abhanden gekommen ist und wegen der Probleme mit dem Mikrofon (Lachen), deswegen werde ich mich bei anderen Themen kürzer fassen müssen.

Ja, es ist meine Pflicht, mich kürzer zu fassen, u.a. aus persönlichem Interesse: nachher muß ich nämlich noch einmal das durchgehen, was ich hier gesagt habe (Lachen), schauen, ob ein Komma fehlte, ein Punkt, ob eine Zahl falsch war. Und ich sage euch, daß ich für jede Stunde einer leicht erscheinenden Rede, die ich halte, zwei oder drei Stunden für die Durchsicht brauche. Es könnte ein Wort fehlen. Niemals lasse ich eine Idee aus, die ich zum Ausdruck gebracht habe, manchmal aber muß ich sie zuende führen oder sie erläutern, weil gesprochene und geschriebene Sprache nicht das gleiche ist. Wenn ich auf meinen Nachbarn zeige, dann versteht das der Zeitungsleser nicht, der das nachliest (Lachen) oder er wird das kaum verstehen. Der geschriebenen Sprache stehen nur Ausrufezeichen und die Anführungszeichen zur Verfügung. Weder der Tonfall, noch die Bewegung der Hände oder das Gefühl, das man zum Ausdruck bringt, können schriftlich vermittelt werden.

Ich mußte diesen Unterschied erst entdecken. Jetzt achten wir sehr auf die schriftliche Fassung der Dinge und überprüfen sie anschließend, weil die Themen, die wir behandeln von Bedeutung und objektiv gesehen wichtig sind und außerdem, weil man auf eine unendliche Zahl von Dingen aufpassen muß, die ihr euch gar nicht vorstellen könnt.

Als ich an den Festakt dachte, an dem ich zusammen mit euch um 5 Uhr nachmittags teilnehmen würde, fragte ich mich: Worüber rede ich zu den Studenten? (Beifall) Bis auf einige Ausnahmen, kann ich keine Namen nennen. Ich kann kaum Länder nennen, denn manchmal ist es so, daß wenn ich auf etwas mit der besten Absicht der Welt hinweise, um eine Idee zu veranschaulichen, laufe ich Gefahr, daß man unmittelbar das, was ich gesagt habe, aus dem Zusammenhang löst, das auf der Welt verkündet und uns damit eine Menge diplomatische Probleme schafft (Beifall). Und weil wir vereint in diesem globalen Kampf arbeiten müssen, kann man es dem Feind und seinen gut ausgearbeiteten und wirksamen Propagandamechanismen nicht noch erleichtern, ständig Verwirrung und Desinformation hervorzurufen, da die, die sie bereits verursacht haben, schon sehr groß ist, wenn auch nicht ausreichend, versteht ihr? Nicht ausreichend (Lachen). Aus diesen Gründen muß man sich sehr beschränken, weswegen ich euch um Nachsicht bitte.

Ich muß hier nicht erst groß erklären, was Neoliberalismus ist. Wie kann ich ihn kurz beschreiben? Nun gut, ich würde zum Beispiel sagen: Die neoliberale Globalisierung will alle Länder, vor allem alle unsere Länder, zu Privateigentum machen.

Was werden sie uns von all ihren enormen Finanzmitteln dalassen? Sie haben ja nicht nur immense Reichtümer durch die Plünderung und Ausbeutung der Welt angehäuft, sondern sogar dadurch, indem sie das Wunder vollbracht haben, das die Alchimisten des Mittelalters anstrebten, nämlich Papier in Gold zu verwandeln. Gleichzeitig waren sie in der Lage, Gold zu Papier zu machen (Lachen). Danmit kaufen sie alles - alles bis auf die Seelen, bis auf - um es korrekter auszudrücken - die überwiegende Mehrheit der Seelen. Sie kaufen Naturressourcen, Fabriken, ganze Kommunikationssysteme, Dienstleistungen, etcetera, etcetera, etcetera. Sogar Land kaufen sie rings um die Welt, weil sie denken, daß der Grund und Boden, der billiger ist als in ihren eigenen Ländern, eine gute Investition in die Zukunft sei.

Ich frage mich: Was wollen sie für uns übriglassen, nachdem sie uns praktisch zu Bürger zweiter Klasse - es wäre wohl besser von Parias zu sprechen - in unseren eigenen Ländern gemacht haben? Sie wollen die Welt zu einer riesigen Freihandelszone machen - vielleicht versteht man das dadurch noch besser -, weil: Was ist eine Freihandelszone? Ein Ort mit besonderen Merkmalen, an dem keine Steuern entrichtet werden, zu dem Rohstoffe geliefert werden, Einzelteile, Bauteile, die dort zusammengebaut werden oder wo verschiedenartige Waren produziert werden - vor allem in jenen Bereichen, für die man besonders viele billige Arbeitskräfte braucht, für die sie oft nicht mehr als 5% des Gehalts zahlen, das sie in ihren Ländern zahlen und das einzige, was sie uns hinterlassen, sind diese erbärmlichen Löhne.

Trauriger noch: Ich habe gesehen, wie sie viele von unseren Ländern dazu gebracht haben, gegeneinander zu konkurrieren, um zu sehen, welche Länder ihnen die besseren Bedingungen und mehr Steuerbefreiungen für Kapitalanlagen bieten. Sie haben die Länder der Dritten Welt dazu gebracht, um Investitionen und Freihandelszonen zu konkurrieren.

Es gibt Länder - die ich kenne - die eine große Armut und Arbeitslosenrate aufwiesen und deshalb gezwungen waren, Dutzende von Freihandelszonen zu errichten, was innerhalb der bestehenden Weltordnung die vorzuziehende Lösung war, anstatt nicht einmal die Fabriken der Freihandelszonen zu haben, die Arbeitsplätze zu bestimmten Lohnsätzen schaffen, wenn sie auch nur 7%, 6%, 5% oder weniger des Lohnsatzes ausmachen, den die Eigentümer dieser Fabriken in ihrer Heimatländern zahlen müßten.

Das haben wir vor der Welthandelsorganisation in Genf vor einigen Monaten geschildert. Sie wollen uns in eine riesige Freihandelszone verwandeln, genau dazu wollen sie uns machen. Mit ihrem Geld und ihrer Technologie werden sie allmählich alles aufkaufen. Wir werden ja sehen, wieviele Fluglinien noch in nationaler Hand bleiben werden, wieviele Seefrachtlinien, wieviele Dienstleistungen in der Hand des Volkes oder der Nation verbleiben.

Das ist die Zukunft, die uns die neoliberale Globalisierung verspricht, glaubt nicht, daß das nur für die Arbeiter gilt. Sogar auch die nationalen Unternehmer, die klein- und mittelständischen Betriebe, die mit der Technologie der transnationalen Unternehmen zu konkurrieren haben werden, mit ihren hochentwickelten Geräten, ihren weltweiten Vertriebsnetzen. Sie werden neue Märkte erschließen müssen, ganz zu schweigen von den üppigen Handelskrediten, die ihre mächtigen Konkurrenten bekommen, um ihre Produkte abzusetzen.

Wir können in Kuba über eine großartige Fabrik verfügen, sagen wir eine Kühlschrankfabrik. Wir haben eine, aber sie ist nicht großartig und weit davon entfernt, die modernste der Welt zu sein. Es geht in Anbetracht der zunehmenden Erwärmung in den Tropen natürlich sehr gut dort mit der Fabrik. Nehmen wir nun einmal an, daß Länder der Dritten Welt Kühlschränke akzeptabler Qualität und sogar zu niedrigeren Preisen herstellen. Ihre mächtigen Konkurrenten erneuern ständig das Design, investieren unglaubliche Summen in der Anhebung ihres Markenprestiges, sie produzieren in vielen Freihandelszonen zu niedrigen Lohnkosten oder sonstwo, sind von Steuerzahlungen befreit, verfügen über ein üppiges Kapital oder Finanzmechanismen zur Einräumung von Krediten, die sich innerhalb von einem, zwei, drei oder wievielen Jahren auch immer amortisieren. Märkte, die gesättigt sind mit Haushaltsgeräten, die wiederum die Frucht sind von Anarchie und Chaos bei der weltweiten Verteilung des Investitionskapitals unter der verallgemeinerten Losung des Wachstums und der Entwicklung auf Grundlage von Exporten, so wie es der Internationale Währungsfonds rät. Welcher Spielraum bleibt dabei für die nationalen Industrien, für wen und wie werden sie exportieren, wo sind die potentiellen Verbraucher unter den Milliarden von Armen, Hungernden und Arbeitslosen, die einen großen Teil unseres Planeten bewohnen? Soll man etwa darauf hoffen, daß sich alle einen Kühlschrank leisten können und einen Fernseher, ein Telefon, eine Klimaanlage, ein Auto, Elektrizität, Treibstoff, einen Computer, ein Haus, eine Garage, eine Arbeitslosenversicherung, Aktien an der Börse und eine abgesicherte Rente? Ist das der Entwicklungsweg, wie sie es uns Millionen Male über alle zur Verfügung stehenden Medien versichern? Was wird vom Binnenmarkt übrigbleiben, wenn ihm ein beschleunigter Abbau der Zolltarife verordnet wird, die für viele Länder der Dritten Welt darüberhinaus eine wichtige Einnahmequelle für den Staatshaushalt darstellen?

Die Theoretiker des Neoliberalismus haben zum Beispiel nicht das große Problem der Arbeitslosigkeit in der überwiegenden Mehrzahl der reichen Länder lösen können, ganz zu schweigen von den Länder, die sich in ihrer Entwicklung befinden, und mit einem so absurden Konzept werden sie es auch niemals lösen können. Es ist ein gewaltiger Widerspruch des Systems, das umso mehr Menschen auf die Straße setzt, desto mehr investiert und technisiert wird. Produktivität der Arbeit, hochgzüchtetste Geräte, die dem menschlichen Geist entspringen und die materiellen Reichtümer mehren, gleichzeitig aber auch die Armut und Entlassungen verursachen - welchen Nutzen haben sie für die Menschheit? Vielleicht den, das sie Arbeitszeit verkürzen, um über mehr Freizeit zu verfügen zur Entspannung, Sport, kulturelle und wissenschaftliche Weiterbildung? Unmöglich, die hochheiligen Gesetze des Marktes und die immer mehr imaginären als realen Prinzipien der Konkurrenz in einer transnationalisierten und megafusionierten Welt erlauben das immer weniger und unter keinen Umständen. Wer ist es denn eigentlich, der miteinander wo konkurriert? Riesen gegen Riesen, die auf Fusion und Monopol zusteuern. Für die anderen angenommenen Akteure in diesem Wettbewerb gibt es auf der Welt keinen Platz.

Für die reichen Länder die Spitzentechnologie; für die Arbeiter der Dritten Welt das Zusammennähen von Jeans, T-Shirts, Kleidung, Schuhen, das Aussäen von Blumen, exotischen Früchten und anderen Produkten steigender Nachfrage in den Industriestaaten, weil sie sie selbst dort nicht anbauen können, obwohl wir wissen, daß sie in den Vereinigten Staaten z.B. sogar Marihuana in Treibhäusern (Lachen und Beifall) oder im Innenhof ihrer Häuser anbauen, und daß der Wert des Marihuana, das sie herstellen, über dem Wert ihrer gesamten Maisproduktion liegt - dabei sind sie der größte Maisproduzent der Welt (Lachen). Letztlich sind ihre Labors die größten Rauschmittelproduzenten des Planeten oder sind auf dem Weg dazu, was jetzt noch getarnt wird als Produktion von Beruhigungsmitteln, Antidepressiva und anderen Tabletten und Produkten, von denen die Jugendlichen gelernt haben, sie auf sehr unterschiedliche Art und Weise zu kombinieren und zu mischen.

Wie werden in der glücklichen entwickelten Welt die harten Arbeiten in der Landwirtschaft, wie etwa die Tomatenernte, gelöst, für die man noch keine perfekte Maschine entwickelt hat - einen Roboter, der loszieht und die Tomaten je nach Reifegrad, Größe und anderen Eigenschaften pflückt? Wer wird die Straßen säubern und andere unliebsame Arbeiten ausführen, die in den Konsumgesellschaften niemand übernehmen möchte? Ah ha, dafür sind dann die Zuwanderer aus der Dritten Welt gut. Sie erledigen diese Art von Arbeit nicht. Und wir, die wir Ausländer innerhalb unserer eigenen Grenzen sein werden, können, wie ich bereits erwähnte, Hosen zusammennähen und ähnliche Tätigkeiten verrichten. Kraft ihrer "wunderbaren" Wirtschaftsgesetze aber veranlassen sie uns dazu, soviele Hosen zu produzieren, als ob es auf der Welt bereits 40 Milliarden Einwohner gäbe und jeder von ihnen das nötige Geld hätte, um sich so eine Jeans zu kaufen. Ich will nicht die Jeans kritisieren, sie steht den Jugendlichen sehr gut - vor allem den weiblichen Jugendlichen (Lachen und Beifall). Nein, ich will das Kleidungstück als solches nicht kritisieren, ich kritisiere die Arbeit, die sie für uns übrig lassen wollen, die absolut nichts mit Spitzentechnologie zu tun hat. Daher werden unsere Universitäten überflüssig sein oder sie werden lediglich dazu dienen, um zu niedrigen Kosten technisches Personal für die entwickelte Welt zu produzieren.

Ihr habt in den letzten Tagen sicherlich in der Presse gelesen, daß die Vereinigten Staaten im Hinblick auf die Nachfrage ihrer Computerindustrie, ihrer elektronischen Industrie, etcetera, etcetera, sich vorgenommen haben, auf dem internationalen Markt, sagen wir besser in der Dritten Welt, 200.000 hochqualifizierte Arbeiter für ihre Spitzenindustrien anzuwerben und Visa zu erteilen. Paßt also gut auf, denn sie suchen fähige Leute (Lachen), und diesmal nicht um Tomaten zu ernten. Weil sie selbst nicht allzu sehr gebildet sind, was viele unter Beweis stellen, die Brasilien mit Bolivien oder Bolivien mit Brasilien verwechseln (Lachen und Beifall), oder wenn sich in Umfragen herausstellt, daß sie nicht einmal viele Dinge über die USA selbst wissen oder nicht einmal wissen, ob ein lateinamerikanisches Land, von dem sie gehört haben, sich in Afrika oder in Europa befindet - und dabei übertreibe ich nicht (Lachen und Beifall). Sie haben nicht genug Spitzenleute oder hochqualifizierte Arbeiter für ihre Spitzenindustrien und kommen daher in unsere Welt, um einige Arbeiter zu rekrutieren, die dann für immer verloren sind.

Wo befinden sich nämlich die besten Wissenschaftler unserer Länder? In welchen Labors? Welches Land von uns besitzt genügend Labors für alle Wissenschaftler, die es ausbilden könnte? Wieviel können wir diesem Wissenschaftler zahlen und wieviel können sie ihm zahlen?

Wo sind sie? Ich kenne viele berühmte Lateinamerikaner, die dort sind. Wer hat sie ausgebildet? Ah ha, Venezuela, Guatemala, Brasilien, Argentinien, irgendein Land Lateinamerikas. In ihrer eigenen Heimat aber haben sie keine Chance. Die Industriestaaten besitzen das Monopol über Labors, Geld, und so nehmen sie sie unter Vertrag und entreißen sie den armen Nationen. Aber das gilt nicht nur für Wissenschaftler, sondern auch für Sportler. Nein, sie würden unsere Baseballspieler gerne kaufen, so wie man früher Sklaven auf diesen Holztribünen, was weiß ich wie die heißen, (Lachen und Beifall) versteigert hat.

Sie sind perfide, weil es immer eine Seele gibt, die man verführen kann - so wie es schon in der Bibel heißt von den ersten Menschen, von denen man annehmen konnte, daß sie die besten sein sollten, nicht wahr? Denn sie sollten eigentlich nicht soviel Bösartigkeit besitzen oder die Konsumgesellschaften kennen. Es gab auch noch keinen Dollar (Lachen). Plötzlich zahlen sie einem Athleten, der nicht aus der besten Kategorie stammt, mehrere Millionen - vier, fünf oder sechs Millionen. Sie veranstalten eine riesige Werbung für ihn und weil es scheint, als seien die Spieler der Großen Ligen ziemlich schlecht, erzielen sie einige Erfolge. Es liegt nicht im entferntesten in meiner Absicht, US-amerikanische Profisportler zu beleidigen - sie sind Menschen, die hart arbeiten und sehr gut bezahlt werden. Waren, die ebenfalls auf dem Markt an- und verkauft werden, wenn auch zu einem hohen Preis. Sie müssen aber wohl einige Schwächen beim Training zeigen, weil sie einige kubanische Pitcher ins Land schmuggeln, die z.B. erster, zweiter oder dritter Kategorie sein können, oder einen shortstop, einen Third Base. Sie kommen ins Land und der Pitcher trickst die besten einheimischen Spieler aus und der shortstop läßt keinen Ball durchgehen (Beifall und Ausrufe).

Wir könnten fast reich werden, wenn wir eine Auktion von kubanischen Baseballspielern veranstalten würden (Lachen und Beifall). Sie wollen nicht länger für die US-amerikanischen Baseballspieler zahlen, weil sie sehr teuer kommen. Sie haben in unseren Ländern Akademien aufgebaut, um sie kostengünstig auszubilden und sie mit weniger Lohn abfinden zu können, wenn wir hier auch noch von einem Jahresgehalt in Millionenhöhe sprechen. Dazu kommt noch das ganze Werbefernsehen, Autos, die so lang sind wie von hier bis dort (er zeigt mit den Händen), bildhübsche Frauen aller Ethnien, die mit der Autowerbung verbunden werden (Lachen), und der Rest der Werbung, die ihr in einigen Klatschzeitschriften und Konsumzeitschriften sehen könnt, können mehr als einen unserer Landsleute in Versuchung führen.

In Kuba stecken wir weder Geld noch andere Mittel in solche Werbefrivolitäten. Die wenigen Male, die ich notwendigerweise das US-Fernsehen anschaue, kann ich es kaum ertragen, weil alle drei Minuten eine Unterbrechung kommt, um eine Werbung einzuschieben und z.B. einen Mann darzustellen, der auf einem Radtrainer trainiert, was so ziemlich das langweiligste ist, was es auf der Welt gibt (Beifall und Ausrufe). Ich sage ja nicht, daß es etwas schlechtes sei, ich meine nur, daß es langweilig ist. Jedes Programm, sogar die melodramatischen Fernsehserien werden an den entscheidensten Liebesszenen unterbrochen (Lachen).

Nach Kuba kommen einige Fernsehserien aus dem Ausland, ich will das gar nicht leugnen, weil wir nicht in der Lage gewesen sind, die notwendige Anzahl selbst zu produzieren. Einige der Serien, die in Lateinamerika hergestellt werden, verführen so sehr unsere Zuschauer, daß sie sogar die Arbeit stehen und liegen lassen. Aus Lateinamerika bekommen wir manchmal auch gutes filmisches Material, aber fast alles, was es auf der Welt gibt, ist reine Yankee-Produktion, Einheitskultur.

In unserem Land wird das wenige Papier, das wir haben, für Schulbücher und unsere wenigen, wenige Seiten starken Zeitungen verwendet. Wir können keine Mittel dafür aufwenden, diese Zeitschriften aus weichem, speziellem Papier - ich weiß nicht, wie man es nennt - herzustellen, die viele Illustrationen haben und die von den Bettlern in den Straßen unserer Hauptstädte gelesen werden, in denen ihnen dieses luxuriöse Automobil samt weiblicher Begleitung oder sogar eine Yacht oder ähnliche Dinge - oder? - (Lachen) angepriesen werden. So werden die Leute allmählich vergiftet von dieser Werbung, so daß sogar die Bettler auf brutale Weise beeinflußt und dazu gebracht werden, vom Himmel auf Erden zu träumen, den ihnen der Kapitalismus anbietet und der ihnen verschlossen bleibt.

Ich versichere euch, daß wir uns in unserem Land mit anderen Dingen beschäftigen. Trotzdem üben sie mit dem Bild einer Art von Gesellschaft Einfluß aus, die nicht nur Entfremdung, Ungleichheit und Ungerechtigkeit hervorbringt, sondern auch wirtschaftlich, gesellschaftlich und ökologisch nicht tragbar ist.

Ich führe gewöhnlich dazu das Beispiel an, daß wenn das Ziel des Konsummodells sein soll, daß es in jedem Haushalt der Bürger von Bangladesch, Indien, Indonesien, Pakistan oder China ein Auto geben soll - diejenigen unter euch, die ein Auto haben, mögen mich bitte entschuldigen, es scheint ja, daß es keine andere Lösung gibt, da es so viele Alleen gibt und die Entfernungen so groß sind. Ich kritisiere nicht, ich warne lediglich vor einem Modell, das unmöglich auf die Welt angewandt werden kann, die dabei ist, sich zu entwickeln (Lachen).

Ihr werdet mich gut verstehen, da auch Caracas nicht mehr viel Platz für noch mehr Autos hat. Ihr werdet wohl drei- und vierstöckige Straßen bauen müssen (Lachen), versteht ihr? Ich stelle mir vor, daß wenn man das in China machen würde, die 100 Millionen Hektar, die sie zur Verfügung stehen haben zur Produktion von Nahrungsmitteln, mit Autobahnen, Garagen und Parkplätzen zuzubauen, würde es keinen Platz mehr geben, um auch nur ein Reiskorn anzubauen.

Das Konsummuster, das sie der Welt aufdrücken, ist verrückt, ja sogar chaotisch und absurd (Beifall).

Ich beabsichtige nicht, aus diesem Planeten ein Kloster von Kartäusermönchen zu machen (Lachen), aber denke sehr wohl, daß dieser Planet keine Alternative dazu hat, festzulegen, welche erreichbaren und tragbaren Konsummuster oder -modelle zu verfolgen sind, nach denen die Menschheit gebildet werden soll.

Immer weniger Menschen nehmen heute ein Buch in die Hand. Warum soll man aber den Menschen des Genusses berauben, z.B. ein Buch zu lesen oder vieler andere Genüsse aus dem kulturellen Bereich und der Freizeit, und dies in einem Klima nicht nur materieller, sondern auch geistiger Bereicherung? Ich denke nicht an Menschen, die wie zu Zeiten Engels 14 oder 15 Stunden am Tag arbeiteten. Ich denke an Menschen, die vier Stunden täglich arbeiten. Warum auch die gleiche Arbeit auf acht Stunden ausdehnen, wenn es die Technologie erlaubt? Das logischste und grundlegendste dabei ist, daß mehr Produktivität und weniger körperliche oder geistige Anstrengung zu weniger Arbeitslosigkeit und mehr Freizeit für den Menschen führen sollte (Beifall).

Denjenigen, der nicht die ganze Woche arbeiten muß, nennen wir einen freien Menschen, inklusive Samstag, Sonntag und doppelte Arbeitsschichten, weil er mit dem Geld nicht auskommt. Per U-Bahn oder Bus eilt er pausenlos durch die Großstädte. Wem kann man da vormachen, daß dieser Mensch frei ist (Beifall)?

Wenn Computer und Automaten Wunder in der Herstellung von materiellen Gütern und Dienstleistungen bewirken können, warum kann sich dann der Mensch nicht zum Wohle der Menschheit der Wissenschaft bedienen, die er mit seiner Intelligenz geschaffen hat?

Warum muß der Mensch von heute aufgrund von ausschließlich wirtschaftlichen Gründen, den Gewinnen und Interessen superprivilegierter und mächtiger Eliten unter der Herrschaft von chaotischen Wirtschaftsgesetzen und Institutionen, die nicht ewig sind, es nie waren und es auch nie sein werden, wie das berühmte Gesetz des Marktes, der Gegenstand der Vergötterung geworden ist - hochheiliges Wort, das allzeit tagein tagaus erwähnt wird -, Hunger, Arbeitslosigkeit, frühzeitigen Tod, heilbare Krankheiten, Ignoranz, Unbildung und anderes menschliches und gesellschaftliches Unheil ertragen, wo man doch all die notwendigen Reichtümer schaffen könnte, um gerechtfertigte menschliche Bedürfnisse zu befriedigen, die vereinbar sind mit dem Schutz der Umwelt und dem Leben auf unserem Planeten? Man muß darüber nachdenken, muß zu Definitionen gelangen. Es scheint natürlich grundlegend gerechtfertigt, daß der Mensch über Nahrung, Gesundheit, ein Dach über dem Kopf, Kleidung, Bildung, ein angemessenes, sicheres und vertretbares Verkehrswesen, Kultur, Erholungsangebote, eine breite Palette von Wahlmöglichkeiten für seinen Lebensverlauf und noch tausend andere Sachen verfügt, die der Mensch erreichen könnte, wozu natürlich kein Privat-Jet und keine Yacht für jeden einzelnen der 9,5 Milliarden Menschen zählt, die in nicht mehr als 50 Jahren die Erde bewohnen werden.

Sie haben den menschlichen Geist verunstaltet.

Gott sei Dank gab es in der Zeit des Gartens Eden und der Arche Noah, von der uns das Alte Testament berichtet, keine dieser Dinge. Ich kann mir vorstellen, daß es sich damals ein bißchen beschaulicher lebte (Lachen). Nun gut, es gab eine Sintflut, aber auch wir haben sie und zwar ziemlich häufig. Schaut nur, was kürzlich in Mittelamerika passiert ist. Und bei den ganzen Klimaveränderungen weiß niemand, ob wir uns letztlich nicht den Eintritt für eine Arche kaufen, erwerben oder dafür anstehen müssen (Lachen).

So ist es, all das haben sie den Menschen eingeschärft; sie haben Millionen, Dutzende von Millionen und Hunderte Millionen Menschen entfremdet, und sie leiden umso mehr, desto weniger sie in der Lage sind, ihre Grundbefürfnisse zu befriedigen, weil sie nicht einmal einen Arzt und keine Schule haben.

Ich habe die anarchische, irrationale und chaotische Formel angesprochen, die der Neoliberalismus gebracht hat: Die Investition von Hunderten von Milliarden ohne irgendeine Ordnung oder Einklang; Dutzende von Millionen Arbeiter, die alle die gleichen Sachen herstellen: Fernseher, Computerteile, Clips oder Chips, wie sie auch immer heißen (Lachen), eine endlose Zahl von Artikeln und Gegenständen, darunter auch Berge von Automobilen. Alle machen das gleiche.

Sie haben das Doppelte der notwendigen Kapazität geschaffen, um Autos zu bauen. Woher kommen die Kunden für die Autos? Sie sind in Afrika, in Lateinamerika und in vielen anderen Teilen der Welt, nur haben sie keinen Pfennig, um sie zu kaufen, auch nicht um Benzin, Autobahnen oder Werkstätten zu erwerben, die die Länder der Dritten Welt nur noch mehr ruinieren, Ressourcen verschwenden, die für die gesellschaftliche Entwicklung benötigt werden und die Umwelt noch mehr zerstören würden.

Durch die Schaffung von untragbaren Konsummustern in den Industriestaaten und durch das Wecken von unerfüllbaren Träumen auf dem Rest des Planeten, hat das entwickelte kapitalistische System der Menschheit bereits einen großen Schaden zugefügt. Es hat die Atmosphäre verschmutzt und riesige nicht nachwachsende Naturressourcen erschöpft, die das menschliche Geschlecht in der Zukunft bitter nötig haben wird. Denkt bitte nicht, daß ich jetzt an eine idealistische, unmögliche und absurde Welt denke. Ich versuche darüber nachzudenken, was eine reale Welt und ein glücklicher Mensch sein kann. Dazu muß man wohl keine Ware als Beispiel anführen - ein Begriff reicht aus: die Ungleichheit macht jetzt bereits 80% der Erdenbewohner unglücklich, und das ist nur ein Begriff.

Man muß Konzepte suchen und man muß Ideen haben, die eine machbare Welt, eine nachhaltige Welt, eine bessere Welt erlauben.

Was viele der Theoretiker des Neoliberalismus und der neoliberalen Globalisierung schreiben, ist für mich unterhaltsam. Ehrlich gesagt habe ich auch nur wenig Zeit, um ins Kino zu gehen - fast nie - oder Videos, selbst wenn sie gut sind, zu sehen. Es gibt einige gute. Ich lese die Artikel dieser Herren, wenn ich Abwechslung brauche (Lachen). Ich lese ihre scharfsinnigsten, gebildetsten Analysten und Kommentatoren und sehe, wie sie sich in eine Menge Widersprüche und Verwirrungen verwickeln - sogar in Verzweiflung, weil sie die Quadratur des Kreises erzwingen wollen. Das muß für sie schrecklich sein (Beifall).

Ich erinnere mich, daß man mir einmal eine kleine quadratische Figur gezeigt hat, die oben solche zwei Linien hatte, eine in der Mitte und eine andere nach unten (er beschreibt die Figur), es ging nun darum, sie zu zeichnen, ohne den Bleistift abzusetzen. Ich weiß nicht, wieviel Zeit ich damit verloren habe (Lachen), dies zu bewerkstelligen, anstatt die Hausaufgaben zu machen, Mathematik, Spanisch und andere Dinge zu lernen, weil es damals noch nicht diese kleinen Spielzeuge gab, die die Industrie erfunden hat, um die Schüler vom Unterricht abzulenken, damit sie in der Schule durchfallen, haben wir zu meiner Zeit selbst Dinge erfunden, mit denen wir ziemlich viel Zeit verloren haben.

Aber ich werde unterhalten, habe Spaß und genieße die Lektüre, wenigstens das verdanke ich ihnen (Lachen und Beifall). Aber ich danke ihnen auch für das, was sie mich lehren. Und wißt ihr, wer mich mit am meisten mit seinen Artikeln und Analysen unterhält? Jawohl!, die am aller Konservativsten, die nicht einmal das Wort Staat hören wollen, nicht einmal die Erwähnung des Wortes! Diejenigen, die eine Zentralbank auf dem Mond anstreben (Lachen), damit es auch ja keinem Menschen in den Sinn kommt, die Zinsen zu senken oder zu erhöhen. Es ist unglaublich.

Das sind diejenigen, die mich am glücklichsten machen, weil ich mir bei manchen Dingen, die sie sagen, denke: Habe ich mich etwa geirrt, hat diesen Artiklel vielleicht etwa ein Linksextremist, ein Radikaler geschrieben? (Lachen) Aber was ist das? - da ist Soros, der ein Buch nach dem anderen schreibt. Und das letzte Buch habe ich auch lesen müssen, denn mir blieb nichts anderes übrig, weil ich mir sagte: das ist ein Theoretiker, darüberhinaus ist er aber auch Akademiker und hat daneben ich weiß nicht wieviele Milliarden aus Spekulationsgeschäften gewonnen. Der Mann muß also etwas verstehen von den Mechanismen, den Tricks. Aber der Titel, Krise des globalen Kapitalismus hat er sein Buch genannt, ein wahrhaft poetischer Name. Er sagt das mit großem Ernst (Lachen) und anscheinend mit einer so starken Überzeugung, das ich mir sage: Verdammt noch mal!, es scheint so, daß ich nicht der einzige Verrückte auf dieser Welt bin! (Lachen und Beifall). Es gibt viele, die eine ähnliche Besorgnis zum Ausdruck bringen und ich schenke ihnen noch mehr Aufmerksamkeit als den Gegnern der bestehenden Weltwirtschaftsordnung.

Der Linke wird auf alle Fälle beweisen wollen, daß das untergeht (Lachen). Das ist logisch, das ist seine Pflicht und außerdem hat er Recht (Lachen); aber der andere will das auf gar keinen Fall. Angesichts von Katastrophen, Krisen, Bedrohungen jeglicher Art, geraten sie in Verzweiflung und schreiben viele Sachen. Sie sind verwirrt - mindestens das kann man feststellen. Sie haben den Glauben an ihre Doktrin verloren.

Wir also, die wir uns entschlossen, einsam Widerstand zu leisten - und ich rede nicht von der geographischen Einsamkeit, sondern von der beinahe ausschließlichen Einsamkeit auf dem Gebiet der Ideen, weil Unglücke Folgen haben, Skepsis, die vervielfacht wird von der erfahrenen und mächtigen Werbemaschinerie des Imperiums und seiner Alliierten. Das alles führt bei vielen Menschen zu Pessimismus und Verwirrung. Sie haben nicht das nötige Urteilsvermögen, um Situationen mit einer historischen Perspektive zu untersuchen und verlieren so den Mut.

Ach, wie bitter waren jene Tage, jene ersten Tage und die Zeit vor den ersten Tage, als wir viele Leute hier und dort sahen, die ihre Hemden wechselten - ich will wirklich niemanden kritisieren, ich kritisiere die Hemden (Lachen und Beifall). Ach, in wie kurzer Zeit haben wir gesehen, wie sich alles ändert, und jene Illusionen sind in Vergessenheit geraten, haben - wie man in Kuba sagt und ich weiß nicht, ob man das hier auch kennt - weniger Zeit überdauert als ein Baiser an der Schulpforte (Lachen).

Dort, in der ehemaligen UdSSR, kamen sie mit ihren neoliberalen Marktrezepten an und haben unglaublichen Schaden angerichtet, wirklich unglaublich! Sie haben Nationen zerschlagen, Republikföderationen wirtschaftlich und politisch auseinandergetrieben. Sie haben in einigen der Republiken die Lebenserwartung um 14 und 15 Jahre gesenkt, sie haben die Kindersterblichkeit verdrei- oder vervierfacht, sie haben gesellschaftliche und wirtschaftliche Probleme geschaffen, die sich nicht einmal Dante ausmalen könnte, wenn er denn wiederauferstehen würde.

Es ist wirklich traurig, und diejenigen von uns, die versuchen, so gut wie möglich informiert zu sein über das, was überall auf der Welt geschieht - uns bleibt ja nichts anderes übrig als es in Erfahrung zu bringen, wenn wir nicht desorientiert sein wollen, d.h. uns mehr oder weniger, genauer oder weniger genau zu informieren -, haben unserer Meinung nach eine ziemlich genaue Vorstellung von dem Unglück, das der Gott des Marktes mit seinen Gesetzmäßigkeiten, seinen Prinzipien und den vom Internationalen Währungsfonds und den anderen neokolonialisierenden oder rekolonialisierenden Institutionen des Planeten empfohlenen und aufgezwungenen Rezepten für praktisch alle Länder verursacht hat. Das geht sogar soweit, daß reiche Länder wie die europäischen Staaten gezwungen werden, sich zusammenzuschließen und eine gemeinsame Währung zu schaffen, damit so ausgebuffte Männer wie Soros nicht sogar das Pfund Sterling zugrunde richten, das vor nicht all zu langer Zeit die Königin unter den Tauschmitteln war - Waffe und Symbol des herrschenden Empires und weltweite Reservewährung. All diese Privilegien besitzen heute die Vereinigten Staaten. Die Engländer mußten sogar noch die Schmach ertragen, ihr Pfund Sterling auf dem Boden zu sehen.

Das gleiche hat man mit der spanischen Pesete gemacht, mit dem französischen Franc, der italienischen Lira - sie spielten mit dem dicken Polster ihrer Milliarden im Rücken, weil Spekulanten Spieler sind, die mit gezinkten Karten spielen. Sie besitzen die gesamte Information und die erfahrendsten Ökonomen und Nobelpreisträger, wie etwa jene von diesem berühmten Unternehmen, das einmal das angesehendste der gesamten USA war, mit dem Namen Verwaltungsgesellschaft für langfristig angelegtes Kapital. Auf Englisch sagt man glaube ich Long-Term Capital Management - entschuldigt meine "ausgezeichnete" Aussprache im Englischen (Lachen). Ich bevorzuge die spanische Bezeichnung, aber man kennt die Gesellschaft überall auf der Welt bereits unter ihrem ursprünglichen Namen, der fast schon fester Bestandteil des Spanischen ist. Mit einem Fonds von insgesamt 4,5 Milliarden Dollar bewegten sie 120 Milliarden, um damit Spekulationsgeschäfte zu betreiben.

Auf ihrer Gehaltsliste standen zwei Nobelpreisträger sowie die erfahrendsten Computerprogrammierer und trotzdem könnt ihr sehen, daß sich die erlauchten Gentlemen geirrt haben, denn es passieren soviele seltsame Dinge, mit denen sie nicht immer gerechnet haben: Wenn der Unterschied zwischen den auf 30 und 29 Jahre angelegten Schatzanweisungen etwas aus dem annehmbaren Rahmen fiel, entschieden unverzüglich alle Computer und sämtliche Nobelpreisträger, davon soundsoviel und auf Kosten der anderen soundsoviel verkaufen zu müssen. Sie bekamen dann aber Probleme mit der Krise, die sie ausgelöst hatten und die sie auch nicht erwartet hatten. Sie dachten, schon das Wunder eines wachsenden, wachsenden und immer weiter wachsenden Kapitalismus gefunden zu haben, in dem es keine einzige Krise mehr geben würde.... Zum Glück ist ihnen das nicht vor zweitausend oder dreitausend Jahren in den Sinn gekommen! Wir haben Glück gehabt, daß es so lange gedauert hat, bis Kolumbus diesen Kontinent entdeckte (Lachen), und man bestätigte, daß die Erde rund ist. Zudem verzögerten sich noch andere wirtschaftliche, gesellschaftliche und wissenschaftliche Fortschritte, auf die dieses System wurzeln konnte, das gerade untrennbar mit Krisen einhergeht, weil es anderenfalls vielleicht keine Menschen mehr auf diesem Planeten geben würde. Es wäre möglich, daß dann überhaupt nichts mehr existieren würde.

Die von Long-Term, wie man sie umgangssprachlich nennt, haben sich geirrt und haben Verluste gemacht. Eigentlich schon mehr eine Katastrophe. Um die Krise zu meistern, mußten sie gegen alle ethischen, moralischen und finanziellen Regeln verstoßen, die die USA der Welt aufgezwungen hat und der Präsident der Federal Reserve Bank mußte vor dem Senat erklären, daß es unweigerlich zu einer wirtschaftlichen Katastrophe in den Vereingten Staaten und dem Rest der Welt kommen würde, wenn man diesen Fonds nicht retten würde.

Eine andere Frage: Was ist das für eine Wirtschaft, die heute die Vorherrschaft ausübt und in der drei oder vier Multimillionäre - und nicht einmal die großen wie Bill Gates oder andere ähnliche Männer - nein, Bill Gates besitzt etwa fünfzehn Mal mehr das Startkapital von Long-Term, mit dem diese Gesellschaft enorme Summen der Sparer bewegt hat und ihr dabei Kredite von mehr als 50 Banken eingeräumt wurden - eine Wirtschaftskatastrophe in den Vereinigten Staaten und im Rest der Welt verursachen können? Ja, Ja, die Weltwirtschaft wäre zusammengestürzt, wenn man sie nicht gerettet hätte - das hat einer der kompetentesten und intelligentesten Männer gesagt, die die USA haben, der Präsident der Federal Reserve Bank. Dieser vornehme Mann weiß mehr als nur vier Sachen, er verrät sie nur nicht alle, weil das Teil der Methode ist, bei der es absolut keine Transparenz gibt und immer dann, wenn Panik ausbricht, große Mengen von Beruhigungsmitteln sowie süße und aufbauende Worte verschrieben werden: "Alles ist in Ordnung, der Wirtschaft geht es ausgezeichnet", etc. Das ist die Technik, die allseits anerkannt ist und stets angewandt wird. Aber der Präsident der Federal Reserve Bank mußte vor dem Senat der Vereinigten Staaten zugeben, daß es zu einer Katastrophe kommen würde, wenn man nicht das gemächt hätte, was gemacht wurde.

Das sind die Grundlagen der neoliberalen Globalisierung. Zählt eine weniger, ihr könnt auch noch 20 mehr von ihrem schwachen Gerüst abziehen, keine Sorge. Was sie geschaffen haben, ist untragbar! Aber sie haben damit viele Menschen in vielen Teilen der Welt in Not gebracht, sie haben mit den Formeln des Internationalen Währungsfonds ganze Nationen ruiniert und ruinieren immer mehr Staaten. Sie können den Ruin dieser Staaten nicht vermeiden, sie treiben weiterhin ihre Verrücktheiten. An den Börsen haben sie den Wert der Aktien in die Höhe getrieben und treiben ihn weiterhin bis ins Unendliche in die Höhe.

An den Wertbörsen der Vereingten Staaten haben die US-amerikanischen Familien mehr als ein Drittel ihrer Ersparnisse und 50% der Pensionsfonds in Aktien angelegt. Stellt euch nur einmal eine Katastrophe wie die von 1929 vor, als nur 5% ihre Ersparnisse in Börsenpapieren angelegt hatten. Sie machen heute einen großen Schrecken durch, sie laufen wild umher, so wie nach der Krise letzten August in Rußland, dessen Anteil am weltweiten Bruttoinlandsprodukt nur 2% ausmacht, die aber den Dow-Jones-Index, den Star-Index an der New Yorker Börse, an einem Tag um 500 Punkte fallen ließ. Um 512 Punkte, um genau zu sein. Daraufhin gab es dann ein hektisches Durcheinander.

Was wir mit Sicherheit von den Führungskräften dieses herrschenden Systems sagen können, ist, daß sie den ganzen Tag über auf der ganzen Welt zwischen Banken und Instituten hin und her eilen (Lachen). Als sie sahen, was in Rußland geschah, kam es zu einer wahren Laufolympiade. Sie trafen sich beim Rat des Außenministeriums in New York; Clinton hielt eine Rede, in der er behauptete, daß die Gefahr nicht in einer Inflation läge, sondern in einer Rezession und so haben sie in wenigen Tagen, praktisch in einigen Stunden, eine 180-Grad-Drehung vollzogen und den Zinssatz gesenkt, anstatt ihn, wie geplant, heraufzusetzen. Sie haben am 5. und 6. Oktober vergangenen Jahres sämtliche Direktoren von Zentralbanken in Washington zusammengerufen, Reden gehalten, ich weiß nicht wieviel Kritik am Internationalen Währungsfonds geübt und vermeintliche Maßnahmen getroffen, um zu sehen, wie sie die Gefahr bannen konnten. Einige Tage später rief die Regierung der Vereinigten Staaten die G-7-Gruppe zusammen, die entschied, 90 Milliarden Dollar dazu beizutragen, damit sich die Krise nicht auf Brasilien und über Brasilien auf ganz Südamerika ausbreiten sollte. Sie versuchten damit zu vermeiden, daß das Feuer die eigenen superaufgeblähten Börsen der Vereinigten Staaten erreichte, da es nur einer Nadel, eines kleinen Löchleins bedarf, damit der Ballon in sich zusammenfällt. Da seht ihr die Risiken der neoliberalen Globalisierung.

All das haben sie gemacht und als sogar einige von uns dachten, wie ich selbst auch, - ich brachte dies zum Ausdruck -: "Sie besitzen die Mittel und die Einflußmöglichkeiten, um die große Krise noch ein wenig aufzuschieben" -, ja, aufzuschieben, nicht aber, um sie letztlich zu vermeiden, so dachte ich über das Problem nach und ich sagte mir: Es scheint so, als hätten sie es mit all den getroffenen oder aufgezwungenen Maßnahmen geschafft: das Senken des Zinssatzes, die 90 Milliarden zur Unterstützung des Fonds, der über keine Fonds mehr verfügte (Lachen), die Schritte Japans zur Bekämpfung der Bankenkrise, die Verlautbarung Brasiliens, starke wirtschaftliche Maßnahmen zu treffen, die gelegene Mitteilung, daß die US-Wirtschaft im dritten Quartal mehr als erwartet gewachsen ist. Es schien so, als ob sie die Sache aufhalten könnten. Und jetzt, vor einigen Tagen erst, sind wir alle wieder überrascht von den Nachrichten aus Brasilien über die wirtschaftliche Lage, die eingetreten ist, was uns aus Gründen, die mit dieser Frage zu tun haben, wirklich sehr schmerzt, denn im Hinblick auf die notwendigen Anstrengungen unserer Völker, um Kräfte zu vereinen und den harten Kampf aufzunehmen, der uns erwartet, wäre eine vernichtende Krise in Brasilien für Lateinamerika äußerst negativ.

Trotz aller Maßnahmen, die sie eingeleitet haben, sehen sich die Brasilianer zur Zeit einer schwierigen wirtschaftlichen Lage gegenüber, wobei die Vereinigten Staaten und die internationalen Finanzorganisationen einen Großteil ihrer Munition verschossen hatten und mit ihrem Latein fast am Ende waren. Jetzt, wo die ersten Monate nach dem großen Schrecken vorüber sind, fordern sie neue Bedingungen und scheinen dem Schicksal Brasiliens noch gleichgültiger gegenüberzustehen.

Rußland wollen sie weiterhin am Rande des Abgrundes halten. Es ist kein kleines Land, es ist das flächenmäßig größte Land der Welt und es leben dort 146 Millionen Menschen, es gibt Tausende von Atomwaffen und eine gesellschaftliche Krise, ein innerer Konflikt oder irgend etwas anderes kann schreckliche Schäden anrichten.

Diese Herren, die die Weltwirtschaft lenken, sind so verrückt und so verantwortungslos, daß es ihnen, nachdem sie das Land mit ihren Rezepten ruiniert haben, nicht einmal in den Sinn kommt, ein wenig von diesen Papieren, die sie gedruckt haben - das nämlich sind letzenendes die Schatzanweisungen, wenn die erschreckten Spekulanten sich vor jedem etwaigen Risiko schützen, indem sie Schatzanweisungen der Vereinigten Staaten kaufen -, es ihnen nicht in den Sinn kommt, ein wenig der 90 Milliarden Unterstützung für den Fonds dafür zu verwenden, um eine wirtschaftliche und politische Katastrophe in Rußland zu vermeiden. Dazu fällt ihnen nur ein, ihnen eine Menge von Bedingungen zu stellen, die sie unmöglich anwenden können. So verlangen sie von ihnen Haushaltskürzungen, die jetzt bereits unterhalb der Mindestgrenze liegen. Sie verlangen eine freie Konvertierbarkeit, die unverzügliche Begleichung riesiger Schulden, d.h. all jene Maßnahmen, die sämtliche Reserven aufbrauchen, über die ein Land verfügen kann. Sie überlegen nicht, sie haben nichts dazu gelernt. Sie wollen Rußland einer prekären Situation am Rande des Abgrundes überlassen, humanitäre Hilfe leisten, Konditionen verlangen und schaffen letztlich wirklich ernsthafte Probleme.

Weder das Problem Rußlands ist gelöst - ein Land, das sie durch ihre Berater und ihre Formeln ruiniert haben -, noch haben sie das Brasiliens gelöst - ein Problem, an dessen Lösung sie sehr wohl interessiert waren, weil es sie selbst hätte treffen können. Mir schien es z.B., daß Brasilien der letzte Schützengraben war, der vor den Börsen der Vereinigten Staaten lag.

Sie haben einen großen Schrecken davongetragen. Durch einige der getroffenen Maßnahmen haben sie die Börsen etwas stabilisiert. Erneut ging das An- und Verkaufen von Aktien los und erneut bestreiten sie einen Wettlauf in sphärische Höhen und schaffen dadurch die Bedingungen für eine größere und relativ baldige Krise. Man weiß nicht, welche Folgen sie für die Wirtschaft und die Gesellschaft der Vereinigten Staaten haben wird.

Es ist unmöglich, sich vorzustellen, was passieren würde, wenn es dort zu einer Krise wie 1929 kommen würde. Sie glauben, daß sie die Risiken einer Krise wie die von 1929 aus dem Weg geräumt haben, es zeigt sich aber, daß nichts aus dem Weg geräumt ist. Sie haben nicht einmal die Brasilienkrise vermeiden können und können foglich dem gesamten Integrationsprozeß Südamerikas Schaden zufügen, dem gesamten lateinamerikanischen Integrationsprozeß sowie den Interessen all unserer Länder. Daher sprach ich auch von der soeben erhaltenen schlechten Nachricht.

Aber für alles gibt es einen Grund, eine Erklärung und wenn man nur genau darauf achtet, was sie denken, was sie sagen, was sie machen, schafft man es, zu erraten, was sie wirklich im Schilde führen. Das Wichtigste ist, daß man diesen Leuten nicht abnimmt, was sie erzählen, sondern ausgehend von dem, was sie sagen, versucht in ihren Kopf vorzudringen - mit dem geringstmöglichen Trauma, die Armen, um ihnen keinen Schaden zuzufügen (Lachen) -, um zu erfahren was sie denken, zu wissen, was sie nicht gesagt haben und warum sie es nicht gesagt haben.

So verhalten sie sich. Daher ist es wirklich äußerst interessant, bietet uns eine bereichernde Reflexion und eine Bestätigung unserer Überzeugungen in diesen Tagen der Ungewißheit, von der ich sprach, der Verbitterung, des Glaubensverlustes nicht weniger Menschen mit progressiven Ideen, zu sehen, wie jetzt viele Wahrheiten deutlich werden, viele Leute allmählich tiefer nachdenken und jene, die sich mit dem Ende der Geschichte und dem endgültigen Sieg ihrer anachronistischen und egoistischen Konzepte brüsteten, heute auf dem absteigenden Ast und offenkundig demoralisiert sind.

Diese acht Jahre - sagen wir von 1991 an, d.h. seit dem Zusammenbruch der UdSSR bis heute - waren für uns in jedem Sinne harte Jahre. Aber auch im diesem Sinne, in bezug auf Ideale, Konzepte. Und jetzt sehen wir, wie die Supermächtigen, die glaubten, ein tausendjähriges System, ja sogar Imperium geschaffen zu haben, zu bemerken beginnen, wie das Fundament dieses Imperiums und dieses Systems, dieser Ordnung, bröckelt.

Was hat uns dieser globale Kapitalismus oder diese neoliberale kapitalistische Globalisierung gebracht? Nicht nur ausgehend von diesem uns bekannten, sondern angefangen von der Wurzel selbst. Jener Kapitalismus, aus dem der zur Zeit beherrschende hervorging, der gestern noch progressiv und heute reaktionär und untragbar ist. Was hat er uns im Laufe eines Prozesses gebracht, den viele von euch, die Historiker und selbst diejenigen, die keine sind, wie etwa die Studenten der Wirtschaftswissenschaften, kennen müßten: Ein Prozess mit einer 250 bis 300jährige Geschichte, deren grundlegender Theoretiker, Adam Smith, im Jahre 1776 - im selben Jahr der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten - sein allseits bekanntes Buch veröffentlichte. Zweifellos ein großes Talent, ein großer Intellektueller; ich glaube nicht ein großer Sünder, ein Schuldiger, ein Gauner. Er war Gelehrter jenes Wirtschaftssystems, das in Europa entstand und gerade in voller Blüte stand. Er dachte nach, forschte und legte das theoretische Fundament des Kapitalismus - des Kapitalismus jener Zeit, denn den von heute hätte sich Adam Smith nicht einmal erträumen können.

In jener Zeit der winzigen Werkstätten und kleinen Fabriken, ging er davon aus, daß die Hauptmotivation für die wirtschaftliche Aktivität aus dem individuellen Interesse entspringe, und daß das private Verfolgen dieses Ziels im Wettbewerb der größte Quell des öffentlichen Wohlstands sei. Es bedurfte nicht der Menschenfreundlichkeit des Menschen, sondern der Liebe zu sich selbst.

Das Eigentum und das private Unternehmen war die einzige kompatible Form mit jener Welt der Kleinindustrien, die Adam Smith kannte. Er erlebte nicht einmal mehr die großen Fabriken und die eindrucksvollen Arbeitermassen, die noch gegen Ende des 18. Jahrhunderts auftauchten. Umso weniger noch konnte er sich die riesigen modernen Kapitalgesellschaften und transnationalen Unternehmen mit Millionen von Aktien vorstellen, deren Verwalter professionelle Manager sind, die nichts mit dem Eigentum derselben zu tun haben und deren Arbeit sich darauf beschränkt, ab und an den Aktionären einen Rechenschaftsbericht zu liefern. Sie sind diejenigen, die entscheiden, welche Dividenden ausgezahlt werden, wieviel und wo investiert wird. Diese Form des Eigentums, der Führung und des Anteils an den Reichtümern hat nichts zu tun mit der Welt, die er kannte.

Das System aber entwickelte sich weiter und nahm einen beachtlichen Aufschwung mit der industriellen Revolution in England. Die Arbeiterklasse entstand und es kam jemand auf, der meiner Meinung nach in jeglichem Hinblick auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet der größte Denker war - Karl Marx. Niemand lernte sogar mehr über die Gesetzmäßigkeiten und die Prinzipien des kapitalistischen Systems als Marx. Geängstigt von der aktuellen Krise lesen nicht wenige Mitglieder der kapitalistischen Elite Marx, weil sie bei ihm Diagnosen und mögliche Heilmittel für die Übel von heute suchen. Mit ihm war das sozialistische Konzept als Gegenentwurf des Kapitalismus entstanden.

Der Kampf zwischen diesen Ideen, die beide Denker symbolisierten, hat lange Zeit angedauert und dauert noch immer an. Der ursprüngliche Kapitalismus hat sich unter den Prinzipien seines berühmtesten Theoretikers weiterentwickelt - wir könnten sagen bis zum Ersten Weltkrieg.

Es gab bereits vor dem Ersten Weltkrieg ein gewisses Niveau der Globalisierung. Es gab im internationalen Währungssystem den Goldstandard. Danch kam die große Krise von 1929 mit der großen Rezession, die mehr als 10 Jahre dauerte. Mit großer Kraft trat dann als einer der vier Grundpfeiler des Wirtschaftsdenkens der letzten drei Jahrhunderte, mit seiner enormen politischen Bedeutung, ein anderer Denker auf, der den unauslöschlichen Stempel seiner Vordenker trug - John Maynard Keynes. Für seine Zeit besaß er fortschrittliche Ideen - nicht so wie die von Marx, ganz und gar nicht, wenn er Marx gegenüber auch einen ziemlichen Respekt zollte und mit ihm in einigen Punkten übereinstimmte. Er sollte die Formel ausarbeiten, die die Vereinigten Staaten aus der großen Depression führte.

Nicht er allein natürlich. Es gab eine Gruppe von Akademikern, die mit ihm übereinstimmten oder doch ziemlich von ihm beeinflußt waren. In jener Zeit gab es kaum Ökonomen, auch wurde ihnen nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt - ich weiß nicht, ob das nun gut oder schlecht war, das hängt vom Standpunkt ab (Lachen). Aber es kamen bereits gut ausgebildete Gruppen auf, die über viele statistische Informationen verfügten und große Untersuchungen durchführten. Während der Regierungszeit von Roosevelt waren viele von ihnen in einem Land, das ausgezehrt war und Angst hatte vor einer endlosen Rezession. Herausragende Mitglieder des Kabinetts oder anderer Institutionen und die Theorien von Keynes halfen, den Kapitalismus aus seiner bis dahin schwersten Krise zu führen.

Der Goldstandard wurde zeitweilig ausgesetzt und später durch Roosevelt, wenn ich mich recht erinnere, 1934 wieder eingeführt. Ich weiß, daß er bis 1971 beibehalten wurde. Ich glaube, er hat ohne Unterbrechungen 37 Jahre lang gegolten, bis Herr Nixon kam und uns das große Imperium allesamt betrog (Lachen).

Ihr fragt euch vielleicht zu Recht, warum ich euch davon erzähle. Ich habe diese Persönlichkeiten erwähnt - wenn mir auch noch die vierte fehlt -, weil es für uns sehr wichtig ist, zu versuchen, gut die Geschichte des Systems kennenzulernen, das in diesem Augenblick die Welt regiert mitsamt seiner Anatomie, seinen Prinzipien, seiner Entstehungsgeschichte und seinen Erfahrungen, um vollends zu begreifen, daß jene Kreatur, die vor rund drei Jahrhunderten zur Welt kam, in seinen Endzügen liegt (Beifall). Es ist gut, sie zu kennen und man muß sich beinahe beeilen, die Autopsie durchzuführen, bevor sie vollends dahingeschieden ist, falls mit ihr zusammen auch viele von uns sterben werden oder falls es mit dem Sterben etwas länger als erwartet dauert, wir alle verschwinden (Lachen und Beifall).

Ich sprach von dem Goldstandard, weil er in bezug auf die Probleme, mit denen wir es heute zu tun haben, eine sehr wichtige Rolle gespielt hat. Gleich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges versuchte man eine Institution zu schaffen, die den Welthandel regulieren und antreiben sollte. Die wirtschaftliche Lage war als Folge des langen, zerstörerischen und blutigen Krieges wirklich verheerend. So kam es zu dem berühmten und bekannten Abkommen von Bretton Woods, das von einigen Ländern - unter ihnen die einflußreichsten und reichsten - ausgearbeitet wurde.

Das reichste von allen waren bereits die Vereinigten Staaten, die zu dieser Zeit 80% des auf der Welt existierenden Goldes besaßen. Sie schufen eine Währung mit einem festen Wechselkurs auf der Grundlage des Goldes, den sogenannten Gold-Dollar-Standard, wie man sagen könnte, weil das Gold mit der US-Währung verbunden wurde, die daraufhin zur internationalen Reservewährung wurde. Das verlieh den Vereinigten Staaten eine enorme Machtfülle und ein besonderes Privileg, das sie bis jetzt für ihre eigenen Interessen genutzt haben. Es gab ihnen die Macht, die Weltwirtschaft zu steuern, Regeln einzuführen und den Internationalen Währungsfonds zu beherrschen, wo es 85% aller Stimmen bedarf, um einen Beschluß zu fassen, sie aber mit 17,5% jede Entscheidung dieser Institution blockieren können und daher den Währungsfonds dominieren, ja praktisch sein Besitzer sind. Sie haben das letzte Wort und haben es geschafft, die Weltwirtschaftsordnung durchzusetzen, unter der wir zu leiden haben.

Vorher bediente sich Nixon jedoch eines Tricks: Anfänglich besaßen sie 30 Milliarden Dollar in Gold, dessen Preis sie mittels einer strikten Marktkontrolle bei 35 Dollar pro sogenannter Troy-Unze stabil hielten. Bald darauf begannen sie ohne zusätzliche Steuereinnahmen Ausgaben zu tätigen, Kriege zu führen ohne Steuereinnahmen. Bei dem Abentuer in Vietnam gaben sie mehr als 500 Milliarden Dollar aus und es ging ihnen das Gold aus. Es blieben ihnen noch 10 Milliarden und es wäre ihnen auch das noch ausgegangen, wenn sie so weitergemacht hätten. Bei einer Rede - ich glaube es war der 17. August 1971 - erklärte er dann öffentlich, daß er die Konversion der US-Währung in Gold aufhebe.

Sie hielten, wie ich bereits sagte, mittels einer strengen Marktkontrolle den Goldpreis immer gleich - die bereits erwähnten 35 Dollar pro Unze. Gab es ein übergroßes Goldangebot kauften sie. Letztlich kostete es sie ja auch nichts, sie lieferten jene Scheine ab und nahmen das Gold, um zu vermeiden, daß der Preis fiel. Gab es eine übergroße Goldnachfrage, die drohte, den Preis in die Höhe zu treiben, machten sie das Gegenteil, sie verkauften Gold aus ihren großen Reserven, um es billiger zu machen. Viele Länder stützten ihre Währungen mit Gold- oder US-Dollarreserven. Es gab zumindest ein relativ stabiles Währungssystem für den Handelsaustausch.

Von dem Augenblick an, als Nixon alle Welt betrog - jeden, der einen solchen Geldschein besaß, und es gab Hunderte Milliarden auf der ganzen Welt als Reserven in den Zentralbanken -, sagt er allen, daß sie kein Recht mehr besäßen, in echtem Gold den Gegenwert ausbezahlt zu bekommen, den jeder US-Geldschein besaß. Das geschah einseitig per Präsidentendekret oder ich weiß nicht durch welchen Rechtserlaß auch immer. Es war nicht einmal eine Entscheidung des Kongresses. Auf diese Weise hob er die heiligste, mittels eines internationalen Abkommens eingegangene, Verpflichtung auf.

Das Gold haben sie behalten. Danach zog der Preis an. Das Gold, das sie noch über einen Wert von 10 Milliarden Dollar besaßen, war letztlich viel mehr wert als die 30 Milliarden, die sie anfangs in echtem Gold besaßen. Außerdem behielten sie sämtliche Privilegien des Systems, dem Wert ihrer Schatzanweisungen, ihrer Geldscheine, die gezwungenermaßen auch weiterhin die Reservewährung der Zentralbanken verschiedener Länder war, die ihre gesamten Ausfuhren für den Erwerb der Scheine aufbringen mußten, wohingegen die Vereinigten Staaten sie nur drucken mußten. So erlangten sie eine noch größere wirtschaftliche Macht. Im Gegenzug begannen sie, die Welt zu destabilsieren. Wie? Die anderen Währungen begannen zu schwanken, ihr Wert änderte sich ständig, es kam zu Währungsspekulationen, Spekulationsgeschäften mit dem An- und Verkauf von Währungen, die heute bereits kolossale Ausmaße angenommen haben und auf dem ständigen Schwanken ihres Wertes basieren. Es war ein neues Phänomen entstanden, das nicht mehr aufzuhalten ist.

Die Währungsspekulation, die erst vor 14 Jahren pro Jahr 150 Milliarden Dollar ausmachte, bewegt heute eine Geldmenge von einer Million Millionen täglich. Ihr merkt, daß ich extra nicht das Wort Billion benutze, weil es zwischen Billion im Englischen und im Spanischen ständig zu Verwechslungen kommt (Lachen). Die erste entspricht einer Milliarde, die zweite einer Million Millionen. Diese Zahl nennt man in den Vereinigten Staaten Trillion. Im Spanischen gibt es seit kurzem auch das Wort Milliarde, dem auch 1.000 Millionen entsprechen, um zu versuchen, sich in diesem wahrhaften babylonischen Turm aus Zahlen und Nummern zu verstehen, der zu zahlreichen Verwechslungen sowie Übersetzungs- und Verständnisfehlern führt. Ich sagte, was ich noch einmal wiederhole, damit es klar wird, daß die Währungsspekulation schon mehr als eine Billion Dollar pro Tag bewegt.

In 14 Jahren hat ihr Volumen zweitausend Mal zugenommen. Der Grund dafür liegt in dieser Maßnahme, die die Vereinigten Staaten 1971 trafen, die allen Währungen innerhalb gewisser Grenzen oder völlig frei Schwankungen unterwarf. Daher haben wir es jetzt innerhalb des Kapitalismus mit diesem neuen Phänomen zu tun, das Adam Smith nicht einmal in seinen schrecklichsten Alpträumen in den Sinn gekommen wäre, (Lachen), als er sein Buch über den Reichtum der Nationen schrieb.

Daneben kam es zu anderen, neuen und unkontrollierbaren Phänomenen - eines sprach ich bereits an - die Einlösungsfonds. Jawohl, davon gibt es Hunderte oder Tausende. Rechnet einmal aus, was dort vor sich gehen muß und denkt daran, was es bedeutet, wenn der Präsident der Reservebank der Vereinigten Staaten gesagt hat, daß einer davon zu einer Wirtschaftskatastrophe in den Vereingten Staaten und der Welt geführt haben könnte. Er muß die Realität schließlich genau kennen. Man ahnt es aufgrund von bestimmten Artikeln einiger konservativer Zeitschriften, weil sie Bescheid wissen und manchmal etwas sagen müssen, um ihre Argumentation zu stützen. Sie versuchen jedoch äußerst diskret zu sein. Trotzdem gibt es nicht mehr so viele dumme Leute auf der Welt (Lachen) und es nicht schwer zu erahnen, was sie nicht mitteilen wollten.

Es gibt einen interessanten Satz aus einer sehr bekannten britischen Zeitschrift, in dem die Maßnahme Greenspans in bezug auf den berühmten Fonds kritisiert wird. Es heißt dort ungefähr so: Greenspan verfügte vielleicht über Zusatzinformationen. Es war tatsächlich ein Satz, an den ich mich jetzt nicht genau erinnern kann, er war noch subtiler, aber in dieser Zeitschrift, die keine Dinge erfindet und sich sehr gut auskennt, konnte man erfahren, daß er mehr wußte, als er sagte, und wenn sie auch nicht seine Entscheidung teilte, wußte sie gut, warum der Präsident der Federal Reserve sagte: "Man muß diesen Fonds retten". Es steht außer Zweifel, daß sowohl die Zeitschrift als auch Greenspan wußten, weshalb er dachte, daß es zu einer Kettenreaktion von Bankrotten wichtiger Banken in strategischen Zentren kommen könnte.

Die vierte Persönlichkeit, die eine unverwechselbare Spur in der jüngsten Geschichte der Entwicklung des kapitalistischen ökonomischen Denkens hinterlassen hat, ist Milton Friedman - Vater des strikten Monetarismus, der heute in vielen Ländern der Erde angewandt wird, und den der Internationale Währungsfonds auf besondere Weise als letztes Mittel gegen das Phänomen der Inflation verteidigt, die nach Keynes mit außergewöhnlicher Kraft erneut auftauchte.

Heute gibt es alles: Depression in einigen Ländern, Inflation in anderen, Rezepte und Maßnahmen, die Regierungen destabilisieren. Jeder auf der Welt begreift bereits, daß der Internationale Währungsfonds jedes Land, das er unterstützt, jedes Land, das er vorgibt zu unterstützen, wirtschaftlich ruiniert und politisch destabilisiert. Niemals ist es deutlicher geworden, daß die Unterstützung des Internationalen Währungsfonds ein Kuß des Teufels ist (Beifall).

Erlaubt mir, auf einige Tatsachen hinzuweisen, die ihr euch merken solltet und die folgende Frage zu beantworten, die ich mir stellte, als ich sagte: Was hat uns der Kapitalismus und die neoliberale Globalisierung gebracht? Nach 300 Jahren Kapitalismus gibt es auf der Welt 800 Millionen Hungerleidende - jetzt, in diesem Augenblick, 1 Milliarde Analphabeten, 4 Milliarden Arme, 250 Millionen Kinder, die einer regelmäßigen Arbeit nachgehen, 130 Millionen Menschen ohne Zugang zur Bildung, 100 Millionen, die auf der Straße leben, 11 Millionen Kinder unter fünf Jahren, die jährlich an Unterernährung, Armut und Krankheiten sterben, die vermeidbar oder heilbar sind. Der Unterschied zwischen Reichen und Armen wird innerhalb der einzelnen Länder und zwischen den verschiedenen Ländern immer größer. Die Natur wird erbarmungslos auf beinahe unumkehrbare Weise zerstört, nicht nachwachsende Naturresourcen werden in zunehmenden Maße verschwendet und aufgebraucht. Die Luft wird verschmutzt, das Grundwasser, die Flüsse, die Meere. Es kommt zu Klimaänderungen mit unvorhersehbaren und bereits sichtbaren Folgen. Im letzten Jahrhundert verschwanden mehr als 1 Milliarde Hektar Urwald und eine ähnlich große Fläche hat sich in Wüsten oder nutzlose Fläche verwandelt.

Vor 30 Jahren sprach fast niemand dieses Thema an. Heute ist es zu einer lebenswichtigen Fragestellung für das Menschengeschlecht geworden. Ich will nicht noch mehr Zahlen nennen. Ich glaube, daß diese Daten ausreichen, um ein System zu beurteilen, das die Führungsrolle anstrebt, um ihm 100 Punkte, 90, 80, 50, 25 oder vielleicht weniger als 25 zu geben. Alles kann man auf sehr einfache Art beweisen. Die verheerenden Ergebnisse dieses Systems können als offenkundige Wahrheiten begriffen werden.

Angesichts dessen fragen sich viele, was zu tun ist. Nun gut, die Europäer haben ihr Rezept erfunden und sind jetzt dabei, sich zu vereinigen. Sie haben von einer gemeinsamen Währung gesprochen, sie haben sie beschlossen und sie kommt jetzt bereits zur Anwendung. Sie genießen dabei große Sympathie seitens der Vereinigten Staaten, wie es die Sprecher dieses Landes erklärt haben, die genauso groß wie heuchlerisch sind (Lachen), weil wir doch alle wissen, daß sie am liebsten hätten, daß der Euro komplett baden geht. Währenddessen behaupten sie: "Eine großartige Sache, der Euro ist sehr gut, eine ausgezeichnete Idee". Nun gut, das ist Europa - reich, entwickelt und mit einem jährlichen Brutto-Pro-Kopf-Einkommen, das in einigen Ländern bei 20.000 Dollar liegt und in anderen 25.000 oder 30.000 erreicht. Vergleicht sie dazu nur einmal mit Ländern unserer Welt, die es auf 500, 600 oder 1.000 bringen.

Was sollen wir tun? Das ist eine Frage, die wir uns innerhalb dieses Szenarios stellen müssen in einem Augenblick, in dem sie uns verschlingen wollen. Es sollte keiner Zweifel daran haben, daß sie uns verschlingen wollen, und wir dürfen nicht auf ein weiteres Wunder hoffen, so wie jenes, als man einen Propheten aus dem Bauch eines Wals geholt hat (Lachen), weil der Wal an unserer Seite uns nämlich auch vollständig in aller Schnelle verdauen wird, wenn er uns erst einmal verschluckt hat.

Ja, das ist unser Kontinent und wir reden hier in keinem bedeutenderen Land als Venezuela - in dem ruhmreichen Land, in dem Bolívar geboren wurde, in dem Bolívar träumte (Beifall) von der Einheit unserer Länder, die er ersann und an der er arbeitete, zu einer Zeit, als ein Pferd drei Monate brauchte, um von Caracas nach Lima zu kommen. Damals gab es keine Handys, keine Flugzeuge, keine Landstraßen, keine Computer - nichts von alledem. Und trotzdem nahm er bereits die Gefahr wahr, die von jenen Kolonien ausgehen könnnte, die gerade erst dort im fernen Norden ihre Unabhängigkeit erlangt hatten. Er sah dies voraus, er war ein Prophet. "Die Vereinigten Staaten scheinen von der Vorsehung dazu bestimmt zu sein, Amerika mit Unglück im Namen der Freiheit zu überziehen", wie er einmal sagte. Er verbreitete die Idee der Einheit unserer Völker und kämpfte dafür bis zu seinem Tod. Was damals ein Traum war ist heute von vitaler Notwendigkeit (Beifall).

Welche Lösungen kann es unserer Meinung nach geben? Sie sind schwierig, sehr schwierig. Die Europäer haben, wie ich bereits sagte, ihren Weg entworfen und befinden sich in starker Konkurrenz zu unserem Nachbarn im Norden. Das ist glasklar - eine sehr starke und wachsende Konkurrenz. Die Vereinigten Staaten wollen nicht, daß irgendjemand ihre Interessen stört in diesem Kontinent, den sie als den ihren betrachten. Sie wollen absolut alles für sich. China bildet auf der anderen Seite im Fernen Osten eine riesige Nation. Japan ist ein mächtiger Industriestaat.

Da ich denke, daß die Globalisierung ein unumkehrbarer Prozeß ist, und daß das Problem nicht bei der Globalisierung liegt, sondern bei dem Typ von Globalisierung, scheint es mir, daß es auf diesem schwierigen und harten Weg, für den die Völker von meinem Standpunkt aus gesehen wirklich nicht viel Zeit haben, zu Vereinigungen, Beschlüssen, regionalen Integrationen kommen muß und die Lateinamerikaner sind beinahe diejenigen, die sich am meisten beeilen müssen bei dem Kampf um die Integration. Aber nicht nur um die Integration Lateinamerikas, sondern die Integration von Lateinamerika und der Karibik (Beifall). Da sind unsere anglophonen Brüder der Karibik, die winzigen Länder des CARICOM, die gerade einmal seit ein paar Jahren unabhängig sind und sich mit beeindruckender Würde verhalten haben.

Das sage ich wegen des Verhaltens gegenüber Kuba. Als alle in Lateinamerika auf Druck der Vereinigten Staaten die Beziehungen zu uns unterbrachen, alle mit Ausnahme von Mexiko, waren es die Karibikstaaten, die nach einigen Jahren zusammen mit Torrijos die Bresche schlugen und dafür kämpften, die Isolierung Kubas aufzubrechen bis zum heutigen Tag, wo Kuba bereits zu der großen Mehrheit der lateinamerikanischen und karibischen Ländern Beziehungen unterhält (Beifall). Wir kennen sie und schätzen sie, sie dürfen nicht in Vergessenheit geraten, sie dürfen nicht in den Händen der Welthandelsorganisation mit seinen Beschlüssen zurückbleiben. Sie dürfen nicht den transnationalen US-Bananenunternehmen ausgeliefert werden, die versuchen, ihnen die kleinen Präferenzen zu entreißen, die sie so sehr brauchen. Diese Welt kann man nicht in Ordnung bringen, in dem man alles platt macht - das ist die Yankee-Methode, alles mit der Wurzel auszureißen.

Mehrere dieser Länder leben von ihren Pflanzungen, sie produzieren nur 1% der Bananen, die gehandelt werden, maximal 2%. Das ist nichts. Und die Regierung der Vereinigten Staaten hat zum Schutz eines transnationalen US-Unternehmens, das Pflanzungen in Mittelamerika besitzt, Beschwerde vor der Welthandelsorganisation eingereicht und obendrein auch noch gewonnen. Jetzt sind die Karibikländer sehr besorgt, weil man ihnen auf diesem Weg die Präferenzen wegnimmt und weil man versucht, das Lomé-Abkommen auszuhebeln, kraft dessen sie als ehemalige Kolonien und Länder, die verzweifelt Mittel zur Entwicklung benötigen, einige minimale Präferenzen genießen, und es ungerecht wäre, sie ihnen wegzunehmen.

Man kann nicht alle Länder mit sehr verschiedenen Entwicklungsniveaus gleich behandeln. Man kann die Ungleichheiten nicht leugnen. Es gibt kein einheitliches Rezept für alle. Man kann nicht einen einzigen Weg aufzwingen. Und Formeln zur Regulierung und Entwicklung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen taugen nichts, wenn sie ausschließlich den Reichsten und Mächtigsten dienen. Sowohl der Währungsfonds als auch die Welthandelsorganisation wollen alles niedermachen.

Die OECD, ein exklusiver Club der Reichen, war dabei, praktisch insgeheim ein multilaterales Abkommen über supranationale Investitionen auszuarbeiten, um Gesetze bezüglich ausländischer Investitionen zu schaffen - sagen wir eine Art Helms-Burton-Gesetz auf Weltebene. Klammheimlich hatten sie es schon fast vollständig ausgearbeitet, bis sich eine nicht-regierungsgebundene Organisation eine Kopie des Projekts besorgte, sie ins Internet stellte und somit aller Welt zugänglich machte. Es kam daraufhin zu einem Skandal in Frankreich, das das Abkommensprojekt ablehnte, sie lehnten jenes Abkommen ab - offensichtlich hatten sie dem, was in der OECD zusammengebräut wurde, nicht viel Beachtung geschenkt. Ich glaube, daß später die Australier dasselbe gemacht haben und das Projekt, das so geheim ausgearbeitet worden war, wurde verrissen. Auf diese Weise planen sie und arbeiten bedeutende und entscheidende internationale Abkommen aus.

Anschließend legen sie es auf den Tisch, damit wer will es unterschreiben kann und wer dies nicht will, weiß dann, was ihm blüht (Lachen).

Sie haben kein Wort mit den Ländern diskutiert, die so unumgängliche Vorschriften anwenden mußten. So werden wir behandelt. So wird mit den vitalsten Interessen unserer Völker umgegangen.

Sie werden damit weitermachen. Wir werden die Augen weit offen halten müssen und vor diesen Institutionen stets auf der Hut sein. Man muß festhalten, daß die große Falle, die sie uns stellen wollten, für den Moment verhindert wurde. Aber sie werden auch weiterhin Dinge erfinden, die unsere Lebensbedingungen noch schwieriger gestalten werden. Es ging nicht mehr nur darum, uns gegeneinander konkurrieren zu lassen, weshalb alle verzweifelte Konzessionen auf allen Gebieten eingeräumt hatten. Mit dem multilateralen Investitionsabkommen beabsichtigte man, zu den Bedingungen, die ihnen paßten, zu investieren unter Achtung, wenn ihr so wollt, der Umwelt oder aber unter Vergiftung aller Flüsse irgendeines Landes und der Zerstörung der Natur, ohne daß niemand etwas von ihnen fordern könnte. Trotzdem sind wir Länder der Dritten Welt in der Welthandelsorganisation in der Mehrheit und können für unsere Interessen kämpfen, wenn wir es schaffen, zu verhindern, daß sie uns täuschen und uns teilen. Kuba konnte nicht ausgeschlossen werden, da es vom Gründungstag an Mitglied war. Die Chinesen will man nicht reinlassen - wenigstens leistet man ihnen ganz schönen Widerstand (Lachen). Die Chinesen unternehmen große Anstrengungen, um in die WTO aufgenommen zu werden, weil man einem Land, das nicht dieser Institution angehört, eine Zollgebühr von 1.000 zu 100 erheben oder seine Exporte komplett blockieren kann. Die reichsten Länder stellen die Regeln auf und geben die Bedingungen vor, die ihnen am meisten zusagen.

Was sagt ihnen zu? Was streben sie an? Daß es eines Tages keine Zolltarife mehr gibt. Das gehört mit zu dem Traum, daß sie für ihre Investitionen dem nationalen Fiskus keine Steuern zahlen müssen oder mittels Knüppelkonzessionen, die sie der unterentwickelten, um Investitionen buhlende Welt entrissen haben, einige lange Jahre Steuerbefreiung genießen. Das ist ein Freirecht, wodurch sie ohne jede Einschränkung mit ihren Investitionen in unseren Ländern machen können, was sie wollen. Freier Kapital- und Warenfluß auf der ganzen Welt, natürlich mit der Ausnahme der Ware, die man Menschen der Dritten Welt nennt - der moderne Sklave, die billige Arbeitskraft, von dem es so viele auf unserem Planeten gibt und der die Freihandelszonen in seinem eigenen Land überschwemmt oder Straßen kehrt, Obst und Gemüse erntet und die mühsamsten und am schlecht bezahltesten Arbeiten verrichtet, wenn man ihn legal oder illegal in den alten Konsumstädten und -gesellschaften duldet.

Das ist der Typ globaler Kapitalismus, den man uns aufzwingen will. Unsere mit Freihandelszonen zugepflasterten Länder hätten dabei nur die mageren Gehälter derjenigen, die das Privileg haben, Arbeit zu finden, während eine Menge Multimillionäre Reichtümer über Reichtümer anhäufen, von denen man nicht einmal weiß, wie weit sie sie noch steigern werden.

Die Tatsache, daß ein US-Bürger, ganz egal wie talentiert und klug er auf technischem Gebiet und beim Verhandeln auch immer sein mag, ein Vermögen von 64 Milliarden Dollar besitzt, was dem jährlichen Einkommen von mehr als 150 Millionen Menschen aus den ärmsten Ländern entspricht, ist und bleibt schrecklich ungleich und ungerecht. Daß dieses Kapital sich in einigen wenigen Jahren angehäuft hat, weil sich alle drei oder vier Jahre der Wert der Aktien der großen US-Unternehmen kraft des Spiels der Börsengeschäfte verdoppelt hat, die den Wert des Anlagevermögens bis ins Unendliche aufblähen, zeigt eine Wirklichkeit, die nicht vernünftig, nachhaltig und erträglich ist. Jemand muß für all das zahlen - das ist die Welt mit astronomischen Zahlen von Armen und Hungernden, Kranken, Analphabeten und Ausgebeuteten, die unsere Erde bevölkern.

Welches Jahr 2000 werden wir feiern? In welch einem neuen Jahrhundert werden wir leben? Nebenbei gesagt geht dieses Jahrhundert nicht am 31. Dezember zuende. Die Leute haben sich betrogen, weil sie das so wollten, weil das letzte Jahr dieses Jahrhunderts tatsächlich das Jahr 2000 und nicht etwa 1999 ist (Beifall). Trotzdem wird es Feiern geben und ich denke, daß einige ganz besonders zufrieden sein werden mit den Feiern am 31. Dezember 1999 und am 31. Dezember 2000, und diejenigen, die Süßigkeiten, Getränke, Weihnachtsgeschenke, Weihnachtsmänner und all diese Sachen verkaufen, einen großes Geschäft machen in zwei Jahren des Jahrhundertwechsels anstatt nur einem (Lachen). Frankreich wird mehr Champager als je zuvor verkaufen.

Ich bleibe ruhig. Bereits den Jahreswechsel, der uns das Jahr 1999 beschert hat, habe ich damit zutragen müssen, eine Rede zu schreiben, was gewisse Vorteile hat, weil es einem dadurch nicht in den Sinn kommt, zusätzliche Argumente und Themen aufzugreifen und man sich strikt an das hält, was man sich vorgenommen hat. Damit war ich um 24.00 Uhr an diesem 31. Dezember beschäftigt. Aber ich war zufrieden, wir waren dabei, 40 Jahre einer Revolution rundzumachen, die man nicht besiegen konnte (längerer Beifall). Was soll ich euch sagen, ich war wirklich glücklich.

Die Welt wird das 21. Jahrhundert erwarten und dabei werden einige Menschen unter den Brücken von New York leben, eingewickelt in Papier, während andere aus riesigen Vermögen schöpfen. In diesem Land gibt es viele Milliardäre, aber unvergleichlich mehr leben unter Brücken, in Häusereingängen oder in verfallenen Wohnungen. Millionen Menschen in den USA selbst leben in kritischer Armut, was die fanatischen Verteidiger der Wirtschaftsordnung nicht mit Stolz erfüllen kann, die der Menschheit aufgezwungen wurde.

Vor einigen Tagen sprach ich mit einer Delegation aus den USA, die uns in Kuba besucht hat. Es waren wirklich informierte, freundschaftliche und herausragende Personen. Es gab auch Priester und Wissenschaftler in dieser Gruppe. Sie erzählten mir, daß sie in der Bronx den Bau eines Kinderkrankenhauses förderten. Daraufhin fragte ich sie: "Gibt es denn in der Bronx kein einziges Kinderkrankenhaus?" Ihre Antwort: "Nein". "Und wieviele Kinder gibt es in der Bronx?", fragte ich sie. Sie antworteten: "Vierhunderttausend Kinder". Das heißt also, daß es dort, in einer Stadt wie New York, 400.000 Kinder gibt, viele von ihnen von puertorikanischer Herkunft, vor allem Hispanos und Schwarze, die kein Kinderkrankenhaus haben.

Aber noch etwas verrieten sie mir: "Es gibt 11 Millionen US-amerikanische Kinder, die keinen Krankenversicherungsschutz haben". Dazu muß man sagen, daß es sich im allgemeinen um farbige Kinder, Mischlinge, Indianer oder Einwandererkinder lateinamerikanischer Herkunft handelt. Glaubt nicht, daß in dieser Gesellschaft die Diskriminierung nur mit der Hautfarbe zu tun hat, nein, nein, nein. Ganz egal ob schwarzhaarig oder blond, Frauen oder Männer, oft wird man einfach nur deshalb verachtet, weil man Lateinamerikaner ist (Beifall).

Als ich mich damals einmal in diesem Land aufhielt und in eine Cafeteria ging oder in einem dieser Motels am Rande der Landstraßen abstieg, bin ich mehr als einmal herablassend behandelt worden. Fast wären sie wütend geworden, als ein Latino dort abstieg. Ich hatte den Eindruck, daß es in dieser Gesellschaft viel Haß gab.

Die 11 Millionen Kinder ohne gesicherte medizinische Betreuung gehören zum großen Teil diesen Minderheiten an, die es in den Vereinigten Staaten gibt. Das sind diejenigen, die die höchsten Kindersterblichkeitsraten aufweisen. Ich fragte sie, wie hoch sie in der Bronx wäre, und sie sagten mir, daß sie glaubten, sie läge um die 20 oder 21 im ersten Lebensjahr, und daß es noch andere schlechtere Ergebnisse gäbe - in Washington selbst weiß ich nicht, wie hoch sie ist -, und daß in Gebieten mit spanisch-amerikanischen Einwanderern 30 oder mehr stürben. Das ist keine gleichmäßige Verteilung.

Ihre Kindersterblichkeitsrate liegt über der Kubas. Das Land, über das eine Blockade verhängt wurde, dem der Krieg erklärt wurde und dem 3.000 Ärzte gestohlen wurden, weist heute eine Kindersterblichkeitsrate von nur 7,1 pro 1.000 Lebendgeborenen im ersten Lebensjahr auf (Beifall). Unsere Kennziffern sind besser und das Niveau ist auf Landesebene ziemlich ähnlich. In einigen Provinzen liegt die Rate bei 6 - und das nicht einmal in der Hauptstadt. In anderen Provinzen liegt sie um die 8, aber sie bewegt sich innerhalb dieser Spanne von zwei oder drei Punkten Unterschied im Vergleich zum landesweiten Durchschnitt, weil es eine wirklich flächendeckende medizinische Versorgung gibt, in deren Genuß alle Gesellschaftsschichten und Regionen kommen.

Seit Beginn der Spezialperiode konnten wir in diesen schrecklichen acht Jahren trotzdem diese Rate von 10 auf 7,1 senken - das Ergebnis von 1998 (Beifall). Eine Verringerung um 30% trotz der Tatsache, wie ich euch sagen muß, daß als diese schwierige Prüfung mit dem Zusammenbruch des sozialistischen Lagers und vor allem der UdSSR begann, mit dem wir den größten Teil unseres Handels abwickelten, und während sich andereseits der Wirtschaftskrieg der Vereinigten Staaten gegen Kuba verschärfte, hatte sich z.B. trotz vieler Anstrengungen, die wir unternahmen, der tägliche Kalorienverbrauch pro Kopf von 3.000 auf 1.863, bzw. der tägliche Verbrauch von pflanzlichen oder tierischen Proteinen von 75 Gramm auf zirka 46 Gramm verringert. Oh, u.a. wesentlichen Dingen aber wurde der Liter Milch sehr billig und subventioniert für alle Kinder bis 7 Jahre um jeden Preis aufrechterhalten (Beifall).

Wir haben uns so arrangiert, damit wir die am Verletztbarsten unterstützen konnten. D.h. im Falle einer schweren Dürre oder einer anderen Naturkatastrophe alle zu schützen, aber besonders Kinder und ältere Menschen, und dafür einige Mittel woher auch immer zu beschaffen.

Zu den Fortschritten unserer Revolution inmitten der Spezialperiode zählt die Schaffung einer Zahl von neuen Wissenschaftsinstituten großer Bedeutung. Unser Land stellt 90% der Medikamente, die es verbraucht, selbst her, wenn es auch bestimmte Rohstoffe einführen muß und sie aus fernen Ländern beschaffen muß. Es gibt einen Mangel an Medikamenten, das will ich gar nicht bestreiten, aber es wurde das Möglichste unternommen, damit die grundlegendsten Arzneimittel niemals fehlen - eine zentrale Reserve, falls eines Tages einmal eines ausfallen oder ausgehen sollte. Wir versuchen außerdem, eine zweite einzurichten. Das sind vorausschauende Maßnahmen, weil man diejenigen schützen muß, die am meisten Probleme haben könnten. Natürlich ist es auch möglich, Medikamente von Familienangehörigen aus dem Ausland zu empfangen. Dazu stellen wir die Bedingungen bereit. Dafür wird absolut nichts in Rechnung gestellt. Dafür muß man nichts zahlen. Wir arbeiten aber weiterhin daran, daß der Staat diese Mittel unserer gesamten Bevölkerung zur Verfügung stellen kann.

Trotz besagter Lebensmittelrationierung konnten wir die Kindersterblichkeitsrate, wie ich bereits sagte, um 30% senken. Wir konnten die Lebenserwartung halten und sogar erhöhen. Auf der anderen Seite wurde keine einzige Schule geschlossen (Beifall), es wurde keine einzige Lehrerstelle gestrichen - im Gegenteil: die pädagogischen Hochschulen stehen allen offen, die sich immatrikulieren wollen (Beifall).

Damit es keine Mißverständnisse gibt, muß ich darauf hinweisen, daß wir nicht genauso mit allen Studiengängen verfahren konnten. In Medizin mußten wir bereits gewisse Zusatzbeschränkungen einführen. Gleichzeitig versuchen wir aber die Medizinstudenten besser vorzubereiten, mit mehr Qualität, weil wir in unserm Kampf gegen den Nachbarn viele Mediziner ausgebildet und ihnen sogar die Erlaubnis erteilt haben, auszuwandern, wenn sie dies wünschten. Im Laufe des Kampfes konnten wir 21 Medizinfakultäten errichten (Beifall).

Gerade jetzt bieten wir jungen Mittelamerikanern 1.000 Stipendien an, damit sie in unserem Land zu Ärzten ausgebildet werden (Beifall), wozu während 10 Jahren noch 500 zusätzliche Stipendien jährlich kommen. Wir sind im Begriff, eine lateinamerikanische Medizinische Fakultät zu schaffen (Beifall und Ausrufe). Durch die eingeleiteten Ausgabenkürzungen, trotz der uns bedrohenden Gefahren sogar im Verteidigungsetat, werden die neuen Gebäude einer ausgezeichneten Akademie zur Ausbildung von Kapitänen und Schiffahrtstechnikern, sowohl aus dem zivilen als auch aus dem militärischen Bereich, die in ein anderes Gebäude umziehen, für die neue Medizinische Fakultät zur Verfügung gestellt. Im März wird sie fertiggestellt sein und die ersten Studenten aus Mittelamerika werden für einen sechsmonatigen medizinischen Vorbereitungskurs erwartet, um ihre Kenntnisse aufzufrischen und akademisches Massensterben zu verhindern. Im September werden mehr als 1.000 Jugendliche aus Mittelamerika ihr erstes Studienjahr in Medizin aufnehmen (Beifall). Ich weiß nicht, ob ich hinzufügen muß, daß es absolut kostenlos ist (Beifall).

Vielleicht - und versteht das nicht falsch als Werbung für Kuba, es hat vielmehr mit den Ideen zu tun, die ich vorschlage, was man mit sehr wenig bewerkstelligen kann - sollte ich euch sagen, daß wir den mittelamerikanischen Ländern, die von dem Hurrikan Mitch betroffen wurden, 2.000 Ärzte angeboten haben (Beifall). Wir haben ihnen versichert, daß unser medizinisches Personal bereit ist, daß wenn ein oder mehrere entwickelte Länder - und es gab schon bestimmte Antworten - die Medikamente lieferten, wir in Mittelamerika jedes Jahr - denkt einmal - jedes Jahr! - soviele Leben retten könnten, wie der Hurrikan gefordert hat, wenn wir von einer Opferzahl von nicht weniger als 30.000 Menschen durch den Hurrikan ausgehen, wie bereits gesagt, und daß davon rund 25.000 Kinder sein würden.

Wir haben nachgerechnet und die Medikamente, um ein Kind zu retten, kosten oftmals Pfennigbeträge. Was man mit keinem Geld bezahlen kann ist der Arzt, der in einem Bewußtsein ausgebildet wurde, das ihn in den Bergen arbeiten läßt (Beifall), in den entlegendsten Gebieten, in Sumpfgebiet, die von sovielen Insekten wimmeln, wie es nur geben kann, Schlangen, Moskitos und einigen Krankheiten, die es in unserem Land nicht gibt - und keiner von ihnen zweifelt dabei. Die große Mehrheit der Ärzte, die sich freiwillig für diese Aufgabe gemeldet haben, stehen bereit und es gibt in diesem Augenblick bereits zirka 400, die in Mittelamerika und in Haiti arbeiten, dem wir nach dem Hurrikan Georges das gleiche Angebot gemacht haben. Dort befinden sich ungefähr 250 Ärzte.

In Haiti liegt der Prozentsatz an Leben, das man retten könnte, noch höher, weil die Kindersterblichkeit in den ersten Lebensjahren 130 oder 132 beträgt, d.h. wenn man sie auf 35 senken würde - und in unserem Land weiß man auswendig, wie das geht - könnten jedes Jahr rund 100 Kinder pro 1.000 Lebendgeborenen gerettet werden. Daher ist das Potential größer. Es gibt dort 7,5 Millionen Einwohner, eine sehr hohe Geburtenrate, weswegen ein Arzt dort mehr Leben retten kann. In Mittelamerika liegt der Durchschnittswert in den vom Hurrikan verwüsteten Ländern zwischen 50 und 60 - das ist fast die Hälfte des Potentials von Leben, die man retten kann.

Ich muß euch sagen, daß dies vorsichtige Rechnungen sind, es gibt eine Spanne oberhalb der erwähnten Zahlen und eine Überlegung: Wir wollen unsere Ärzte nicht in den Städten, wir wollen sie nicht auf dem Asphalt, weil wir nicht wollen, daß sich irgendein Arzt in diesen Ländern auf irgendeine Weise bedrängt fühlt durch die Gegenwart der kubanischen Ärzte, weil sie ihren Dienst in jenen Gebieten leisten werden, wo es keinen Arzt gibt und wo keiner hinmöchte. Im Gegenteil - wir haben die besten Beziehungen, die beste Zusammenarbeit zu den Ärzten vor Ort - ganz gleich, ob es sich um einen Privatarzt handelt oder nicht. Wenn sie einen Patienten übernehmen wollen, sollen sie ihn übernehmen.

Wir haben gesagt, daß die Zusammenarbeit mit den Ärzten unverzichtbar ist, wie auch die Zusammenarbeit mit allen Bereichen. Unsere Ärzte gehen nicht dorthin, um politische Ideen zu predigen, sie erfüllen dort eine humanitäre Mission, das ist ihre Aufgabe. Genauso wie die Zusammenarbeit mit Priestern und Pastoren, denn es gibt viele von ihnen, die ihre Mission in abgelegenen Gebieten erfüllen. Einige unserer ersten Ärzte übernachteten in Pfarrgebäuden.

So arbeiten sie tatsächlich in guter Koordinierung, was uns sehr mit Freude erfüllt. Sie arbeiten in unwegsamem Gelände, wo es Indios gibt, die ihre eigene Sprache mit großer Würde sprechen, sowie Bauern, die in Dörfern wohnen, in denen die Arbeit einfacher ist als in Kuba selbst, weil sie in unserem Land einsam in den Bergen wohnen und der Arzt ihnen regelmäßig einen Hausbesuch abstatten muß - normalerweise hat er dabei weit zu Fuß zu gehen. Ein Dorf dagegen kann bis zu drei Mal am Tag abgegangen werden.

Dort wird ein Programm durchgeführt, das ein deutlicher Beweis dafür ist, was man mit geringem materiellem Aufwand leisten kann - und das wichtigste - das wissen jene Gentlemen nicht, die Herren, die die Finanzinstitute leiten, die ich erwähnt habe - ist, daß es ein Kapital gibt, daß viel mehr wert ist als alle ihre Millionen - das ist das menschliche Kapital (Beifall).

Jeden Tag treffe ich einen dieser Gehilfen von Bill Gates, den Computerchampion, und ich frage ihn: Könnten sie einmal schätzen, wieviele US-Amerikaner im Ausland Dienst geleistet haben, seitdem die Friedenkorps ins Leben gerufen wurden?, um zu sehen, ob es zufällig mehr sind als die Anzahl der Kubaner, die das getan haben als Frucht des großzügigen und solidarischen Geistes dieser Insel und dieses Volkes, das so sehr verleumdet und ignoriert wird und gegen das ein Krieg geführt wird, der nicht einmal gegen die Faschisten der Apartheid geführt wurde - damit meine ich den Wirtschaftskrieg. Ich kenne anständige US-Amerikaner, selbstlose Menschen. Ich kenne sie. Es ist ein großes Verdienst, daß dort, wo das System nur Egoismus und das Gift des Individualismus sät, es aus dem einen oder anderen Grund viele selbstlose Menschen gibt. Ich achte diese US-Amerikaner. Ich habe einige von ihnen kennengelernt, die in den Friedenkorps waren. Aber ich bin sicher, daß sie seitdem sie gegründet wurden, nicht soviel mobilisieren konnten wie Kuba.

Als in Nicaragua einmal 1.000 Lehrer gebraucht wurden - danach waren es ein bißchen mehr - baten wir um Freiwillige und es meldetetn sich 30.000. Als dann die Banden des schmutzigen Krieges gegen die Sandinisten, die von den USA aufgebaut und ausgestattet wurden, einige unserer Lehrer umbrachten - sie waren nicht in den Städten, sondern in den entlegendsten Winkeln des Landes und lebten unter den Bedingungen, in denen die Bauern lebten - haben sich 100.000 gemeldet (Beifall). Das meine ich damit! Ich muß noch hinzufügen, daß die Mehrheit derjenigen, die dorthin gereist sind, Frauen waren, weil die Frauen in diesem Beruf die Mehrheit stellen (Beifall).

Daher spreche ich von Idealen, deswegen spreche ich von Bewußtsein, deswegen glaube ich an das, was ich sage, deswegen glaube ich an den Menschen, denn wenn so viele unserer Landsleute in diese Region gereist sind oder bereit waren, zu reisen, hat sich gezeigt, daß das Bewußtsein und die Idee der Solidarität und des Internationalismus viele Menschen erreichen können (Beifall).

Um die Idee zuendezuführen. Ich habe euch ja bereits gesagt, daß sie uns die Hälfte der Ärzte wegnahmen und mehr als die Hälfte der Dozenten der einzigen Medizinischen Fakultät, die es in Kuba gab. Wir haben uns der Herausforderung gestellt. Es gibt nichts Größeres als eine Herausforderung und Kuba verfügt heute über 64.000 Ärzte - ein Arzt auf 176 Einwohner (Beifall). Das sind zwei Mal soviele Ärzte pro Kopf, wie in dem am weitesten industrialisierten Land der Ersten Welt. Was ich euch nicht gesagt habe, ist daß seit Beginn der Spezialperiode bis heute 25.000 neue Ärzte in das Gesundheitssystem eingegliedert wurden - vor allem in die Gemeinden im ganzen Land, in Städten, auf dem Land, den Flachebenen und in den Bergen. Das nennt man Humankapital!

Der Mensch kann viel einfacher erorbert als gekauft werden (Beifall). Es ist glücklicherweise viel einfacher, ihn zu erobern, weil die Exekutive der Vereinigten Staaten mit ihrer sogenannten Flexibilisierung der Blockade, die in Wirklichkeit die ganze Welt an der Nase herumführt, praktisch vorgeschlagen hat, daß jeder US-Amerikaner einen Kubaner kauft (Lachen). Ich meine: Nun gut, unser Preis wird höher (Lachen), weil 27 US-Amerikaner auf jeden Kubaner kommen. Dieser Regierung ist nach all dem, was es gegen unser Land unternommen hat und nach der Verschärfung ihres Wirtschaftskrieges unter dem Druck der extremen Rechten, ein letzter Einfall gekommen: Zu schauen, wie sie uns einem nach dem anderen kaufen (Lachen). Aber nicht mehr nur einen Minister oder eine andere Führungspersönlichkeit aus der Staatsverwaltung oder einen Politiker, sondern den ganz gewöhnlichen Bürger, indem jeder US-Amerikaner jetzt die Erlaubnis besitzt - natürlich immer erst nach ihrer Zustimmung - den Kubanern Geld zu schicken, selbst wenn er in keinstem Grade mit ihm verwandt ist.

Ich sage: Sehr gut, jetzt wissen wir wenigstens, daß wir etwas wert sind (Lachen), weil es Leute gibt, die etwas für uns zahlen wollen, eine sehr reiche Regierung, die die Losung ausgegeben hat, uns zu kaufen. Es gibt 4 Milliarden Arme auf der Welt, für die sie keinen Pfennig ausgeben (Lachen und Beifall). Sie haben unseren Marktwert erhöht.

Ich erzähle euch das, weil wir unser Programm der ärztlichen Unterstützung auf Surinam ausweiten, das bereits um mehr als 60 Ärzte nachgefragt hat. Sogar die Behörden einer Region in Kanada, einer autonomen Provinz, haben um Ärzte nachgefragt. Sie sagen: Wir haben hier einfach keine Ärzte, die am nördlichen Polarkreis Dienst leisten möchten, sie wollen dort nicht hin. Daraufhin antworteten wir ihnen unverzüglich: Ja. Besprecht das mit eurer Regierung, weil das eure Angelegenheit ist. Natürlich müßten unsere Ärzte dort unter anderen Bedingungen hinreisen, und nicht etwa der Geschäfte wegen, sondern einfach aus der elemtaren Logik heraus, daß es sich um einen Industriestaat handelt. Ihre Dienste dort wären durchaus gerechtfertigt, wenn sie auch bescheiden vergütet würden, da es kein wirtschaftliches Interesse ist, das unser Verhalten bestimmt, sondern der aufrichtige Wunsch einer internationalen Kooperation im medizinischen Bereich, wo wir über ausreichende Arbeitskräfte verfügen.

Wenn es der kanadische Verantwortliche schafft, die Hindernisse aus dem Weg zu räumen, damit unsere Ärzte dorthin reisen, wird es kubanische Ärzte vom Amazonasdschungel bis zum nördlichen Polarkreis geben (Beifall). Unser Hauptaugenmerk gilt aber der Dritten Welt. Wir zahlen unseren Ärzten dort das bescheidene Gehalt, das sie in unserem Land erhalten. Das ist gut, wir freuen uns, denn die Ärzte sind sehr zufrieden mit ihrer Aufgabe. Sie besitzen eine hohe Moral und eine lange internationalistische Tradition.

Auch aus anderen Teilen der Welt hat man uns schon um Zusammenarbeit gebeten. So merken wir, daß die Idee, die aufkam, um Haiti zu helfen und sich dann auf Mittelamerika ausdehnte, sich nun auch auf andere Länder Lateinamerikas und der Karibik erstreckt. Wir haben kein Geld, aber wir haben viel Humankapital (Beifall).

Haltet das nicht für Prahlerei, aber man müßte schon sämtliche Ärzte der Vereinigten Staaten zusammennehmen, ich weiß nicht wieviele, um zu sehen, ob sie 2.000 Freiwillige zusammenbekommen, die bereit sind, in die Sümpfe zu marschieren, in die Berge und in unwirtliche Gegenden, wo unsere Ärzte hingehen. Es wäre schon eine kleine Probe wert, um das festzustellen, obwohl ich weiß, daß es auch dort selbstlose Ärzt gibt - ich will das gar nicht bestreiten. Aber 2.000 zusammenzubekommen und diesen Lebensstandard der Konsumgesellschaft zu verlassen, um in so einen Sumpf in Moskitoland zu gehen, den nicht einmal die spanischen Konquistadoren ertrugen, ist schon gelinde gesagt (Lachen und Beifall) fast ein Ding der Unmöglichkeit. Dort sind aber die kubanischen Ärzte - Humankapital.

Wenn wir von drei Ärzten einen dazu abstellen würden, könnten wir das Programm, das wir Haiti und Mittelamerika angeboten haben, dem ganzen Rest Lateinamerikas anbieten, in denen ähnliche Bedingungen herrschen - überall dort, wo Kinder sterben und wo ältere Menschen sterben, weil sie keine ärztliche Betreuung erfahren, und weil dort niemand hingeht. Wir haben das vorgeschlagen. Dieser Weg ist lang, aber wie ich merke, kann unser Land darauf eine Antwort geben. Schaut nur wieviel Humankapital man zusammentragen kann!

Wieviele Leben können gerettet werden? Wir haben öffentlich die Idee vorgestellt und vorgeschlagen, daß die Länder unserer Region sich vornehmen sollten, eine Million Leben pro Jahr zu retten - darunter das von Hunderttausenden von Kindern. Man kann sogar präzise ausrechnen, wieviel es kostet, eine Million Leben zu retten. Dabei sind die Kinderleben diejenigen, die am wenigsten Kosten verursachen, weil wir, wenn wir älter werden, bereits mehr Röntgenaufnahmen benötigen sowie Laboranalysen. Wir müssen dann mehr Medikamente kaufen und all das. Die Kleinen überleben fast von alleine, wenn sie die ersten Jahre überstanden haben. Man kann durch eine Impfung, die nur einige Pfennige kostet, ein Leben retten. Die Impfung gegen Kinderlähmung ist ein Beweis dafür.

Wir haben diese Idee vorgestellt, daß man mit ein bißchen Geld jedes Jahr eine Million Leben retten kann - von diesem Geld, das haufenweise für Luxusgüter verschwendet wird - denn die Ärzte dafür sind bereit. Man kann alle Medikamente Europas zur Verfügung haben und trotzdem keine Million Menschenleben retten, wenn es keine 15.000 oder 20.000 Ärzte gibt, die notwendig wären, um ein solches Programm umzusetzen.

Ich rede davon, das müßt ihr einmal überlegen, damit ihr wißt, was Kuba heute ist, warum Kuba so ist und welche die Normen sind, die in Kuba vorherrschen, das so schändlich in Bezug auf Menschenrechte verleumdet wird. Ein Land, in dem in 40 Jahren Revolution niemals jemand beseitigt wurde, wo niemals jemand gefoltert wurde (Beifall), wo es keine Todesschwadronen gibt und es jemals einen politisch motivierten Mord gegeben hätte oder ähnliche Dinge. Genausowenig wie es schutzlose alte Menschen gibt, auf der Straße lebende Kinder oder Schulen ohne Lehrer und Menschen, die vergessen oder ihrem Schicksal selbst überlassen wären.

Wir wissen nur zu genau, was an einigen Orten geschehen ist, wo unsere Nachbarn aus dem Norden hingingen, wie z.B. diejenigen, die in Mittelamerika den Sturz der Regierung eines der wichtigsten Länder der Region im Jahre 1954 organisiert haben. Dort richteten sich ihre Berater mit ihren Handbüchern über Folter, Repression und Tod ein. Jahrelang gab es die Bezeichnung Gefangener nicht, man kannte sie nicht, nur Tote und Verschwundene. Hunderttausend in einem einzigen Land! - und dazu noch 50.000 Tote zusätzlich. Wir könnten noch das hinzufügen, was in vielen anderen Ländern geschehen ist bezüglich Folter, Morden, Verschwundenen, wiederholte militärische US-Interventionen unter irgendwelchen Vorwänden oder ohne jeden Vorwand. Sie erinnern sich nicht, davon sprechen sie nicht, sie haben das Gedächtnis verloren. Wir haben sie angesichts der schrecklichen Lebenserfahrungen der Völker unseres Amerikas herausgefordert. Wir werden mit Tatsachen, mit Realitäten beweisen, wer von wirklich humanitären Gedanken angetrieben ist, wer einen wirklichen Sinn für Humanität besitzt und wer in der Lage ist, etwas für den Menschen zu tun, außer Lügen, Losungen, Desinformation, Heuchelei, Täuschungen und all das, was sie in unserer Region im Laufe dieses Jahrhunderts verbreitet haben (Beifall).

Ich weiß, daß ich euch das nicht erst klarmachen muß, aber da ich schon einmal dieses Thema angesprochen habe, fühle ich mich verpflichtet, es auszusprechen, denn wie oft habt ihr nicht bestimmt schon desinformierte Personen getroffen, die - selbst wenn nur einen Teil - der Tonnen von Lügen und Verleumdungen glauben, die sie über unser Land verbreitet haben, um uns zu treffen, um uns zu schwächen, uns zu isolieren, um uns zu spalten. Sie haben es nicht geschafft, uns zu spalten und werden es auch nicht schaffen! (Beifall).

Ich habe euch diese Dinge fast ganz vertraulich gesagt. Ich konnte nicht herkommen und wie im Jahre 1959 davon sprechen, eine Expedition zu organisieren, um die Probleme in einem benachbarten Land zu lösen (Lachen). Wir wissen nur zu gut, daß heute kein Land alleine und auf sich selbst gestellt seine Probleme lösen kann. Das ist die Realität in dieser globalisierten Welt. Hier kann man sagen: Wir retten uns alle oder wir gehen alle unter (Beifall).

Martí sagte: "Das Vaterland ist die Menschheit", einer der außerordentlichsten Sätze, die er verfaßt hat. Wir müssen so denken - Das Vaterland ist die Menschheit!

Ich erinnere mich bei der Geschichte Kubas an den Fall eines spanischen Offiziers, der während des Zehnjährigen Krieges, dem ersten Kampf Kubas für die Unabhängigkeit, als die spanische Regierung acht unschuldige Medizinstudenten erschoß, weil sie angeklagt wurden, das Grab eines Rechtsextremisten geschändet zu haben, der daraufhin in einem unvergeßlichen Anflug der Bestürzung und des Protests sein Schwert zerbrach und ausrief: "Vor dem Vaterland kommt die Menschheit" (Beifall). Natürlich gibt es Teile dieser Menschheit, die näher liegen, andere die weiter entfernt liegen. Wenn wir von Menschheit sprechen, denken wir zuerst einmal an unsere lateinamerikanischen und karibischen Brüder, die wir niemals vergessen (Beifall). Anschließend, bezüglich des Rests dieser Menschheit, die unseren Planeten bevölkert, werden wir wohl dieses Konzept lernen müssen, diese Prinzipien - nicht nur lernen, sondern auch spüren und anwenden -, die in dem Satz von Martí enthalten sind.

Erstens haben wir, die lateinamerikanischen Völker, die Pflicht, ohne auch nur eine Minute zu verlieren, uns zusammenzuschließen. Die Afrikaner versuchen dies, zu erreichen. Die südostasiatischen Staaten haben den ASEAN und suchen nach Wegen zu einer wirtschaftlichen Integration. In Europa geschieht dies bereits sehr schnell. Das heißt, daß es in den verschiedenen Erdteilen subregionale und regionale Gemeinschaften geben wird.

Bolívar träumte von einer großen regionalen Gemeinschaft von Mexiko bis Argentinien. Wie ihr wißt, wurde der Amphiktyonische Kongreß von den Gentlemen im Norden sabotiert, die sich außerdem der Bolivarianischen Idee widersetzten, eine Expedition unter der Führung von Sucre loszuschicken, um die Insel Kuba zu befreien, was unverzichtbar war, um jegliches Risiko einer Bedrohung oder eines Gegenangriffs des gefürchteten und hartnäckigen spanischen Mutterlandes auszuschalten. So wurden wir also nicht vergessen von der venezolanischen Geschichte (Beifall). Heute, wo wir es geschafft haben, diese Insel aus der Vorherrschaft einer noch viel größeren Macht zu befreien, ist es unsere heiligste Pflicht, sie um der Interessen und der Sicherheit selbst unserer Brüder auf diesem Kontinent willen zu verteidigen.

Es ist klar, daß man auf möglichst verschiedene Weise an der Kooperation und Integration arbeiten muß. Schritt für Schritt - aber mit schnellen Schritten, wenn wir denn als regionale Einheit überleben wollen, die über dieselbe Sprache, Kultur und soviele andere gemeinsame Sachen verfügt, wie sie es in Europa nicht gibt, weil ich nicht weiß, wie sich ein Italiener mit einem Österreicher versteht (Lachen) oder mit einem Finnen, ein Deutscher mit einem Belgier oder einem Portugiesen. Trotzdem hat die Europäische Union es geschafft und bewegt sich mit schnellen Schritten auf eine noch größere wirtschaftliche und eine vollständige Währungsunion zu. Warum sollten wir uns für unfähig halten, nicht wenigstens an solche Möglichkeiten zu denken? Warum sollten wir nicht in allen Ländern mit unserer Sprache, unserer Kultur, unseren Glaubensüberzeugungen, unserem Mischlingsblut, das in den Adern der überwiegenden Mehrheit fließt, unitarische und integrationistische Tendenzen fördern?

Und wenn das Mestizentum im Blut nicht existiert, muß es in der Seele vorhanden sein (Beifall).

Was waren denn diejenigen, die die Schlacht von Ayacucho schlugen? Es waren Venezolaner aus Caracas und aus den Provinzen im Osten und Westen des Landes, Kolumbianer, Peruaner und Ecuadorianer. Vereint waren sie fähig, das zu tun, was sie taten. Und es fehlte auch nicht die unvergessene Kooperation der Argentinier und Chilenen. Unsere größte Sünde ist, daß wir danach fast 200 Jahre verloren haben.

In 11 Jahren wird genau der 200. Jahrestag der venezolanischen Unabhängigkeitserklärung und darauf folgend derjenige der anderen Länder begangen. Fast zweihundert Jahre! Was haben wir in diesen zweihundert Jahren gemacht, so gespalten, zersplittert, balkanisiert und unterworfen, wie wir waren? Es ist leichter, die sieben Zwerge zu beherrschen als einen Boxer, auch wenn wir sagen, es handele sich um ein Leichtgewicht (Lachen). Sie wollten uns als zwergenhafte und gespaltene Nachbarn beibehalten, um uns dauerhaft zu beherrschen.

Ich sprach nicht nur von der Notwendigkeit der Einheit Südamerikas, sondern auch von Zentralamerika und der Karibik, und gerade angesichts der aktuellen Ereignisse in Venezuela befinden wir uns in einem besonderen Augenblick, um dies zu betonen. Sie wollten uns spalten. Die Großmacht im Norden will einzig und allein das Freihandelsabkommen für Amerika und sonst nichts. Freihandelsabkommen und fast track - fast track bedeutet schnell, wie ich verstanden habe, nicht wahr? -, einen schnellen Schritt. Ja, ich schlage für uns auch einen fast track vor, einen schnellen Schritt, um uns zu vereinigen (Applaus). Die lateinamerikanische Antwort auf den fast track des Nordens muß ein fast track des Zentrums und des Südens sein (Applaus).

Man muß Brasilien helfen und dem Land Mut geben. Wir wissen sehr gut, daß den Vereinigten Staaten nicht einmal die Existenz eines MERCOSUR gefällt. Diese Vereinigung stellt die Keimzelle einer erweiterten Einheit dar und kann noch wachsen. Es gibt schon andere Nachbarstaaten, die nicht weit davon entfernt sind, sich dem MERCOSUR anzuschließen. Wir betrachten ihn als eine subregionale Vereinigung und als einen Schritt hin zu einer Regionaleinheit, die sich zunächst auf Südamerika und dann schnellstmöglich auch auf die Karibik und Zentralamerika erstreckt.

Wir denken hierbei an die Notwendigkeit, die Kontakte, Konzeptionen, konzertierte Aktionen und alle möglichen praktischen Schritte in diese Richtung zu intensivieren, bevor wir uns den Luxus leisten können, die Schaffung einer gemeinsamen Währung ins Auge zu fassen. Die Entwicklung von Ideen und Konzepten ist unserer Ansicht nach in diesem Bereich das, was wir jetzt unmittelbar tun können. Unterdessen muß um jeden Preis der politische und ökonomische Selbstmord eines Ersetzens unser nationalen Währungen durch diejenige der Vereinigten Staaten verhindert werden, wie auch immer die Schwierigkeiten und Schwankungen aussehen mögen, die uns die momentane Wirtschaftsordnung aufzwingt. Denn diese Währungsübernahme würde schlicht und einfach die Annektierung Lateinamerikas durch die Vereinigten Staaten bedeuten. Wir würden nicht mehr als unabhängige Nationen anerkannt werden und damit auf jede Möglichkeit einer Teilnahme an der Gestaltung der Welt von morgen verzichten. Unter den aktuellen Umständen ist es unumgänglich, uns zu vereinigen, unsere Kräfte zu bündeln und unseren Einfluß zu erweitern.

Im April wird in der Dominikanischen Republik die Tagung der Staaten des karibischen Beckens stattfinden, worauf sich fast unmittelbar danach das Treffen mit der Europäischen Union in Rio de Janeiro anschließt. Wir teilen bestimmte Interessen mit den Europäern. Es gibt Dinge von uns, die sie interessieren, und umgekehrt interessieren wir uns für bestimmte Dinge von ihnen. Es ist eine Tragödie, von einer einzigen Währung versklavt zu sein, wie wir es im Moment sind, und wir freuen uns deshalb, daß dem Olympiasieger mit seiner Goldmedallie durch den Euro jetzt ein Rivale erwächst (Lachen). Die Stärkung der Vereinten Nationen ist eine weitere unaufschiebbare Notwendigkeit. Man muß die Vereinten Nationen demokratisieren und der Generalversammlung, in der alle Mitgliedsländer vertreten sind, die höchste Autorität verleihen und ihr die Funktionen und die Rolle zusprechen, die ihr zustehen. Man muß die Diktatur des Sicherheitsrates und die Diktatur der Vereinigten Staaten innerhalb des Sicherheitsrates beenden (Beifall). Wenn man schon nicht das Vetorecht abschaffen kann, weil diejenigen, die das letzte Wort bei einer Reform dieses Typs haben, genau die sind, die das Recht haben, eine solche Reform per Veto zu blockieren, dann sollten wir wenigstens vehement einfordern, daß das Privileg des Vetos geteilt wird und daß die Anzahl der fünf ständigen Mitglieder entsprechend angehoben wird. Dies muß in Übereinstimmung mit der Art und Weise der Aufstockung der Anzahl der Mitglieder des Sicherheitsrates und den Veränderungen in den letzten 50 Jahren geschehen, so daß die Dritte Welt, wo seit dem Zweiten Weltkrieg eine große Zahl von Ländern als unabhängige Staaten entstanden sind, mit gleichen Vorrechten in diesem wichtigen Organ der Vereinten Nationen teilnehmen kann. Wir haben die Idee verteidigt, als Minimum zwei ständige Sicherheitsratssitze für Lateinamerika die Karibik, zwei für Afrika und zwei für die unterentwickelten Regionen Asiens zu fordern. Wenn zwei nicht ausreichen, könnte man in einigen oder mehreren der genannten Regionen die Zahl auf drei erhöhen. Wir stellen die überwiegende Mehrheit der Staaten in der Vollversammlung der Vereinten Nationen und können deshalb nicht zulassen, daß wir weiterhin ignoriert werden.

Wir würden uns der Einbeziehung weiterer Industriestaaten in den Sicherheitsrat nicht entgegenstellen, doch die absolute Priorität hat für uns die Präsenz von ständigen Mitgliedern aus Lateinamerika, der Karibik und den anderen erwähnten Regionen in diesem Organ, wobei sie die gleichen Vorrechte wie die weiteren ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates haben müssen (Beifall). Wenn dies nicht geschieht, werden wir drei Kategorien von Mitgliedern haben: Die ständigen Mitglieder mit Vetorecht, diejenigen ohne Vetorecht und die nichtständigen Mitglieder. Dem wurde eine Verrücktheit hinzugefügt, oder vielmehr eine Erfindung der Vereinigten Staaten, um zu spalten und damit die Privilegien ihres momentanen Status bei gleichzeitiger Verringerung der Vorrechte von möglichen neuen ständigen Mitgliedern beizubehalten: die Idee, die Mitgliedschaft zwischen zwei oder mehr Staaten pro Region rotieren zu lassen und damit letztlich diese lebenswichtige Reform auf Null zu reduzieren, auf das Nichts, auf einfaches Salz und Wasser.

Wenn man will, soll man doch das ärgerliche Vetorecht auf andere Art und Weise regeln, eine größere Anzahl von Mitgliedern für seine Anwendung einfordern und der Vollversammlung die Möglichkeit der Teilnahme an diesen grundlegenden Entscheidungen einräumen. Wäre das nicht die demokratischste und gerechteste Lösung?

Dort muß ein Kampf geführt werden. Man braucht die Einheit aller Länder der Dritten Welt, das haben wir den Afrikanern gesagt, als wir uns mit ihnen trafen, den Asiaten, den Karibikstaaten, allen Vertretern in den internationalen Organisationen: in den Vereinten Nationen, bei den Tagungen der Blockfreienbewegung und der Lomé-Staaten, in der Gruppe der 77, überall. Wir sind eine große Gruppe von Ländern mit gleichen Interessen und der Sehnsucht nach Fortschritt und Entwicklung. Wir bilden die absolute Mehrheit in fast allen internationalen Institutionen und ihr könnt sicher sein, daß man voranschreitet bei der Bewußtwerdung des Schicksals, das sie für uns vorgesehen haben. Man muß arbeiten, überzeugen, kämpfen, hartnäckig bleiben und niemals den Mut verlieren.

Die Nachbarn aus dem Norden spinnen permanent Intrigen, um uns zu spalten. Ich werde dafür vier Beispiele in bezug auf Lateinamerika anbringen.

Ihnen mißfällt der MERCOSUR, der bereits wirtschaftliche Erfolge erreicht hat, auch wenn er bisher nicht mehr ist als eine Keimzelle für die große regionale Integration, die wir anstreben und die sie absolut nicht wünschen. Was erfinden sie? Gut, viele Dinge. Zunächst erfinden sie diese Tagungen auf Kontinentalebene, von denen Kuba ausgeschlossen ist, als eine Art von Antwort auf den Ersten Iberoamerikanischen Gipfel in Guadalajara.

Sie erfinden die Idee, daß es nicht mehr als einen Sitz für Lateinamerika als ständiges Mitglied geben soll, mit dem Ziel, mehrere wichtige Vertreter unserer Region gegeneinander auszuspielen. Und plötzlich fügen sie die Bestimmung hinzu, Brasilien, Argentinien und Mexiko bei der Besetzung des Sitzes rotieren zu lassen, selbstverständlich ohne Vetorecht.

Prompt erfinden sie die spezielle Kategorie des strategischen Allierten für Argentinien, was Verdächtigungen und Unbehagen bei wichtigen befreundeten Nachbarstaaten hervorruft, und zwar genau in dem Moment, als sie angesichts des fortschreitenden MERCOSUR aufgerufen sind, sich weiter zu vereinen und eng zu kooperieren.

Sie erfinden die maquiavellische Entscheidung, den Verkauf von hochtechnologischen Waffen an die Länder der Region freizugeben, was einen kostspieligen, ruinösen und spaltenden Rüstungswettlauf zwischen ihnen entfesseln könnte. Wozu dienen diese Waffen, wo es doch keinen Kalten Krieg mehr gibt und weder das Gespenst der UdSSR noch eine andere äußere Sicherheitsbedrohung existiert, die nicht von den USA selbst ausgeht? Können diese Waffen etwa zur Einheit, der Kooperation, der Integration, dem Fortschritt oder dem Frieden zwischen uns beitragen? Was brauchen wir, um die Augen zu öffnen und endlich zu begreifen, welche die geostrategischen Ziele dieser Politik sind?

Unser kleines Land konnten sie nicht überall weiter ausschließen. Wir nehmen bereits an den Iberoamerikanischen Gipfeln teil, sind Mitglieder der Vereinigung der Karibischen Staaten, gehören zum SELA, wurden in die ALADI eingegliedert, haben exzellente Beziehungen zur CARICOM, sind beim großen Gipfel der Europäischen Union, Lateinamerikas und der Karibik präsent, der in Rio de Janeiro stattfindet, wurden als Beobachter im Kreis der Staaten des Lomé-Abkommens zugelassen, sind aktive Mitglieder der Gruppe der 77 und nehmen als Gründungsmitglieder einen herausragenden Platz in der Blockfreienbewegung ein. Wir gehören zudem der WTO an und arbeiten aktiv in den Gremien der Vereinten Nationen mit, die eine große Tribüne und eine Institution darstellen, die nach erfolgter Demokratisierung ein Grundpfeiler einer gerechten und menschlichen Globalisierung sein könnte.

Was machen wir dort? Wir reden, erklären und sprechen Probleme an, von denen wir wissen, daß sie einen großen Teil der Menschheit eng betreffen. Wir tun dies mit der Freiheit dessen, der dies so ohne Druck vortragen kann, denn es gibt befreundete Staaten in Afrika, Asien, Lateinamerika und anderen Regionen, die gerne viele Dinge energisch vorbringen würden, aber nicht die Möglichkeiten von Kuba haben, das bereits aus allen internationalen Finanzorganisationen ausgeschlossen ist, blockiert wird und einem Wirtschaftskrieg ausgesetzt ist, weshalb es unverwundbar gegenüber jeglicher Repressalie dieser Art ist und zudem durch einen vierzigjährigen harten Kampf gestärkt wurde, was uns die absolute Freiheit gibt, so zu handeln. Die anderen Staaten haben möglicherweise ein vitales Bedürfnis nach einem Kredit der Weltbank, der Interamerikanischen Bank, einer anderen Regionalbank, einer Verhandlung mit dem Internationalen Währungsfonds oder einem Exportkredit, was einer der vielen von den USA angewendeten Mechanismen ist, so daß dadurch ihr Handlungsspielraum eingeengt ist. Kuba hat deshalb oftmals die Aufgabe übernommen, in aller Freiheit die großen Menschheitsprobleme anzusprechen.

Trotz alldem gibt es in unseren armen Ländern mutige Menschen, so zum Beispiel dieses Jahr in den Vereinten Nationen, als der kubanische Antrag gegen die Blockade die Unterstützung von 157 Stimmen bei nur 2 Gegenstimmen bekam (Beifall). Sieben Jahre machen wir dieses Spiel jetzt schon. Beim ersten Mal waren es etwa 55 Ja-Stimmen und 4 oder 5 Nein-Stimmen. Der Rest enthielt sich oder war abwesend. Denn wer wollte sich schon ein Problem mit den Yankees einhandeln? Denn dort wird offen mit Handzeichen abgestimmt (Lachen).

Aber die Angst läßt nach, sie ließ in der Tat nach. Die Würde kann anwachsen, und sie wächst in der Tat. Im darauffolgenden Jahr waren es schon mehr als 66 Ja-Stimmen, im Jahr darauf über 70, später wuchs die Zahl über einhundert, und jetzt, wo wir die Unterstützung von fast 160 Staaten gegenüber 2 Gegenstimmen haben, kann die Zahl nicht mehr wachsen, denn am Ende wird mit Ausnahme der USA niemand mehr übrigbleiben, der die unmenschliche, grausame und unendliche Blockade unterstützt, es sei denn, die Vereinigten Staaten stimmen eines Tages für uns und helfen dem kubanischen Anliegen (Lachen und Beifall).

Es geht voran, man gewinnt an Boden. Die Völker wissen aus Intuition oder Instinkt, daß oftmals verleumderische Beschuldigungen erhoben werden. Die Völker haben einen augeprägten Instinkt! Außerdem kennen sie die Verleumder, die überall zugegen sind, Menschen mißhandeln und Egoismus und Haßgefühle säen. Sie kennen sie. Es ist schwierig, die Geringschätzung zu verbergen, und die Länder der Dritten Welt leiden sehr unter der Arroganz und der Geringschätzung.

Die Regierungen der Vereinigten Staaten haben uns die Möglichkeit gegeben, in die höchsten Stadien des Kampfes einzutreten, indem sie uns blockieren, permanent anfeinden und überall ausschließen wollen. Aber wir sind sogar glücklich darüber, überall ausgeschlossen zu sein, denn das gibt uns im Gegenzug die Freiheit, ohne Rücksichtnahme auf jeder Bühne der Welt zu sprechen, wo es so viele gerechte Anliegen zu verteidigen gibt (Beifall).

Wir können im Allgemeinen eine gewisse Rücksicht gegenüber anderen Ländern zeigen, aus den Gründen, die ich bereits erläutert habe, aber ihnen gegenüber, dem Grundpfeiler der Reaktion und der Ungerechtigkeit in unserer Epoche, können wir die Wahrheit und immer nur die Wahrheit sagen, mit Beziehungen und ohne Beziehungen, mit Blockade und ohne Blockade. Sie sollen sich nicht die geringste Illusion machen, daß Kuba im Falle einer Aufhebung der Blockade aufhören würde, mit der gleichen Offenheit und der gleichen Ehrlichkeit zu sprechen, mit der es in den letzten vierzig Jahren gesprochen hat! (Beifall und Ausrufe) Dies ist eine historische Pflicht.

Ich werde bald Schluß machen, wenn ihr es mir erlaubt (Ausrufe: "Nein"). Denkt daran, daß ich hier zu Besuch bin (Lachen), und ich bin hier unter euch, den Studenten, ich bin hier in diesem Land, das ich ehrlich bewundere und sehr liebe (Beifall und Ausrufe).

Das sind nicht die Worte eines Schmeichlers. Ich war immer begeistert von der Geschichte. Das erste, was ich studierte, war genau Geschichte, denn als ich in die erste Klasse kam, gaben sie mir direkt ein Buch über die biblische Geschichte - davon habe ich einige Dinge gelernt, an die ich mich noch heute erinnere (Lachen) - und selbstverständlich die Geschichte der Arche Noahs, des Auszugs aus Ägypten, der Schlachten und der Überquerung des Roten Meeres. Manchmal unterhalte ich mich mit einigen befreundeten Rabbinern und sage ihnen: "Erzählt mir, wo sie umgekehrt sind" (Lachen). Spaß beiseite, ich respektiere wirklich die Religionen, denn ich habe es immer als eine elementare Pflicht angesehen, den Glauben jedes einzelnen zu respektieren. Manchmal diskutiere ich sogar über relativ theologische Fragen der Weltbetrachtung und des Universums. Aus Anlaß des Papstbesuches hatte ich das Vergnügen und die Gelegenheit, einige wirklich sehr intelligente Theologen kennenzulernen, die ich mit Fragen jeder Art bombardierte (Lachen und Beifall).

Ich traute mich nicht, einem von ihnen Fragen über Dogmen oder Glaubensfragen zu stellen, aber sehr wohl Fragen anderen Typs, wie z.B. über den Weltraum, das Universum und die Theorien über deren Ursprung sowie die Möglichkeiten der Existenz von Lebewesen auf anderen Planeten und andere Dinge, über die man sich mit sehr viel Ernst unterhalten kann. Mit Ernsthaftigkeit und Respekt kann man über jedes Thema sprechen, und ausgehend von diesem Respekt stellen wir Fragen und machen sogar manchmal Scherze.

Gut, also ich war jetzt hier, und ich wollte euch erzählen, daß ich etwas über Venezuela sagen muß, nicht wahr? Wenn ihr es mir erlaubt (Beifall und Ausrufe: "Ja!"). Ihr werdet sagen: "Er kam nach Venezuela und hat nichts über uns gesagt". Ich warne euch alle, daß dies nicht leicht ist, aus den Gründen, die ich bereits erwähnt habe.

Ich fing schon an zu erzählen, daß dies immer ein Land war, das ich sehr mochte, denn hier hatte die Geschichte meiner Leidenschaft für die Geschichte ihren Ausgangspunkt, für die Menschheitsgeschichte, die Geschichte der Revolutionen und Kriege, die Geschichte Kubas, die Geschichte Lateinamerikas und hierbei speziell die von Venezuela. So kam ich dazu, mich stark mit dem Leben und den Ideen Bolivars zu identifizieren.

Der Zufall wollte es, daß Venezuela das Land war, das am meisten für die Unabhängigkeit dieser Hemisphäre gekämpft hat (Beifall). Es begann hier und sie hatten mit Miranda einen legendären Vorreiter, der sogar eine französische Armee im Krieg befehligte und berühmte Schlachten schlug, die eine Invasion des Territoriums der französischen Revolution verhinderten. Vorher hatte er in den Vereinigten Staaten für die Unabhängigkeit jenes Landes gekämpft. Ich besitze eine große Sammlung von Büchern über das sagenhafte Leben Mirandas, auch wenn ich noch nicht alle habe lesen können. Die Venezolaner hatten also Miranda, den Vorreiter der Unabhängigkeit Lateinamerikas, und danach Bolívar, den Befreier, der für mich immer der größte unter den großen Gestalten der Geschichte war (Aus dem Publikum rufen sie ihm zu: "Auch Fidel!").

Stuft mich doch bitte auf dem vierzigtausendsten Rang ein. Ich erinnere mich immer an einen Satz Martís, der mir am meisten im Gedächtnis hängengeblieben ist: "Der gesamte Ruhm der Welt hat in einem Maiskorn Platz". Viele der großen geschichtlichen Persönlichkeiten sorgten sich sehr um den Ruhm, und das ist kein Grund, sie zu kritisieren. Das Konzept der Zeit, des Sinns der Geschichte, der Zukunft, der Bedeutung und des Überdauerns der Geschehnisse seines Lebens, das ein Mensch haben kann, vielleicht war es das, was sie unter Ruhm verstanden. Das ist natürlich und erklärbar. Bolívar sprach gerne vom Ruhm und er redete sehr entschieden von Ruhm. Dafür kann man ihn nicht kritisieren, denn ein großer Nimbus wird immer seinen Namen begleiten.

Martís Konzept des Ruhms, das ich vollkommen teile, kann mit der persönlichen Eitelkeit und der Selbstverherrlichung des einzelnen in Verbindung gebracht werden. Die Rolle des Individuums bei wichtigen geschichtlichen Ereignissen wurde sehr oft diskutiert und sogar zugestanden. Was mir besonders an dem Satz Martís gefällt, ist die Idee der Unbedeutsamkeit des Menschen an sich im Angesicht der enormen Transzendenz und Bedeutung der Menschheit und der unermesslichen Weite des Universums, sowie die Tatsache, daß wir im Grunde nichts weiter sind als ein winziges im All schwebendes Staubpartikel. Diese Realität verringert aber nicht im Geringsten die Größe des Menschen, sondern erhöht sie im Gegenteil vielmehr, wenn der Geist dieses Menschen, wie im Falle Bolívars, von einem ganzen Universum an gerechten Ideen und noblen Gefühlen bestimmt war. Deshalb bewundere ich Bolívar so sehr und sehe sein Lebenswerk als so enorm an. Er gehört weder zum Stamm der Eroberer von Territorien und Nationen noch zu dem der Gründer von Imperien, der anderen Ruhm verliehen hat. Er bildete Nationen, befreite Territorien und zerstörte Imperien. Er war außerdem ein brillianter Soldat, herausragender Denker und Prophet. Heute versuchen wir das zu tun, was er tun wollte und was bisher noch nicht erreicht wurde, nämlich die Vereinigung unserer Völker unter Befolgung der Leitlinien jenes Einheitsdenkens, welches das einzige darstellt, das unserer Kultur und unserer Epoche angemessen ist, damit die Menschen morgen in einer vereinten, brüderlichen, gerechten und freien Welt leben und sich kennenlernen können, wie Bolívar es für die aus Weißen, Schwarzen, Indianern und Mestizen zusammengesetzten Völker unseres Amerikas vorgesehen hatte.

Wir befinden uns hier in dem Land, für das wir besondere Bewunderung, Respekt und Zuneigung empfinden. Als ich vor 40 Jahren hierher kam, drückte ich es so mit tiefster Dankbarkeit aus, denn nirgendwo wurde ich besser und mit soviel Herzlichkeit und Enthusiasmus empfangen. Das einzige, wofür ich mich schämen kann, ist die Tatsache, daß ich damals beim ersten Treffen in dieser angesehenen Universität wirklich noch im Kindergartenalter war (Lachen und Beifall).

Nachdem ich dies gesagt habe, möchte ich nun so zusammengefaßt wie möglich den Gedanken ausführen, den ich in bezug auf Venezuela vortragen wollte.

Wahrscheinlich werden nicht alle damit einverstanden sein. Das Wichtigste ist, daß jeder ihn mit Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und Objektivität analysiert.

Die Zahlen und Angaben, die dieser Besucher versucht hat, zu analysieren, bringen ihn zu der Schlußfolgerung, daß das venezolanische Volk in dieser neuen Epoche mit Mut und Intelligenz die ernsthaften Schwierigkeiten bewältigen muß, die aus der aktuellen wirtschaftlichen Situation entstehen.

Warenexporte, gemäß dem Bericht der Zentralbank:

1997: 23,4 Milliarden Dollar (hier werden die Dienstleistungen nicht einbezogen, die in bezug auf Einnahmen und Ausgaben mehr oder weniger ein Gleichgewicht aufzeigen).

1998: 17,32 Milliarden Dollar. Das bedeutet, daß der Wert der Exporte in einem einzigen Jahr um 6,08 Milliarden Dollar gesunken ist.

Erdöl (Hauptexportgut) - Preise: 1996: etwa 20 Dollar pro Barrel; 1997: 16,5 Dollar; 1998: etwa 9 Dollar.

Die wichtigsten Bergbauprodukte: Eisen, Aluminium, Gold und Derivate wie Stahl. Die Preise für alle diese Produkte sind in größerem oder kleinerem Ausmaß spürbar gesunken. Beide Branchen stellen 77% der Exporte, das heißt Erdöl und Bergbauprodukte.

Positive Handelsbilanz:

1996 - 13,6 Milliarden Dollar

1998 - 3,4 Milliarden Dollar

Differenz: 10,2 Milliarden Dollar in nur 2 Jahren.

Zahlungsbilanz:

1996 - 7 Milliarden Dollar im Plus für Venezuela

1998 - 3,418 Milliarden Dollar im Minus für das Land.

Differenz: mehr als 10 Milliarden Dollar.

Verfügbare internationale Reserven:

1997: 17,818 Milliarden Dollar

1998: 14,385 Milliarden Dollar

Nettoverluste: etwa 3,5 Milliarden Dollar in einem Jahr.

Außenverschuldung:

1998: 31,6 Milliarden Dollar, wobei die kurzfristigen privaten Finanzschulden nicht einbezogen sind. Fast 40% des Staatshaushalts wird für die Bedienung der Außenschuld aufgewendet.

Soziale Situation, gemäß verschiedenen nationalen und internationelen Quellen, die gestern vom Präsidenten Chávez wörtlich bestätigt wurden (Beifall):

Arbeitslosigkeit - gemäß seinen Worten -: Offizielle Zahlen sprechen von 11-12%. Es gibt andere Angaben, die auf eine Rate von 20% hinweisen.

Die Unterbeschäftigung (welche die Arbeitslosigkeit miteinschließt, wie anzunehmen ist) -die Anmerkung in Klammern habe ich hinzugefügt - bewegt sich um 50% herum.

Fast eine Million Kinder müssen um ihr Überleben kämpfen - das sind die Worte, die er gebrauchte.

Die Kindersterblichkeit beträgt fast 28 pro 1000 Lebendgeborenen. 15% der Todesfälle ist auf Unterernährung zurückzuführen.

Wohnungsdefizit: 1.500.000.

Nur eines von fünf Kindern beendet die Grundschule; 45% der Jugendlichen absolviert nicht die Sekundarstufe.

Wenn ihr es mir erlaubt, um ein Beispiel aufzuzeigen, sage ich, daß in Kuba etwa 95% der Jugendlichen dieser Altersstufe die Sekundarstufe absolvieren. Das ist fast das Maximum, das man erreichen kann. Ich sage dies, da die Zahl von 45% für die Kinder, die nicht zur Schule gehen, wirklich beeindruckend ist.

Zu diesen Daten, die der Präsident in seiner komprimierten Synthese aufgezeigt hat, könnten noch weitere aus verschiedenartigen und glaubwürdigen Quellen entstammende Daten hinzugefügt werden.

Mehr als eine Million Kinder sind in den Arbeitsmarkt einbezogen und mehr als 2,3 Millionen Kinder aus dem Schulsystem ausgeschlossen und ohne jegliche Beschäftigung.

In den letzten 10 Jahren sind mehr als eine Million Venezolaner aus der Kategorie "C" der Mittelschicht - wie ihr seht, sind wir auch in der Mittelschicht in Kategorien eingeteilt - in die Kategorie der Armen und Bedürftigen abgerutscht, die heute bereits 77% der Venezolaner aufgrund des Einkommensrückgangs, der Arbeitslosigkeit und den Auswirkungen der Inflation umfaßt. Das bedeutet, daß "c", "d" und "e" die Kategorien sind, die heutzutage von den Armen bis zu den Bedürftigen alle erfassen.

Dies geschah, wie es Präsident Chávez mit bewegenden und bitteren Worten ausdrückte, im ursprünglichen Vaterland von Bolívar, der am reichsten mit Naturschätzen ausgestattetsten Nation von Amerika mit einer Fläche von fast einer Million Quadratkilometern und nicht mehr als 22 Millionen Einwohnern.

Ich versuche, darüber nachzudenken.

Ich muß zunächst und vor allem sagen, daß ich ein Freund von Chávez bin (Beifall). Aber niemand hat mich darum gebeten oder mich gedrängt, über ein bestimmtes Thema zu sprechen. Keine Führungspersönlichkeit seines Teams und kein venezolanischer Politiker oder Freund wußte irgend etwas davon, worüber ich am heutigen Abend hier an einem so neuralgischen und strategischen Ort wie der Zentraluniversität von Venezuela sprechen würde. Die hier ausgedrückten Gedanken unterliegen meiner totalen und absoluten Verantwortung und werden in der Hoffnung geäußert, daß sie von Nutzen sein könnten.

Was besorgt uns? Mir scheint es, daß ich in diesem Moment eine außergewöhnliche Situation in der Geschichte Venezuelas vor mir sehe. Ich habe zwei besondere Augenblicke miterlebt: zunächst jenen im Januar 1959 und dann 40 Jahre später die außerordentliche Erregung des Volkes am 2. Februar 1999. Ich habe ein wiederauflebendes Volk gesehen. Ein Volk, wie ich es damals auf dem Platz der Stille sah, wo ich ein bißchen stiller war als hier (Lachen) und wo ich einem wunderbaren Bewohner von Caracas sogar eine Widerrede geben mußte, weil ich ausgehend von einer elementaren Pflicht als Besucher einige Persönlichkeiten der Regierung erwähnte, beginnend beim Admiral Larrazábal, und als ich eine andere in jenem Augenblick wichtige politische Persönlichkeit erwähnte, gab es dort im Publikum Lärm und Proteste, die mich meinerseits zwangen, ebenfalls zu protestieren. Ich beschwerte mich, da es mir ungemein peinlich war und ich glaube, daß ich sogar errötete. Und ich sagte ihnen: "Ich erwähne doch hier keine Namen, damit ihr ihn dann auspfeift". Ich übermittelte der gewaltigen Menschenmasse auf dem Platz der Stille meine Beschwerde. Diese Massen waren unzweifelhaft revolutionär eingestellt.

Ich fand jetzt wieder das Bild eines Volkes in einer außergewöhnlichen Stimmung vor, diesmal allerdings unter anderen Umständen. Damals vor 40 Jahren waren die Hoffnungen zurückgeblieben. Ich möchte jetzt hier jetzt nicht die Gründe erklären. Das überlasse ich den Historikern. Diesmal schreiten die Hoffnungen voran, ich sehe hier eine wirkliche Wiederaufersteheung Venezuelas, oder wenigstens eine außerordentlich große Gelegenheit für Venezuela. Ich sehe dies nicht nur im Interesse Venezuelas, sondern auch der Lateinamerikaner und der anderen Völker der Welt, angesichts der Art und Weise, wie die Welt hin zu einer umfassenden Globalisierung voranschreitet, denn daran geht kein Weg vorbei. Dafür gibt keinen Ausweg und keine Alternativen. Damit kann ich also nicht beabsichtigen, euch zu schmeicheln, sondern ich will euch vielmehr an eure Pflicht und die Pflicht der Nation, des Volkes und all derer erinnern, die nach jenem Besuch geboren wurden, an die Pflicht der Jüngsten und der Reifsten, die wirklich eine Aufgabe von enormer Verantwortung vor sich haben.

Ich glaube, daß schon einige Male Gelegenheiten verschenkt wurden, aber euch würde man nicht verzeihen, wenn ihr diese verschenkt (Beifall).

Es spricht eine Person zu euch, die das Privileg und die Gelegenheit gehabt hat, einige politische Erfahrung gesammelt und einen revolutionären Prozess in seiner Gesamtheit durchlebt zu haben, und dies sogar in einem Land, in dem die Leute nichts von Sozialismus hören wollten, wie ich euch bereits erzählte. Wenn ich hier von den Leuten spreche, meine ich die große Mehrheit der Bevölkerung. Dieselbe Mehrheit unterstützte die Revolution, unterstützte die Führer, unterstützte die Rebellenarmee, aber es gab Gespenster, die sie in Angst und Schrecken versetzten. Das, was Pavlov mit den berühmten Hunden machte, war das, was die Vereinigten Staaten mit vielen von uns und mit wer weiß wie vielen Millionen Lateinamerikanern machten. Sie schufen bedingte Reflexe in uns.

Wir mußten viel gegen die Mängel und die Armut kämpfen und lernen, aus wenig viel zu machen. Wir haben bessere und schlechtere Augenblicke erlebt, vor allem als wir Handelsverträge mit dem sozialistischen Lager und der Sowjetunion erreichten und gerechtere Preise für unsere Exportprodukte forderten, da wir erkannten, daß der Preis ihrer Lieferungen anstieg und der Preis unserer Produkte im Falle eines Fünfjahresvertrages während dieses Zeitraums unverändert blieb, so daß wir am Ende der fünf Jahre über eine geringere Kaufkraft verfügten. Wir schlugen die Gleitklausel vor, die besagte, daß im Falle eines Preisanstiegs ihrer nach Kuba exportierten Produkte die Preise unserer Lieferungen automatisch anstiegen. Wir griffen zur Diplomatie, zur Doktrin und zur Redegewandheit, die bei Revolutionären eines Landes, das so viele Hindernisse zu überwinden hatte, erwartet werden kann.

Die Sowjets hatten wirklich Sympatie für Kuba und eine große Bewunderung für unsere Revolution, weil es sie in Erstaunen versetzte, nach so vielen Jahren dort neben den Vereinigten Staaten ein kleines Land zu sehen, das sich gegen die gewaltige Supermacht erhob, was sie sich niemals hatten vorstellen können und wozu sie niemals jemandem geraten hätten. Zum Glück haben wir niemanden um Rat gefragt (Lachen), auch wenn wir damals bereits fast die gesamte Bibliothek der Werke von Marx, Engels, Lenin und anderer Theoretiker gelesen hatten. Wir waren überzeugte Marxisten und Sozialisten.

Mit diesem Fieber und diesen Masern, die wir Jugendlichen gewöhnlich haben, und oftmals sogar die Alten (Beifall), übernahm ich die Grundprinzipien, die ich in dieser Literatur gelernt hatte und die mir halfen, die Gesellschaft zu verstehen, in der ich lebte und die bis dahin für mich ein unwegsames Gestrüpp darstellte, das keine überzeugende Erklärung irgendeiner Art anbot. Und ich muß sagen, daß das berühmte 'Kommunistische Manifest', für dessen Abfassung Marx und Engels so viele Monate gebraucht hatten - man merkt, daß der Hauptautor gewissenhaft arbeitete, wie er oftmals betonte, und daß er das Werk öfter überarbeitet haben muß als dies Balzac mit einer Seite von irgendeinem seiner Romane tat - einen großen Eindruck auf mich machte, da ich zum ersten Male in meinem Leben eine Reihe von Wahrheiten erkannte, die ich nie zuvor gesehen hatte.

Davor war ich eine Art von utopischer Kommunist. Ich studierte einen 900-seitigen dicken Wälzer, der auf Handautographblätterm gedruckt war und den ersten Kurs für Politische Ökonomie enthielt, den sie an der Juristischen Fakultät unterrichteten. Es war eine von den Ideen des Kapitalismus inspirierte Politische Ökonomie, die aber die verschiedenen Schulen und Kriterien erwähnte und knapp analysierte. Indem ich später im zweiten Kurs dem Thema ein großes Interesse widmete und ausgehend von rationalen Gesichtspunkten meine Überlegungen anstellte, zog ich meine eigenen Schlußfolgerungen und wurde zu einem utopischen Kommunisten. Ich bezeichne dies so, weil meine Anschauungen nicht auf irgendeiner wissenschaftlichen oder historischen Grundlage basierten, sondern den guten Wünschen jenes kurz zuvor graduierten Absolventen der Jesuitenschule entsprangen. Den Jesuiten bin ich sehr dankbar, da sie mir einige Dinge gezeigt haben, die mir im Leben weitergeholfen haben, vor allem die Austattung mit einer gewissen körperlichen Stärke, einen Sinn für Humor und bestimmte ethische Prinzipien, welche die spanischen Jesuiten den Schülern einschärften, wenn sie auch weit entfernt von meinen jetzigen politischen und sozialen Überzeugungen waren.

Ich verließ die Jesuitenschule als Sportler, Pfadfinder und Bergsteiger und trat als politischer Analphabet in die Universität von Havanna ein, ohne das Glück, über einen revolutionären Lehrmeister zu verfügen, der in jener Etappe meines Lebens so nützlich für mich gewesen wäre.

Auf diesen Wegen gelangte ich zu meinen Ideen, die ich mit Treue und wachsender Inbrunst beibehalte, vielleicht deshalb, weil ich über etwas mehr Erfahrung und Kenntnisse verfüge und vielleicht auch aus dem Grund, daß ich die Möglichkeit gehabt habe, über neue Probleme nachzudenken, die in der Epoche von Marx noch nicht einmal existierten.

Das Wort Umwelt zum Beispiel dürfte niemand zu Lebzeiten von Karl Marx jemals ausgesprochen haben, mit Ausnahme von Malthus, der davon sprach, daß die Bevölkerung geometrisch anwachsen und die Nahrung nicht für so viele Menschen ausreichen würde, womit er sich so in eine Art von Vorläufer der Ökologiebewegung verwandelt hatte, wenn er auch Ansichten über Ökonomie und Löhne aufrechterhielt, mit denen man nicht einverstanden sein kann (Lachen).

So habe ich also das gleiche Hemd an, mit dem ich vor 40 Jahren diese Universität besuchte (Beifall), mit dem wir die Moncada-Kaserne angriffen und mit dem wir mit der 'Granma' landeten (Beifall).

Ich würde sogar behaupten, daß ich trotz der vielen abenteuerlichen Kapitel, die jedermann in meinem revolutionären Leben finden kann, immer versucht habe, weise und mit Vorsicht zu agieren, wenn ich vielleicht auch letztlich mehr weise als vorsichtig war.

In der Konzeption und der Entwicklung der Kubanischen Revolution haben wir so gehandelt, wie Martí es ausdrückte, als er kurz vor seinem Tod auf dem Schlachtfeld vom großen antiimperialistischen Ziel seiner Kämpfe sprach: "In der Stille und unter Vermeidung jeder Direktheit mußte es vor sich gehen, weil es Dinge gibt, die zum Zweck ihres Erreichens im Dunkeln belassen werden müssen, denn wenn man ihr wahres Wesen verkündete, würde man zu große Schwierigkeiten heraufbeschwören, um das Ziel nach deren Bewältigung noch zu erreichen".

Ich war diskret, wenn auch nicht so, wie ich hätte sein müssen, denn ich erklärte allen Leuten, die ich traf, die Ideen von Marx und von der Klassengesellschaft, so daß mir in der Volksbewegung, deren gegen die Korruption gerichtete Kampfparole "Scham gegen Geld" lautete und in die ich mich kurz nach meinem Eintritt in die Universität eingliederte, der Ruf eines Kommunisten nachhing. Aber bereits in den letzten Jahren meines Studiums war ich nicht mehr ein utopischer Kommunist, sondern diesmal ein atypischer Kommunist, der frei agierte. Ich ging von einer realistischen Analyse der Situation unseres Landes aus. Es war die McCarthy-Epoche mit einer fast vollständigen Isolierung der Sozialistischen Volkspartei, wie sich die marxistische Partei in Kuba damals nannte, und es gab dagegen in der Bewegung, der ich mich angeschlossen hatte und die bereits zur Partei des Kubanischen Volkes geworden war, eine große Masse von Aktivisten, die meiner Meinung nach über einen Klasseninstinkt, wenn auch nicht über ein Klassenbewußtsein, verfügten. Es waren Bauern, Arbeiter, Facharbeiter, Vertreter der Mittelschicht, gute, aufrichtige und potentiell revolutionäre Menschen. Der Gründer und Führer dieser Partei war ein Mann von großem Charisma, der sich Monate vor dem Sttaatsstreich von 1952 in dramatischer Art und Weise das Leben nahm. Aus den Reihen der jugendlichen Mitglieder dieser Partei nährte sich später unsere Bewegung. Ich arbeitete in dieser politischen Organisation mit, die in Wirklichkeit bereits dabei war, in die Hände von reichen Personen zu fallen, wie es mit allen Parteien geschah, und ich konnte bereits voraussehen, was nach dem damals unvermeidlichen Triumph an den Wahlurnen geschehen würde. Dennoch hatte ich auf eigene Faust - ein Utopiker kommt auf alle möglichen Ideen, stellt euch das mal vor - schon einige Konzepte darüber entwickelt, was man in Kuba in Angriff nehmen kann und wie dies trotz der Vereinigten Staaten durchzuführen sei. Die Massen mußten auf einen revolutionären Weg geführt werden. Das war vielleicht der Verdienst der von uns eingeschlagenen Taktik. Klar, wir bewegten uns natürlich immer mit den Büchern von Marx, Engels und Lenin.

Als uns während des Sturms auf die Moncada-Kaserne ein Buch von Lenin verlorenging, war das erste, was die Propaganda des Batista-Regimes im Laufe des Prozesses behauptete, daß es sich um eine Konspiration von korrumpierten Prio- Anhängern aus dem Umfeld der kurz zuvor gestürzten Regierung handelte, die mit Geldmitteln dieser Leute ausgestattet und zudem kommunistisch sei. Es ist unklar, wie man diese beiden Kategorien vereinbaren konnte.

Während des Prozesses übernahm ich meine eigene Verteidigung. Nicht weil ich mich für einen guten Anwalt hielt, sondern weil ich glaubte, daß ich selbst in diesem Moment der Beste sei, der mich verteidigen könnte. Ich zog mir eine Robe über und nahm den für die Anwälte bestimmten Platz ein. Es handelte sich mehr um einen politischen Prozess als um einen Strafprozess. Mir ging es nicht darum, einen Freispruch zu erreichen, sondern Ideen zu verbreiten. Ich begann, alle die Kriminellen zu verhören, die Aberdutzende von unseren Gefährten ermordet hatten und die als Zeugen auftraten. Der Prozess richtete sich im Grunde genommen gegen sie (Beifall). So kam es dazu, daß sie mich am nächsten Tag vom Prozess entfernten und für krank erklärten (Lachen). Das war das letzte, was sie taten, da sie eine große Lust hatten, mich ein für alle Mal zu eliminieren. Aber gut, ich wußte sehr gut, warum sie sich zurückhielten. Ich kannte und kenne bis heute die Psychologie aller dieser Leute, ihre Stimmung, die Situation des Volkes sowie die Ablehnung und enorme Abscheu, welche die Morde auslösten. Außerdem hatte ich auch ein bißchen Glück, aber die Tatsache ist die, daß in den ersten Stunden, während sie mich verhörten, das Buch von Lenin auftaucht und jemand es mir vor die Nase hält: "Sie hatten ein Buch von Lenin dabei".

Wir erläuterten, daß wir Anhänger Martís seien, was die Wahrheit war, daß wir nichts mit jener korrupten Regierung zu tun hatten, die sie von der Macht vertrieben hatten, und daß wir uns diese und jene Ziele vorgenommen hatten.

Eines war klar, von Marxismus-Leninismus erwähnten wir nicht ein Wort und hatten außerdem auch keinen Grund, ihnen irgendetwas zu erzählen. Wir sagten das, was wir ihnen sagen mußten, doch als während der Verhandlung das erwähnte Buch auftauchte, fühlte ich in diesem Augenblick einen wirklichen Zorn und sagte: "Ja, dieses Buch von Lenin gehört uns, denn wir lesen die Bücher von Lenin und anderen Sozialisten, und der, der sie nicht liest, ist ein Ignorant." So erklärte ich es vor den Richtern und weiteren Prozeßteilnehmern an jenem Ort (Beifall).

Das war unerträglich. Wir sagten nicht: "Schauen Sie, dieses Büchlein hat irgendjemand dort hingesteckt." Nein, nein (Lachen).

Danach lag unser Programm offen vor, als ich mich im dem Prozess verteidigte. Wer nicht über unsere Überzeugungen Bescheid wußte, wollte dies nicht wissen. Vielleicht wollte man jene unter dem Titel "Die Geschichte wird mich freisprechen" bekannt gewordene Rede ignorieren, mit der ich mich dort allein verteidigte, denn sie entfernten mich aus der Verhandlung und erklärten mich für krank, wie ich bereits vorher erwähnte, und führten den Prozess gegen alle anderen fort, während sie mich in ein Krankenhaus schickten, um mich dort in einem kleinen Saal abzuurteilen. Sie lieferten mich nicht direkt ins Krankenhaus ein, sondern steckten mich in eine isolierte Zelle des Gefängnisses. In dem Krankenhaus befand sich ein winziger Saal, der in einen Gerichtsaal umgewandelt wurde, in dem sich das Gericht und einige wenige Personen, fast alles Militärs, zusammendrängten und wo ich letztlich abgeurteilt wurde. Ich hatte dort das Vergnügen, alles was ich dachte, in ausführlicher und ziemlich herausfordernder Weise zu äußern. Ich frage mich, wieso sie nicht herausfanden, welcher unser Denkansatz war, denn es lag alles offen vor. Man kann sagen, daß die Rede die Grundpfeiler eines sozialistischen Regierungsprogramms enthielt, auch wenn wir selbstverständlich überzeugt waren, daß dies nicht der geeignete Moment sei, um dies offen auszusprechen, denn das würde in Etappen verlaufen und seine Zeit brauchen. Wir sprachen damals bereits von der Agrarreform und neben anderen sozialen und ökonomischen Aspekten sogar davon, daß der gesamte Mehrwert - selbstverständlich ohne dieses Wort zu erwähnen (Lachen) -, das heißt alle die Gewinne jener Herrschaften, die über so viel Geld verfügten, für die Entwicklung des Landes verwendet werden müßte, und ich gab zu verstehen, daß die Regierung verantwortlich für diese Entwicklung und die Verwendung der besagten Geldüberschüsse sei.

Ich sprach sogar vom Goldenen Kalb. Wieder erinnerte ich an die Bibel und wies auf diejenigen hin, "die das Goldene Kalb anbeteten", wobei ich mich eindeutig auf diejenigen bezog, die alles vom Kapitalismus erwarteten. Es gab also eine genügend große Anzahl von Hinweisen darauf, wie wir wirklich dachten.

Später bin ich zu dem Schluß gekommen, daß möglicherweise viele derer, die von einer wirklichen Revolution betroffen gewesen wären, uns absolut nicht glaubten, denn in 57 Jahren als US-amerikanische Neokolonie wurde mehr als ein fortschrittliches oder revolutionäres Programmm verkündet, weshalb die herrschenden Klassen das unsere niemals als durchführbar oder von den Vereinigten Staaten tolerierbar ansahen, ihm keine größere Aufmerksamkeit schenkten, es hinnahmen und sich sogar darüber amüsierten. Am Ende würden alle Programme aufgegeben werden und die Leute sich korrumpieren lassen, und möglicherweise sagten sie: "Die Illusionen dieser romantischen Jugendlichen sind sehr hübsch und sympathisch. Warum sollen wir dem eine große Beachtung schenken?"

Sie fühlten eine Antipathie gegenüber Batista, bewunderten die Frontalattacke gegen sein willkürliches und korruptes Regime und unterschätzten möglicherweise das in jener Verteidigungsrede enthaltene Denken, in dem die Grundlagen dessen zu finden waren, was wir danach taten und woran wir heute glauben, allerdings mit dem Unterschied, daß die langjährigen Erfahrungen unsere Kenntnisse und Wahrnehmungsweisen in bezug auf alle diese Themen bereichert haben. So ist dies also mein Denken, seit damals habe ich es offen verkündet.

Wir haben die harte Erfahrung eines langen revolutionären Abschnitts durchlebt, vor allem in den letzten 10 Jahren, als wir uns unter schwierigsten Umständen extrem mächtiger Kräfte erwehren mußten. Gut, ich werde die Wahrheit sagen: wir haben das geschafft, was unmöglich erschien. Ich würde fast sagen, daß Wunder vollbracht wurden. Selbstverständlich beschlossen wir damals die Gesetze so, wie sie vorher versprochen wurden, und es kam die wie immer hochmütige und arrogante Oppostion der Vereinigten Staaten auf, die sehr viel Einfluß in unserem Land hatten. Der Prozess radikalisierte sich angesichts von jedem Schlag und jeder Aggression, denen wir ausgesetzt waren. So begann der lange Kampf, der bis heute andauert. Die gesellschaftlichen Kräfte in unserem Land polarisierten sich, wobei die überwiegende Mehrheit auf seiten der Revolution stand und eine Minderheit von etwa 10% oder weniger sie ablehnte, so daß es bis heute immer einen großen Konsens und eine gewaltige Unterstützung in diesem gesamten Prozeß gegeben hat.

Man weiß, um welche Dinge man sich kümmern kann, denn wir unternahmen eine große Anstrengung zur Überwindung der bestehenden Vorurteile, zur Übermittlung von Ideen und zur Bildung von Bewußtsein bei den Menschen, was eine schwierige Aufgabe war.

Ich erinnere mich an das erste Mal, als ich über Rassendiskriminierung sprach und dreimal im Fernsehen erscheinen mußte. Mich erstaunte, bis zu welchem Ausmaß die von den Nachbarn im Norden mitgebrachten Vorurteile in der Bevölkerung verankert waren, was unsere Vermutungen übertraf: Daß bestimmte Clubs für Weiße reserviert waren und die anderen dort nicht hingehen konnten, daß bestimmte Strände, vor allem in der Hauptstadt waren es fast alle Strände, nur für Weiße vorgesehen waren und daß sogar nach Rassen getrennte Parks und öffentliche Promenaden existierten, auf denen die einen in die eine Richtung gingen und die anderen in die andere, je nach Hautfarbe. Wir öffneten alle Strände für die gesamte Bevölkerung und verboten von Beginn an die Diskriminierung in allen Erholungsstätten, Parks und Promenaden. Diese erniedrigende Ungerechtigkeit war absolut unvereinbar mit der Revolution.

Eines Tages sprach ich davon und erklärte diese Dinge. Was für eine gewaltige Reaktion und wieviele Gerüchte und Lügen rief das hervor! Sie sagten, wir würden weiße Männer zwingen, schwarze Frauen zu heiraten und umgekehrt. Gut, genauso wie diese Abstrusität, die sie eines Tages erfanden, nach der wir den Eltern die elterliche Sorge entziehen würden. Ich mußte wieder im Fernsehen über das Thema der Diskriminierung sprechen, um auf alle diese Gerüchte und Intrigen zu antworten und zum wiederholten Male die Sachlage zu erklären. Es kostete viel Arbeit, dieses Phänomen zu überwinden, das nicht mehr war als der Ausdruck einer aufgezwungenen rassistischen Kultur und eines erniedrigenden und grausamen Vorurteils.

Das bedeutet, daß wir in jenen Jahren einen Großteil unserer Zeit für zwei Dinge verwendeten, nämlich zum einen die Bildung von Bewußtsein und zum anderen die Verteidigung gegen Expeditionen, Drohungen mit äußerer Agression, den schmutzigen Krieg, Attentatspläne, Sabotageakte etc.. Es gab in allen Provinzen unseres Landes bewaffnete Söldnerbanden, die von der Regierung der Vereinigten Staaten gefördert und finanziert wurden, aber wir durchkreuzten ihre Pläne und gaben ihnen keine Zeit, so daß sie nicht die geringste Chance hatten, sich zu entfalten, denn unsere eigene Erfahrung mit irregulärer Kriegsführung lag erst kurz zurück und praktisch waren wir eines der wenigen revolutionären Länder, das die konterrevolutionären Banden trotz deren logistischer Unterstützung aus dem Ausland total vernichten konnte. Dafür haben wir viel Zeit verwendet. Ein Problem und eine konkrete Besorgnis, die ich habe, ist das, was man jetzt überall sieht und was ganz natürlich ist, nämlich daß aufgrund des außergewöhnlichen Wahlergebnisses viele Erwartungen in Venezuela aufgekommen sind. Worauf beziehe ich mich? Auf die natürliche und logische Tendenz der Bevölkerung, zu träumen und zu hoffen, daß die große Anzahl von aufgestauten Problemen innerhalb von einigen Monaten gelöst werden. Als euer aufrichtiger Freund und ausgehend von meiner Erfahrung denke ich, daß es Probleme gibt, die weder in Monaten noch in Jahren gelöst werden können (Beifall).

Deshalb habe ich die Zahlen vorgelesen, denn wir sehen und analysieren täglich ähnliche Daten in unserem Land, wie z.B. die Frage nach der Höhe des Nickel- oder Zuckerpreises, den Hektarerträgen im Zuckersektor, dem Eintreten oder Ausbleiben von Trockenperioden, den Einnahmen, den Schulden, den dringenden Einkaufsprioritäten, dem Preis des Milchpulvers, des Getreides, der unerläßlichen Medikamente, der produktiven Inputs und all der andern Dinge sowie der zu ergreifenden Maßnahmen.

Zu bestimmten Zeiten konnten wir die Zuckerproduktionen steigern und sie praktisch verdoppeln, erzielten gute Preise, erwarben Maschinen und begannen mit dem Ausbau der Infrastruktur. Die Investitionen in der Industrie und der Landwirtschaft wurden gesteigert, was nur durch die technologischen Ressourcen der Sowjetunion begrenzt war, die in einigen Bereichen fortgeschrittener und in anderen rückständiger waren, wobei sie im Allgemeinen sehr viel Brennstoffe verbrauchten.

Aber wir kauften so viel Stahl, wie wir über die inländische Produktion hinaus brauchten. Jedes Jahr kam eine halbe Million Kubikmeter Holz aus Sibirien in Kuba an, das mit Zucker, Nickel und anderen Produkten in Übereinstimmung mit dem Abkommen über Gleitpreise bezahlt wurde, das vor der Ölpreisexplosion geschlossen wurde und gemäß dem der Preis für Zucker und andere Exportgüter in demselben Maß anstieg wie der Ölpreis (Beifall). Und wißt ihr, wieviel Öl wir verbrauchten? Dreizehn Millionen Tonnen jährlich an Brennstoffen, nicht nur bestimmt für den Transport, die Mechanisierung der Landwirtschaft, den Straßenbau, die Hafenanlagen, Tausende Kilometer an Straßen, Hunderte von Stauseen und Mikrostauseen, die hauptsächlich der Landwirtschaft dienten, Wohnungen, mit mechanischen Melkanlagen ausgestattete Rinderfarmen, eine große Anzahl von Schulen, Tausende von Schulen und anderen sozialen Einrichtungen, sondern auch für den Energieverbrauch der Industrie und der Privatwohnungen. Die Elektrifizierung des Landes erreichte 95% der Bevölkerung. Es standen viele Ressourcuen zur Verfügung, und man kann sagen, daß wir nicht einmal fähig waren, diese mit der größtmöglichen Effizienz zu verwalten.

Jetzt haben wir sehr wohl dazugelernt. Im Zeitalter der fetten Kühe lernt man nicht viel dazu, während man jedoch im Zeitalter der dürren, und wirklich spindeldürren Kühe erheblich dazulernt. Aber wir haben viele Dinge getan, die uns diese Resultate in wirtschaftlichen, sozialen und anderen Bereichen, von denen ich gesprochen habe, erlaubt haben.

Unser Land nimmt auch den ersten Rang im Bildungssektor in bezug auf den Pro Kopf-Anteil an Lehrern ein. Kürzlich erstellte die UNESCO einen Bericht, der uns sehr befriedigte. In 14 Ländern Lateinamerikas, darunter auch die am weitesten entwickelten, wurde eine Umfrage unter 54.000 Kindern der dritten und vierten Klasse über ihre Mathematik- und Sprachkenntnisse durchgeführt und ein Durchschnittswert errechnet. Einige Länder bewegten sich unterhalb und einige oberhalb des Durchschnitts, doch Kuba nahm mit großem Abstand den ersten Rang mit einem fast doppelt so großen Wert wie der Durchschnitt für den Rest Lateinamerikas ein (Beifall). Bei allen Kennziffern wie dem Alter der Schüler pro Jahrgang, dem Zurückbleiben, den Nichtwiederholern und anderen Meßfaktoren für die Qualität der Grundausbildung nahmen wir ohne Ausnahme den Ehrenplatz ein, was unser Land als einzigstes in die Kategorie 1 einstuft.

Es gibt in Kuba sowohl eine große Masse von Lehrern, die mit jedem Jahr mehr Wissen und Erfahrung anhäufen, als auch eine große Masse von Ärzten, die ebenfalls Jahr für Jahr ihre Kenntnisse erweitern. Das trifft auch auf die Berufstätigen im Allgemeinen und auf viele andere Bereiche zu. Der Prozentsatz des Bruttoeinkommens, den wir in die Wissenschaft investieren, ist unvergleichlich höher als in den entwickeltsten Ländern Lateinamerikas. Wir verfügen über viele Tausende von Wissenschaftlern, von denen viele Postgraduiertendiplome und ständig wachsende Kenntnisse besitzen. Wir haben vieles gemacht und vor allem in das Humankapital investiert.

Was kann eine Gefahr darstellen? Ich sage das hier in aller Offenheit und bin bereit, es auch überall sonst auszusprechen. Ihr habt das Zeitalter der fetten Kühe erlebt (ihm wird gesagt, daß dies bereits lange Zeit zurückliegt), vor langer Zeit, einverstanden. 1972 betrug der Preis für ein Barrel Erdöl 1,90 Dollar. Kuba kaufte z.B. nach dem Sieg der Revolution mit dem Erlöß von nur wenigen Hunderttausend Tonnen Zucker die 4 Millionen Tonnen Bennstoffe, die es verbrauchte, und das bei dem damaligen normalen Weltmarktpreis für Zucker. Beim plötzlichen Anstieg der Ölpreise rettete uns der erwähnte Gleitpreismechanismus, aber als die Krise kam, löste sich die UdSSR auf und wir verloren damit unseren Hauptmarkt und jede Art von Preisvereinbarungen, so daß wir den Verbrauch von 13 Millionen Tonnen Bennstoff um die Hälfte reduzieren und einen Großteil unserer Exporterlöse für diese Brennstoffe aufwenden mußten. Zudem lernten wir, zu sparen.

Ich habe euch bereits von den Baseballspielern erzählt, aber ich kann hinzufügen, daß es in jeder Bauernhütte und in jedem Gehöft Baseballspieler gab, so daß die Spieler, Fans und sonstwer mit dem Traktor zum Spiel gekarrt wurden, und es gab sogar viele Arbeiter, die mit dem Traktor ihre Freundin besuchen fuhren (Lachen). Wir hatten die Zahl der Traktoren von 5.000 auf 80.000 erhöht.

Dem Volk gehörte alles und wir hatten zwar das System verändert, doch kaum gelernt, wie man dies alles kontrolliert und verwaltet und begingen zudem einige idealistische Fehler. Aber wir hatten mehr Dinge zu verteilen als wir es heute haben. Mehr als ein Besucher sagte, daß Kuba "die Armut sozialisiert" habe. Wir antworteten ihnen: "Ja, es ist besser, die Armut zu sozialisieren als die wenigen Reichtümer unter einer kleinen Minderheit zu verteilen, die alles an sich reißt, während der Rest des Volkes nichts erhält."

Heute sehen wir uns mehr denn je gezwungen, unsere Güter mit einer größtmöglichen Gleichheit zu verteilen. Trotzdem sind in unserem Land aufgrund von für uns unvermeidbaren Faktoren Privilegien entstanden, so z.B. durch Geldüberweisungen aus dem Ausland, den Tourismus und die Öffnung bestimmter Wirtschaftszweige für ausländische Investitionen. Diese Dinge haben uns die Aufgaben im politischen und ideologischen Bereich erschwert, weil die Ausstrahlungskraft des Geldes groß und nicht zu unterschätzen ist.

Wir mußten viel gegen all dies ankämpfen, aber wir haben die Schlußfolgerung gezogen, daß man in einem Glaskasten zwar in großer Reinheit und in absoluter Asepsis leben kann, beim Verlassen desselben aber von einer Mücke, einem Insekt oder einer Bakterie getötet werden kann, so wie die vielen Bakterien, Parasiten und Viren, welche die Spanier einschleppten, eine große Anzahl von Ureinwohnern in dieser Hemisphäre umbrachten, weil Ihnen die Immunität gegen diese Krankheitserreger fehlte. Wir sagten: "Wir werden lernen, unter schwierigen Bedingungen zu arbeiten, da die Tugend sich letztlich im Kampf gegen das Laster herausbildet." Und so mußten wir unter den momentanen Umständen vielen Problemen begegnen.

Ihr hattet eine Etappe von enormen Einnahmen, als der Ölpreis von 1,90 Dollar pro Barrel im Jahr 1972 über 10,41 Dollar im Jahr 1974, 13,03 Dollar im Jahr 1978 bis auf 29,75 Dollar im Jahr 1979 anstieg, bis er 1980 die unglaubliche Zahl von 35,69 Dollar erreichte. In den darauffolgenden 5 Jahren zwischen 1981 und 1985 betrug der Durchschnittspreis pro Barrel 30,10 Dollar, was einen wahrhaften Fluß von Deviseneinnahmen als Konsequenz dieses Preisniveaus hervorrief. Ich kenne die Geschichte dessen, was danach geschah, denn ich habe viele Freunde, die berufstätig sind und die ich bei jedem Zusammentreffen über ihre Situation, ihr Gehalt und die Entwicklung ihres Realeinkommens in den vorherigen 10 Jahren befragte. Ich war Zeuge dessen, wie sie Jahr für Jahr bis heute abgerutscht sind. Es steht mir nicht zu, eine andersartige Analyse vorzunehmen. Immer wenn ich den Venezolanern diese Frage stellte, dachte ich an die Situation ihres Landes. Weder für Venezuela noch für die Welt sind dies heutzutage Zeiten der fetten Kühe. Ich erfülle eine aufrichtige Pflicht, eine Pflicht als Freund und Bruder, wenn ich euch vorschlage, eine mächtige intellektuelle Vorhut zu bilden und fundiert über diese Probleme nachzudenken und wenn ich euch unsere Besorgnis darüber ausdrücke, daß diese logische, natürliche und allzumenschliche Hoffnung, die aus einer Art von politischem Wunder, das sich in Venezuela ereignet hat, geboren wurde, innerhalb von kürzester Zeit in Enttäuschungen und eine Schwächung dieses außergewöhnlichen Prozesses umschlagen kann (Beifall).

Ich muß mich fragen: Welche unmittelbaren Großtaten und ökonomischen Wunder kann man angesichts der niedrigen Preise für die wichtigsten Exportgüter Venezuelas und einem Ölpreis von 9 Dollar pro Barrel erwarten, das heißt angesichts des niedrigsten Ölpreises der letzten 25 Jahre, einem Dollar mit sehr viel weniger Kaufkraft als damals, einer sehr viel größeren Bevölkerung, einer ungeheuren Anhäufung von sozialen Problemen, einer internationalen Wirtschaftskrise und einer neoliberal globalisierten Welt?

Ich kann und darf nicht ein Wort darüber verlieren, was wir angesichts solcher Umstände machen würden. Ich kann dies nicht tun, da ich mich hier als Besucher und nicht in einer Eigenschaft als Ratgeber, Gutachter oder etwas ähnlichem aufhalte. Ich denke schlicht und einfach nach.

Erlaubt mir zu sagen, daß ich keine Länder erwähnen will, doch es gibt eine Reihe von sehr bedeutenden Ländern mit einer schwierigeren Situation als die eure und ich hoffe, daß sie die Schwierigkeiten überwinden können.

Eure Situation ist schwierig, aber nicht katastrophal. So würden wir es an eurer Stelle sehen. Ich will euch mit der gleichen Offenheit darüberhinaus noch etwas sagen, nämlich daß ihr nicht das machen könnt, was wir im Jahr 1959 machten. Ihr müßt sehr viel mehr Geduld haben als wir, und ich beziehe mich hierbei auf den Teil der Bevölkerung, der begierig nach unmittelbaren und radikalen sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen ist.

Würde die Kubanische Revolution in einem Moment wie diesem gesiegt haben, hätte sie sich nicht halten können. Die gleiche Kubanische Revolution mit dem, was sie tat. Sie entstand nicht als Produkt eines Kalküls, sondern aus einer besonderen geschichtlichen Konstellation, 14 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg in einer bipolaren Welt. Wir kannten damals nicht einen Sowjetrussen und erhielten nicht eine einzige Patrone von einem Sowjetrussen, um unseren Kampf und unsere Revolution voranzubringen. Ebensowenig erlaubten wir irgendeine politische Beratung nach dem Sieg der Revolution, was auch niemand je versuchte, denn wir reagierten sehr widerspenstig darauf. Besonders uns Lateinamerikanern gefällt es nicht, wenn uns Ideen und andere Dinge vorgeschlagen oder aufgezwungen werden. Zur damaligen Zeit gab es selbstverständlich einen anderen Machtpol und wir warfen unseren Anker in diesen Pol, der eben auch aus einer großen sozialen Revolution entstanden war. Dieser Anker half uns viel im Kampf gegen das Monster, dem wir entgegenstanden und das bereits unmittelbar nach der Durchführung der Agrarreform die Lieferungen von Erdöl und anderen lebenswichtigen Produkten abschnitt und seine Zuckerimporte schrittweise bis auf Null reduzierte, wodurch wir innerhalb von Minuten einen Markt verloren, der sich in einem Zeitraum von mehr als hundert Jahren herausgebildet hatte. Die Russen verkauften uns dagegen Erdöl zum Weltmarktpreis, jawohl, zu bezahlen mit Zucker, jawohl, zum Weltmarktpreis, jawohl. Der Zucker wurde in die UdSSR exportiert und es kamen das Erdöl, Rohstoffe, Nahrungsmittel und viele Sachen mehr. Dies gab uns Zeit, um Bewußtsein zu bilden, Ideen zu säen und eine neue politische Kultur zu schaffen (Beifall). Dies gab uns Zeit! Genügend Zeit, um die Stärke herauszubilden, die es uns später erlaubte, in den mit unglaublichsten Schwierigkeiten behafteten Zeiten zu widerstehen.

Auch der ganze Internationalismus, den wir praktizierten und den ich bereits erwähnte, gab uns Kraft.

Ich glaube, daß kein Land jemals schwierigere Umstände durchlebt hat. Es ist keine Eitelkeit, wenn ich euch sage, wobei ich versuche, objektiv zu sein, daß kein anderes Land der Erde widerstanden hätte. Es kann durchaus eines geben, wenn ich zum Beispiel an die Vietnamesen denke, denn ich glaube, daß die Vietnamesen zu jedem Widerstand fähig waren (Beifall). Ich denke an die Chinesen, die ebenfalls zu jeder Großtat fähig waren.

Es gibt Völker, die besondere Eigenschaften und Bedingungen vereinen. Es handelt sich hierbei wirklich um verwurzelte und sehr eigenständige Kulturen, deren Erbe aus jahrtausendealten Vorläufern stammt, was eine enorme Widerstandsfähigkeit hervorbringt. In Kuba handelte es sich um eine Kultur, die zum größten Teil aus der Konfrontation mit einer feindselig werdenden Umwelt entstanden war, da wir von allen Seiten durch feindliche Regime, feindselige Kampagnen, Blockade und ökonomischen Druck jeder Art umzingelt waren und sind, was unsere revolutionäre Aufgabe außerordentlich verkompliziert hat. Sechs Jahre Kampf gegen die Banden, mit denen der mächtige Nachbar seine Taktiken des schmutzigen Krieges umsetzte, viele Jahre des Kampfes gegen Terroristen und Attentatspläne, das muß ich euch ja nicht erzählen. Ich will euch einzigst und allein sagen, daß ich mich sehr privilegiert fühle, weil ich nach 40 Jahren zu diesem für mich unvergessenen und geliebten Ort zurückkehren konnte (Beifall), und zwar als Beweis der Ineffizienz und des Scheiterns derer, die schon so viele Male versucht haben, an meiner Person den natürlichen und unvermeidbaren Prozeß des Todes vorwegzunehmen.

Jetzt können wir das sagen, was mir der Leutnant sagte, der mich einige Tage nach dem Sturm auf die Moncada-Festung im Morgengrauen in einem bei Santiago de Cuba gelegenen Wald gefangennahm. Wir hatten den Fehler begangen - immer gibt es einen Fehler -, in einem dort befindlichen kleinen mit Palmblättern bedeckten Unterstand zu schlafen, weil wir es leid waren, uns auf Steinen und Wurzeln auszuruhen. So kam es, daß uns ein glücklicherweise schwarzer Leutnant und einige blutrünstige Soldaten mit geschwollenen Arterien aufweckten, indem sie mit ihren Gewehren auf unsere Brust zielten, ohne daß sie wußten, wer wir waren. Wir waren noch nicht identifiziert worden. Zunächst erkannten sie uns nicht und fragten uns nach unseren Namen, worauf ich einen beliebigen Namen nannte. Vorsicht, was! (Lachen) Klugheit, nicht wahr? (Beifall) Vielleicht war es Intuition oder Instinkt. Ich kann euch versichern, daß ich keine Angst hatte, denn es gibt solche Momente im Leben, wenn sich einer bereits mit dem Tod abgefunden hat und dann mit umso mehr Ehre, Stolz und Würde reagiert.

Wenn ich meinen Namen genannt hätte, hätte es mehrmals geknallt und unsere kleine Gruppe wäre sofort ausgelöscht worden. Einige Minuten danach fanden sie in der Nähe zahlreiche Waffen, die einige Kampfgefährten dort liegengelassen hatten, welche körperlich nicht mehr in der Lage waren, weiterzukämpfen, wobei einige von ihnen verletzt waren, weshalb sie mit Zustimmung aller in die Stadt zurückkehrten, um sich dort direkt den Justizbehörden zu stellen. Wir waren drei, die blieben und die auf die beschriebene Art und Weise gefangengenommen wurden. Nur drei bewaffnete Kameraden!

Aber jener Leutnant - das habe ich öffentlich noch nie im Detail erzählt - beruhigte die Soldaten, bis ihm das fast nicht mehr gelang. Welch unglaubliche Sache! In dem Moment, als die Soldaten die Waffen der anderen Kameraden in der Nähe fanden, wurden sie fuchsteufelswild. Wir waren gefesselt und sie zielten auf uns mit den geladenen Gewehren. Aber dieser Leutnant bewegte sich hin und her, um seine Soldaten zu beruhigen, wobei er mit leiser Stimme wiederholte: "Ideen tötet man nicht, Ideen tötet man nicht." Was brachte jenen Mann dazu, das zu sagen?

Er war bereits ein reiferer Mann, der ein wenig in der Universität studiert und dort einige Kurse besucht hatte. Aber er hatte diese Idee im Kopf und spürte die Notwendigkeit, sie mit leiser Stimme zu äußern, als ob er mit sich selbst sprechen würde: "Ideen tötet man nicht". Gut, als ich diesen Mann also beobachtete und jene Haltung wahrnahm, wobei dies ein kritischer Moment war und es ihm nur mühsam gelang, jene wütenden Soldaten vom Schießen abzuhalten, erhob ich mich und sagte - nur zu ihm, selbstverständlich: "Leutnant, ich bin der und der, Hauptverantwortlicher für die Aktion. Nachdem ich ihr edelmütiges Verhalten gesehen habe, kann ich Sie nicht weiter täuschen. Ich will, daß Sie wissen, wen Sie als Gefangenen haben." Und der Mann sagt mir: "Sagen Sie es niemandem!". "Sagen Sie es niemandem!" (Beifall). Ich applaudiere jenem Mann, weil er mir innerhalb von einigen Stunden dreimal das Leben rettete.

Einige Minuten danach führten sie uns ab, wobei die Soldaten immer noch sehr gereizt waren. Als nicht weit von dort einige Schüsse fielen, gingen sie in Gefechtsposition und sagten uns: "Werft euch auf den Boden, werft euch auf den Boden!" Ich blieb stehen und sagte: "Ich werfe mich nicht auf den Boden!". Es erschien mir wie eine List, um uns zu eliminieren, weshalb ich erklärte: "Nein". Ich sagte es auch dem Leutnant, der darauf bestand, daß wir uns schützten. Ich wiederholte: "Ich werfe mich nicht auf den Boden, wenn ihr schießen wollt, schießt." Darauf sagte er mir - stellt euch mal vor, was er sagte: "Ihr seid sehr mutig, Jungs". Welch eine unglaubliche Reaktion!

Ich will nicht behaupten, daß er mir in diesem Moment das Leben rettete, sondern nur, daß er diese Geste zeigte. Danach kamen wir an der Hauptstraße an und sie luden uns auf einen Lastwagen. In der Nähe befand sich ein als sehr blutrünstig bekannter Kommandant, der bereits zahlreiche Kampfgefährten ermordet hatte und forderte, daß ihm die Gefangenen übergeben würden, worauf der Leutnant sich weigerte und sagte, daß dies seine Gefangenen seien und daß er sie nicht übergebe. Er setzte mich vorne in die Fahrerkabine. Der Kommandant wollte, daß man uns in die Moncada-Kaserne brachte, und der Leutnant übergab uns weder dem Kommandanten - hierbei rettete er uns zum zweiten Mal das Leben - noch brachte er uns in die Moncada-Kaserne. Er brachte uns zum in der Stadtmitte gelegenen Gefängnis und rettete uns damit zum dritten Mal das Leben. Ihr seht schon, er war ein Offizier der Armee, gegen die wir kämpften. Nach dem Sieg der Revolution beförderten wir ihn zum Hauptmann und er wurde Assistent des ersten Präsidenten des Landes nach dem Sieg.

So wie dieser Leutnant sagte, daß man die Ideen nicht tötet (Beifall), so starben unsere Ideen nicht und konnten von niemandem getötet werden. Und die Ideen, die wir in den mehr als 30 Jahren bis etwa 1991, als die Spezialperiode begann, säten und entwickelten, haben uns die Kraft gegeben, zu widerstehen. Ohne jene Jahre, die wir für die Bildung und die Verbreitung von Ideen, Bewußtsein, Gefühlen von tiefer Solidarität und einem edelmütigen internationalistischen Geist im Schoß der Bevölkerung verwendet haben, hätte unser Volk keine Kräfte gehabt, um zu widerstehen.

Ich spreche von Dingen, die ein wenig mit sehr komplizierten Fragen der politischen Strategie zusammenhängen, denn sie können auf die eine oder andere Weise interpretiert werden und ich weiß sehr gut, was ich ausdrücken will. Ich habe dargelegt, daß nicht einmal eine Revolution wie die unsere mit der Unterstützung von mehr als 90% der Bevölkerung, einem einmütigen und enthusiastischen Rückhalt, einer großen nationalen Einheit und einer gewaltigen politischen Stoßkraft hätte widerstehen können, und daß wir die Revolution unter den aktuellen Umständen dieser globalisierten Welt nicht hätten bewahren können.

Gerade heutzutage sind wir in einen großen Kampf der Ideen verwickelt, so daß unsere Arbeit in der Übermittlung von Ideen in alle Welt besteht. Heutzutage würde es uns nicht einfallen, jemandem zu sagen, daß er eine Revolution wie die unsere machen sollte, da wir ausgehend von den uns gut bekannten Umständen und den daraus resultierenden Bewertungen nicht vorschlagen könnten, daß andere das gleiche wie wir machen sollen. Wenn wir uns in einer anderen Epoche befänden, würden wir vielleicht vorschlagen, dasselbe wie wir zu tun, doch in der damaligen Zeit war die Welt eine andere und die Erfahrungen waren verschieden. Wir haben jetzt sehr viel mehr Kenntnisse und ein größeres Problembewußtsein, und selbstverständlich stehen für uns der Respekt und die Besorgnis für die Mitmenschen immer an erster Stelle.

Zu Zeiten der revolutionären Bewegungen in Mittelamerika, als die Situation sehr schwierig geworden war, weil bereits die unipolare Welt existierte und nicht einmal die Revolution in Nicaragua die Macht behaupten konnte, wurde viel über Friedensverhandlungen debattiert und diese Revolutionäre besuchten uns oft, um uns um unsere Meinung zu fragen, denn sie waren seit langem mit Kuba befreundet. Wir sagten ihnen: "Bittet uns nicht um unsere Meinung darüber. Wenn wir an eurer Stelle wären, wüßten wir, was zu tun wäre oder wir könnten darüber nachdenken, was zu tun sei. Aber man darf anderen keine Ratschläge erteilen, wenn diese selbst Meinungen oder Kriterien anwenden müssen, die Aspekte von so lebenswichtiger Bedeutung betreffen wie die Frage, ob bis zum Tod weitergekämpft oder verhandelt werden soll. Das können nur die Revolutionäre selbst in jedem Land entscheiden. Wir unterstützen jede Entscheidung, die ihr trefft." Das war eine einzigartige Erfahrung und ich erzähle auch davon hier zum ersten Mal in der Öffentlichkeit. Jeder hat bestimmte Optionen, aber niemand hat das Recht, anderen seine eigene Philosophie bei Fragen von Leben und Tod zu vermitteln. Deshalb betone ich, daß es so heikel ist, Ratschläge zu erteilen.

Anders verhält es sich im Fall von Kriterien, Standpunkten, Meinungen, Taktiken und empfehlenswerten Kampfstrategien in bezug auf globale Fragen, die den Planeten betreffen. Als Bürger der Welt und Mitglieder der menschlichen Spezies haben wir das Recht, jedem mit vollkommener Klarheit unser Denken zu vermitteln, der dies hören will, sei er Revolutionär oder nicht.

Seit langer Zeit schon haben wir gelernt, wie die Beziehungen zu den fortschrittlichen und revolutionären Kräften aussehen müssen. Hier vor euch beschränke ich mich darauf, Ideen, Überlegungen und Konzepte zu vermitteln, die mit unserem gemeinsamen Status als lateinamerikanische Patrioten zu vereinbaren sind, weil ich, wie ich wiederhole, den Anbruch einer neuen Stunde in Venezuela sehe, das ein unverrückbarer und untrennbarer Pfeiler der Geschichte und Zukunft Lateinamerikas ist. Man hat das Recht, auf die Erfahrung oder seinen Standpunkt zu vertrauen, nicht weil wir unfehlbar oder etwas dergleichen wären oder weil wir keine Fehler begangen hätten, sondern weil wir die Gelegenheit gehabt haben, lange Zeit in der Akademie von 40 Jahren Revolution zu studieren.

Deshalb hatte ich euch gesagt, daß ihr keineswegs eine katastrophale Situation oder etwas dergleichen durchlebt, wenn es auch sehr wohl eine schwierige wirtschaftliche Situation ist, die Risiken für das beinhaltet, was wir zu erkennen glauben.

Es gibt einige beeindruckende Zufälligkeiten. Diese Situation in Venezuela entstand während einem kritischen Zeitpunkt für die Integration Lateinamerikas. Es ist ein besonderer Moment, bei dem die südlicheren Länder für ihre Vereinigungsanstrengung die Hilfe der Länder des Nordens von Südamerika benötigen (Beifall), das bedeutet, daß sie eure Hilfe brauchen. Es ist der Augenblick gekommen, daß die Karibik eure Hilfe braucht. Es ist der Moment gekommen, da ihr eine Verbindung, Brücke, Scharnier - wie immer ihr es nennen wollt - oder Stahlbrücke zwischen der Karibik, Zentralamerika und Südamerika sein könnt. Niemand verfügt über solche Vorraussetzungen wie ihr, um in diesen schwierigen Zeiten für etwas so wichtiges und erstrangiges zu kämpfen wie die Einheit, die Integration und falls ihr wollt, sagen wir sogar das Überleben, nicht nur von Venezuela, sondern aller Länder unserer Kultur, unserer Sprache und unserer Rasse (Beifall).

Heute muß man mehr als je zuvor Anhänger Bolívars sein und die Fahne hissen, auf der steht, daß Vaterland Menschheit bedeutet, wobei wir uns darüber bewußt sind, daß wir uns nur retten können, wenn sich die Menschheit rettet (Beifall), und daß wir nur frei sein können, wenn die Menschheit frei ist, wovon wir jedoch noch sehr weit entfernt sind. Wenn wir wirklich eine gerechte Welt erreichen wollen, was möglich und wahrscheinlich ist, so bin ich, wenn auch durch Erkennen, Überlegen und Lesen, zu der Schlußfolgerung gekommen, daß der Menschheit nicht viel Zeit bleibt, um dies zu schaffen.

Ich gebe euch nicht nur mein Kriterium, sondern das von vielen Experten, deren Analysen ich zusammengetragen habe. Wir veranstalteten vor kurzem einen Kongreß mit 1.000 Wirtschaftswissenschaftlern, von denen 600 aus mehr als 40 Ländern kamen und worunter sich viele herausragende Persönlichkeiten befanden. Wir diskutierten mit ihnen die Vorträge, wobei über 55 eingeplante Vorträge Diskussionen abgehalten wurden. Man debattierte über die Probleme der neoliberalen Globalisierung, die internationale Wirtschaftskrise und die damit zusammenhängenden Geschehnisse. Denn ich hätte anfügen müssen, daß ich leider nicht viel Hoffnung habe, daß die Preise für eure Exportprodukte im nächsten Jahr oder in den nächsten zwei oder drei Jahren ansteigen.

Wir haben auch das Problem mit dem Nickel, dessen Preis um die Hälfte gefallen ist. Stellt euch vor, der Preis betrug noch vor kurzem 8.000 Dollar pro Tonne und jetzt liegt er bei 4.000 Dollar. Der Zuckerpreis lag vor zwei Tagen bei 6,5 Cents, was nicht einmal die Produktionskosten und die Ausgaben für Brennstoffe, Ersatzteile, Arbeitskraft, produktive Inputs etc. abdeckt. Das ist nicht nur ein ökonomisches, sonderm auch ein soziales Problem, denn Hunderttausende von Arbeitern leben an diesen Orten mit großer Liebe zu ihrer Arbeit und verwurzelten Traditionen der Zuckerproduktion, die von Generation zu Generation weitervermittelt wurden, und wir werden diesen Menschen nicht die Fabriken schließen, auch wenn die Zuckerproduktion in diesem Moment sehr wohl Verluste einfährt.

Wir haben einige Ressourcen. Der Tourismus, der hauptsächlich mit unseren eigenen Mitteln entwickelt wurde, hat in diesen Jahren einen großen Aufschwung verzeichnet und wir haben eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, die effektiv waren. Ich werde euch nicht erklären, wie wir es zustandegebracht haben, alle die bereits erwähnten Ergebnisse ohne Maßnahmen wie die berühmten Schocktherapien zu erreichen, die mit solch großer Gefühllosigkeit in anderen Ländern angewendet wurden, sondern stattdessen mit Sparmaßnahmen, die mit der gesamten Bevölkerung abgestimmt waren. Bevor die Entscheidungsträger ins Parlament gingen, wandten sie sich an das Volk und diskutierten in Tausenden von Versammlungen mit allen Gewerkschaften, allen Arbeitern, allen Bauern und allen Studenten darüber, was mit einem bestimmten Preis zu geschehen habe, welcher angehoben werden müsse und welcher nicht und aus welchen Gründen dies jeweils zu geschehen habe. Danach gingen sie in die Nationalversammlung und kehrten danach nochmals zur Basis zurück, wo jede getroffene Maßnahme diskutiert wurde, weil das, was angewendet wird, ein Produkt des Konsens ist. Das kann niemand durch Gewalt erreichen.

Die Schlaumeier im Norden glauben oder geben vor zu glauben, daß eine Kubanische Revolution nur durch Gewalt existiert. Sie haben nicht genügend Grips, um zu bemerken, daß so etwas in unserem Land, dessen Bewohner durch erhabene revolutionäre und menschliche Konzepte gebildet wurden, unmöglich wäre, absolut unmöglich (Lachen und Beifall). Das erreicht man nur durch Konsens und sonst nichts weiter. Dies kann niemand auf der Welt schaffen, wenn er nicht auf die maximale Unterstützung und Kooperation des Volkes bauen kann. Aber der Konsens hat seine Voraussetzungen. Wir haben gelernt, ihn zu schaffen, beizubehalten und zu verteidigen. Man muß also erkennen, was die Kraft eines geeinten Volkes ist, das bereit ist, zu kämpfen und zu siegen.

Einmal gab es einen kleinen Tumult, der seinem Wesen nach keinen politischen Charakter hatte. Das war in dem Moment, als die Vereinigten Staaten mit allen Mitteln die illegale Ausreise in Richtung ihres Territoriums förderten. Dort erhielten die Kubaner das automatische Aufenthaltsrecht - was sie keinem Bürger eines anderen Landes der Welt gewährten -, so daß jedermann angeregt wurde, ein Floß zu bauen, daß sogar noch sicherer als die 'Kon-Tiki' war, um damit mithilfe des Golfstroms in das wohlhabende Land zu reisen, oder ein Motorboot zu benutzen, denn es gibt viele Leute, die Sportboote besitzen. Die Yankees empfingen sie mit allen Ehren. Sie stahlen Boote und wurden dort wie Helden aufgenommen.

Im Zusammenhang mit dem zu Auswanderungszwecken geplanten Raub eines Passagierbootes im Hafen von Havanna gab es einen Vorfall, bei dem es zu einer gewissen Störung der öffentlichen Ordnung aufgrund des Problems mit den Booten kam und bei dem einige Personen anfingen, mit Steinen Scheiben einzuwerfen. Was war nun unsere Methode? Niemals haben wir einen Soldaten oder Polizisten gegen Zivilpersonen eingesetzt. Nie gab es hier Feuerwehrautos, die kräftige Wasserstrahle auf Menschen richteten, wie dies selbst in Europa fast jeden Tag in den Fernsehbildern zu sehen ist, oder Polizisten mit taucheranzugähnlichen Ausrüstungen, die scheinbar zu einer Reise ins Weltall aufbrechen (Lachen und Beifall). Nein, es ist der Konsens, der die Revolution aufrechterhält und ihr Kraft verleiht.

Ich erinnere mich, daß ich an jenem Tag um die Mittagszeit in mein Büro kam und die Nachricht erhielt. Ich rief die Leibwächter, die Waffen trugen, zu einer Versammlung zusammen und sagte ihnen: "Wir werden zum Ort der Ausschreitungen gehen. Es ist strengstens verboten, Waffen einzusetzen!" Ich bevorzugte wirklich, daß sie auf mich schossen, als daß Waffen in einer Situation dieser Art eingesetzt würden, weshalb ich ihnen kategorische Anweisungen erteilte und sie danach mit äußerster Disziplin mit mir zusammen dorthin gingen.

Wie lange dauerten die Ausschreitungen noch an, nachdem wir dort ankamen? Eine Minute, vielleicht Sekunden. Die Anwohner standen auf ihren Balkonen, sie stellten die Mehrheit der Versammelten dar - aber sie schienen ein wenig niedergeschmettert und überrascht zu sein. Einige asoziale Elemente warfen Steine und plötzlich geschah es, daß die gesamte Menschenmasse sich in Bewegung setzte und selbst die Steinewerfer anfingen, zu applaudieren. Man muß sich mal vorstellen, wie eindrucksvoll das war. Die Reaktion des Volkes, als es von einer gegen die Revolution gerichteten Aktion erfährt!

Gut, ich hatte vor, zum Museum der Stadt Havanna zu gelangen, wo sich der Stadthistoriker befand. Ich fragte mich: "Wie geht es wohl Leal? Man sagte, daß er im Stadtmuseum belagert sei. Doch schon nach wenigen Straßenzügen gelangten wir in Begleitung einer großen Menschenmenge in die Nähe der Malecon-Uferpromenade und stellten dort keinerlei Anzeichen von Gewaltanwendung fest. Ich hatte angeordnet: "Keine Einheit, keine Waffe und kein Soldat darf bewegt werden." Wenn es Vertrauen im Volk gibt und ihm mit Moral begegnet wird, muß man niemals Waffen einsetzen. In unserem Land haben wir nie Waffen eingesetzt (Beifall).

Was man folglich benötigt, ist die Einheit, politische Kultur und die bewußte und entschiedene Unterstützung des Volkes. Wir konnten dies in langen Jahren der Arbeit erreichen. Ihr, die Venezolaner, könnt das weder in einigen Tagen noch in einigen Monaten schaffen.

Wenn hier anstatt eines alten Freundes, dem ihr die so große Ehre erwiesen habt, ihn mit viel Zuneigung und Vertrauen zu empfangen, wenn also anstatt dieses alten und bescheidenen Freundes - das sage ich in aller Offenheit und mit absoluter Überzeugung - einer der Väter des venezolanischen Vaterlandes vor euch stehen würde, und ich gehe sogar noch weiter, wenn jener Mann von so bedeutender Größe und Fähigkeit, der die Einheit Lateinamerikas erträumte, hier in diesem Augenblick zu euch spräche, würde er euch sagen: "Rettet diesen Prozeß! Rettet diese Gelegenheit!" (Langer Beifall)

Ich glaube, daß ihr glücklich sein könnt und euch angesichts der vielen zu verwirklichenden Dinge glücklich fühlen werdet. Viele dieser Dinge sind greifbar nahe und hängen nur von subjektiven Faktoren und sehr wenigen Mitteln ab. Das haben wir gemacht, aber man kann hierbei wirklich nicht auf viele Mittel zählen. Einige kleine Summen und Restbeträge genügen, um zu verstehen. Ihr könnt bei vielen Dingen Geldmittel auftreiben, um vorrangige, grundsätzliche und wesentliche Probleme in Angriff zu nehmen. Aber man kann nicht einmal davon träumen, daß die venezolanische Gesellschaft einstweilen wieder über die Mittel verfügt, die sie in einem bestimmten Moment hatte und die ihr damals unter sehr unterschiedlichen Umständen zuflossen. Heute befindet sich die Welt in einer Krise und die Preise der Exportgüter sind extrem niedrig. Der Feind würde versuchen, dies auszunutzen.

Ihr könnt sicher sein, daß unsere Nachbarn aus dem Norden weder glücklich über den Prozeß sind, der in Venezuela stattfindet (Beifall), noch ihm Erfolg wünschen.

Ich bin nicht hierher gekommen, um Zwietracht oder etwas dergleichen zu säen. Im Gegenteil, ich würde sogar zu Weisheit gepaart mit Vorsicht raten, gepaart mit der notwendigen Vorsicht, die notwendige und nicht mehr als die notwendige. Aber ihr müßt geschickte Politiker und sogar geschickte Diplomaten sein. Ihr dürft nicht viele Leute erschrecken. Mehr aufgrund meines Alters als aus teuflichen Motiven schlage ich euch vor, so wenig Leute wie möglich aus dem Prozeß auszuschließen (Lachen und Beifall).

Bei einer Transformation, einem Wechsel und einer Revolution in ihrem heutigen Wortsinn, wenn man über das Stück Erde, auf dem wir geboren wurden, hinaussieht, muß man Menschen einbeziehen. Integriert und schließt nicht aus. Schaut, jener Leutnant, welcher den Trupp befehligte, der mich gefangennahm, integrierte sich und blieb nicht außen vor (Beifall). Ich war fähig, diesen Mann so zu verstehen, wie er war. Und so habe ich eine ganze Reihe von Menschen in meinem Leben zu erkennen gelernt, man könnte sogar sagen, daß es viele waren.

Es ist zwar wahr, daß der soziale Status und die soziale Situation am meisten zur Herausbildung des Bewußtseins der Leute beiträgt, doch ich war letztendlich der Sohn eines Großgrundbesitzers, der gemessen an der Größe Kubas - im Fall Venezuelas vielleicht nicht - viel Land besaß, wobei er über etwa 1.000 Hektar eigenes Land und 10.000 Hektar von ihm bewirtschaftetes Pachtland verfügte. Er wurde in Spanien geboren und als junger und armer Bauer auf die Insel gebracht, um gegen die Kubaner zu kämpfen.

Kürzlich veröffentlichte jemand in einer nordamerikanischen Zeitschrift einen sehr harten gegen Spanien gerichteten Artikel, in dem er versuchte, die Spanier zu beleidigen, da er verärgert darüber war, daß diese ihre Investitionen in Lateinamerika steigerten. Man sah, daß sie in den Vereinigten Staaten wütend waren, alles für sich beanspruchten und nicht wollten, daß auch nur eine Pesete in diesen Gefilden, und weniger natürlich in Kuba, investiert würde. Sie schrieben unter anderem: "Trotz seiner Angriffe auf den Imperialismus ist Fidel Castro ein Bewunderer der 'reconquista'." Sie stellten das Ganze als eine Wiedereroberung der Spanier dar, weshalb der Titel des Artikels "Auf der Suche nach dem neuen El Dorado" lautete, und in einem Moment ihres furiosen Angriffs fügten sie hinzu: "Der kubanische Regierungschef, Sohn eines während des Unabhängigkeitskrieges auf der falschen Seite kämpfenden spanischen Soldaten, kritisiert die Wiedereroberung nicht."

Ich denke an meinen Vater, der mit etwa 16 oder 17 Jahren in Spanien rekrutiert und gemäß den damaligen Gepflogenheiten nach Kuba geschickt wurde, wo er in einer spanischen Festungslinie eingesetzt wurde. Kann man meinen Vater wirklich beschuldigen, auf der falschen Seite gekämpft zu haben? Nein. Er kämpfte auf jeden Fall auf der richtigen Seite, auf der Seite der Spanier. Was wollten sie? Daß mein Vater in Marxismus, Internationalismus und Millionen anderen Dingen hätte bewandert gewesen sein müssen, wo er doch kaum Lesen und Schreiben konnte? (Beifall) Ja, sie erfassten ihn fürs Militär, aber ich habe darüber nachgedacht und bin zu dem Schluß gekommen, daß er in jedem Fall auf der richtigen Seite kämpfte, und daß die Verfasser der Yankee-Zeitschrift im Irrtum sind. Denn wenn er auf der Seite der Kubaner gekämpft hätte, wäre er auf der falschen Seite gewesen, weil Kuba nicht sein Land war und er weder etwas von der ganzen Problematik wußte noch die Gründe verstand, warum die Kubaner kämpften. Er war ein einfacher Rekrut und wurde wie Hunderttausende von anderen hierhergebracht. Nach dem Ende des Krieges repatriierten sie ihn nach Spanien, von wo er kurz darauf nach Kuba zurückkehrte, um dort als Landarbeiter zu arbeiten.

Später entwickelte sich mein Vater zu einem Großgrundbesitzer. Ich wurde in einem Latifundium geboren und wuchs dort auf, was mir nicht geschadet hat, da es mir den Kontakt zu meinen ersten Freunden ermöglichte, den armen Jungen des Ortes, die Söhne von Lohnarbeitern und bescheidenen Bauern waren - alle Opfer des kapitalistischen Systems. Später absolvierte ich eher als Eliteschulen zu bezeichnende Bildungseinrichtungen, aber ich bestand glücklicherweise gut. Ich sage wirklich glücklicherweise. Ich hatte das Glück, der Sohn und nicht der Enkel des Großgrundbesitzers zu sein, denn als Enkel wäre ich möglicherweise in irgendeiner Stadt geboren worden und zwischen reichen Kindern in einem noblen Viertel aufgewachsen. Nie hätte ich später meine Ideale eines utopischen Kommunisten, marxistischen Kommunisten oder etwas ählichem ausprägen können, denn im Leben wird niemand als Revolutionär, Dichter, Soldat oder etwas dergleichen geboren, weil es die Umstände sind, die den Menschen prägen und ihm die Möglichkeit geben, das eine oder das andere zu sein.

Wäre Kolumbus ein Jahrhundert vorher geboren worden, hätte niemand je etwas von Kolumbus gehört. Spanien war damals zum Teil noch von den Arabern besetzt. Wenn Kolumbus sich nicht geirrt und wirklich ein direkter Seeweg nach China existiert hätte, ohne auf einen unvorhersehbaren Kontinent zu stoßen, wäre er an den Küsten Chinas kaum mehr als 15 Minuten am Leben geblieben, denn wenn die Spanier Kuba auch mit 12 Pferden eroberten, so verfügten die Mongolen schon zu jener Zeit über berittene Heere mit Hundertausenden von Soldaten (Beifall). Stellt euch mal vor, so liegen die Dinge also.

Über Bolívar sage ich nichts, denn Bolívar wurde am richtigen Ort geboren, zur richtigen Stunde und auf die richtige Art und Weise, und jetzt Schluß damit! (Beifall) Ich lasse die Hypothese dessen beiseite, was geschehen wäre, wenn er 100 Jahre vorher oder 100 Jahre danach geboren worden wäre, denn das war unmöglich (Lachen) (Aus dem Publikum wird ihm zugerufen: "Che").

Che? Che war in jeder Sekunde meiner Rede hier anwesend und hat von hier aus gesprochen! (Langer Beifall)

Jetzt werde ich doch zum Schluß kommen. Da gibt es einige Industrielle, die mich erwarten (Lachen). Wie verändere ich denn jetzt die Rede? Nun, schaut, ich werde ihnen das gleiche erzählen, vor allen Dingen mit äußerster Offenheit (Lachen). Ich glaube, daß es in diesem Land für alle anständigen Menschen einen Platz gibt, für alle sensiblen Menschen und für alle, die fähig sind, die Botschaft des Vaterlandes und der aktellen Notwendigkeiten anzuhören. Ich würde sagen, daß dies die Botschaft der Menschheit ist, und daß ihr diese euren Landsleuten vermitteln müßt.

Ich erzählte euch ja bereits von einem Treffen, an dem 600 Wirtschaftswissenschaftler aus zahlreichen Ländern teilnahmen. Es kamen viele intelligente Leute der unterschiedlichsten Denkschulen und wir analysierten alle diese Probleme von Grund auf. Wir wollten keine sektiererische Versammlung der Linken oder der Rechten veranstalten, so daß wir sogar Friedman einluden, aber mit seinen 82 Jahren entschuldigte er sich natürlich und sagte, daß er nicht kommen könne. Sogar Herrn Soros luden wir ein, damit er dort seine Standpunkte verteidigen könne, ebenso wie die Chicago-Boys, die Monetaristen und die Neoliberalen, denn wir wollten diskutieren und es wurde in der Tat 5 Tage lang diskutiert - es begann am Montag und endete am Freitag.

Dieses Treffen entstand aus einem Vorschlag, den ich während einer früheren Versammlung der lateinamerikanischen Wirtschaftswissenschaftler machte. Es wurde damals von vielen Dingen gesprochen und ich sagte ihnen: "Aber warum konzentrieren wir uns nicht angesichts der Probleme, die wir jetzt vor uns haben, auf die Wirtschaftskrise und die Aspekte der neoliberalen Globalisierung?" Und so wurde es gemacht. Aus den Hunderten von eingeschickten Referaten wählte man 55 aus, die alle debattiert wurden. Diejenigen, die nicht diskutiert wurden, werden gedruckt. Die Referate waren sehr interessant und lehrreich. Wir wollen dieses Treffen jetzt jedes Jahr abhalten. Da es ja dort in Davos bereits ein Forum gibt, wo sich eine große Anzahl von Repräsentanten der transnationalen Konzerne und aller Reichen dieser Welt treffen, kann Kuba ein bescheidener Ort sein, an dem wir uns versammeln, die wir keine Besitzer von transnationalen Konzernen oder ähnlichem sind. Aber wir werden das Treffen ausgehend von den gemachten Erfahrungen jetzt jedes Jahr veranstalten.

Ich mußte die Abschlußrede jenes Treffens halten. Wir hatten vorher gesagt:"Paßt auf, es wird hier keine einzige Gitarre am Anfang dieses Treffens geben, denn immer beginnen Veranstaltungen dieser Art, wie ihr wißt, mit einer Gitarre, einem Chor...."

Ah, na gut, hier ist ein Chor aufgetreten, sehr gut, ein sehr guter Chor (Lachen).

Aber ich sagte ihnen, daß dies ab dem Zeitpunkt gelte, als das Treffen pünktlich mit der Diskussion des ersten Vortrages beginnen sollte. Und so haben wir 5 Tage diskutiert, morgens, mittags und abends.

Sie gaben mir die Aufgabe, jenes Treffen abzuschließen, und ich sprach zu ihnen, um die Veranstaltung abzuschließen. Es war bereits gegen Mitternacht. Wenn ihr mir erlaubt, denn es handelt sich nur um einige Minuten, weil es eine sehr kurze Rede war (Lachen), möchte ich hier jetzt das wiederholen, was ich damals vortrug, denn es faßt in sehr komprimierter Form die Essenz von vielen Dingen zusammen, die ich euch erzählt habe:

"Sehr geehrte Delegierte, Beobachter und Gäste:

Da Sie mir diese Ehre erwiesen haben, werde ich keine Rede halten, sondern mich auf den Vortrag eines Referates beschränken. Ich mache dies im Telegrammstil und es handelt sich zum Großteil um einen Dialog mit mir selbst.

Juli: Treffen der Wirtschaftswissenschaftler Lateinamerikas und der Karibik. Thema: Schwerwiegende Weltwirtschaftskrise in Sicht. Notwendigkeit der Einberufung einer internationalen Konferenz. Hauptthema: Die Wirtschaftskrise und die neoliberale Globalisierung.

Breite Debatte.

Alle Denkschulen.

Austausch von Argumenten.

Es wurde in diese Richtung gearbeitet.

Größtmögliche Reduzierung der Ausgaben für alle Teilnehmer.

Arbeitssitzungen am Morgen, Nachmittag und Abend.

Diese fünf Tage waren von einer außergewöhnlichen Ernsthaftigkeit und Disziplin bestimmt.

Alle sprachen wir mit absoluter Freiheit. Das haben wir geschafft und sind dankbar dafür.

Wir haben viel beim Zuhören ihrer Beiträge gelernt.

Große Vielfalt und Verschiedenheit von Ideen. Außerordentliche intellektuelle Demonstration von Fleiß, Talent, Klarheit und sprachlicher Schönheit.

Alle haben wir Überzeugungen.

Alle können wir aufeinander einwirken.

Alle gelangen wir auf lange Sicht zu ähnlichen Schlußfolgerungen.

Meine tiefsten Überzeugungen: die unglaubliche und noch unvollendete Globalisierung, die uns beschäftigt, ist ein Produkt der geschichtlichen Entwicklung und eine Frucht der menschlichen Zivilisation. Sie wurde im sehr kurzen Zeitraum von nicht mehr als 3.000 Jahren während des langen Lebens unserer Vorfahren auf dem Planeten erreicht. Der Mensch von heute ist nicht intelligenter als Perikles, Plato oder Aristoteles, auch wenn wir noch nicht wissen, ob er genügend intelligent ist, um die äußerst komplexen Probleme der Gegenwart zu lösen. Wir wetten darauf, daß er es schafft. Darum ging es bei unserem Treffen.

Eine Frage: Handelt es sich um einen umkehrbaren Prozess? Meine Antwort, die ich mir selbst gebe, lautet: Nein.

Was für eine Art von Globalisierung haben wir heute? Eine neoliberale Globalisierung, wie viele von uns sie nennen. Ist sie tragbar? Nein. Kann sie lange Zeit bestehen? Absolut nicht. Ist dies eine Frage von Jahrhunderten? Ein kategorisches Nein. Wird sie nur Jahrzehnte andauern? Ja, nur Jahrzehnte. Aber eher früher als später wird sie aufhören, zu existierten.

Halte ich mich etwa für eine Art von Prophet oder Hellseher? Nein. Verstehe ich viel von Ökonomie? Nein. Fast gar nichts. Um das zu bekräftigen, was ich sagte, reicht es, summieren, substrahieren, multiplizieren und dividieren zu können." (Beifall) "Das lernen die Schüler in der Grundschule.

Wie wird der Übergang aussehen? Wir wissen es nicht. Durch weitreichende gewaltsame Revolutionen oder große Kriege? Das erscheint unwahrscheinlich, irrational und selbstmörderisch. Durch tiefgehende und katastrophale Krisen? Leider ist dies das Wahrscheinlichste, fast unvermeidbar, und es wird in verschiedenen Ausprägungen und Kampfformen vonstattengehen. Was für eine Art von Globalisierung wird danach kommen? Es kann keine andere sein als eine solidarische, sozialistische, kommunistische oder wie auch immer Sie sie nennen wollen." (Beifall)

"Verfügt die Natur und mit ihr die menschliche Spezies über viel Zeit, um das Ausbleiben eines solchen Umbruchs zu überleben? Sie verfügt über sehr wenig Zeit. Wer wird diese neue Welt schaffen? Die Männer und Frauen, die unseren Planeten bewohnen.

Welches werden die wichtigsten Waffen sein? Die Ideen und Überzeugungen. Wer wird diese säen, pflegen und unbesiegbar machen? Sie. Handelt es sich um eine Utopie und nur einen Traum mehr unter vielen anderen? Nein, weil es objektiv unvermeidbar ist und keine Alternative dazu existiert. Es wurde schon vor nicht allzu langer Zeit erträumt, wenn es auch damals vielleicht auch verfrüht war. So wie es der erleuchtetste Sohn dieser Insel, José Martí, ausdrückte: 'Die Träume von heute werden die Realitäten von morgen sein.'

Ich habe mein Referat beendet.

Vielen Dank." (Langer Beifall)

Entschuldigt den Mißbrauch, den ich mit euch getrieben habe. Ich verspreche, daß ich mich kürzer fassen werde, wenn ihr mich in 40 Jahren wieder einladet (Beifall und Rufe: "Fidel, Fidel, Fidel!")

Glück für euch, daß ich nicht diese berühmte Broschüre erwähnt habe. Wißt ihr, was das war? Das Dokument der Synode von Rom, das in Mexiko veröffentlicht wurde (Aus dem Publikum wird ihm etwas gesagt). Ich werde es nicht vorlesen, aber ein Großteil der Dinge, die ich bei der Lektüre dieser apostolischen Bußpredigt unterstrich, stimmen mit vielen Ideen überein, die ich hier vorgetragen habe. Ich wollte es als Beweis dafür benutzen, daß vieles von dem, was heutzutage auf der Welt über das zerstörerische herrschende System gedacht wird, nicht nur aus Quellen der Linken oder politischen Quellen stammt. Die Argumente, Empfehlungen oder Behauptungen, welche Armut, Ungerchtigkeiten, Ungleichheiten, Neoliberalismus, Verschwendungssucht der Konsumgesellschaften und viele andere soziale und menschliche Abscheulichkeiten verurteilen, die von der aktuellen der Welt aufgezwungenen Wirtschaftsordnung erzeugt werden, kommen auch von marxismusunverdächtigen Institutionen wie der Römisch-Katholischen Kirche. Genauso denken auch viele andere christliche Kirchen.

Vielleicht wäre es das Beste gewesen, wenn ich mit diesem Dokument gekommen wäre, das Unterstrichene vorgelesen hätte und ihr viereinhalb Stunden früher hättet gehen können (Lachen).

Vielen Dank.

(Ovationen)