Montag, 21. Juni 2004

Zweite Epistel

Liebe Mitbürger

Zwei erneute Niederträchtigkeiten der Regierung der Vereinigten Staaten — die Einbeziehung Kubas in eine ihrer Listen, die sie sich als Herren der Welt aufspielen, eingefügt in einen am 14. Juni veröffentlichten Bericht des State Department, wo unser Land der Beteiligung am Menschenhandel angeklagt und die schändliche Verleumdung hinzugefügt wird, wir förderten der sexuelle tourismus sowie die am 16. Juni erfolgte Bekanntgabe grausamer zusätzlicher Blockademaßnahmen zum Abwürgen der Wirtschaft, die der Lebensunterhalt unseres Volkes ist — zwingen mich zu einer zweiten Botschaft an den Präsidenten der Vereinigten Staaten.

Herr Bush,

Ich will gelassen, doch auch sehr offen sein, wenngleich ohne jegliche Absicht, Beschimpfungen oder persönliche Beleidigungen vorzubringen. Kuba in einer Liste von Ländern zu nennen, die gesetzwidrigen Menschenhandel betreiben, ist ein Zynismus. Noch niederträchtiger und widerlicher in jenem präpotenten Bericht, den das State Department alljährlich abzusegnen hat, ist die Behauptung, Kuba fördere den Sextourismus, einschließlich mit Kindern.

Sie haben die Möglichkeit, sich zu informieren, dass Kuba um der Familienzusammenführung willen zwei Migrationsvereinbarungen mit den Vereinigten Staaten unterzeichnet hat. Das erste im Jahr 1984, das von den US-Administrationen nicht eingehalten wurde. Zehn Jahre später werden dann anstelle der 20 000 angebotenen Visa lediglich etwa 1000 pro Jahr erteilt, also fünf Prozent. Nach der 1994 ausgelösten Migrationskrise unterzeichnete unser Land eine neue Vereinbarung mit der Regierung der Vereinigten Staaten, die im Folgejahr erweitert wurde und derzeit gültig ist. Diese wurde zwar hinsichtlich der Anzahl von Visa im wesentlichen eingehalten, doch von der Einhaltung der unausweichlichen und grundsätzlichen Pflicht, jegliche Ermutigung der illegalen Emigration zu vermeiden, kann nichts Gleiches behauptet werden.

Das mörderische Cuban Adjustment Act wurde absolut ungerechtfertigt unverändert beibehalten; es wurden ihm sogar neue Stimuli hinzugefügt. Dieses absurde und unmoralische Gesetz hat unzählige Menschenleben gefordert, darunter das Leben vieler kubanischer Kinder. Seit dem Bestehen dieses Gesetzes setzte der verabscheuungswürdige Emigrantenschacher per Schnellbooten ein, die, aus Florida kommend, unsere Küsten allerorts anliefen. Von Kuba werden solche Taten hart bestraft, während die US-Administrationen aus zur Genüge bekannten politischen Gründen, die im Zusammenhang mit dem Staat Florida stehen, untätig zuschauen.

Kein Land der Welt hat wie Kuba seinen Kindern einen so starken körperlichen und moralischen Schutz, Gesundheit und Erziehung zuteil werden lassen. Sie sollten wissen, dass in den Vereinigten Staaten ein höherer Anteil Kinder im ersten Lebensjahr stirbt als in Kuba. Hundert Prozent der Kinder und Heranwachsenden in unserem Land, einschließlich körper- und geistesbehinderte, sind in den entsprechenden Einrichtungen eingeschult.

Wie können Sie ignorieren wollen, dass, während in den Vereinigten Staaten durchschnittlich 30 Schüler pro Lehrer im Unterrichtsraum sitzen, in Kuba diese Anzahl unter 20 liegt und die schulischen Ergebnisse bereits jene der Industrieländer übertreffen?

Unsere Leistungen im Gesundheitssektor haben die Lebenserwartung eines jeden Kindes, das geboren wird, von 60 Jahren oder darunter im Jahr 1959 derzeitigen Schätzungen zufolge auf heute 76,13 Jahre erhöht.

Trotz der Blockade der Vereinigten Staaten und dem Zusammenbruch des sozialistischen Lagers umfasste die Beschäftigungslosigkeit in Kuba nur 2,3 %, liegt also um das Mehrfache unter der Ihres Landes, dem reichsten und industrialisiertesten der Welt.

Sie müssten Schamgefühl verspüren, ein Volk wirtschaftlich abwürgen zu wollen; eine „Heldentat", die kein Wirtschaftskrieg, bewaffnete Aggressionen und Terroristenakte zu vollbringen vermochten. In Ihrem eigenen Lande könnten Sie nichts dergleichen vorweisen.

Sie versuchen, die Wirtschaft abzuwürgen und drohen dem Land mit Krieg, das fähig gewesen ist, heute bereits eine Anzahl von 20 000 Ärzten in 64 Ländern der Dritten Welt im Einsatz zu haben. Obwohl sie über die Ressourcen der reichsten Macht der Erde verfügt, hat Ihre Regierung nicht einen einzigen Arzt in die abgelegensten Gegenden jener Länder entsandt, wie es Kuba tut.

Auf Ihrem Bewusstsein wie auch auf dem der Führer der reichsten Staaten lastet der Völkermord, der Tod von jährlich mehr als zehn Millionen Kindern und weiteren Dutzenden Millionen Menschen, die gerettet werden könnten; der Tod infolge der unterschiedlichsten Formen von Ausplünderung und Raub, denen die Länder der Dritten Welt durch die ungerechte und bereits unhaltbare Weltwirtschaftsordnung ausgesetzt sind, die von den reichen Ländern auf Kosten von 80 Prozent der Bewohner unseres Planeten aufgezwungen wurde.

Jemand müsste Sie über diese Probleme und diese Wahrheiten informieren anstelle die ganze Zeit über Intrigen zu schmieden und Lügen zu verbreiten.

In Bezug auf Kuba lassen Sie sich von dem fanatischen Glauben leiten, Ihre Wiederwahl im November hinge von der Unterstützung durch eine Terroristenmafia — als solche klar erkenntlich — alter Emigranten und deren Nachkommenschaft ab, von denen ein bedeutender Teil aus der Gruppe der Veruntreuer und Kriegsverbrecher unter Batista stammt, die sich mit ihrer Beute und ihren ungestraften Verbrechen in die Vereinigten Staaten in Sicherheit brachten. Andere bereicherten sich durch jahrelange Dienste bei Terroristenakten und Aggressionen, die unserem Volk viel Blut kosteten. Immer mehr verlieren diese Gruppen an Ansehen und Einfluss. Alle Welt erinnert sich an die Ereignisse auf Florida, wo sie vielfachen Wahlbetrug begingen, in dem sie wahre Experten sind; und Sie gingen durch nur 518 Stimmen als Sieger hervor. Ich will Sie nicht demütigen und nicht weiter in diesem schmutzigen und unangenehmen Thema bohren. Ich ziehe vor, Ihnen ganz offen zu sagen, dass die Fehler, zu denen Sie Ihre Kompromisse mit dieser Mafia führen, bei den nächsten Wahlen das Blatt entscheidend wenden können.

Das US-amerikanische Volk ist des beschämenden Einflusses bereits überdrüssig, den jene Gruppen auf die Außen- und Innenpolitik eines so bedeutenden Landes ausüben. Ihre Abhängigkeit von jenen Gruppen wird Sie am Ende viele Wählerstimmen kosten, und das nicht nur in Florida, sondern landesweit.

Indem Sie den US-Amerikanern unter brutaler Androhung von Repression verbieten, nach Kuba zu reisen, verletzen Sie einen Verfassungsgrundsatz und ein Recht, worauf die Bürger Ihres Landes stets stolz gewesen sind. Es zeigt außerdem politische Angst.

Kuba hat ohne Zögern noch Befürchtung der — mit sehr wenigen Ausnahmen — breiten Masse der Emigranten für den Besuch ihres Herkunftslandes seine Türen geöffnet; kürzlich erst wurde als einzige Formalität die Einrichtung einer alle zwei Jahre zu erneuernden Erlaubnis im Reisepass gefordert, womit dann beliebig viele Besuche durchgeführt werden können; und Sie greifen zu erbarmungslosen und unmenschlichen Maßnahmen gegen die kubanischen Familien, Maßnahmen, die ihre Kultur und uralten Traditionen kränken. Den dort lebenden Kubanern, ob eingebürgert oder nicht, den Besuch ihrer nächsten Verwandten in einem nicht unter drei Jahre liegenden Zeitraum zu verbieten, auch wenn diese todkrank sind, ist eine unbeschreibliche Grausamkeit. Nicht wenige Kubaamerikaner denken bereits an ein Ahndungsvotum.

Aus puren Wahlgründen, sich über die von fast allen Mitgliedern der Vereinten Nationen bestätigten Resolutionen hinwegsetzend, haben Sie soeben neue und härtere Wirtschaftsmaßnahmen gegen das kubanische Volk getroffen, die von der Weltöffentlichkeit und selbst der großen Mehrheit der US-amerikanischen Öffentlichkeit abgelehnt werden.

Das Schlimmste Ihrer kopflosen und ungeschickten Politik gegen Kuba ist, dass Sie und Ihre nächsten Berater hemmungslos Ihre Absicht erklärten, das, was Sie als politischen Übergang in Kuba bezeichnen, gewaltsam durchzusetzen, falls bei mir in Ausübung meines heutigen Amtes der Tod eintritt; ein Übergang, bei dem Sie ohne Zögern natürlich zugeben, dass Sie bestrebt sein werden, ihn so stark wie möglich zu beschleunigen. Sie wissen recht gut, was das in der Sprache der Mafiosi bedeutet.

Möglicherweise war jedoch die größte Schamlosigkeit die Ankündigung, dass die ersten Stunden die entscheidenden sein werden, da danach um jeden Preis und unter allen Umständen verhindert werden müsse, dass eine neue politische und administrative Leitung die Führung unseres Landes übernimmt. Dabei ignorieren Sie vollkommen die kubanische Verfassung, die Befugnisse der Nationalversammlung und der Leitung unserer Partei sowie die Funktionen, die das Grundgesetz und die höchsten Institutionen des Volkes jenen übertragen haben — so wie allerorts in der Welt —, die die jeweilige Verantwortung für die sofortige Übernahme der Aufgabe besitzen.

Da dies nur mittels Entsendung von Truppen an Schlüsselpunkte des Landes möglich ist, wird die Absicht kundgetan, militärisch in unsere Heimat einzufallen. Daher sandte ich Ihnen in Ihrer Cäsar-Rolle am 14. Mai im Voraus meine Grüße, übernommen von den Gladiatoren, die im Zirkus des alten Rom bis zum Tode zu kämpfen gezwungen wurden.

Heute halte ich es für nötig, Ihnen noch einiges mehr zu sagen.

Sie sollten wissen, dass Ihr Marsch gegen Kuba absolut nicht leicht sein wird. Unser Volk wird Ihren Wirtschaftsmaßnahmen, welche sie auch sein mögen, standhalten. 45 Jahre heldenhafter Kampf gegen Blockade und Wirtschaftskrieg, Drohungen, Aggressionen, Mordpläne gegen seine Führer, Sabotageakte und Terrorismus haben die Revolution nicht geschwächt, sondern gestärkt.

Vor 43 Jahren wurde die verräterische Invasion bei Girón in weniger als 66 Kampfstunden ohne Waffenruhe entgegen sämtlichen Berechnungen brillanter Experten vernichtend geschlagen.

Einige von uns Führern dieser Revolution haben wir diese einmalige Erfahrung erlebt, in der eine Handvoll Männer mit sieben Gewehren begann und dann mit den dem Feind im Kampf abgenommenen Waffen das bewaffnete Heer Batistas schlug, das von den Vereinigten Staaten ausgerüstet, ausgebildet und beraten wurde und 85 000 Mann zählte.

Dann im Oktober 1962, ein Jahr und sechs Monate nach Girón, ließ die reale Bedrohung eines Kernwaffenangriffs keinen kubanischen Kämpfer mit der Wimper zucken. Trotz Vereinbarung der beiden Supermächte wurde keiner Inspektion auf unserem Territorium stattgegeben.

Dutzende Jahre schmutzigen Krieges, Sabotageakte und Terrorismus, wobei sich viele Ihrer heutigen Freunde aus Miami so stark auszeichneten, konnten Kuba nicht beugen.

Der Zusammenbruch des sozialistischen Lagers in Europa und der UdSSR selbst, wodurch wir der Märkte, Treibstoffe, Nahrungsmittel und Rohstoffe verlustig gingen in Gegenwart einer durch das Torricelli- und das Helms-Burton-Gesetz sowie andere Maßnahmen verschärften Blockade haben das kubanische Volk nicht zermürbt; und es geschah, was unmöglich schien: Wir haben durchgehalten! Das ist etwas, das bereits die kubanischen Patrioten, die im letzten Krieg gegen die spanische Kolonialmacht gegen 300 000 Soldaten Spaniens kämpften, sie zermürbten und besiegten, im Blut und ihren Traditionen führten: Es ist jener Geist, gegen das Unmögliche zu kämpfen und zu siegen.

Es ist nicht meine Absicht, Herr Präsident der Vereinigten Staaten, Sie zu belästigen noch Ihnen mit diesen Erinnerungen das Leben zu verbittern. Ich erfülle lediglich den Wunsch, Sie aufzuklären, was Kuba ist, was ein echter und tiefgründiger revolutionärer Prozess bedeutet und wie das Volk ist, auf das Sie mit Verachtung zu blicken beabsichtigen.

Die Bevölkerung Kubas ist heute weltweit diejenige mit der höchsten Bildung und dem höchsten politischen Bewusstsein. Es ist kein fanatisches, es ist ein Volk der Ideen. Es ist kein Volk der Voll- oder Halbanalphabeten; es ist ein Volk, bei dem neben seinem Mut und seinem Patriotismus das Hochschulstudium eine Massenbasis erlangt. Seine Träume von einer wahrhaft gerechten und humanen Gesellschaft werden ergänzt durch seine Erfahrung und das Wissen, etwas, das Ihnen mit Ihrem Fundamentalismus und Ihren messianischen Vorgehensgewohnheiten sehr schwer verständlich sein wird.

Heute sind wir keine Handvoll Männer, entschlossen, zu siegen oder zu sterben. Wir sind Millionen Männer und Frauen, verfügen über genügend Waffen und mehr als 200 000 gut ausgebildete Offiziere und Chefs, die wissen, wie diese unter den Bedingungen eines modernen und auf höchstem technischen Niveau stehenden Krieges zu gebrauchen sind, sowie über eine Riesenmasse an Kämpfern, die ebenfalls recht gut die starken und die — ungeachtet des enormen Rüstungspotenzials der technischen Überlegenheit ihrer Waffen — schwachen Stellen derer kennen, die uns bedrohen.

Unter den heutigen Bedingungen in Kuba wird bei einer Invasion im Land eine Abwesenheit meinerseits — aus natürlichen oder Gründen anderer Art — unsere Fähigkeit des Kampfes und des Widerstandes nicht im geringsten beeinträchtigen. In jedem politischen und militärischen Chef auf allen Ebenen, in jedem einzelnen Soldaten steckt ein potenzieller Comandante en Jefe, der weiß, was er zu tun hat, und in einer bestimmten Situation kann ein jeder zu seinem eigenen Comandante en Jefe werden.

Ihr werdet nicht einen Tag, eine Stunde, eine Minute, ja nicht eine Sekunde haben, um die sofortige Übernahme der politischen und militärischen Führung des Landes zu verhindern. Die Befehle dessen, was getan werden soll, sind im voraus erteilt. Jeder Mann und jede Frau werden ohne eine Sekunde zu verlieren auf ihrem Gefechtsposten sein.

Vor mehr als einer Million Kubaner, die vor Ihrer Interessenvertretung demonstrierten, sagte ich Ihnen am 14. Mai recht deutlich, was meine Aufgabe ist und was ich tun werde. Das kommt mir zu. Heute wiederhole ich es und empfehle Ihnen und Ihren Beratern, keine niederträchtigen Racheakte gegen unser Volk zu erfinden. Erfinden Sie keine verrückten Abenteuer wie chirurgische Operationen oder Abnutzungskriege unter Einsatz der modernsten Techniken, denn die Geschehnisse können Ihnen aus den Händen gleiten. Unerwünschte Dinge könnten geschehen, die weder für das Volk Kubas noch das der Vereinigten Staaten gut sind. Sie könnten zum Bruch der Migrationsvereinbarung führen, zu einem Massenexodus, den wir nicht in der Lage wären zu verhindern; sie könnten zu einem totalen Krieg zwischen jungen US-amerikanischen Soldaten und dem kubanischen Volk führen, was äußerst traurig wäre.

Ich kann Ihnen versichern, dass Sie diesen Krieg niemals gewinnen werden. Hier werden Sie kein geteiltes Volk, keine entgegengesetzten Ethnien oder tiefe Religionsdifferenzen vorfinden. Auch werden es keine verräterischen Generäle sein, die unsere Truppen kommandieren. Sie werden ein Volk vorfinden, das fest vereint ist durch eine Kultur, ein Solidaritätsgefühl und ein soziales und humanes Werk, wie es in der Geschichte noch nie dagewesen ist. Aus einer militärischen Aktion gegen Kuba werden Sie keinen Ruhm davontragen.

Unser Volk wird niemals seine Unabhängigkeit aufgeben, noch wird es jemals seine politischen, sozialen und ökonomischen Ideale aufgeben.

Nach dem schmerzvollen und nicht zu rechtfertigenden Angriff auf die Twin Towers bekundete Kuba dem Volk der Vereinigten Staaten seine volle Solidarität. An jenem Tag legten wir unsere Standpunkte dar, die sich heute mit fast mathematischer Genauigkeit bestätigen. Der Krieg ist nicht das Mittel, um mit Terrorismus und Gewalt in der Welt Schluss zu machen. Jenes tragische Ereignis wurde als Vorwand benutzt, um unserem Planeten eine Politik des Terrors und der Gewalt aufzuzwingen.

Ihre Maßnahmen gegen das Volk Kubas sind grausam und unmenschlich. Kuba kann beweisen, dass Sie ein Land vernichten wollen, das mit seinen medizinischen Leistungen in den armen Ländern der Welt Hunderttausende Menschenleben gerettet hat und weiterhin rettet und sogar in der Lage wäre ebensoviel arme Bürger der Vereinigten Staaten zu retten wie die 3000, die bei den Twin Towers ums Leben kamen.

Sicherlich ist Ihnen bekannt, dass in den Vereinigten Staaten 44 Millionen Bürger nicht krankenversichert sind; dass im Verlauf von zwei Jahren 82 Millionen US-Amerikanern zu einem bestimmten Zeitpunkt diese Versicherung fehlte und sie nicht die enormen Kosten tragen konnten, die in Ihrem Land für die lebenswichtigen Gesundheitsleistungen veranschlagt werden. Eine sehr zurückhaltende Berechnung ergibt, dass in den Vereinigten Staaten alljährlich mehrere zehntausend Menschen aus diesem Grunde sterben. Es ist möglicherweise das Dreißig- oder Vierzigfache derer, die in den Twin Towers ums Leben kamen. Man müsste einmal genaue Berechnungen anstellen.

Kuba ist bereit, in einer kurzen fünfjährigen Zeitspanne 3000 armen US-Amerikanern das Leben zu retten. Heute ist es möglich, einen Infarkt, der tödlich sein kann, vorauszusehen und zu vermeiden. Diese 3000 US-Amerikaner könnten mit einer Begleitperson zu uns kommen und eine vollkommen kostenfreie Behandlung erhalten.

Ich möchte Sie etwas fragen, Herr Bush. Es handelt sich um eine ethische und Prinzipienfrage. Wären Sie bereit, im Rahmen eines Programms der Rettung eines Menschenlebens für jeden einzelnen durch den grauenhaften Überfall auf die Twin Towers verursachten Toten jenen Bürgern die Reisegenehmigung nach Kuba zu erteilen? Sollten die Bürger die Leistungen annehmen und sich entschließen zu kommen, würden sie bestraft werden?

Der Welt werde bewiesen, dass es zur Arroganz, dem Krieg, dem Völkermord, dem Hass, dem Egoismus, der Heuchelei und der Lüge eine Alternative gibt.

Im Namen des kubanischen Volkes

Fidel Castro Ruz

21. Juni 2004

Sonntag, 13. Juni 2004

Botschaft an die 11.Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung

Die UNCTAD, eine vor 40 Jahren gegründete Organisation, war ein edler Versuch der unterentwickelten Welt, innerhalb der Vereinten Nationen ein Instrument zu schaffen, das über den rationellen und gerechten internationalen Handelsaustausch ihrem Streben nach Fortschritt und Entwicklung dienen würde. Damals gab es viele Hoffnungen, im arglosen Glauben daran, daß die ehemaligen Metropolen Bewußtsein über ihre Pflicht und die Notwendigkeit, diese Zielstellung zu teilen, gewonnen hätten.

Raúl Prebisch war der Hauptinspirator jener Idee. Er hatte das Phänomen des ungleichen Wirtschaftsaustauschs als eine der großen Tragödien analysiert, welche die wirtschaftliche Entwicklung der Völker der Dritten Welt hemmt. Dies war einer seiner wichtigsten Beiträge zur Wirtschaftskultur unserer Zeit, In Anerkennung seiner herausragenden Fähigkeiten wurde er als Generalsekretär dieser Institution der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung gewählt.

Heutzutage wird die schreckliche Geißel des ungleichen Wirtschaftsaustauschs kaum in Reden und bei Konferenzen erwähnt.

Der internationale Handel war nicht Instrument zur Entwicklung der armen Länder, welche die riesige Mehrheit der Menschheit bilden. Für 86 von ihnen stellen die Grunderzeugnisse mehr als die Hälfte des Ausfuhrerlöses dar. Die Kaufkraft jener Produkte, ausgenommen das Erdöl, ist heute ein Drittel derjenigen, die sie bei der Gründung der UNCTAD hatten.

Obwohl die Zahlen langweilen und sich wiederholen, bleibt oft kein anderes Mittel, als ihre beredte und unersetzbare Sprache zu verwenden.

* In den armen Ländern leben 85 Prozent der Weltbevölkerung, aber ihre Teilnahme am Welthandel beträgt nur 25 Prozent.

* Die Auslandsschuld jener Länder betrug 1964, im Gründungsjahr dieser Institution der Vereinten Nationen, ungefähr 50 Milliarden Dollar. Heute erreicht sie 2,6 Billionen.

* Von 1982 bis zum Jahr 2003, d.h. in 21 Jahren, hat die arme Welt 5,4 Billionen Dollar Schuldendienst gezahlt, das bedeutet, daß sein jetziger Wert schon mehr als zweimal an die reichen Länder gezahlt wurde.

Den armen Ländern wurde Entwicklungshilfe versprochen und daß sich der Abgrund zwischen Reichen und Armen progressiv verringern würde; man ging sogar so weit zu versprechen, daß der Wert 0,7 Prozent des sogenannten BIP der wirtschaftlich entwickelten erreichen würde, wenn das so wäre, dann würde diese Zahl heute mindestens 175 Milliarden Dollar pro Jahr betragen.

Im vergangenen Jahr 2003 erhielt die Dritte Welt als offizielle Hilfe 54 Milliarden Dollar. In jenem selben Jahr zahlten die Armen den Reichen 436 Milliarden an Schuldendienst. Das reichste Land von ihnen, die Vereinigten Staaten, ist dasjenige, welches die vorgegebene Zielstellung am wenigsten erfüllte, indem es nur 0,1 Prozent seines BIP für diese Hilfe bestimmte. Hier sind die riesigen Summen, die ihnen durch den ungleichen Handelsaustausch entrissen wurden, nicht inbegriffen.

Zusätzlich geben die reichen Länder jedes Jahr mehr als 300 Milliarden Dollar für Subventionen aus, die den Zugang der armen Länder zu ihren Märkten verhindern.

Andererseits ist es fast unmöglich den Schaden zu messen, der diesen Ländern durch die Art der Handelsbeziehungen zugefügt wird, die den armen Ländern, die nicht in der Lage sind, mit der ausgefeilten Technologie, dem fast ausschließlichen Monopol des intellektuellen Eigentums und den riesigen Finanzmitteln der reichen Länder zu konkurrieren, über die gewundenen Pfade der WTO und die Freihandelsverträge aufgezwungen werden.

Zu diesen Formen der Plünderung kommen noch andere hinzu, wie z.B. die beleidigende Ausbeutung der billigen Arbeitskräfte in der Maquiladora-Industrie, die mit Lichtgeschwindigkeit entstehen und verschwinden, die Spekulation mit den Währungen in Höhe von Billionen pro Tag, der Waffenhandel, die Aneignung des Nationaleigentums, die kulturelle Invasion und andere Dutzende von Plünderungs- und Raubhandlungen, die unmöglich alle aufgezählt werden können. Der brutale Transfer von Finanzmitteln aus den armen in die reichen Länder, der in den klassischen Büchern zur politischen Ökonomie nicht aufgezeigt ist — die Kapitalflucht, die charakteristisch und obligatorisch für die herrschende Wirtschaftsordnung ist — ist noch zu untersuchen.

Das Geld aus der ganzen Welt fließt in die Vereinigten Staaten ab, um sich vor den Währungsschwankungen und dem Spekulationsfieber zu schützen, welche die Wirtschaftsordnung selbst hervorruft. Ohne dieses Geschenk, welches der Rest der Welt, besonders die armen Länder, den Vereinigten Staaten machen, könnte seine jetzige Regierung die riesigen Haushalts- und Handelsbilanzdefizite nicht aufrecht erhalten, die beide zusammen im Jahr 2004 mindestens eine Billion Dollar betragen.

Würde sich irgend jemand trauen, die negativen sozialen und menschlichen Konsequenzen/Folgen der neoliberalen Globalisierung zu verneinen, die der Welt aufgezwungen wurde?

* Wenn vor 25 Jahren fünfhundert Millionen Menschen Hunger litten, dann sind das jetzt mehr als 800 Millionen.

* In den armen Länder kommen 150 Millionen Kinder mit Untergewicht auf die Welt, was das Sterberisiko und die Gefahr der geistigen und körperlichen Unterentwicklung erhöht.

* Es gibt 325 Millionen Kinder, die nicht die Schule besuchen.

* Die Kindersterblichkeit in Kindern unter einem Jahr ist 12 Mal höher als die der reichen Länder.

* In der Dritten Welt sterben täglich 33 Tausend Kinder an heilbaren Krankheiten.

* Zwei Millionen Mädchen sind dazu gezwungen, die Prostitution auszuüben.

* 85 Prozent der Weltbevölkerung, die sich aus den armen Ländern zusammensetzt, verbrauchen nur 30 Prozent der Energie, 25 Prozent der Metalle und 15 Prozent des Holzes.

* Die kompletten bzw. funktionellen Analphabeten, welche unseren Planeten bewohnen, betragen Milliarden.

Wie können die Anführer des Imperialismus und diejenigen, welche die Plünderung der Welt mit ihm teilen, von Menschenrechten sprechen und in dieser so brutal ausgebeuteten Welt auch nur die Worte Freiheit und Demokratie erwähnen?

Das, was gegen die Welt verübt wird, ist ein ständiges Genozid-Verbrechen. Jedes Jahr sterben wegen fehlenden Nahrungsmitteln, fehlender ärztlicher Betreuung und Mangel an Arzneimittel so viele Kinder, Mütter, Adoleszenten, Jugendliche und Erwachsene, — die gerettet werden könnten — wie die Dutzende Millionen, die in jeglichem der zwei Weltkriege starben. Das geschieht jeden Tag, zu jeder Tageszeit, ohne daß irgendeiner der großen Führer der entwickelten und reichen Welt darüber auch nur ein Wort verliert.

Kann diese Situation unendlich so weitergehen? Entschiedenermaßen nein, und aus absolut objektiven Gründen.

Die Menschheit hat — nachdem Dutzende Jahrtausende vergangen sind — in dieser Minute und fast plötzlich, wenn man den beschleunigten Wachstumsrhythmus der letzten 45 Jahre anschaut, wo sich ihre Zahl mehr als verdoppelt hat, 6,35 Milliarden Einwohner erreicht, die Kleidung und Schuhe benötigen, ernährt, untergebracht und erzogen sein sollen. In kaum 50 Jahren mehr, wird sich die Zahl fast unvermeidbar auf 10 Milliarden belaufen. Zu jenem Zeitpunkt werden die bekannten und möglichen Brennstoffreserven, für deren Schaffung der Planet 300 Millionen Jahre benötigte, verbraucht sein. Sie werden in die Atmosphäre, die Gewässer und den Grund und Boden lanciert worden sein, gemeinsam mit anderen chemischen Schadstoffen.

Das heute herrschende imperialistische System, zu dem sich unvermeidbar die entwickelte kapitalistische Gesellschaft entwickelte, hat schon eine so erbarmungslose irrationale und ungerechte globale und neoliberale Wirtschaftsordnung erreicht, daß es unhaltbar ist. Die Völker werden sich gegen es erheben. Diejenigen, die behaupten, daß dies das Ergebnis von Parteien, Ideologien oder subversiven Elementen und Unruhestiftern aus Kuba und Venezuela ist, sind dumm. Unter anderem brachte diese Entwicklung auf ebenso unvermeidbare Art und Weise und innerhalb der Grundlagen und Normen, die das herrschende System bestimmen, die sogenannten Konsumgesellschaften mit sich. In ihnen haben ihre verschwenderischen und verantwortungslosen Tendenzen den Verstand von einer großen Anzahl von Menschen auf der Welt vergiftet, die inmitten von einer allgemeinen politischen und wirtschaftlichen Ignoranz durch die kommerzielle und politische Werbung mittels der fabelhaften Massenmedien manipuliert werden, welche die Wissenschaft geschaffen hat.

Dies waren nicht die günstigsten Bedingungen dafür, daß sich in den reichen und mächtigen Ländern solche fähige, verantwortungsbewußte und mit Kenntnissen und politischen und ethischen Prinzipien ausgestattete Führer herausbildeten, die eine so außerordentlich komplizierte Welt benötigt. Man muß sie nicht beschuldigen, denn sie selbst waren Ergebnis und gleichzeitig blinde Instrumente jener Entwicklung. Werden sie in der Lage sein verantwortungsbewußt die im äußersten komplizierten politischen Situationen, die in ständig steigendem Maße auf der Welt entstehen, zu bewältigen?

Bald wird es 60 Jahre her sein, daß über Hiroshima die erste Atombombe explodierte. Heutzutage gibt es auf der Welt mehrere Zehntausende jener Waffen, die dutzendemale mächtiger und genauer sind. Sie werden weiter hergestellt und perfektioniert. Sogar im Weltraum sind Atomwaffenbasen vorgesehen. Es entstehen neue tödliche und ausgefeilte Waffensysteme.

Zum erstem Mal in der Geschichte wird der Mensch die technische Kapazität für seine vollkommene Selbstvernichtung geschaffen haben. Aber im Gegensatz dazu war er nicht in der Lage, ein Minimum an für alle Länder gleichen Garantien für ihre Sicherheit und Integrität zu schaffen. Man erarbeitet Theorien zur vorbeugenden und überraschenden Anwendung von den ausgefeiltesten Waffen „in jeglichem dunklen Winkel der Welt", „in 60 oder mehr Ländern" und wendet diese sogar an, die die in den schaurigen Tagen des Nazismus ausgerufene Barbarei erbleichen lassen. Wir waren schon Zeugen von Eroberungskriegen und sadistischen Foltermethoden, welche an die in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges veröffentlichten Bilder erinnern.

Das Prestige der Vereinten Nationen ist bis zu den Grundmauern untergraben. Anstelle sie zu verbessern und zu demokratisieren, ist die Institution zu einem Werkzeug geworden, welches die Supermacht und ihre Alliierten ausschließlich dazu zu verwenden beabsichtigen, Kriegsabenteuer und schreckliche Verbrechen gegen die heiligsten Rechte der Völker zu beschönigen.

Das sind weder Fantasien noch Ergebnisse der Einbildungskraft. Es ist eine sehr reale Tatsache, daß in kaum einem halben Jahrhundert zwei große tödliche Gefahren für das Überleben der Menschengattung an sich entstanden sind: diejenige, die von der technischen Weiterentwicklung der Waffen ausgeht, und die andere, die aus der systematischen und beschleunigten Zerstörung der natürlichen Lebensbedingungen auf dem Planeten herrührt.

Bei der Alternative, vor welche die Menschheit durch das System mit aller Gewalt gestellt wurde, bleibt ihr nichts Anderes übrig: entweder ändert sich die jetzige Weltlage, oder die Menschengattung ist wirklich vom Aussterben bedroht. Um das zu verstehen, braucht man kein Wissenschaftler oder Mathematik-Fachmann zu sein; die Arithmetik, die in der Grundschule gelehrt wird, ist dafür ausreichend.

Die Völker werden unregierbar werden. Es gibt weder Methoden der Unterdrückung, Folter und des massenhaften Verschwindens noch der Massenmorde, die das verhindern können. Und es werden sich nicht nur die Hungrigen der Dritten Welt im Kampf um das Überleben, das ihrer Kinder und Kindeskinder befinden; ebenso werden es alle Menschen der reichen Welt sein, die Bewußtsein haben, egal ob sie Werktätige sind, die manuelle oder intellektuelle Arbeiten ausführen.

Aus der unvermeidbaren Krise werden eher als gedacht Denker, Führer, soziale und politische Organisationen verschiedener Art hervorgehen, welche die größten Anstrengungen unternehmen werden, um die Menschengattung zu bewahren. Alle Gewässer werden sich in einer einzigen Richtung vereinen, um die Hindernisse wegzuspülen.

Säen wir Ideen, und alle Waffen, welche diese barbarische Zivilisation geschaffen hat, werden überflüssig sein; säen wir Ideen, und die unvermeidbare Zerstörung unserer natürlichen Umwelt wird verhindert werden können.

Man müßte sich fragen, ob es nicht schon zu spät ist. Ich bin Optimist, ich sage, daß es nicht zu spät ist, und teile die Hoffnung, daß eine bessere Welt möglich ist.



Gezeichnet

Fidel Castro Ruz

Vorsitzender der Republik Kuba

Havanna, den 13. Juni 2004