Mittwoch, 24. März 2010

Die US-Gesundheitsreform

Reflexionen des Genossen Fidel: Die US-Gesundheitsreform

Barack Obama glaubt mit Eifer an das der Welt durch die Vereinigten Staaten auferlegte kapitalistische System. „Gott segne die Vereinigten Staaten“ – so beendet er seine Reden.

Einige seiner Taten haben die Sensibilität der Weltöffentlichkeit verletzt, die den Sieg des afroamerikanischen Bürgers gegenüber dem Kandidaten der Äußersten Rechten jenes Landes mit Sympathie verfolgt hatte. Gestützt auf eine der schlimmsten, je der Welt bekannten Wirtschaftskrisen und auf den Schmerz, der von den in den völkermörderischen Eroberungskriegen seines Vorgängers umgekommenen bzw. verletzten oder verstümmelten jungen US-Amerikanern ausging, erreichte er die Stimmenmehrheit jener 50% der US-Amerikaner, die in diesem so demokratischen Land zu wählen geruht haben.

Aus einem elementaren Ethikgefühl heraus hätte Obama darauf verzichten sollen, den Friedensnobelpreis anzunehmen, nachdem er schon beschlossen hatte, vierzigtausend Soldaten in einen absurden Krieg im Herzen von Asien zu schicken.

Die militaristische Politik, die Ausplünderung der Naturressourcen, der ungleiche Handel der jetzigen Regierung mit den armen Ländern der Dritten Welt – alles das unterscheidet sich in nichts von seinen Vorgängern des gesamten vergangenen Jahrhunderts, die fast alle, bis auf wenige Ausnahmen, der Äußersten Rechten angehörten.

Das der internationalen Gemeinschaft – die seinem Versprechen zur Kooperation beim Kampf gegen den Klimawechsel Glauben geschenkt hatte - auf dem Gipfel in Kopenhagen aufgezwungene, antidemokratische Dokument war eine der weiteren Tatsachen, welche viele Leute auf der Welt enttäuscht hat. Die Vereinigten Staaten, der größte Emittent von Treibhausgasen, waren nicht bereit, die notwendigen Opfer zu bringen, trotz der vorangegangenen schmeichlerischen Worte ihres Präsidenten.

Die Liste der Widersprüche zwischen den von der kubanischen Nation unter großen Opfern über ein halbes Jahrhundert lang verteidigten Ideen und der egoistischen Politik jenes kolossalen Imperiums würde unendlich werden.

Trotz alledem hegen wir keinerlei Feindseligkeit gegen Obama, und erst recht nicht gegen das Volk der Vereinigten Staaten. Wir sind der Meinung, dass die Gesundheitsreform eine wichtige Schlacht war und einen Erfolg seiner Regierung darstellt. Als etwas wirklich Außergewöhnliches erscheint jedoch die Tatsache, dass die Regierung jenes Landes 234 Jahre nach der von den Ideen der französischen Enzyklopädisten inspirierten Unabhängigkeitserklärung im Jahr 1776 in Philadelphia, die medizinische Versorgung der großen Mehrheit seiner Bürger beschlossen hat; etwas, was Kuba vor einem halben Jahrhundert für seine gesamte Bevölkerung erreicht hat, trotz der dem Land auferlegten unmenschlichen Blockade durch das mächtigste je vorhandene Land, die noch weiter besteht. Schon früher, nach knapp einem Jahrhundert Unabhängigkeit und nach einem blutigen Krieg, konnte Abraham Lincoln die gesetzmäßig verankerte Freiheit der Sklaven erreichen.

Andererseits kann ich es nicht lassen, an jene Welt zu denken, in der über ein Drittel der Bevölkerung keine medizinische Versorgung genießt und nicht einmal über die essentiellen Arzneien zur Absicherung der Gesundheit verfügt. Diese Situation wird sich noch in dem Maße verschärfen, in dem der Klimawechsel und der Wasser- und Nahrungsmittelmangel immer schlimmer werden, und dies in einer globalisierten Welt, wo die Bevölkerung zunimmt, die Wälder verschwinden, das landwirtschaftliche Nutzland abnimmt, die Luft stickig wird und die in dieser Welt lebende menschliche Gattung – die vor knapp 200 000 Jahren hervorgegangen ist, d.h. 3,5 Milliarden Jahre nachdem sich die ersten Lebensformen auf dem Planeten entwickelt haben - reale Gefahr läuft, als Gattung zu verschwinden.

Auch wenn man zugeben muss, dass die Gesundheitsreform einen Erfolg für die Regierung von Obama, dem jetzigen Präsidenten der Vereinigten Staaten, darstellt, so kann man doch nicht umgehen, dass der Klimawechsel eine Bedrohung der Gesundheit bedeutet, schlimmer noch, eine Bedrohung für die Existenz aller Nationen der Welt an sich, wenn der Temperaturanstieg – über die schon voraussehbaren kritischen Werte hinaus – das in den Gletschern gefrorene Wasser schmilzt und die in den enormen Eismassen des Südpols, von Grönland und Sibirien gespeicherten Kubikkilometer Wasser in einer Größenordnung von zweistelliger Millionenhöhe in wenigen Dutzenden Jahren freisetzt und alle Hafenanlagen der Welt und die Ländereien, wo heute ein Großteil der Weltbevölkerung lebt, sich ernährt und arbeitet, unter Wasser setzt.

Obama, die führenden Persönlichkeiten der reichen Länder und ihrer Verbündeten, ihre Wissenschaftler und ihre hoch entwickelten Forschungszentren wissen das; es ist unmöglich, dass ihnen das unbekannt ist.

Ich verstehe die Freude, mit der in der Rede des Präsidenten der Beitrag der Kongress- und Regierungsmitglieder zum Ausdruck gebracht und anerkannt wird, die das Wunder der Gesundheitsreform Wirklichkeit werden ließen, was die Position der Regierung gegenüber von Lobbyisten und Söldnern der Politik stärkt, welche die Befugnisse der Regierung einschränken. Schlimmer wäre es, wenn diejenigen, welche die Hauptrolle bei den Foltern, den Morden auf Vertrag und dem Völkermord gespielt haben, erneut die Regierung der Vereinigten Staaten übernehmen würden. Als eine zweifellos intelligente und gut informierte Person weiß Obama, dass ich mit meinen Worten nicht übertreibe. Ich hoffe, dass der Unfug, den er manchmal über Kuba verlauten lässt, nicht seine Intelligenz benebelt.

Nach dem Erfolg in dieser Schlacht um das Recht auf Gesundheit für alle US-Amerikaner, fordern 12 Millionen Einwanderer, die große Mehrheit davon Lateinamerikaner, Haitianer und aus anderen Ländern der Karibik, die Legalisierung ihres Aufenthalts in den Vereinigten Staaten, wo sie die schwersten Arbeiten verrichten und auf welche die US-amerikanische Gesellschaft nicht verzichten kann, in der sie verhaftet, von ihren Familien getrennt und in ihre Länder zurückgeführt werden.

Die riesige Mehrheit von ihnen ist infolge der von den Vereinigten Staaten den Ländern der Region auferlegten Tyranneien nach Nordamerika emigriert und aufgrund der brutalen Armut, der sie durch die Plünderung ihrer Ressourcen und den ungleichen Handel unterworfen wurden. Ihre Geldsendungen an die Familien stellen einen hohen Prozentsatz des BIP ihrer Volkswirtschaften dar. Sie erwarten jetzt einen elementaren Akt der Gerechtigkeit. Wenn dem kubanischen Volk ein Gesetz, das Cuban Adjustment Act, auferlegt wurde, das den Brain-Drain und die Abwerbung seiner gebildeten jungen Menschen fördert, warum werden dann so brutale Methoden gegen die illegalen Einwanderer der lateinamerikanischen und karibischen Länder angewandt?

Das zerstörerische Erdbeben, das Haiti – das ärmste Land von Lateinamerika, das gerade eine Naturkatastrophe ohnegleichen erlitten hat, welche den Tod von über 200 000 Menschen verursachte -heimgesucht hat, und die schrecklichen Wirtschaftsschäden, welche ein ähnliches Naturphänomen in Chile angerichtet hat, sind beredte Beweise der Gefahren, die die so genannte Zivilisation bedrohen, und der Notwendigkeit von drastischen Maßnahmen, welche der menschlichen Gattung die Hoffnung zum Überleben geben.

Der kalte Krieg hat der Weltbevölkerung keinerlei Nutzen gebracht. Die immense wirtschaftliche, technologische und wissenschaftliche Macht der Vereinigten Staaten könnte die Tragödie nicht überleben, die auf den Planeten zukommt. Präsident Obama sollte auf seinem Computer die entsprechenden Angaben suchen und Gespräche mit seinen herausragendsten Wissenschaftlern führen; dann wird er sehen, wie weit sein Land davon entfernt ist, das Modell zu sein, was er für die Menschheit lobpreist.

Aufgrund dessen, dass er Afroamerikaner ist, hat er dort die Beleidigungen der Diskriminierung erlitten, wie er in seinem Buch „Die Träume meines Vaters“ erzählt. Dort hat er die Armut kennen gelernt, in der Dutzende Millionen US-Amerikaner leben. Dort wurde er erzogen und ausgebildet, hat aber auch als erfolgreicher Akademiker die Privilegien der reichen Mittelklasse genossen, und schließlich das Gesellschaftssystem idealisiert, wo die Wirtschaftskrise, die nutzlos geopferten Leben von US-Amerikanern und sein unbestreitbares politisches Talent ihm den Wahlsieg gaben.

Trotz alledem ist Obama für die hartnäckigste Rechte ein Extremist, den sie damit bedrohen, die Schlacht gegen ihn im Senat fortzusetzen, um die Auswirkungen der Gesundheitsreform zu neutralisieren und sie in mehreren Bundesstaaten offen zu sabotieren, indem sie das verabschiedete Gesetz als verfassungswidrig erklären.

Die Probleme unserer Zeit sind aber noch schlimmer.

Der Internationale Währungsfond, die Weltbank und andere internationale Krediteinrichtungen unter strikter Kontrolle der Vereinigten Staaten erlauben, dass die großen US-Banken – welche die Steuerparadiese geschaffen haben und die Verantwortlichen des Finanzchaos auf dem Planeten sind – von den Regierungen jenes Landes bei jeder einzelnen der immer häufiger werdenden und größere Ausmaße annehmenden Krisen des Systems wieder flott gemacht werden.

Die US-Bundesreserve bringt die konvertierbaren Banknoten so wie sie lustig ist in Umlauf, diese Währung, welche die Eroberungskriege finanziert und die Gewinne der Rüstungsindustrie, die auf der ganzen Welt verbreiteten Militärstützpunkte und die großen Investitionen, durch die die transnationalen Unternehmen die Volkswirtschaften vieler Länder der Welt unter Kontrolle halten. Nixon hat die Konvertierbarkeit des Dollars in Gold einseitig aufgehoben, während in den Gewölben der Banken von New York sieben Tonnen Gold aufbewahrt wurden, etwas über 25% der Weltreserven an diesem Metall, eine Zahl, die am Ende des Zweiten Weltkrieges 80% übertraf. Es wird argumentiert, dass die Verschuldung der öffentlichen Hand die 10 Billionen Dollar übertrifft, was mehr als 70% des BIP jenes Landes sind, eine Last, die den neuen Generationen übergeben wird. Das wird behauptet, wo doch in Wirklichkeit die Weltwirtschaft diese Schuld mit den riesigen Ausgaben an Gütern und Dienstleistungen bezahlt, die sie beiträgt, um US-Dollar zu erwerben, mit denen die großen transnationalen Unternehmen jenes Landes sich eines bedeutenden Teils der Reichtümer der Welt bemächtigt haben und die Konsumgesellschaft jener Nation aufrecht erhalten.

Jedermann kann begreifen, dass so ein System unhaltbar ist, und dass die reichsten Sektoren der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten auf der Welt ein System verteidigen, dass allein auf der Grundlage der Unwissenheit, der Lügen und der in der Weltöffentlichkeit durch die Massenmedien, einschließlich der wichtigsten Internetnetze, verbreiteten bedingten Reflexe haltbar ist.

Jetzt fällt das Gerüst aufgrund des beschleunigten Voranschreitens des Klimawechsels und seiner verheerenden Folgen zusammen, die die Menschheit vor ein außerordentliches Dilemma stellen.

Die Kriege zwischen den Mächten scheinen schon nicht mehr eine mögliche Lösung für die großen Widersprüche zu sein, wie sie es bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren. Aber gleichzeitig haben diese ihrerseits auf jene Faktoren Einfluss ausgeübt, welche das menschliche Überleben möglich machen, und zwar so, dass sie der Existenz der jetzigen, unseren Planeten bewohnenden, intelligenten Gattung vorzeitig ein Ende bereiten können.

Vor einigen Tagen habe ich meine Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass der Mensch auf der Grundlage der heute von ihm beherrschten wissenschaftlichen Kenntnisse seine Probleme auf dem Planeten Erde lösen sollte, da er niemals die Entfernung zurücklegen können wird, welche die Sonne von dem nächstliegenden Stern trennt, der sich vier Lichtjahre entfernt befindet, was einer Geschwindigkeit von 300 000 Kilometern pro Sekunde entsprechen würde, – wie schon unsere Mittelschüler wissen – wenn es um diese Sonne einen unserer schönen Erde ähnlichen Planeten geben würde.

Die Vereinigten Staaten investieren fabelhafte Geldsummen, um zu überprüfen, ob es auf dem Planeten Mars Wasser gibt und ob es irgendeine elementare Form an Leben gegeben hat bzw. noch gibt. Niemand weiß wozu, außer vielleicht aus purer wissenschaftlicher Neugier Millionen von Arten verschwinden mit zunehmender Geschwindigkeit von unserem Planeten und dessen fabelhafte Wassermengen werden beständig vergiftet.

Die neuen Gesetze der Wissenschaft – ausgehend von Einsteins Formeln über die Energie und die Materie, und die Theorie über den Big Bang als Ursprung der Millionen von Sternensystemen und unendlichen Sterne oder andere Hypothesen – haben zu riesigen Veränderungen in den wichtigsten Auffassungen und Begriffen wie Zeit und Raum geführt, welche die Aufmerksamkeit und die Analyse von Theologen in Anspruch nehmen. Einer von ihnen, unser brasilianischer Freund Frei Betto, behandelt das Thema in seinem Buch „Das Werk des Künstlers: eine holistische Vision des Universums“, das auf der letzten Internationalen Buchmesse von Havanna vorgestellt wurde.

Die Fortschritte der Wissenschaft in den letzten einhundert Jahren hatten einen großen Einfluss auf die traditionellen Konzepte, die während tausenden Jahren in den Gesellschaftswissenschaften und sogar in der Philosophie und Theologie vorherrschten.

Das Interesse, dass die aufrichtigsten Denker den neuen Erkenntnissen widmen, ist nicht gering, aber wir wissen absolut nichts darüber, was Präsident Obama über die Kompatibilität der Konsumgesellschaften und der Wissenschaft denkt.

Während dessen ist es der Mühe wert, ab und zu Zeit zu finden, um über jene Themen nachzudenken. Mit Sicherheit wird der Mensch deshalb nicht aufhören zu träumen und die Dinge mit der angebrachten Gelassenheit und Nerven aus Stahl anzugehen. Das ist zumindest die Pflicht derjenigen, die das Handwerk von Politikern und das edle und unverzichtbare Ziel einer in höherem Grade solidarischen und gerechteren menschlichen Gesellschaft gewählt haben.



Fidel Castro Ruz

24. März 2010
18:40 Uhr

Sonntag, 7. März 2010

Die Gefahren, die uns drohen

Reflexionen des Genossen Fidel: Die Gefahren, die uns drohen

Es handelt sich nicht um eine Frage der Ideologie in Bezug auf die unvermeidbare Hoffnung, dass eine bessere Welt möglich ist und möglich sein muss.

Es ist bekannt, dass es den Homo sapiens seit circa 200.000 Jahren gibt, was einem sehr kurzen Zeitabschnitt im Vergleich zu jenem Moment entspricht, zu dem vor ungefähr drei Millionen Jahren die ersten Formen eines elementaren Lebens auf unserem Planeten entstanden sind.

Die Antworten auf die unergründlichen Rätsel des Lebens und der Natur trugen vorwiegend religiösen Charakter. Es wäre sinnlos zu erwarten, dass es anders wäre, und ich bin überzeugt, dass es niemals aufhören wird, so zu sein. Je weiter die Wissenschaft in der Deutung des Universums, von Raum und Zeit, von Materie und Energie, in der Deutung der unendlichen Galaxien und der Theorien über den Ursprung der Sternbilder und Sterne, der Atome und Bestandteile derselben, die im Ursprung des Lebens standen und der Kürze desselben, und der Abermillionen Kombinationen pro Sekunde, die seine Existenz bestimmen, fortschreitet, desto mehr Fragen wird sich der Mensch auf der Suche nach Erklärungen stellen, die immer vielschichtiger und schwieriger sein werden.

Je mehr sich die Menschen darin vertiefen, Antworten auf so tiefgehende und komplexe, im Zusammenhang mit der Intelligenz stehende Aufgaben zu suchen, desto mehr werden sich jene Bemühungen lohnen, sie aus ihrer kolossalen Ignoranz über die realen Möglichkeiten dessen, was unsere Gattung geschaffen hat und zu schaffen in der Lage ist, zu befreien. Zu leben und das zu ignorieren, das ist die totale Verneinung unseres menschlichen Naturells.

Eines ist jedoch vollkommen wahr – sehr Wenige ahnen, wie nahe das Aussterben unserer Gattung sein kann. Vor knapp 20 Jahren, auf einem Weltgipfeltreffen über die Umwelt in Rio de Janeiro, habe ich diese Gefahr vor einem ausgewählten Publikum von Staats- und Regierungschefs behandelt, welches respektvoll und interessiert zuhörte, wenn auch absolut nicht besorgt wegen dem Risiko, dass es Jahrhunderte, vielleicht Jahrtausende entfernt wähnte. Sie waren der Meinung, dass mit Sicherheit die Technik und die Wissenschaft und außerdem ein elementarer Sinn der politischen Verantwortung in der Lage sein würden, dem begegnen zu können. Mit einem großen Foto wichtiger Persönlichkeiten, darunter die mächtigsten und einflussreichsten, fand jener wichtige Gipfel seinen glücklichen Abschluss. Es war keinerlei Gefahr vorhanden.

Über den Klimawechsel wurde kaum gesprochen. George Bush senior und andere glänzende führende Persönlichkeiten des Atlantikpakts genossen den Sieg über das europäische sozialistische Lager. Die Sowjetunion war in ihre Bestandteile aufgelöst und ruiniert worden. Riesige Mengen russischer Währung wurden den westlichen Banken übertragen, die Wirtschaft der Sowjetunion wurde desintegriert und ihr Verteidigungsschild gegenüber den NATO-Stützpunkten war demontiert worden.

Der ehemaligen Supermacht - die über 25 Millionen ihrer Söhne und Töchter im Zweiten Weltkrieg gegeben hatte - verblieb nur die Fähigkeit zur strategischen Antwort als Atommacht. Macht, die sie sich zu schaffen gezwungen sah, nachdem die Vereinigten Staaten im Geheimen die Atomwaffe entwickelt hatten, die sie auf zwei japanische Städte abwarfen, als der durch den unaufhaltsamen Vormarsch der alliierten Truppen besiegte Gegner schon nicht mehr zu kämpfen in der Lage war.

So begann der Kalte Krieg und die Herstellung von tausenden von atomaren, immer zerstörerischeren und in höherem Grade genauen Waffen, die in der Lage sind, die Erdbevölkerung mehrfach zu beseitigen. Die atomare Konfrontation ging jedoch weiter, die produzierten Waffen hatten eine immer größere Genauigkeit und Zerstörungskraft. Russland findet sich nicht mit der unipolaren Welt ab, die Washington aufzwingen möchte. Andere Nationen wie China, Indien und Brasilien machen sich mit außergewöhnlicher Wirtschaftsstärke bemerkbar.

Zum ersten Male hat die menschliche Gattung – in einer globalisierten Welt voller Widersprüche – die Fähigkeit geschaffen, sich selbst zu zerstören. Hierzu kommen noch Waffen von nie da gewesener Grausamkeit hinzu, wie zum Beispiel die bakteriologischen und chemischen, Waffen mit Napalm und weißem Phosphor, die gegen die Zivilbevölkerung zur Anwendung kommen, was vollkommene Straflosigkeit genießt, die elektromagnetischen Waffen und andere Formen der Ausrottung. Kein Winkel in den Tiefen der Erde bzw. der Meere würde außer Reichweite der heutigen Kriegsmittel bleiben.

Es ist bekannt, dass auf diesen Wegen zehntausende atomare Vorrichtungen geschaffen worden sind, sogar tragbare.

Die größte Gefahr geht von der Entscheidung von Führungskräften mit Befugnissen zu solchen Entscheidungen aus, davon, dass die in der menschlichen Natur so häufigen Dinge wie der Irrtum und der Wahnsinn zu unglaublichen Katastrophen führen können.

Es sind knapp 65 Jahre vergangen, seitdem die ersten beiden atomaren Vorrichtungen durch die Entscheidung eines sehr mittelmäßigen Individuums, das nach dem Tod von Roosevelt das Kommando über die mächtige und reiche US-amerikanische Macht bekam, explodiert sind. Heute verfügen acht Länder über solche Waffen, die meisten durch die Unterstützung seitens der Vereinigten Staaten, und einige weitere verfügen über die Technologie und die Mittel, um diese in kurzer Zeit herstellen zu können. Terroristische, vor Hass verrückte Gruppen, könnten in der Lage sein, auf diese zurückzugreifen, ebenso wie terroristische und verantwortungslose Regierungen aufgrund ihrer völkermörderischen und unbeherrschbaren Verhaltensweise nicht davor zurückschrecken würden, diese anzuwenden.

Die Rüstungsindustrie ist die blühendste aller Industrien und die Vereinigten Staaten sind der größte Waffenexporteur.

Wenn sich unsere Gattung von all den genannten Gefahren befreit, dann besteht eine noch größere, oder zumindest in noch höherem Grade unvermeidbare: der Klimawechsel.

Die Menschheit zählt heute sieben Milliarden Menschen und wird bald, d. h. in 40 Jahren, die neun Milliarden erreichen, eine neun Mal größere Zahl als vor kaum 200 Jahren. Ich wage anzunehmen, dass es zu Zeiten des antiken Griechenlands circa 40 Mal weniger Menschen auf der Erde gab.

Das Erstaunliche unserer Zeitepoche ist der Widerspruch zwischen der imperialistischen bürgerlichen Ideologie und dem Überleben der Gattung. Es geht schon nicht mehr darum, dass es die Gerechtigkeit unter den Menschen geben soll, was heute mehr als möglich und unverzichtbar ist; sondern es geht um das Recht und die Möglichkeiten zum Überleben derselben.

Wenn der Kenntnishorizont sich bis zu jemals auch nur gedachten Endlosigkeiten erweitert, dann ist er dem Abgrund näher, zu dem die Menschheit geführt wird. Alle bis heute bekannten Leiden sind kaum ein Schatten dessen, was der Menschheit noch bevorstehen kann.

In nur 71 Tagen gab es drei Ereignisse, welche die Menschheit nicht übersehen kann.

Am 18. Dezember 2009 hat die internationale Staatengemeinschaft die größte Schlappe der Geschichte erlitten, und zwar bei ihrem Versuch, eine Lösung für das dringendste Problem zu finden, das die Welt in diesem Augenblick bedroht: Die Notwendigkeit, mit aller Dringlichkeit die Emissionen von Treibhaus-Gasen einzustellen, die gegenwärtig das schwerwiegendste Problem verursachen, dem die Menschheit bis heute gegenüber gestanden hat. Nach jahrelangen Vorbereitungen die auf das Kyoto-Protokoll folgten, dessen Ignorierung sich die US-amerikanische Regierung ― der größte Umweltverschmutzer auf der Erde ― leistete, waren alle Hoffnungen auf den Gipfel von Kopenhagen gesetzt worden. Der Rest der Weltgemeinschaft, 192 Länder, diesmal einschließlich der Vereinigten Staaten, hatten sich zum Abschluss einer neuen Vereinbarung verpflichtet. Der US-amerikanische Versuch, ihre hegemonischen Interessen aufzuzwingen, war dermaßen schändlich, dass sie unter Missachtung der elementarsten demokratischen Prinzipien versuchten, kraft bilateraler Vereinbarungen mit einer Gruppe der einflussreichsten Mitgliedsländer der Vereinten Nationen, auf nichtdemokratische Weise unannehmbare Bedingungen für die restliche Welt festzulegen.

Die Staaten, die diese internationale Organisation bilden, wurden zur Unterzeichnung eines Dokuments aufgefordert, welches eine Verspottung darstellt. In diesem Dokument wird über künftige, rein theoretische Beiträge zur Dämpfung des Klimawandels gesprochen.

Es waren noch keine drei Wochen vergangen, als am späten Nachmittag des 12. Januar Haiti, das ärmste Land der Hemisphäre und das erste, dass das verhasste Sklavereisystem abschaffte, die größte je bekannte Naturkatastrophe der Geschichte dieses Erdteiles erlitten hat: Ein Erdbeben von 7,3 Grad auf der Richter-Skala, in nur 10 Kilometer Tiefe und in sehr kurzer Entfernung seiner Küsten, suchte die Hauptstadt des Landes heim, in deren schwachen Lehm-Häuser die Mehrzahl jener Personen wohnten, die später tot aufgefunden bzw. vermisst wurden. Ein bergisches und erodiertes Land von 27 000 km2 Fläche, in dem das Brennholz praktisch der einzige Haushalt-Brennstoff für neun Millionen Menschen ist.

Wenn irgendwo auf dem Planeten eine Naturkatastrophe zu einer unermesslichen Tragödie wurde, dann in Haiti, einem Symbol von Armut und Unterentwicklung, wo die Nachkommen jener Menschen leben, die von den Kolonialisten aus Afrika gebracht wurden, um als Sklaven der weißen Herren zu arbeiten.

Dieses Ereignis erschütterte die Welt an allen Ecken und Enden des Planeten, der über das an das Unglaubliche grenzende, verbreitete Bildmaterial erschaudert ist. Die blutenden und schwer verletzten Verwundeten bewegten sich zwischen den Leichen und schrieen nach Hilfe. Unter den Trümmern lagen die leblosen Körper ihrer nahen Angehörigen. Die Zahl der Todesopfer überstieg laut amtlichen Berechnungen 200.000 Menschen.

Das Land war vorher schon von den MINUSTAH-Truppen interveniert worden, die von den Vereinten Nationen zur Wiederherstellung der von haitianischen Söldnertruppen zerrütteten Ordnung geschickt worden waren. Letztere hatten, ermuntert durch die Bush-Regierung, die vom haitianischen Volk gewählte Regierung angegriffen. Auch einige Gebäude, wo Soldaten und Befehlshaber der Friedenstruppen wohnten, sind eingestürzt, was schmerzhafte Opfer verursacht hat.

Laut amtlichen Meldungen wird geschätzt, dass außer den Toten etwa 400.000 Haitianer verletzt und mehrere Millionen, fast die Hälfte der Gesamtbevölkerung, betroffen worden sind. Das war eine echte Prüfung für die Völkergemeinschaft, die nach dem beschämenden Gipfel in Dänemark die Pflicht hatte zu beweisen, dass die reichen Industrieländer in der Lage sein würden, den Bedrohungen für das Leben auf unserem Planet durch den Klimawandel die Stirn zu bieten. Haiti muss ein Vorbild dafür darstellen, was die reichen Länder für die Nationen der Dritten Welt gegenüber dem Klimawandel tun müssen.

Man kann es glauben oder nicht, und den meiner Meinung nach unwiderlegbaren Angaben der seriösesten Wissenschaftler des Planeten und der großen Mehrheit der sehr gebildeten und seriösesten Personen der Welt trotzen, die denken, dass beim aktuellen Erderwärmungsrhythmus die Treibhausgase die Temperatur nicht nur um 1,5 Grad sondern um bis zu 5 Grad erhöhen werden, und dass die durchschnittliche Temperatur bereits die höchste von den letzten 600 000 Jahren ist, einen Zeitpunkt, lange bevor die Menschen als Gattung auf dem Planeten existierten.

Absolut undenkbar ist, dass 9 Milliarden Menschen, die im Jahre 2050 die Welt bewohnen werden, solch eine Katastrophe überleben können. Es bleibt die Hoffnung, dass die Wissenschaft selbst eine Lösung für das Energieproblem findet, das heute dazu zwingt, in weiteren 100 Jahren den Rest der gasförmigen, flüssigen und festen Brennstoffe zu verbrauchen, für deren Erschaffung die Natur 400 Millionen Jahre gebraucht hat. Die Wissenschaft kann vielleicht eine Lösung für die notwendige Energie finden. Die Sache ist zu wissen, wie lange und zu welchen Kosten die Menschen das Problem meistern können, das nicht das einzige ist, denn viele andere nicht erneuerbare Mineralien und schwere Probleme bedürfen einer Lösung. Ausgehend von allen heute bekannten Begriffen können wir uns folgender Tatsache sicher sein: Wenn man mit einer Geschwindigkeit von 300 000 Kilometern pro Sekunde reisen würde, dann befindet sich der nächstgelegene Stern 4 Lichtjahre von unserer Sonne entfernt. Ein Raumschiff braucht vielleicht tausende Jahre, um diese Entfernung zurückzulegen. Der Mensch hat keine andere Wahl, als auf diesem Planet zu leben.

Es würde unnötig erscheinen, das Thema zu behandeln, wenn nicht knapp 54 Tagen nach dem Erdbeben in Haiti ein unglaubliches Beben mit der Stärke von 8,8 Grad auf der Richterskala in Chile eine weitere menschliche Katastrophe hervorgerufen hätte. Das Epizentrum war 150 Km entfernt, lag in 47,4 km Tiefe und nordwestlich der Stadt Concepción. Es war nicht das größte Beben in der Geschichte dieses Bruderlandes, Überlieferungen zufolge gab es einmal eines mit der Stärke 9. Aber diesmal handelte es sich nicht nur um eine Erscheinung mit Erbebeneffekten. Während man in Haiti stundenlang ein Meeresbeben erwartet hat, das nicht stattgefunden hat, folgte auf das Erbeben in Chile ein großer Tsunami der in einer Zeitspanne von knapp 30 Minuten bis zu einer Stunde danach je nach der Distanz und laut Angaben die noch nicht detailliert bekannt sind, die chilenischen Küsten betroffen hat. Die großen Wellen erreichten Japan. Dank der fachlichen Erfahrungen der Chilenen auf dem Gebiet der Erdbebenangelegenheiten, ihrer solidereren Gebäude und größeren Mittel, hat die Naturkatastrophe nicht Zehn- oder sogar Hunderttausende Menschenleben gekostet. Offiziellen Angaben zufolge gab es dennoch ca. tausend Todesopfer und tausende Verletzte und vielleicht mehr als zwei Millionen Menschen haben materielle Schäden erlitten. Fast die gesamte Bevölkerung von 17.094.275 Einwohnern wurde vom Beben, das länger als zwei Minuten gedauert hat, sehr schwer betroffen und leidet immer noch unter seinen Auswirkungen, seinen wiederholten Nachbeben und den schrecklichen Szenen und Leiden, die der Tsunami an den tausenden Kilometern Küste hervorgerufen hat. Unser Land solidarisiert sich voll und ganz und unterstützt moralisch das materielle Bemühen, das die Internationale Gemeinschaft Chile zur Verfügung zu stellen verpflichtet ist. Falls es etwas gibt, das vom menschlichen Standpunkt aus gesehen in unserer Macht stünde, d.h. das wir für das chilenischen Brudervolk tun könnten, würde das kubanische Volk nicht zögern, das zu tun.

Ich denke, dass die Internationale Gemeinschaft verpflichtet ist, über die von beiden Völkern erlittene Tragödie sachlich zu berichten. Es wäre grausam, unfair und verantwortungslos die Völker der Welt nicht über die Gefahren, die uns bedrohen, zu belehren.

Die Wahrheit soll sich gegenüber der Gemeinheit und den Lügen durchsetzen, mit denen der Imperialismus die Völker betrügt und irreführt!


Fidel Castro Ruz

7. März 2010
21: 27 Uhr

Montag, 1. März 2010

Die jüngste Begegnung mit Lula

Reflexionen des Genossen Fidel: Die jüngste Begegnung mit Lula

Ich habe ihn im Juli 1980, vor dreißig Jahren, in Managua kennen gelernt, während der Feierlichkeiten anlässlich des ersten Jahrestages der Sandinistischen Revolution. Dies geschah dank meiner Kontakte zu den Anhängern der Befreiungstheologie, die ich während meines Besuchs bei Präsident Salvador Allende im Jahr 1971 in Chile aufzunehmen begonnen hatte.

Durch Frei Betto wusste ich, wer Lula war – ein Arbeiterführer, in den die linken Christen frühzeitig große Hoffnungen setzten.

Es handelte sich um einen einfachen Arbeiter der Metallindustrie, der sich durch seine Intelligenz und sein Prestige innerhalb der Gewerkschaften in jener großen Nation auszeichnete, welche aus der Finsternis der von dem Yankee-Imperium in den 60er Jahren aufgezwungenen Militärdiktatur emporstieg.

Die Beziehungen zwischen Brasilien und Kuba waren ausgezeichnet gewesen, bis die in der Hemisphäre herrschende Macht sie zum Erliegen brachte. Seitdem sind Jahrzehnte vergangen, bis sie langsam wieder zu dem wurden, was sie heute sind.

Jedes Land hat seine eigene Geschichte erlebt. In seinem Kampf gegenüber den Aggressionen des mächtigsten je in der Geschichte vorhandenen Imperiums hat unser Vaterland in den außergewöhnlichen, seit 1959 erlebten Etappen unglaublichen Druck ausgehalten.

Deshalb sind die gerade in Cancun stattgefundene Konferenz und die Entscheidung, eine Gemeinschaft der lateinamerikanischen Staaten und der Karibik zu schaffen, für uns von enormer Tragweite. Kein anderes institutionelles Ereignis des letzten Jahrhunderts in unserer Hemisphäre erreicht eine ähnliche Bedeutung.

Das Übereinkommen wurde inmitten der schwersten Wirtschaftskrise erreicht, die sich je in der globalisierten Welt ereignet hat, und fällt zusammen mit dem Zeitpunkt der größten Gefahr einer ökologischen Gefahr für unsere Gattung und zugleich mit dem Erdbeben, das Port-au-Prince, Hauptstadt von Haiti, zerstört hat, d.h. dem schmerzhaftesten menschlichen Desaster der Geschichte unserer Hemisphäre und in dem ärmsten Land des Kontinents, welches das erste war, das die Sklaverei abgeschafft hat.

Als ich diese Zeilen verfasste, nur sechs Wochen nach dem Tod gemäß offiziellen Angaben von über zweihunderttausend Menschen in jenem Land, erreichten uns dramatische Nachrichten der von einem weiteren Beben in Chile hervorgerufenen Schäden, wo die Zahl der Opfer offiziellen Angaben zufolge schon fast eintausend Menschen erreicht hat und riesige materielle Schäden verursacht wurden. Besonders bewegend waren die Bilder der Leiden von Millionen Chilenen, welche materiell und emotional durch diesen grausamen Schlag der Natur betroffen sind. Chile ist zum Glück ein Land mit mehr Erfahrung gegenüber solcher Art von Erscheinungen. Das Land ist wirtschaftlich viel besser entwickelt und verfügt über mehr Ressourcen. Wenn es nicht über solidere Infrastruktur und Gebäude verfügt hätte, dann wäre eine Unzahl von Menschen, vielleicht zehntausende oder sogar hunderttausende Chilenen, umgekommen. Man spricht von zwei Millionen Erdbebengeschädigten und von wahrscheinlichen Schäden zwischen 15 bis 30 Milliarden Dollar. Das Land kann ebenfalls mit der Solidarität und die Sympathien der Völker rechnen, darunter mit der unserer Bevölkerung, obwohl Kuba – dessen Regierung eine der ersten war, die Chile ihre Gefühle der Solidarität zum Ausdruck brachten, als die Nachrichtenverbindungen noch lahm lagen - aufgrund der Art der erforderlichen Kooperation wenig tun kann.

Das Land, das heute die Fähigkeit der Welt zur Bekämpfung des Klimawechsels und zur Absicherung des Überlebens der menschlichen Gattung auf die Probe stellt, ist ohne Zweifel Haiti, da es ein Symbol jener Armut darstellt, unter der heute Milliarden Menschen auf der Welt leiden, einschließlich ein bedeutender Anteil der Völker unseres Kontinents.

Das, was in Chile durch das Erdbeben mit der unglaublichen Stärke von 8,8 auf der Richterskala geschehen ist, - obwohl glücklicherweise in größerer Tiefe, als jenes Beben, das Port-au-Prince zerstört hat - zwingt mich, mit Nachdruck die Bedeutung und die Pflicht zu betonen, die in Cancún erreichten Schritte zur Einheit zu stimulieren. Obwohl ich mir keine Illusionen darüber mache, wie schwierig und komplex unser Kampf der Ideen gegenüber den Bemühungen des Imperiums und seiner Verbündeten innerhalb und außerhalb der Grenzen unserer Länder zur Vereitelung der Einheits- und Unabhängigkeitsaufgabe unserer Völker sein wird.

Ich möchte die Bedeutung und den Symbolgehalt, den der Besuch von Lula und die jüngste Begegnung mit ihm für mich vom persönlichen und revolutionären Standpunkt aus hatten, schriftlich festhalten. Er hat gesagt, dass er den Wunsch hatte, jetzt, kurz bevor seine Regierungszeit endet, seinen Freund Fidel zu besuchen – eine ehrenvolle Bezeichnung, die er mir gab. Ich bin der Meinung, ihn gut zu kennen. Wir haben uns nicht selten freundschaftlich unterhalten, sowohl in Kuba als auch außerhalb des Landes.

Einmal hatte ich die Ehre, ihn bei sich zu Hause zu besuchen, in einem einfachen Viertel von Sao Paulo, wo er mit seiner Familie lebte. Das war für mich eine bewegte Zusammenkunft mit ihm, seiner Ehefrau und seinen Kindern. Ich werde niemals die zwanglose und redliche Atmosphäre jenes Zuhauses vergessen, und die aufrichtige Zuneigung, mit der sich seine Nachbarn an ihn wendeten, als Lula schon ein angesehener Arbeiterführer und eine führende politische Persönlichkeit von Prestige war. Niemand wusste damals, ob er das Präsidentenamt von Brasilien erreichen würde oder nicht, da die sich ihm entgegenstellenden Interessen und Kräfte sehr bedeutend waren, aber mir gefiel es, mich mit ihm zu unterhalten. Lula hatte auch nicht sehr viel Interesse an dem Amt. Ihn befriedigte vor allem das Vergnügen zu kämpfen und er tat dies mit untadeliger Bescheidenheit. Dies bewies er zur Genüge als er, nachdem er dreimal von seinen mächtigen Gegnern besiegt worden war, nur auf starken Druck seiner aufrichtigsten Freunde einwilligte, sich zum vierten Mal von dem Partido dos Trabalhadores (Arbeiterpartei) als Kandidat aufstellen zu lassen.

Ich werde nicht den Versuch unternehmen nachzuzählen, wie oft wir uns unterhalten haben, bevor man ihn zum Präsidenten wählte. Eines der ersten Male war Mitte der 80er Jahre, als wir in Havanna gegen die Auslandsschuld von Lateinamerika gekämpft haben, die damals 300 Milliarden Dollar betrug und mehr als einmal bezahlt worden war. Er ist ein geborener Kämpfer.

Dreimal haben ihn seine Gegner, gestützt auf ihre wirtschaftlichen Ressourcen und die Medien, an den Wahlurnen besiegt, wie ich schon erwähnte. Jedoch wir, seine engsten Mitarbeiter und Freunde, wussten, dass die Stunde gekommen war, dass jener einfache Arbeiter der Kandidat des Partido dos Trabalhadores und der linken Kräfte sei.

Mit Sicherheit haben seine Gegner ihn unterschätzt, sie dachten, dass er über keinerlei Mehrheit im gesetzgebenden Organ verfügen könnte. Die UdSSR gab es schon nicht mehr. Was würde Lula an der Spitze von Brasilien bedeuten können, einer Nation mit großen Reichtümern, aber mit einer geringen Entwicklung in Händen einer reichen und einflussreichen Bourgeoisie?

Jedoch, der Neoliberalismus begann, in Krise zu geraten, die Bolivarianische Revolution hatte in Venezuela gesiegt, Menem befand sich in steilen Absturz, Pinochet war von der Bühne verschwunden und Kuba hielt stand. Aber Lula wurde gewählt, als Bush betrügerisch in den Vereinigten Staaten die Wahlen gewann, indem er Al Gore seines Sieges beraubte.

Es begann eine schwierige Etappe. Die ersten Schritte des neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten bestanden darin, dem Wettrüsten und damit der Rolle der Rüstungsindustrie Impulse zu verleihen und die Steuern für die reichen Sektoren zu verringern.

Unter dem Vorwand des Kampfes gegen den Terrorismus begann er erneut die Eroberungskriege und institutionalisierte den Mord und die Folter als Instrumente der imperialistischen Herrschaft. Die Geschehnisse bezüglich der geheimen Gefängnisse, die die Beihilfe der Verbündeten der Vereinigten Staaten zu dieser Politik verrieten, sind nicht zur Veröffentlichung geeignet. Auf diese Art und Weise beschleunigte sich die schlimmste der Wirtschaftskrisen, die sich zyklisch und in zunehmendem Maße als Begleiterscheinungen des entwickelten Kapitalismus zeigen, aber dieses Mal mit den Privilegien von Bretton Woods und ohne alle von da ausgehenden Verpflichtungen.

Brasilien hat seinerseits in den letzten acht Jahren unter Führung von Lula Hindernisse überwunden, seine technologische Entwicklung gesteigert und der brasilianischen Wirtschaft größeres Gewicht verliehen. Der schwierigste Teil war seine erste Regierungszeit, aber er hatte Erfolg und gewann an Erfahrung. Mit seinem unermüdlichen Kämpfen, seiner Gelassenheit, seinem kühlen Gemüt und der zunehmenden Aufopferung in Erfüllung seiner Aufgabe erreicht Brasilien unter solch schwierigen internationalen Bedingungen ein BIP von fast zwei Billionen Dollar. Die Angaben sind je nach Quelle unterschiedlich, aber alle platzieren das Land unter den zehn größten Volkswirtschaften der Welt. Aber trotzdem erreicht Brasilien - mit einem Gebiet von 8,524 Millionen Quadratkilometern, gegenüber den Vereinigten Staaten, die kaum mehr Territorium besitzen - nur circa 12% des Bruttoinlandsprodukts jenes imperialistischen Landes, das die Welt ausplündert und seine Streitkräfte in mehr als tausend Militärstützpunkte auf der ganzen Erde ausschwärmen lässt.

Ich hatte das Privileg bei seinem Amtsantritt Ende 2002 anwesend zu sein. Hugo Chávez, der gerade dem verräterischen Staatsstreich vom 11. April desselben Jahres und später dem von Washington inszenierten Erdölputsch eine Schlacht geliefert hatte, war auch dort. Bush war bereits Präsident. Die Beziehungen zwischen Brasilien, der Bolivarianischen Republik und Kuba waren immer gut und auf gegenseitiger Achtung begründet.

Im Oktober 2004 hatte ich einen schweren Unfall, der meine Aktivitäten monatelang ernsthaft eingeschränkt hat und dann wurde ich Ende Juli 2006 schwer krank. Dementsprechend habe ich nicht gezögert, meine Funktionen an der Spitze der Partei und des Staates in der Bekanntmachung vom 31. Juli dieses Jahres provisorisch zu delegieren, wobei ich sie bald definitiv aufgegeben habe, als ich begriffen habe, dass ich nicht imstande sein würde, sie wieder zu übernehmen.

Sobald mein Gesundheitszustand es mir erlaubt hat, zu studieren und Überlegungen anzustellen, habe ich meine Zeit damit verbracht, und außerdem Materialien unserer Revolution überarbeitet und gelegentlich einige Reflexionen veröffentlicht.

Nach meiner Krankheit habe ich das Privileg gehabt, dass Lula immer bei mir zu Gast gewesen ist und sich ausführlich mit mir unterhalten hat, wenn er unser Vaterland besucht hat. Ich werde nicht sagen, dass ich immer mit seiner gesamten Politik einverstanden gewesen bin. Aus Prinzip bin ich gegen die Erzeugung von Bio-Kraftstoffen aus Produkten, die als Nahrungsmitteln genutzt werden können. Ich bin dessen bewusst, dass der Hunger eine große Tragödie für die Menschheit ist und immer mehr zu einer noch größeren werden könnte.

Das ist jedoch - ich sage das ganz offen - kein Problem, das von Brasilien, geschweige denn von Lula, geschaffen worden ist. Es ist ein fester Bestandteil der Weltwirtschaft, die vom Imperialismus und seinen reichen Verbündeten aufgezwungen wurde. Diese subventionieren ihre Agrarprodukte und dabei schützen sie ihre Binnenmärkte und konkurrieren auf dem Weltmarkt mit der Nahrungsmittelproduktion der Länder der Dritten Welt, wobei diese Länder gezwungen sind, die Industrieprodukte und die Energieressourcen zu importieren, die mit ihren eigenen Rohstoffen hergestellt wurden, was die Armut von mehreren Jahrhunderten Kolonialismus hinterlassen hat. Ich verstehe sehr gut, dass Brasilien in dem ungleichen Wettbewerb und gegenüber den Subventionen der USA und von Europa keine andere Alternative hatte, als die Produktion von Äthanol zu erhöhen.

Die Säuglingssterblichkeit liegt in Brasiliennoch bei 23,3 je tausend Lebendgeborene und die Müttersterblichkeit liegt bei 110 je Hunderttausend Geburten, während diese in den reichen Industrieländern jeweils unter 5 bzw. 15 liegen. Viele weitere ähnliche Beispiele könnten erwähnt werden.

Der Rübenzucker, von Europa subventioniert, hat unserem Land den Zuckermarkt entrissen, der auf dem Zuckerrohr basierte. Das war eine eventuelle Land- und Industriearbeit unter prekären Bedingungen, durch die die Zuckerindustriearbeiter lange Zeit arbeitslos waren. Die USA haben sich ihrerseits auch unserer besten Ländereien bemächtigt und die Industrie war im Besitz ihrer Unternehmen. Eines Tages haben sie uns jäh die Zuckerquote gestrichen und unser Land der Blockade unterworfen, um der Revolution und der Unabhängigkeit Kubas eine vernichtenden Schlag zu versetzen.

Heute hat Brasilien den Anbau von Zuckerrohr, Soja und Mais mit hochleistungsfähigen Landmaschinen entwickelt, die in diesen Pflanzungen mit hoher Produktivität genutzt werden können. Als ich einmal in einem Dokumentarfilm die vierzigtausend Hektar Land von Ciego de Avila gesehen habe, auf denen Soja in Rotation mit Mais angebaut wird, was man das ganze Jahr über zu tun beabsichtigt, habe ich gesagt: das ist das Ideal eines sozialistischen Agrarbetriebs, hochgradig mechanisiert und mit einer hohen Produktivität pro Mann und pro Hektar.

Die Landwirtschaft und deren Einrichtungen in der Karibik haben die meisten Problemen mit den Hurrikans, die in steigendem Masse ihre Ländereien zerstören.

Unser Land hat zusammen mit Brasilien auch die Finanzierung und den Bau einer sehr modernen Hafenanlage in Mariel erarbeitet und unterzeichnet, die von großer Bedeutung für unsere Wirtschaft sein wird.

In Venezuela werden die brasilianische Agrar- und Industrietechnologie zur Zuckerproduktion und die Bagasse als Wärmeenergiequelle angewendet. Es handelt sich um hochentwickelte Ausrüstungen, die in einem ebenfalls sozialistischen Betrieb funktionieren. In der Bolivarianischen Republik benutzt man Äthanol um den umweltschädlichen Effekt des Benzins zu vermindern.

Der Kapitalismus hat die Konsumgesellschaften entwickelt und ebenfalls die Verschwendung von Kraftstoffen, was das Risiko eines dramatischen Klimawechsels mit sich brachte. Die Natur hat 400 Millionen Jahre benötigt, um das zu schaffen, was unsere Gattung in knapp zwei Jahrhunderten verbraucht. Die Wissenschaft hat das Problem bezüglich jener Energie, die diejenige ersetzt, welche heute durch das Erdöl erzeugt wird, noch nicht gelöst; niemand weiß, wie viel Zeit dafür erforderlich ist und wie viel es kosten würde, das rechtzeitig zu lösen. Wird diese zur Verfügung stehen? Das war es, was in Kopenhagen diskutiert wurde und der Gipfel war ein vollkommenes Fiasko.

Lula hat mir erzählt, dass es kein Geschäft mehr ist, Äthanol zu erzeugen, wenn dieses 70% des Wertes des Benzins kostet. Er brachte zum Ausdruck, dass Brasilien, das über die größten Waldbestände des Planeten verfügt, nach und nach die jetzige Abholzung um 80 % vermindern wird.

Das Land besitzt heute die größte Technologie der Welt, um in Meeresgebieten zu bohren und kann Kraftstoffe aus Tiefen von siebentausend Metern Wassertiefe bzw. Tiefe des Meeresbodens fördern. Vor dreißig Jahren hätte das wie Sciencefiction geklungen.

Er erläuterte die Bildungsprogramme von hohem Niveau, die Brasilien zu verwirklichen beabsichtigt. Er weiß die Rolle von China auf Weltebene äußerst zu schätzen. Er erklärte stolz, dass der Handelsaustausch mit jenem Land 40 Milliarden Dollar beträgt.

Eine Tatsache ist unbestreitbar: Der Metallarbeiter ist inzwischen zu einem hervorragenden Staatsmann von Prestige geworden, dessen Stimme auf allen internationalen Treffen mit Achtung gehört wird.

Er ist stolz darauf, kraft des ausgezeichneten in Dänemark dargelegten Programms die Ehre der Olympischen Spiele des Jahres 2016 für Brasilien bekommen zu haben. Das Land wird ebenfalls Austragungsort der Fußballweltmeisterschaft 2014 sein. All dies ist Ergebnis der von Brasilien vorgelegten Programme, welche die seiner Mitbewerber übertroffen haben.

Ein großer Beweis seiner Uneigennützigkeit war der Verzicht auf eine Aufstellung zur Wiederwahl, und er vertraut darauf, dass der Partido dos Trabalhadores Brasilien weiter regieren wird.

Einige, die ihn um sein Prestige und seinen Ruhm beneiden, und schlimmer noch, diejenigen, die im Dienste des Imperiums stehen, haben ihn kritisiert, weil er Kuba besucht. Sie haben dafür die niederträchtigen Verleumdungen verwendet, die seit einem halben Jahrhundert gegen Kuba verwendet werden.

Lula weiß seit vielen Jahren, dass in unserem Land niemals jemand gefoltert wurde, niemals die Ermordung eines Gegners angeordnet wurde, niemals das Volk belogen wurde. Er ist sicher, dass die Wahrheit untrennbare Gefährtin seiner kubanischen Freunde ist.

Von Kuba aus ist er nach Haiti, unserem Nachbarn, abgereist. Wir haben ihn über unsere Ideen zu unserem Vorhaben bezüglich eines nachhaltigen, effizienten Programms für Haiti dargelegt, das besonders wichtig und ökonomisch ist. Ihm ist bekannt, dass nach dem Erdbeben über einhunderttausend Haitianer von unseren Ärzten und den Abgängern der Lateinamerikanischen Medizinschule behandelt worden sind. Wir haben ernsthafte Dinge besprochen und mir ist sein leidenschaftlicher Wunsch bekannt, jenem edlen und ergebenen Volk zu helfen.

Ich werde eine unauslöschliche Erinnerung an mein jüngstes Treffen mit dem Präsidenten von Brasilien bewahren und zögere nicht, dies zu verkünden.


Fidel Castro Ruz

1. März 2010
12:15 Uhr