Samstag, 24. Juni 2000

Grußbotschaft an die Holguiner

Beim Schreiben dieser Zeilen bin ich mir sicher, daß ihr heute im Namen ganz Kubas eine der großartigsten Kundgebungen in der Geschichte der Revolution veranstalten werdet.

Die gestern erhaltenen ermutigenden Nachrichten inmitten einer nun schon sieben Monate andauernden Schlacht, die wir unter äußerst feindseligen und nachteiligen Umständen gegen eine Ungerechtigkeit schlagen, die uns zutiefst verwundet hat, werden nicht dazu führen, daß wir in unserer Wachsamkeit nachlassen.

Nie hätte dieses Gerichtsverfahren in den Vereinigten Staaten stattfinden dürfen, dessen Gerichte gemäß den Normen des Völkerrechts und gemäß den US-amerikanischen und kubanischen Gesetzen dafür nicht zuständig waren.

Immer noch sind nicht zu unterschätzende latente Risiken da. Es brauchte nur ein Mitglied des obersten Gerichts jenes Landes, dem die Entscheidung in diesem Fall obliegt, das die bereits angekündigte Interdiktgesuch akzeptiert, und der USA-Aufenthalt des Kindes und seiner Angehörigen würde sich noch über Monate hinziehen.

Die kriminelle Mafia von Miami und ihre Verbündeten in der Ultrarechten der Vereinigten Staaten besitzen noch Macht und Manipulationsspielraum. Nicht eine Minute würden sie, skrupellos wie sie sind, zögern, diese einzusetzen, wenn es darum ginge, das Opfer ihres Hasses weiterhin zu foltern und an dem Jungen, seinen Angehörigen und seinem Volk rachsüchtig Vergeltung zu üben.

Wir werden uns keine Minute Ruhe gönnen, nicht einmal wenn Elián und sein mutiger Vater nebst den anderen Angehörigen und nahen Freunden nach Kuba zurückkehren. Uns obliegt die heilige Pflicht zu verhindern, das das mörderische Cuban Adjustment Act das Leben vieler kubanischer Kinder, Mütter und anderer Bürger verschlingt. Außerdem stehen wir noch vor dem rastlosen Kampf gegen das Helms-Burton- und das Torricelli-Gesetz, gegen die Dutzende Amendments des US-Kongresses, um unser Land zu ersticken; gegen die kriminelle Blockade, den Wirtschaftskrieg, die unaufhörliche Politik der Subversion und Destabilisierung einer Revolution, die seit mehr als 130 Jahren begann, die wir in Ausübung unserer unabdingbaren Rechte als absolut souveränes und unabhängiges Volk um den Preis vielen Blutes, vieler Opfer und großen Heldenmutes durchgeführt und fest verankert haben. So haben wir es geschworen, und so werden wir den Schwur halten!

Auch hegen wir tiefe Gefühle des Internationalismus. In den härtesten Tagen des Kampfes um die Befreiung Eliáns waren es 70 Prozent des US-amerikanischen Volkes, die uns Unterstützung leisteten. Das dürfen und werden wir nie vergessen. Im Rahmen dieser entscheidenden und wunderbaren Unterstützung wurden die Rechte des Kindes und seines Vaters von 90 Prozent der afroamerikanischen Bürger verteidigt.

Vor knapp 24 Stunden wurde ihnen wie auch den meisten US-Amerikanern ein harter Schlag versetzt. Es war die Unglücksminute, in der Shaka Sankofa - wie er sich nach Verkündung seines Todesurteils zu nennen entschieden hatte - ermordet wurde. Auch unser Volk war erschüttert und empört über einen solchen Schmerz. Es war ein unbeschreibliches Verbrechen.

Abgesehen von den Gesetzesverletzungen, deren Shaka Sankofa von seinen Henkern mit starkem Nachdruck, Rachsucht und blinder Wut beschuldigt wurde, die er als Halbwüchsiger beging, als er in Armut, Marginalität und Rassendiskriminierung lebte, so steht doch unfragwürdig fest, daß sein Todesurteil wegen mutmaßlicher Tötung, deren Verschulden ihm noch nicht einmal nachgewiesen werden konnte, rücksichts- und erbarmungslos gefällt wurde, als er noch minderjährig war. Alles, was ihm angetan wurde, steht im Widerspruch zur Lehre und den Prinzipien des Völkerrechts. Der einzige Beweis, den sie vorbrachten, war die Zeugenaussage einer Person, die sich in fast vierzig Fuß Entfernung befand - ziemlich entfernt für das Feststellen von Details, noch dazu bei Dunkelheit - und die behauptete, in der Nähe des Tatorts sein Gesicht für Sekunden hinter der Scheibe seines Autos erkannt zu haben. Mehrere Zeugen, die das Gegenteil hätten beweisen können, wurden nicht zur Verhandlung vorgeladen, bei der er außerdem, arm wie er war, keinen erfahrenen Verteidiger hatte. Die ballistischen Untersuchungen ergaben, daß die den Tod des Opfers verursachten Geschosse nicht aus der Waffe stammten, die den Anklägern selbst zufolge, der Angeklagte bei sich trug. Mehrere Mitglieder des Geschworenenkollegiums, das ihn verurteilte, haben bestätigt, daß, wären ihnen diese Umstände und Regelwidrigkeiten bekannt gewesen, sie ihn niemals für schuldig befunden hätten.

Während des langen Kampfes Shaka Sankofas für den Beweis seiner Schuldlosigkeit, waren alle, die ihn kannten und unterstützten, stets und absolut von dieser Schuldlosigkeit überzeugt sowie davon, daß der Urteilsspruch einen widerlichen Mord darstellte. Die bei seiner Verteidigung zu spürende entschlossene Willenskraft, seine Beredsamkeit, seine Würde vermitteln auch den gleichen Eindruck.

In den Vereinigten Staaten und in der Welt überhaupt ist man allgemein der Meinung, daß er schlechtweg zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde, weil er ein Schwarzer war.

Zum Verbrechen des Todesurteils gegen einen Minderjährigen kam noch der monströse Fakt, ihn 19 Jahre lang im erleuchteten Katafalk oder, um es noch brutales auszudrücken, dem "Todestrakt" zu halten. Doch auch das war noch nicht genug, um die Rachsucht der Rassisten zu stillen, um ihm einen Aufschub zur Klärung dessen zu gewähren, was in jeder Beziehung ein Prozeß voller Regelwidrigkeiten und Amtsmißbrauch war. Jede dazu befugte Behörde, bei der auch nur ein Minimum an Mitleid vorhanden war, hätte es getan.

Shaka Sankofa hat der Welt die bitteren Früchte eines sozialen Systems vor Augen gehalten, in dem die Unterschiede zwischen den Reichsten und den Ärmsten unendlich groß sind und wo Individualismus, Egoismus, Konsumdenken, allgemeiner Waffenbesitz und Gewalt wie ein philosophisches Fundament herrschen.

Das Bewundernswerte an jenem Halbwüchsigen, der arm, ausgegrenzt und schwarz war - und vielleicht aus diesem Grunde ohne jegliche Beweis zum Tode verurteilt wurde - ist, wie er während jenes unendlichen Wartens im "Todestrakt" das beeindruckende politische und gesellschaftliche Bewußtsein entwickelte, das er bei seiner Hinrichtung zum Ausdruck brachte. Nicht wie ein zahmes Reh gin er zum Schafott. Er hielt mit Gewalt und bis zum Tode, so wie er es versprochen hatte, den Hinrichtungsprozeß aus. Er sprach wie ein Prophet. Er forderte auf, weiter zu kämpfen gegen das, was er als Holocaust oder Massenmord bezeichnete, dem die Afroamerikaner ausgesetzt sind. Er forderte die Geltendmachung seiner Schuldlosigkeit. Er starb wie ein Held.

Auf diese Weise schafft die Unterdrückung, die Ausbeutung, die Ungleichheit und die Ungerechtigkeit Männer, die in der harten Stunde eines ungerechten Todes fähig sind, ein Imperium zu erschütern und die Bewunderung aller ehrenhaften Menschen der Welt hervorzurufen. Kann das vielleicht mit den Fehlern gerechtfertigt werden, die ein armer, diskriminierter und marginierter Negerjunge im reichsten Land der Welt begangen hat?

Es ist für uns nicht nur eine Pflicht der Dankbarkeit, sondern auch eine hohe Pflicht des Internationalismus, uns dem energischen Protest von Millionen US-Amerikanern, weißer und schwarzer, Indianer, Lateinamerikaner, Mestizen anzuschließen, die mit Entrüstung diese verwerfliche rassistische Form der Rechtsprechung verurteilen.

Diese Tatsachen überzeugen uns mehr denn je, daß die Zukunft voll unseren Träumen von Gleichheit und Gerechtigkeit für alle Menschen gehört.

Die Völker werden siegen!



Fidel Castro Ruz

24. Juni 2000

12.42 Uhr

Donnerstag, 22. Juni 2000

Weder verhandelt noch verkauft Kuba seine Revolution, die das Blut und das Opfer von vielen seiner Kinder gekostet hat

Einführung für den Leser

Anfang Juni veröffentlichte eine französische Zeitschrift in zusammengefasster Form die Notizen von Herrn Federico Mayor Zaragoza, der bis vor kurzem Direktor der Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) war, eines am 28. Januar diesen Jahres geführten Gesprächs mit dem Comandante en Jefe Fidel Castro während seines Besuchs in Kuba aus Anlass des zweiten Internationalen Treffens der Wirtschaftswissenschaftler, das zwischen dem 24. und 28. Januar in Havanna stattfand.

Einige Tage vor dem 1. Juni hatte Federico Mayor eine Abschrift dieser Gesprächszusammenfassung sowie einen ausführlichen Fragebogen für ein Interview über ähnliche Themen geschickt, das er in einem anderen Presseorgan veröffentlichen wollte. Doch noch vor der Veröffentlichung der erwähnten Zusammenfassung verbreiteten einige Agenturmeldungen die von ihm übergebenen Notizen mit bestimmten aus dem Kontext gerissenen Sätzen und fehlerhaften Interpretationen.

Die voreilige und unvollständige Veröffentlichung jener Zusammenfassung, die Mitte Juni zu fehlerhaften Interpretationen führte, als unser Land - wie bis zum heutigen Tag - mit einer intensiven Aktivität im Zusammenhang mit der kriminellen Entführung des kubanischen Kindes Elián González beschäftigt war, zwang kurz darauf den Genossen Fidel, das unverzichtbare Maß an Zeit aufzubringen, um mit aller Präzision jede einzelne der von Federico Mayor geschickten 33 Fragen zu beantworten. Dieses Material wurde ihm vor 10 Tagen unverzüglich zugesandt.

Mayor drückte die Idee aus, das komplette Gespräch für ein Buch zu verwenden, das er Ende des Jahres veröffentlichen wird. Angesichts der Tatsache, dass viele der in den Fragen - und deshalb auch in den Antworten - angesprochenen Problemstellungen mit aktuellen Themen in Verbindung stehen und innerhalb von einigen Monaten nicht mehr besonders interessant wären, entschied der Genosse Fidel, den gesamten Text seiner Antworten in der Tageszeitung Granma zu veröffentlichen, was er zuvor seinem geschätzten und ehrwürdigen Freund Federico Mayor Zaragoza, dem ehemaligen Direktor der UNESCO, mitteilte.

Im Folgenden nun die Fragen und Antworten.

ANTWORTEN AUF DEN FRAGEBOGEN VON F. MAYOR


FEDERICO MAYOR.- Zusammen mit China, Vietnam und Nordkorea wird Kuba als die letzte Bastion des Sozialismus angesehen. Aber hat das Wort „Sozialismus" zehn Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer etwa überhaupt noch Sinn?

FIDEL CASTRO.- Heute bin ich mehr denn je davon überzeugt, dass es einen großen Sinn hat.

Das was vor zehn Jahren geschah, war die naive und unbewusste Zerstörung eines großen sozialen und historischen Prozesses, der zwar perfektioniert, aber niemals zerstört werden musste. Das hatten die Horden Hitlers nicht geschafft, nicht einmal indem sie mehr als 20 Millionen Sowjetbürger töteten und die Hälfte des Landes zerstörten. Die Welt verblieb unter der Vorherrschaft einer einzigen Supermacht, die beim Kampf gegen den Faschismus nicht einmal fünf Prozent der Opfer beisteuerte, die die Sowjets erbrachten.

In Kuba haben wir ein vereintes Land und eine Partei, die zwar anleitet, aber weder die Kandidaten aufstellt noch sie auswählt. Die Bewohner eines jeden Viertels, die in offenen Versammlungen zusammenkommen, schlagen die Kandidaten der 14.686 Wahlkreise vor, stellen sie auf und wählen sie. Diese Abgeordneten der 14686 Wahlkreise stellen die Grundlage unseres Wahlsystems dar. Sie bilden die Versammlungen der jeweiligen Kreise und stellen die Kandidaten der Provinzversammlungen und der Nationalversammlung auf, die höchsten Machtorgane des Staates auf diesen Ebenen. Die Kandidaten müssen in ihren entsprechenden Wahlbezirken in geheimer Wahl mehr als 50 % der gültigen Stimmen erhalten.

Ohne dass eine Wahlpflicht bestünde, nehmen an diesen Wahlen mehr als

95 % der Wahlberechtigten teil. Viele Menschen auf der Welt haben nicht einmal die Bemühung auf sich genommen, sich über diese Realität zu informieren.

In den Vereinigten Staaten, wo so viel über Mehrparteiensysteme gesprochen wird, gibt es zwei Parteien, die sich in Bezug auf Methoden, Ziele und Absichten exakt gleichen und in der Praxis das kompletteste Einparteiensystem haben entstehen lassen, das es auf der Welt gibt. In diesem „demokratischen Land" gehen 50 % der Bürger nicht zur Wahl, und normalerweise gewinnt das Team, dass mehr finanzielle Mittel gesammelt hat, mit lediglich 25 % der Stimmen die Wahl. Die gesamte Politik reduziert sich auf Scheinauseinandersetzungen, Eitelkeiten und Ambitionen von Einzelpersonen oder von Interessengruppen innerhalb des etablierten wirtschaftlichen und sozialen Modells. Es besteht keinerlei Alternative eines Systemwechsels. In den kleinen englischsprachigen Ländern der Karibik, die erst vor kurzem unabhängig geworden sind, funktioniert ein effizienteres parlamentarisches System, und solange die Regierung den Konsens aufrechterhält, bleibt sie an der Macht. Dieses System ist sehr viel stabiler als das dem Rest Lateinamerikas aufgezwungene Präsidentialsystem, das eine Kopie der Vereinigten Staaten darstellt. In fast zwei Jahrhunderten hat sich nichts geändert.

Im Kapitalismus, einschließlich in den industrialisiertesten Ländern, regieren in Wirklichkeit die großen nationalen und internationalen Firmen. Sie entscheiden über die Investition und die Entwicklung. Sie sind verantwortlich für die materielle Produktion, die wichtigsten ökonomischen Dienstleistungen und einen Großteil der sozialen Dienstleistungen. Der Staat zieht einfach nur die Steuern ein, verteilt sie und gibt das Geld aus. In vielen dieser Länder kann die gesamte Regierung in Urlaub gehen, ohne dass irgend jemand etwas davon bemerkt.

Das entwickelte kapitalistische System, das später zum modernen Imperialismus wurde, hat schließlich eine neoliberale und globalisierte Ordnung errichtet, die schlichtweg unhaltbar ist. Es hat eine Welt der Spekulation geschaffen, der fiktiven Schaffung von Reichtümern und Werten, die nichts mit der realen Produktion zu tun haben, und märchenhafte Privatvermögen, von denen einige das Bruttoinlandsprodukt von Dutzenden von armen Ländern übertreffen. Es wäre unnötig, die Plünderung und Verschwendung der natürlichen Ressourcen der Welt und das elende Leben von Milliarden Menschen hinzuzufügen. Das kapitalistische System hat der Welt nichts zu bieten und dient zu nichts weiter als seiner Selbstzerstörung, wobei es vielleicht zusammen mit sich die natürlichen Bedingungen zerstört, die als Stütze für das menschliche Leben auf dem Planeten dienen.

Es ist nicht das Ende der Geschichte gekommen, wie einige illusionäre Euphoriker sich vorstellten. Jetzt ist in Wirklichkeit der Zeitpunkt, wo sie vielleicht erst beginnt.



F. M. .- Einundvierzig Jahre nach der Revolution, und trotz der Schwierigkeiten, mit denen es konfrontiert war, hat das Regime, das sie errichtet haben, durchgehalten. Auf was kann man diese Langlebigkeit zurückführen?

F. C. .- Auf den Kampf und die pausenlose Arbeit gemeinsam mit dem Volk und für das Volk. Sich an seine Überzeugungen klammern; konsequent sein; an den Menschen glauben; Sklaven und nicht Herren des Landes sein; auf festen Prinzipien aufbauen; schöpferisch tätig sein; auch unter scheinbar unmöglichen und irrealen Bedingungen Lösungen suchen; die absolute Aufrichtigkeit derjenigen garantieren, die die höchsten politischen und administrativen Posten bekleiden; die Politik zu einem Priesteramt machen. Das kann zum Teil die Antwort auf Ihre Frage sein, ohne dabei viele andere besondere Faktoren unseres Landes und unserer historischen Epoche einzubeziehen.

Sicherlich dachte alle Welt, dass Kuba nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Lagers und der UdSSR nicht durchhalten könne. Man müßte dabei zusätzlich fragen, wie dies möglich war mit einer doppelten Blockade und dem politischen und wirtschaftlichen Krieg, den uns die mächtigste jemals existierende Macht aufzwang, ohne Internationalen Währungsfonds, ohne Weltbank, ohne Kredite. Wir schafften es dennoch, die Großtat zu vollbringen. Bei einem kürzlich in Havanna veranstalteten Gipfeltreffen sagte ich gegenüber unseren Gästen mit einer gewissen Ironie, dass dies möglich war, weil wir das Privileg hatten, nicht dem IWF anzugehören.

Es gab Zeiten, in denen wir in einem Meer des umlaufenden Geldes schwammen; unsere Währung hatte außergewöhnlich an Wert verloren und das Haushaltsdefizit betrug bis zu 35 % des Bruttoinlandsprodukts. Ich beobachtete intelligente Besucher, die fast bis zur Ohnmacht in Erstaunen versetzt wurden. Unser Peso, die nationale Währung, hatte bis 1994 so viel an Wert verloren, dass der Umtauschkurs 150 Peso für einen US-Dollar betrug. Trotzdem schlossen wir keine einzige Gesundheitseinrichtung, keine einzige Schule, keine einzige Kinderkrippe, keine einzige Universität und keine einzige Sportanlage. Niemand wurde auf die Straße geworfen, ohne Arbeit oder Sozialversicherung, sogar als es an Brenn- und Rohstoffen mangelte. Es gab nicht den geringsten Entwurf für eine der gewöhnlich angewendeten und verhassten Schocktherapien, die so sehr von den westlichen Finanzinstitutionen empfohlen werden.

Jede Maßnahme, die zum Entgegenwirken des schrecklichen Schlages getroffen wurde, diskutierte man nicht nur in der Nationalversammlung, sondern auch in Hunderttausenden von Versammlungen, die in Fabriken, Produktions- und Dienstleistungszentren, Gewerkschaften, Universitäten, Mittelschulen und in allen Organisationen der Bauern, Frauen, Häuserblocks sowie in anderen Organisationen sozialen Charakters stattfanden. Das Wenige, über das wir verfügten, wurde mit der größtmöglichen Gleichheit verteilt. Wir besiegten den Pessimismus innerhalb und außerhalb des Landes.

In diesen kritischen Jahren verdoppelte sich die Anzahl von Ärzten, verbesserte sich die Qualität unserer Ausbildung und gewann der Peso siebenfach an Wert – von 150 Peso für einen US-Dollar bis zu 20 Peso für einen US-Dollar im Zeitraum von 1994 bis 1998 -, wobei dieser Umtauschkurs seitdem stabil geblieben ist. Nicht ein einziger Dollar entwich ins Ausland. Man gewann an Erfahrung und Effizienz auf der Höhe der immensen Herausforderung, die wir vor uns hatten. Wenn wir auch noch nicht das Produktions- und Konsumniveau erreicht haben, über dass wir zum Zeitpunkt des sozialistischen Desasters in Europa verfügten, so haben wir uns doch mit stetigem und sichtbarem Schritt erholt. Die Kennziffern in Bezug auf Bildung, Gesundheit, soziale Sicherheit und viele andere soziale Aspekte, auf die wir stolz waren, haben wir aufrechterhalten, und einige haben wir sogar übertroffen.

Der große Held dieser Großtat war das Volk, das seine riesigen Opfer und sein immenses Vertrauen beitrug. Dies war die Frucht der Gerechtigkeit und der Ideen, die in mehr als 30 Jahren Revolution gesät wurden. Dieses wahrhafte Wunder wäre ohne die Einheit und ohne den Sozialismus unmöglich gewesen.



F. M. - Wäre es in Anbetracht der breiten Bewegung der Globalisierung, die auf weltweiter Ebene Form annimmt, nicht etwa angebracht, die kubanische Wirtschaft gegenüber dem Rest der Welt weiter zu öffnen?

F. C. .- Wir haben die Wirtschaft geöffnet, soweit dies möglich und notwendig war. Wir haben nicht die Verrücktheiten und Tollheiten begangen, die es in anderen Ländern gab, die die Ratschläge der europäischen und US-amerikanischen Experten so entgegennahmen, als ob es sich bei diesen um biblische Propheten handele. Der Wahnsinn der Privatisierungen eroberte uns nicht, und noch viel weniger die Verrücktheit, die Güter des Staates zu konfiszieren, um uns ihrer zu bemächtigen oder sie Verwandten oder Freunden zu schenken. Dies geschah, wie man weiß, sowohl in ehemaligen sozialistischen Ländern wie in anderen, die nicht sozialistisch waren, und zwar unter dem gütigen, toleranten und komplizenhaften Vorwand der neoliberalen Philosophie, die sich in eine universelle Pandemie verwandelt hat. Der Westen weiß sehr gut, wo dieses Geld deponiert ist und wo die veruntreuten und gestohlenen Gelder hinflossen, doch niemand sagte ein Wort.

Wir haben nicht versucht, Kuba an die gegenwärtige chaotische Welt und ihre Philosophie anzupassen. Wir passten stattdessen die Realitäten dieser Welt an die unsrigen an, während wir gemeinsam mit vielen anderen Ländern der sogenannten Dritten Welt für unser Recht auf Entwicklung und das Überleben kämpften. Vielleicht helfen wir, die ehemals kolonisierten Länder, dadurch der Minderheit der superreichen Länder – fast alle davon ehemalige Kolonialmächte -, sich auch selbst zu retten.



F. M. .- Niemand stellt die sozialen und kulturellen Leistungen Kubas in Frage. Aber – indem wir auf meine vorherige Frage zurückkommen – könnten diese Leistungen nicht durch eine Steigerung des Austauschs mit dem Ausland begünstigt werden?

F. C. .- Es trifft zu, wie du sagst, dass wir bedeutende soziale Fortschritte erreicht haben, die schwer zu leugnen sind: Es gibt weder Kinder ohne Schule noch Analphabeten. Die Entwicklung unserer Universitäten ist spürbar. Wir verfügen über zahlreiche Forschungszentren, die eine Arbeit von großer Qualität und Wichtigkeit verrichten. Jedes Kind bekommt 13 Impfungen verabreicht, von denen fast alle im Land produziert werden, genauso wie der Großteil der Medikamente, die wir einnehmen. Gleichzeitig schicken wir Tausende von Ärzten zum Leisten von medizinischem Service in abgelegene und arme Gebiete Lateinamerikas, der Karibik und Afrikas, um integrale Gesundheitspläne in die Tat umzusetzen. Das ist möglich, weil wir über ein reichliches Humankapital verfügen. Wir haben die entwickeltsten Länder dazu eingeladen, bei der Entsendung von Medikamenten mitzuarbeiten. Gleichermaßen gewähren wir Tausende von Stipendien für Jugendliche aus der Dritten Welt, um Medizin oder andere Fachrichtungen zu studieren. In jedem afrikanischen Land, dass an den integralen Gesundheitsplänen teilnimmt, helfen wir beim Aufbau von Fakultäten, wo eines Tages die Hunderttausenden von Ärzten ausgebildet werden können, die diese Länder brauchen.

Niemand stellt sich vor, wieviel ein kleines Land der Dritten Welt mit sehr wenigen Ressourcen bewerkstelligen kann, wenn es einen wirklichen Geist der Solidarität gibt. Als Antwort auf deine Frage kann ich sagen, dass diese von unserem Land unternommene Anstrengung ohne Zweifel durch eine Steigerung des Austauschs mit dem Ausland begünstigt würde, sowohl zum Vorteil unseres Vaterlandes als auch zum Vorteil anderer Nationen.



F. M. .- Der Zerfall der UdSSR entzog Kuba plötzlich eine wunderbare Unterstützung. Was war Ihrer Meinung nach das Kalkül der US-Amerikaner, als sie das Embargo trotz des Endes der Ost-West-Konfrontation aufrechterhielten? Hofften sie, damit auf Ihre Art des Regierens Einfluss zu nehmen?

F. C. .- Sie hatten nicht die Absicht, Einfluss auf die Revolution zu nehmen, sondern sie zu zerstören. Genauso wie im Senat des alten Roms, als zu Zeiten Hannibals die Zerstörung Karthagos proklamiert wurde, lautete die obsessive Parole der US-Regierungen: Kuba muss zerstört werden.

Der Zerfall der Sowjetunion und der Zusammenbruch des sozialistischen Lagers in Europa kam für uns nicht völlig überraschend. Wir wiesen unser Volk sogar sehr viel früher schon auf diese Möglichkeit hin. Angesichts der dummen Fehler, die sie dort begingen, und der beschämenden Konzessionen, die sie dem historischen Gegner fortwährend einräumten, sahen wir die Ereignisse kommen.

Im Bereich der Wirtschaft war der Schaden für Kuba schrecklich. Unser Zucker hatte zuvor nicht den Preis erzielt, der dem Abfallhaufen des Weltmarktes entspricht. Wir hatten einen Präferenzpreis wie den erreicht, den die Vereinigten Staaten und Europa beim Import dieses Produkts anwendeten. Die Lieferungen von Brennstoff, Lebensmitteln, den verschiedensten Rohstoffen und Maschinen- und Fabrikteilen stoppten fast abrupt. Der tägliche Kalorienkonsum ging von 3 000 auf 1 900 zurück und der tägliche Proteinkonsum sank von 80 auf 50 Gramm. Es gab Leute, die schwach wurden, doch die überwiegende Mehrheit bewältigte die Schwierigkeiten in eindrucksvollem Maße mit Mut, Ehrgefühl und Entschiedenheit.

Wie ich bereits sagte, erreichte man, wichtige Kennziffern beizubehalten und einige sogar zu verbessern. Die Kindersterblichkeit wurde in diesem Zeitraum um 40 % gesenkt und 30 000 neue Ärzte mit einem exzellenten Ausbildungsniveau begannen ihre Arbeit in den Gemeinden. Im Bereich des Sports nahmen unsere Athleten weiterhin einen ehrenvollen Rang unter den Besten der Welt ein und erreichten bei den Olympischen Spielen die höchste Anzahl an Goldmedaillen im Vergleich zur Bevölkerungszahl, und zwar trotz des enormen Drucks, den die Vereinigten Staaten ausüben, indem sie versuchen, Wissenschaftler, herausragende Fachleute und Sportler aus Kuba abzuwerben.



F. M. .- Was nicht heißen soll, dass die Aufrechterhaltung des Embargos für das kubanische Volk einen leicht zu überwindenden zusätzlichen Test darstellt.

F. C. .- Selbstverständlich ist die Blockade eine schwere Last für jeden Kubaner. Die Länder der Dritten Welt – genauso wie fast alle Mitgliedsländer der Vereinten Nationen - haben wiederholt die Beendigung der Blockade gefordert. Doch der US-Kongress hat sich mit der Kooperation von vielen Mitgliedern der republikanischen Mehrheit – in diesem Fall angeführt von den Herren Helms und Burton, und sogar mit der Unterstützung von einigen Mitgliedern der Demokratischen Partei wie Torricelli und anderen – der Beendigung einer Blockade widersetzt, die bereits zur längsten in der Geschichte geworden ist.



F. M. .- Die Vereinigten Staaten sind nicht die Einzigen, die ihnen jede Art von Bedingungen auferlegen. Auch die Europäische Union hat versucht, eine „demokratische Klausel" in die europäisch-kubanischen Handelsbeziehungen einzuführen. Was denken Sie über diese Vorgehensweise?

F. C. .- Es ist bezeichnend, dass sich die Europäische Union sehr viel weniger „besorgt" zeigt in Bezug auf andere Länder, und zwar zweifellos deswegen, weil diese Länder ein größeres wirtschaftliches Interesse darstellen als wir dies können. Auf jeden Fall sind keinerlei Bedingungen zu akzeptieren, wenn es sich dabei um unveräußerliche Prinzipien unseres Vaterlandes handelt. Die Art der politischen Organisation einer souveränen Nation kann nicht Bedingungen unterliegen. Weder verhandelt noch verkauft Kuba seine Revolution, die das Blut und das Opfer von vielen seiner Kinder gekostet hat.

Auf der anderen Seite hängt alles davon ab, was man unter „demokratischer Klausel" versteht. Wie viele sogenannte „demokratische" Staaten sind bis zum Hals verschuldet? Wie viele von ihnen lassen zu, dass bis zu 30 % ihrer Bevölkerung unter Bedingungen von extremer Armut leben? Warum müssen Länder, in denen Zehntausende von Kindern auf der Straße leben und in denen es unzählige Analphabeten gibt, besser behandelt werden als wir? Wir sehen keinen Grund dafür. Kuba wird niemals politische Bedingungen der Europäischen Union und noch weniger der Vereinigten Staaten akzeptieren. Es wäre besser, wenn dies endlich begriffen würde.

Wir diskutieren nicht darüber, ob es in Europa Monarchien gibt oder Demokratien, ob Konservative an der Macht sind oder Sozialdemokraten, Verteidiger oder Gegner eines idyllischen dritten Weges, ob es Wenden nach links, ins Zentrum oder nach rechts gibt, oder ob es sich dort um Apologeten oder Verleumder des sogenannten „Wohlfahrtsstaates" handelt, mit dem man versucht, das unheilbare Übel der Arbeitslosigkeit zu verschleiern. Wir haben nicht einmal die Pflicht, uns bezüglich dessen einzumischen, was die Skinheads machen, die eine Erscheinungsform der erneut aufkommenden neonazistischen Tendenzen sind. Wenn wir auch Meinungen über diese und viele andere Themen haben, können wir doch keine revolutionären Klauseln in unsere Beziehungen mit Europa einfügen. Wir hegen die Hoffnung, dass die Europäer alleine mit diesen Problemen fertig werden.



F. M. .- Seit der McCarthy-Ära verfolgt Washington die Tendenz, einzig die kommunistischen Regime als schädlich und zerstörenswert anzusehen. Doch das Weiße Haus hat ohne mit der Wimper zu zucken Somoza, Trujillo, Duvallier und andere akzeptiert. Zu welchen Gedanken verleiht Sie diese Sicht einer Welt mit zwei Geschwindigkeiten?

F. C. .- Es wäre besser, wenn ich mich nicht in die Scheinheiligkeit und die Unanständigkeiten dieser Politik vertiefe. Ich würde viele Stunden und langwierige historische Bezugnahmen benötigen. Der Industrie der Lüge wird eines Tages der Markt ausgehen, er geht ihr bereits aus. Wenn Sie sich wirklich in die Wahrheit vertiefen, werden Sie bemerken, dass die politische Konzeption des Imperialismus genauso wie die der Welt aufgezwungene Wirtschaftsordnung und die neoliberale Globalisierung auf dem Gebiet der Ideen und der Ethik Waisenkinder und wehrlose Geschöpfe sind. Genau auf diesem Gebiet entscheidet sich der wichtigste Kampf unserer Zeit. Und das Endergebnis dieser Schlacht wird - ohne eine mögliche Alternative - zugunsten der Wahrheit und deswegen zugunsten der Menschheit ausfallen.



F. M. .- Verfolgen Sie den US-amerikanischen Wahlkampf näher?

F. C. .- Selbstverständlich, und zwar nicht nur den Präsidentschaftswahlkampf, sondern ich finde sogar Unterhaltung dabei, andere Aspekte der großen Komödie zu beobachten. Um ein Beispiel zu nennen: den Kampf um den Senatssitz für New York. Bezüglich Hillary Clinton erinnerte ich mich daran, als sie mit so viel Glanz vor dem Kongress ein Sozialprogramm zugunsten der medizinischen Serviceleistungen verteidigte, die heutzutage für Millionen arme US-Amerikaner unzugänglich sind.

Ich hörte ihr auch mit Interesse zu, als sie vor der WHO in Genf sprach. Sie war offen, überzeugend und scheinbar aufrichtig. Sie verhielt sich mit großer Würde, als die Familie in eine schwere und schmerzhafte Krise verwickelt war. Doch gelegentlich geben ihr ihre Berater keine guten Empfehlungen, wie im Fall der von der Clinton-Regierung nach einer langen, grausamen und unbarmherzigen Haft freigelassenen Puertoricanern, als sie sich öffentlich feindlich eingestellt gegenüber dieser Reduzierung der Strafen zeigte. Ich kann außerdem hinzufügen, dass sie vor kurzem im Fall des entführten kubanischen Kindes Elián González eine falsche und wenig ethische Position einnahm, als sie erklärte, dass der Vater des Kindes desertieren sollte. Dies war eine schwerwiegende und willkürliche Beleidigung eines ehrenhaften Patrioten, wobei dies nicht nur im Inhalt, sondern auch in Bezug auf das Datum fast genau mit einer Aussage des republikanischen Präsidentschaftskandidaten übereinstimmte.

Kurzum, wenn scheinbar ehrliche Personen sich in den Strudel der Wahlpolitik in den Vereinigten Staaten verwickelt sehen, gehen sie das Risiko ein, jegliche Anerkennung und Achtung zu verlieren.



F. M. .- Wie weit kann der Privatisierungsprozeß in Kuba reichen? Und ist die „Dollarisierung" der Wirtschaft nicht eine Beleidigung sowohl gegenüber dem Sozialismus als auch gegenüber der Währungssouveränität des Landes?

F. C. .- Ich sagte dir bereits, dass die Privatisierungen mit sehr viel gesundem Menschenverstand und Weisheit durchgeführt werden müssen, ohne irgendeine Art von Verrücktheiten. Man muss diejenige Arbeit sehr gut unterscheiden, die ihrer Natur nach wesentlich individuell und oftmals manuell und handwerklich ist, wobei die Produktion in größerem Umfang und die Technologie nicht die Hauptrolle spielen, und diejenige, bei der die Investitionen Kapital, Technologie und Märkte erfordern, bei denen eine Assoziierung mit ausländischen Unternehmen höchst angebracht sein kann. Die potentiellen Erdölvorkommen innerhalb der zu Kuba gehörenden 110 000 km² im Golf von Mexiko könnten ohne die Technologien aus dem Ausland und das von dort kommende Kapital nicht von unserem Land erschlossen und ausgebeutet werden.

Andererseits gibt es innerhalb des Landes beim Erzielen der höchsten Qualität und dem höchsten Ertrag bei Anbauprodukten wie einer besonderenTabaksorte – dies ist die Arbeit von hingebungsvollen und fast fanatischen Liebhabern dieses Anbauprodukts, die manuell sein und in kleinen Parzellen vonstatten gehen muss – keine Maschinen oder Großunternehmen, die die Arbeit des Individuums ersetzen könnten. Denjenigen, die diese Fähigkeiten besitzen, wird das notwendige Land kostenlos übergeben, damit sie es auf eigene Rechnung bebauen. Es wäre hingegen absurd, dies im Fall der hochgradig mechanisierten großen Zuckerrohrplantagen zu tun.

Es gibt in der kubanischen Landwirtschaft sehr verschiedene Eigentumsformen: Individuell, Kooperativen verschiedener Art, mit Mechanismen der Kooperation, Vorratshaltung und Vermarktung der Produkte, und einschließlich Staatsunternehmen in spezialisierten Bereichen, die wir mit Erfolg in unserem Land entwickelt haben.

Es gibt gleichfalls in den verschiedensten Bereichen der Wirtschaft Produktions- und Vermarktungsassoziierungen mit ausländischen Firmen, die hervorragend funktionieren.

Man darf beim Thema der Privatisierungen keine Vereinfachungen anstellen. Als allgemeines Prinzip gilt, dass in Kuba nichts privatisiert wird, das als Eigentum des ganzen Volks oder eines Kollektivs von Arbeitern angebracht ist und so aufrechterhalten werden kann.

Unsere Ideologie und unsere Präferenz ist der Sozialismus, dem Egoismus, den Privilegien und den Ungleichheiten der kapitalistischen Gesellschaft in nichts verwandt. In unserem Vaterland gerät nichts in den Besitz eines hochrangigen Funktionärs, und nichts wird an Komplizen und Freunde verschenkt. Nichts, was mit Effizienz und einem gesteigertem Ertrag für unsere Gesellschaft ausgenutzt werden kann, gerät in die Hände von inländischen oder ausländischen Privatleuten. Gleichzeitig kann ich dir versichern, dass keine Investition garantierter ist auf der Welt als diejenigen, die unter dem Schutz der Gesetze und der Ehre des Landes in Kuba genehmigt worden sind.

Bezüglich deiner Erwähnung der Dollarisierung der Wirtschaft muss ich dir zwei Dinge antworten: Erstens ist die Weltwirtschaft zur Zeit dollarisiert. Nach Betton Woods erlangten die Vereinigten Staaten das Privileg, eine Reservewährung der Weltwirtschaft auszugeben. Zweitens gibt es in Kuba eine nationale Währung, die in keiner Hinsicht durch den IWF geregelt wird. Sie hat auf der Guthabenseite, wie ich bereits erwähnte, die Großtat stehen, in Rekordzeit siebenfach an Wert gewonnen zu haben. Es gibt keine Kapitalflucht. Außerdem ist der dem Wert des US-Dollars entsprechende konvertierbare Peso eingeführt worden, und die freie Zirkulation des US-Dollars war schlichtweg eine unverzichtbare Notwendigkeit, jedoch niemals die Frucht eines Wirtschaftskonzepts. Für die Zukunft denke ich, dass ein erneutes Verbot des Besitzes von US-Dollars oder anderen ausländischen Währungen niemals mehr nötig sein wird, doch die freie Zirkulation des US-Dollars bei der Bezahlung von vielen Produkten und Dienstleistungen wird es nur für den Zeitraum geben, in dem die Interessen der Revolution dies angemessen erscheinen lassen. Wir sind deshalb in der Lage, uns absolut keine Sorgen über die berühmte Dollarisierung der Wirtschaft machen zu müssen. Wir wissen vollkommen, was wir machen.



F. M. .- Fidel, im Jahr 1997 sagten sie mir in Havanna in aller Öffentlichkeit: „Federico, heutzutage brauchen wir keine Revolutionen mehr. In der Zukunft besteht der Kampf in einer besseren Verteilung. Unser Ziel ist nicht mehr der Klassenkampf, sondern die Annäherung der Klassen im Rahmen einer gerechten und friedlichen Koexistenz." Denken Sie heute, drei Jahre später, noch auf die selbe Weise?

F. C. .- Ich bin nicht sicher, ob ich mich irgendwann einmal genau so ausgedrückt habe. Vielleicht ist es zu irgendeiner Konfusion in Bezug auf die Sprache oder die Interpretation gekommen, denn einige dieser Punkte sind ziemlich weit von meinen Ideen entfernt.

Vor kurzem nahm ich in Havanna an einem internationalen Treffen von Wirtschaftswissenschaftlern teil, an dem Vertreter aus ruinierten Ländern zugegen waren, deren Schuldendienst sich auf mehr als 40 % des Haushaltes beläuft, eine „sehr demokratisch" von vorherigen und auch aktuellen Regierungen erworbene Verschuldung. Man beobachtet ein sehr großes Gefühl der Machtlosigkeit angesichts der Herausforderungen einer Globalisierung, die sich als unvermeidbar darstellt, jedoch bis jetzt geprägt ist durch das verhängnisvolle Zeichen des Neoliberalismus. Bei diesem Treffen verteidigten die Repräsentanten der Interamerikanischen Entwicklungsbank und der Weltbank ihre Standpunkte mit völliger Freiheit, doch die Schlussfolgerungen bezüglich des unhaltbaren Charakters der herrschenden Wirtschaftsordnung waren für viele der Anwesenden sehr eindeutig.

Wir können nicht weitermarschieren auf dem Weg, der die armen Länder täglich mehr von den reichen Ländern entfernt, und der im Inneren all dieser Länder immer schwerwiegendere soziale Folgen hervorruft. Für den Moment ist die Integration Lateinamerikas und der Karibik grundlegend. Nur vereint werden wir die Bedingungen unserer Rolle in dieser Hemisphäre neu verhandeln können. Ich sage das Gleiche in Bezug auf die Notwendigkeit, die Anstrengungen der Länder der Dritten Welt gegenüber dem mächtigen und unersättlichen Club der Reichen zu vereinen. Ich habe gelegentlich darauf hingewiesen, dass diese Aufgabe der Integration und Vereinigung der Anstrengungen nicht darauf warten kann, dass es in jedem einzelnen dieser Länder zunächst zu tiefgreifenden sozialen Änderungen oder sozialen Revolutionen kommt. Ich habe ebenfalls bekräftigt, dass die momentane Weltwirtschaftsordnung aufgrund ihrer Unhaltbarkeit das sehr reale Risiko eines katastrophenhaften Zusammenbruchs eingeht, der das Desaster und die lang andauernde Krise in den Schatten stellen würde, zu der es 1929 kam, als die Börsen der Vereinigten Staaten, deren Aktien über das Erträgliche hinaus aufgebläht waren, explodierten. Nicht einmal der Enthusiast und Experte Greenspan, der Präsident der Federal Reserve der Vereinigten Staaten – dessen schlaflose Augen sich nicht eine Minute von den statistischen Daten lösen, die aus diesem unkontrollierten und unvorhersagbaren Roulette erwachsen, welches das spekulative System darstellt, in dem 50 % der US-amerikanischen Familien ihre Wetten abschließen und in das sie ihre Ersparnisse investieren -, würde es wagen, zu versichern, dass ein solches Risiko nicht bestünde. Das Heilmittel, um die Katastrophe zu verhindern, ist noch nicht erfunden worden und kann innerhalb eines solchen Systems nicht erfunden werden. Unaufhörlich bestehe ich auf der Notwendigkeit, die Augen angesichts dieser Realitäten zu öffnen. Es kann zu einem Zusammenbruch kommen, bevor die Völker darauf vorbereitet sind. Die Änderungen kommen nicht aus dem Kopf von irgend jemandem, doch die Köpfe müssen vorbereitet sein auf diese unvermeidlichen Änderungen, die die verschiedenartigsten Formen annehmen und den unterschiedlichsten Wegen folgen werden, ohne irgendeinen auszuschließen, wenn diese Auswege auch meiner Ansicht nach hauptsächlich als Resultat des Handelns der Massen, die niemand aufhalten könnte, entstehen.

Trotzdem wird nichts leicht sein. Die Blindheit, Oberflächlichkeit und Verantwortungslosigkeit der sogenannten politischen Klasse werden den Weg erschweren, aber nicht unüberwindlich machen.



F. M. .- Gibt es für die Armen die geringste Hoffnung auf ein besseres Leben in den kommenden zwanzig Jahren?

F. C. .- Die Menschheit beginnt Bewußtsein zu erlangen. Sehen Sie, was in Seattle und Davos geschah.

Es wird häufig an die Schrecken des Holocaust und die während des Jahrhunderts begangenen Völkermorde erinnert, doch man scheint zu vergessen, dass jährlich aufgrund der von uns angesprochenen Wirtschaftsordnung Dutzende Millionen Menschen an Hunger oder vermeidbaren Krankheiten sterben. Man kann scheinbar positive Wachstumsstatistiken aufstellen, doch am Ende bleiben die Dinge gleich oder verschlechtern sich für die Länder der Dritten Welt. Das Wachstum beruht oftmals auf der Anhäufung von Konsumgütern, die durch nichts zu einer wahrhaften Entwicklung und einer besseren Verteilung des Reichtums beitragen. Die große Wirklichkeit besteht darin, dass nach einigen Jahrzehnten des Neoliberalismus die Reichen immer reicher werden und es immer mehr Arme gibt, die zudem immer ärmer werden.



F. M. .- Im Rahmen des letzten Gipfeltreffens der G-77-Staaten in Havanna äußerten Sie einen Komplex von Ideen zur Umwandlung der Weltordnung. Könnten Sie diese Vorschläge noch einmal wiederholen?

F. C. .- Dort äußerte ich mich für die Streichung der Außenverschuldung der unterentwickelten Länder und für eine beträchtliche Entlastung der Devisenbilanz vieler anderer Länder. Auch sprach ich mich aus für die Abschaffung des Internationalen Währungsfonds. Die Zeit ist reif, dass die Länder der Dritten Welt die Befreiung von einem Mechanismus fordern, der nicht in der Lage ist, die Stabilität der Weltwirtschaft zu gewährleisten. In einem noch weiteren Sinne kritisierte ich die unheilbringenden Auswirkungen des Neoliberalismus, jener pharisäischen Politik, für sämtliche Entwicklungsländer und ganz besonders für die Länder Lateinamerikas und der Karibik. Ich sagte, dass ein Nürnberger Prozeß vonnöten sei, um den Massenmord der heutigen Weltwirtschaftsordnung zu richten.



F. M. .- Das ist leicht übertrieben!

F. C. .- Es ist vielleicht sogar das Gegenteil: leicht untertrieben. Um präzise zu sein, werde ich lediglich einige Abschnitte der Schlussrede des Südgipfels zitieren.

"Früher sprach man von der Apartheid in Afrika. Heute können wir von einer weltweiten Apartheid sprechen, in der mehr als vier Milliarden Menschen der elementarsten Menschenrechte entbehren: des Rechtes auf Leben, auf Gesundheit, Bildung, Trinkwasser, Lebensmittel, Wohnraum, Zukunftshoffnung sowie des Rechtes der eigenen Kinder. Wenn wir so verfahren wie bisher, wird uns bald die Luft zum Atmen ausbleiben, die immer mehr von den verschwenderischen Konsumgesellschaften vergiftet wird, die die wesentlichen Faktoren des Lebens vergiften und den Lebensraum des Menschen zerstören.

[...]

Die Welt der Reichen möchte vergessen, dass die Ursachen von Unterentwicklung und Armut in der Sklaverei, der Kolonialherrschaft, der brutalen Ausbeutung und Plünderung zu suchen sind, denen unsere Länder jahrhundertelang ausgesetzt waren. Sie schauen auf uns als minderwertige Völker. Unsere Armut schreiben sie der Unfähigkeit der Afrikaner, der Asiaten, der Inselbewohner der Karibik und der Lateinamerikaner zu; das heißt der Unfähigkeit der Schwarzen, der Indianer, der Gelbhäutigen und der Mestizen, sich zu entwickeln und sich zu regieren.

[...]

Ich bin der absoluten Überzeugung, dass die von den reichen Ländern aufgezwungene Weltwirtschaftsordnung von heute nicht nur grausam, ungerecht, unmenschlich und gegen den unausweichlichen Lauf der Geschichte gerichtet, sondern auch Träger einer rassistischen Weltauffassung ist, die seinerzeit in Europa den Faschismus von Holocaust und Konzentrationslagern inspirierte, die heute in der Dritten Welt Flüchtlingslager genannt werden und nichts anderes sind als Konzentrationszentren von Armut, Hunger und Gewalt. Es sind die gleichen rassistischen Auffassungen, die in Afrika zu dem monströsen Apartheidsystem geführt haben.

[...]

Wir kämpfen für die geheiligten Rechte der armen Länder; doch wir kämpfen auch für die Rettung jener Ersten Welt, die nicht in der Lage ist, ein Fortbestehen der Gattung Mensch zu gewährleisten, sich inmitten ihrer Widersprüche und egoistischen Interessen selbst zu regieren, geschweige denn, die Welt zu regieren, deren Lenkung demokratisch und kollektiv zu sein hat. Wir kämpfen um die Erhaltung des Lebens auf unserem Planeten, wofür ein fast mathematischer Beweis angetreten werden kann.

Mit einem Wort, Federico: Es ist geboten, für unser Überleben, das aller Länder, arm oder reich, zu kämpfen, denn wir befinden uns alle auf dem gleichen Boot. In diesem Sinne habe ich auf dem Gipfel der G-77-Staaten einen recht konkreten Vorschlag zu einem heiklen und umfassenden Thema unterbreitet: ich bat die erdölexportierenden Länder um Vorzugspreise für die am weitesten zurückgebliebenen Länder, so wie es in dem Abkommen von San José zwischen Venezuela und Mexiko vereinbart wurde, dem zufolge die Länder Mittelamerikas und der Karibik Erdöl zu günstigeren Bedingungen beziehen können.



F. M. .- Fällt Ihr Urteil über die Vereinten Nationen ebenso hart aus?

F. C. .- Nein, absolut nicht, obwohl ich ihre Struktur anachronistisch finde. Nach 55 Jahren ist eine Organisation wohl umzugestalten. Die Vereinten Nationen haben sich um ihren Namen verdient zu machen, sie haben in der Tat vereint zu handeln im Sinne menschlicher und transzendentaler Ziele. Alle Länder, ob groß oder klein, industrialisiert oder unterentwickelt, müssen die Möglichkeit haben, ihre Stimme hören zu lassen. Die UNO muß zu einem Forum werden, bei dem sämtliche Meinungen und Standpunkte zum Ausdruck gebracht und debattiert werden können. Sie hat auf einer echt demokratischen Basis zu funktionieren. Es ist wichtig, dass innerhalb der UNO Länder wie die der G-77-Staaten und die Blockfreien Sitz und Stimme haben. Für ihre bedeutende Rolle in der Welt von heute muß die Struktur der Vereinten Nationen geändert werden. Beispielsweise ist heutzutage die soziale Entwicklung eines der dramatischsten Themen der Dritten Welt; und die Aufgabe der Weltbank besteht nicht in der Fondsbereitstellung zur Lösung der Finanzkrise; denn gegründet wurde sie zur Förderung der sozialen Entwicklung, deren Zurückgebliebenheit heutzutage den größten Schrecken darstellt.



F. M. .- Wenn Sie sich den Weltatlas ansehen, für welche Veränderungen würden Sie sich hier entscheiden?

F. C. .- Ich würde hier an eine würdige Welt der Gattung Mensch denken, in der keine superreichen und verschwenderischen den armen Nationen gegenüberstehen; eine Welt, in der sämtliche Kulturen und Identitäten gewahrt werden; eine gerechte und solidarische Welt; eine Welt ohne Ausplünderung, Unterdrückung und Kriege, in der Wissenschaft und Technik im Dienste des Menschen stehen; eine Welt, in der die Natur geschützt wird und in der die vielen, die wir heute sind, überleben, wachsen und den geistigen und materiellen Reichtum genießen können, den ihr Intellekt und ihre Anstrengung zu schaffen in der Lage sind.

Mich danach zu fragen ist überflüssig. Ich träume von einer Welt, die auf der Basis einer kapitalistischen Philosophie niemals möglich sein wird.



F. M. .- Wie schätzen Sie die Entwicklung Lateinamerikas insgesamt ein?

F. C. .- Meines Erachtens sind Lateinamerika in seiner gesellschaftlichen Entwicklung und politischen Integration fast 200 Jahre verloren gegangen. Einige lateinamerikanische Länder verfügen über viel mehr ökonomische Ressourcen als das mehr als vierzig Jahre blockierte Kuba. Doch wenn man genau hinsieht, so kann man feststellen, dass in vielen dieser Länder ein Drittel der Bevölkerung weder lesen noch schreiben kann, dass Millionen Lateinamerikaner kein Dach über dem Kopf haben, dass die Länder eine derartige Außenverschuldung aufweisen, die eine Entwicklung faktisch unmöglich macht. Die Verschuldung der lateinamerikanischen Länder ist so hoch, dass viele - abgesehen vom Umfang ihres Bruttoinlandsproduktes - der Mehrheit ihrer Bürger keine würdige Lebensqualität bieten können. Ihre Wirtschaften, die makroökonomisch gut voranzukommen scheinen, sind den großen Finanz- und Technologiemächten anheim gefallen. So werden in die reichen Länder Kapitalsummen transferiert, deren Umfang keiner kennt und berechnen kann. Die schwachen lateinamerikanischen Währungen sind wehrlos den Spekulanten ausgesetzt. Die Devisenreserven, mit denen diese Währungen zu einem hohen Preis toter Fonds verteidigt werden sollen, die in keiner Weise zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung beitragen, sind bei einer beliebigen Entwertungsgefahr in einer Frage von Tagen hinfällig. Die Einnahmen aus den das nationale Erbe schädigenden Privatisierungen werden ohne jegliche Vergünstigung verschluckt. Bei Anzeichen von Finanz- oder Währungsentwertungskrisen verflüchtigt sich sämtliches Kapital - sowohl kurzfristige Anleihen als auch Kredite von die Abnahme ihrer Ersparnisse befürchtenden Einheimischen. Die gehabten Praktiken der Zinssatzerhöhung bringen Chaos und Komplikation in das gesamte Wirtschaftsleben des Landes. Lateinamerika ist, wie die übrige Dritte Welt, Opfer einer auferlegten Weltwirtschaftsordnung, von der ich bereits sagte, dass sie unhaltbar ist. Geteilt und balkanisiert und von betrügerischen Fortschritts- und Entwicklungsillusionen aus dem Sirenengesang eines Freihandelsabkommens der Hemisphäre verführt, laufen die lateinamerikanischen Länder Gefahr, ihre Unabhängigkeit definitiv einzubüßen und von den Vereinigten Staaten annektiert zu werden.



F. M. .- Jetzt würde ich mich gern einem heiklen Thema zuwenden, dem Thema der Rede- und Meinungsfreiheit. Das System Kubas wird gewöhnlich aufgrund seiner diesbezüglichen repressiven Politik angegriffen.

F. C. .- Ich kann mir denken, was du sagen wolltest. Zuerst müßte man sich fragen, ob man irgendwo auf der Welt, wo die meisten totale oder funktionale Analphabeten sind, von Rede- und Meinungsfreiheit sprechen kann. Das wäre eine erbarmungslose Lüge. Nicht nur dass viele Menschen ihrer Gedankenfreiheit beraubt sind; man hat regelrecht ihren Denkmechanismus zerstört. Abermillionen Menschen, einschließlich einem großen Teil der Einwohner der Industrieländer, wird eingetrichtert, welches Erfrischungsgetränk sie zu trinken, welche Zigarre sie zu rauchen, welche Kleidung und welche Schuhe sie zu tragen und was sie zu essen haben. Ihre politischen Ideen werden auf die gleiche Weise geliefert. Jährlich wird eine Milliarde Dollar für Werbungszwecke ausgegeben. Dieser Regen fällt auf wehrlose Massen ohne Urteilsvermögen und Verstandeskenntnisse. Das ist eine in der Geschichte der Menschheit nie dagewesene Tatsache. José Martí sagte: "Bildung macht frei." Dazu müßte hinzugefügt werden: Ohne Kultur ist keine Freiheit möglich. Ausbildung und Kultur ist das von der Revolution unserem Volk am meisten Zuteilgewordene, und zwar in einem viel umfassenderen Rahmen als es in einem großen Teil der Industrieländer der Fall ist, in denen die Menschen nicht unbedingt gebildet sind, weil sie in Konsumgesellschaften leben. Mitunter bestürzt die Oberflächlichkeit und Dumpfheit ihres Wissens. Kuba hat das schulische Niveau auf den Abschluß der neunten Klasse gebracht. Doch das ist lediglich ein Grundwissen. In zehn Jahren wird der Bildungsstand bei dem Universitätsabschluß liegen und ein integraler sein. Sämtliche Voraussetzungen dafür sind geschaffen. Es kann schon keiner mehr verhindern, dass wir das gebildetste Volk der Erde sein werden und dazu eine tiefgreifende politische Kultur, die weder dogmatisch noch engstirnig sein wird, besitzen werden, eine politische Kultur, die viele der reichsten Länder der Erde entbehren. In den Dienst dieses so hohen Zieles stellen wir ohne jegliche kommerzielle Werbung die vom Menschen geschaffenen großartigen Technologien. Wir sollten besser noch etwas abwarten, um über Rede- und Meinungsfreiheit zu sprechen; denn es ist etwas, das niemals in einem brutalen kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem der Negation der Kultur, der Solidarität und der Ethik gedeihen kann.



F. M. .- Wie gedenkt der kubanische Staat zu dieser Erfordernis beizutragen?

F. C. .- Diese Frage habe ich zum Teil bereits beantwortet. Zu den konkreten Schritten würde ich lieber im Rahmen eines anderen Interviews Stellung nehmen.



F. M. .- Seit einigen Jahren erleben wir auf der Insel die Geburt eines Oppositionsembryos, d.h. von Oppositionsgruppen; Gruppen von Dissidenten, die sich zu organisieren beginnen. Wäre es nun nicht an der Zeit, dass sich das Regime dem politischen Pluralismus öffnet?

F. C. .- Zur eigentlichen Opposition kam es, als die tiefgreifendste Revolution des Kontinents inmitten des kalten Krieges in 90 Meilen Entfernung von den Vereinigten Staaten ihren Lauf nahm. Und die USA waren es, die jene Opposition im Verlaufe von 40 Jahren gelenkt und organisiert haben.

Die Revolution hat hundertjährige Privilegien hinweggefegt und die Interessen der reichsten und einflussreichsten Sektoren der kubanischen Gesellschaft beeinträchtigt. Gleichermaßen war sie den landwirtschaftlichen, erzbergbaulichen, industriellen, kommerziellen und Dienstleistungsbetrieben der USA in Kuba abträglich. Wir stellten uns schmutzigen Kriegen, Söldnerinvasionen, direkten militärischen Angriffsgefahren und standen am Rande eines Atomwaffenkrieges.

Die Verantwortliche dieser enormen konterrevolutionären Aktivität und der Folgeerscheinungen, des Wirtschaftskrieges, der ideologischen Politik, war und ist bis heute die Regierung der Vereinigten Staaten. Alles andere ist von der Supermacht, ihren Verbündeten und Lakaien künstlich geschaffene und finanzierte pure Fiktion, alles eingehüllt in Lügen und Verleumdungen als Rückenmark eines ideenlosen und unethischen Systems, das einer Revolution gegenübergestellt wird, die ihre härtesten Prüfungen bereits bestanden hat, sowie einem vereinten, kämpferischen und politisch stärkeren Volk.

In diesem Sinne wird es keinerlei Öffnung geben. Wir sehen nicht ein, dass wir mit der Strategie der USA kooperieren sollten.



F. M. .- Die meisten ihrer Minister waren beim Sieg der Castro-Revolution noch nicht geboren.

F. C. .- Das bedeutet, dass sie noch jung sind und wir eine Revolution auf lange Zeit haben werden.



F. M. .- Was ist heute der Traum des kubanischen Volkes?

F. C. .- Ich meine, es gibt elf Millionen Träume.



F. M. .- Worin besteht der Unterschied zu den Träumen der früheren Generation?

F. C. .- Früher träumte jeder vom Glück für sich selbst, und heute träumen alle vom Glück für alle.



F. M. .- Würden Sie nicht wünschen, dass die Bevölkerung enger an den politischen Entscheidungen beteiligt ist?

F. C. .- Meinen Sie etwa, dass es Kuba und seine Revolution ohne eine maximale und enge Beteiligung des Volkes geben kann?



F. M. .- Seit dem Sieg der Revolution hat ein Zehntel der Bevölkerung das Land verlassen. Wie erklären Sie sich diesen Exodus?

F. C..- Sie erwähnen Zahlen. Ich versuche, mir die einzelnen Auswanderungen ins Gedächtnis zu rufen und mir scheint, die Zahlen liegen darunter, es sei denn, sie beinhalten auch die im Ausland Geborenen. Doch das ist unwichtig. Vor dem Sieg der Revolution war die Anzahl der an Kubaner erteilten Visa unbedeutend. Nach dem Sieg wurden die Türen sperrangelweit geöffnet. Von sechstausend Ärzten holten sie sich die Hälfte. Ähnliches geschah bei Hochschuldozenten und Lehrern. Es war eine ungeheure Abwerbung der menschlichen Ressourcen. Doch festen Fußes nahmen wir den Schlag hin. Keiner erhielt Ausreiseverbot. Nicht wir waren es, sondern jene dort, die mehr als einmal die Türen schlossen und Quoten für die legale Visaerteilung festlegten. Ihr schlimmstes Verbrechen war das Stimulieren der illegalen Ausreisen durch ein monströses und mörderisches Gesetz, der sogenannte Cuban Adjustment Act, wonach ausnahmslos jeder ungeachtet seiner Vorstrafen und seines Verhaltens bei illegaler Ausreise aus Kuba - auf welchem Wege auch immer - und Betreten von US-Territorium die Aufenthaltsgenehmigung für jenes Land erhält. Auf diese Weise haben sie viele Straftäter aufgenommen, und nicht wenige Menschen haben ihr Leben dadurch verloren. Wegen dieses stupiden Gesetzes, das es auf der Welt kein zweites Mal gibt, das nur für kubanische Bürger geschaffen wurde, kam es zu dem Falle des entführten Jungen Elián González, der noch nicht einmal sechs Jahre alt war. Bei jenem Abenteuer verloren elf Kubaner ihr Leben.

Hätte man Mexiko und den anderen lateinamerikanischen und karibischen Ländern derartige Privilegien fast 35 Jahre lang eingeräumt, so wäre heute mehr als die Hälfte der US-Bevölkerung lateinamerikanisch und karibisch. Dann gäbe es heute zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten keine solche Mauer, viel höher als die Berliner Mauer, an der Jahr für Jahr mehr Emigranten ihr Leben lassen als es während des gesamten Bestehens jener Berliner Mauer der Fall gewesen ist. Offerieren Sie in Europa dieses Privileg den Bewohnern nördlich und südlich der Sahara, und Sie werden sehen, wie hoch die Anzahl der Emigranten ist.

Wir müssen sagen, dass wir der Auswanderung in die USA nie ein Verbot entgegengesetzt haben, und 90 Prozent der Emigranten haben diesen Schritt aus ökonomischen Gründen getan.



F. M. .- Die Angelegenheit um den kleinen Elián hat in der kubanischen Gemeinschaft in Miami die Glut entfacht. Was meinen Sie zu den kubanischen Dissidenten, sowohl hier auf der Insel als auch in Florida?

F. C. .- Für mich gibt es zwischen jenen, die du als externe und interne Dissidenten bezeichnest, keinen Unterschied. Sie sind ein und dieselbe Sache. Beide sind gleichen Ursprungs und gleicher Richtung. Beide sind Instrument der US-amerikanischen Kubapolitik; beide sind proimperialistisch, sozialismusfeindlich und Vertreter des Annexionismus. Jene, die von der sogenannten Cuban-American National Foundation - jenes Machwerk aus dem Dokument von Santa Fe, der gegen Kuba gerichteten politischen Plattform der Republikaner von 1980 - in Leitungspositionen manövriert wurden, waren fast ausnahmslos Ex-Agenten der CIA oder Söhne von namentlich bekannten Kriegsverbrechern, die nach dem Sieg der Revolution in die Vereinigten Staaten geflüchtet waren. Die Liste ihrer gegen Kuba verübten Verbrechen und Greueltaten ist unendlich lang, beginnend in der Zeit der Söldnerinvasion bei Girón, denen dann Taten folgten, die sie als Mitglieder der genannten kubanisch-amerikanischen Mafia begingen. Eine der Absichten von Reagan und seinem Kabinett war es, für sämtliche gegen unsere Heimat gerichteten Gesetze und Maßnahmen der Blockade und des Wirtschaftskrieges eine politische Maske zu schaffen und sie im Namen einer angeblichen kubanischen Vertretung durchzusetzen. Sie erhielten Vorzugsbedingungen in Verträgen und ökonomischen Konzessionen. Sie handelten mit allem Möglichen, einschließlich Drogen, und scheffelten ein großes Vermögen. Eine der wichtigsten Aufgaben, die ihnen übertragen worden war, war die Schaffung einer Lobby, um im Kongreß die Verbündeten der Ultrarechten und die reaktionärsten Mitglieder beider Parteien in ihrer aggressiven Kubapolitik zu fördern und zu schützen.

Zu ihrem Arsenal der kubafeindlichen Aktionen gehörte die Unterstützung von scheinbar selbständigen Terroristengruppen bei der Realisierung aller Art von Wirtschaftssabotage, politischen Verbrechen, Einführung von Plagen und biologischem Krieg. Schließlich schufen sie ihren eigenen Militärapparat und bereiteten unzählige Pläne für meine Ermordung vor, jedes Mal wenn ich ins Ausland reiste. Es war eine wahre Menschenjagd, und die US-Behörden hatten volle Kenntnis davon und tolerierten es. Aus ihren umfassenden Mitteln stellten sie - sowohl über als auch unter dem Tisch - Dutzenden von Abgeordneten beider Parteien die Gelder für deren Kampagnen zur Verfügung. Sie wählten die Abgeordneten der eigenen Gruppe und unterstützten die Wahl anderer. Ihre Unterstützung seitens des Staates erfolgte ohne Abstriche. Es ist widerlich, was sie alles gegen unsere Heimat unternahmen. Ihr jüngstes Verbrechen war die Entführung eines noch nicht einmal sechs Jahre alten Jungen, dem seine rechtmäßigen Angehörigen vorenthalten werden. Sie meinen, als die Herren von Florida Gesetze und Befehle der Regierung herausfordern zu können. Schließlich zogen sie sogar US-amerikanische Fahnen in den Dreck und trampelten auf ihnen. Diese an dem entführten Kind begangene riesige und stupide Missetat wurde ihr politisches Waterloo. Es wird für sie sehr schwer werden, die verstreuten Stücke dessen wieder einzusammeln, was einmal ihre beträchtliche Macht und ihr politischer Einfluß war, um damit wieder etwas auf die Beine zu stellen, das einen Wert hat.

Moralisch und politisch ebenso wie sie am Boden ist der andere Flügel der konterrevolutionären Strategie der Vereinigten Staaten: die kleinen Grüppchen, die sie jahrelang gefördert haben, um der festen und unerschütterlichen Einheit und Stärke der Revolution eine interne Front entgegenzusetzen. Diese Grüppchen werden mit Geldern stimuliert, die auf den verschiedensten Wegen hereingelangen. Auch werden alle verfügbaren Medien zu ihrer Unterstützung eingesetzt. Die aus den Vereinigten Staaten sendenden Rundfunkstationen und die Presse der Cuban-American National Foundation sind ihre Organe der konterrevolutionären Verleumdung und Verbreitung. Sie arbeiten im engen Bündnis mit der kubanisch-amerikanischen Mafia. Koordiniert werden die Arbeiten direkt durch Mitarbeiter der Interessenvertretung der Vereinigten Staaten in Havanna, durch tschechische und polnische Diplomaten sowie andere Mitarbeiter einiger Botschaften von Ländern, die mit den USA verbündet oder ihnen ergeben sind.

Ihre wesentliche Aufgabe besteht in der Behinderung der diplomatischen und Wirtschaftsbeziehungen Kubas und - durch ihre Provokationen - im Liefern von Propagandamaterial für ihre Feldzüge der Verleumdung und Isolierung der Revolution. In diesen ruhmreichen und heldenhaften Jahren einer zweifachen Blockade und der Spezialperiode ließen die Heldentaten unseres Volkes sie zutiefst im Sumpfe ihrer Schändlichkeit versinken sowie dem, was ihrer miserablen Rolle voll entspricht und würdig ist: dem Vergessen.



F. M. .- Wie empfanden Sie die Meldung von seiner (Eliáns) Befreiung durch die Bundespolizei am 22. April?

F. C. .- Ich war fast verwundert, dass sie sich schließlich doch dazu entschlossen hatten; und es war auch äußerst notwendig. Das Leben des Jungen lief große Gefahr. Die Zusammenführung mit dem Vater, dem kleinen Bruder, der neuen Mutter und einigen seiner Mitschüler hat zu einem äußerst vorteilhaften Wandel im Gemüts- und Gesundheitszustand des Jungen geführt. Im Unterricht kommt er schnell voran und wird trotz der monatelangen Entführung das Schuljahr abschließen können. Das Wichtigste ist nun seine Rückführung nach Kuba. Ich glaube, es gibt keine gesetzliche, moralische oder politische Rechtfertigung, ihn weiter in den Vereinigten Staaten festzuhalten. Fast hundertprozentig hat das US-amerikanische Volk seine Unterstützung für die Zusammenführung mit dem Vater und die Rückkehr nach Kuba kundgetan. Für diese Geste werden wir stets dankbar sein.



F. M. .- Wie war Ihre Reaktion auf die Verurteilung Kubas in der UN-Kommission für Menschenrechte am 18. April 2000 im Ergebnis einer von der Tschechischen Republik und Polen ergriffenen Initiative? Es wird Ihnen vorgeworfen, politische Dissidenten und religiöse Gruppen gewaltsam zu unterdrücken...

F. C. .- Bei der Abstimmung in Genf war offensichtlich, dass es sich wieder einmal um einen Akt der Anfeindung und Aggression Kubas durch die Vereinigten Staaten handelte, diesmal bei aktiver Mittäterschaft einiger Regierungen ehemals sozialistischer Länder, die bereit waren, für die USA das schmutzige Spiel zu spielen, und bei Unterstützung durch die europäische Mafia, die in Genf neben ihrem NATO-Verbündeten im Block abstimmte. Wir haben nicht im geringsten gezögert, diese infame Machenschaft zu entlarven. Einstimmig wurde sie von unserem Volk verurteilt, und gegen die Verschwörer haben wir unbestreitbare Anklagen erhoben, auf die sie vielfach keine Antwort fanden. Die Einreden werden Mal für Mal härter und die Schlacht gegen Kuba schwieriger werden.



F. M. .- Papst Johannes Paul II. weilte im Januar 1998 in Havanna. Hat r Sie überzeugt?

F. C. .- Ich kann mich eigentlich nicht erinnern, dass mich der Papst von etwas hätte überzeugen wollen. Wir haben ihn mit der Gastfreundschaft und Achtung empfangen, die einer derart relevanten Persönlichkeit von besonderem Talent und Charisma gebürt. Wir sprachen beide, bei Ankunft und Abreise, in Anwesenheit der Öffentlichkeit, und beide legten wir unsere Ideen respektvoll und würdig dar. Ich habe mich kurz gefasst und sprach 14 Minuten beim Empfang und fünf Minuten bei der Verabschiedung. Wir legten ihm das Land zu Füßen und übergaben ihm die historischsten Plätze, die die Organisatoren seiner Reise ausgesucht hatten. Wir stellten ihm unsere Fernsehsender zur Verfügung sowie die für die Mobilisierungen beantragten Transportmittel, alle, die unser blockiertes Land zur Verfügung hatte. Wir luden die Mitglieder unserer Partei, des Kommunistischen Jugendverbandes und der Massenorganisationen zu den Messen ein und gaben strengste Anweisung, dort ohne revolutionäre Plakate, Losungen und Ausrufe zu erscheinen und den Worten respektvoll zuzuhören. 110 ausländische Fernsehkanäle und 5000 Journalisten erhielten die Genehmigung zur weltweiten Übermittlung. Nicht ein Soldat, kein bewaffneter Polizist war auf den Straßen anzutreffen. Nirgendwo hat es etwas dergleichen gegeben.

Am Ende des Aufenthalts bestätigten die Organisatoren der Reisen des Papstes, dieser hier sei der am besten organisierte Besuch gewesen. Es kam zu keinem einzigen Verkehrsunfall. Ich glaube, er hat einen angenehmen Eindruck von unserem Land bekommen, und er hat seinerseits einen angenehmen Eindruck in Kuba hinterlassen. Ich hatte Gelegenheit, sein Arbeitsvermögen und seine Selbstlosigkeit zu bewundern, mit der er die von seinen Mitarbeitern aufgestellten harten Programme strikt absolvierte. Wer jedoch mit langer Nase abziehen mußte, waren jene - und es waren ihrer nicht wenige - die im Ausland meinten, die bloße Anwesenheit des Papstes bringe die Revolution wie die Mauern von Jericho zu Fall. Sowohl die Revolution als auch der Papst gingen im festen Bewußtsein ihrer eigenen Kräfte daraus hervor.



F. M. .- Keiner ist unsterblich, ein Staatsmann nicht und der gemeine Mensch ebenfalls nicht. Meinen Sie nicht auch, es wäre klug, Ihre Nachfolge vorzubereiten; sei es auch nur, um dem kubanischen Volk das Trauma eines chaotischen Übergangs zu ersparen?

F. C. .- Ich weiß recht gut, dass der Mensch sterblich ist; und der Schlüssel meines Lebens ist stets gewesen, mir darüber nie Gedanken zu machen. Als mich mein rebellischer Charakter den riskanten Beruf eines revolutionären Kämpfers ergreifen ließ, der mir von niemandem aufgezwungen wurde, wußte ich auch, dass für mich ein langes Leben ziemlich unwahrscheinlich war. Ich war kein Staatschef, wohl aber ein ganz gewöhnlicher Mensch. Ich habe keinerlei Amt geerbt und bin kein König; deshalb brauche ich keinen Nachfolger vorzubereiten und schon gar nicht, um das Trauma eines chaotischen Übergangs zu ersparen. Es wird kein Trauma geben und keinerlei Übergang nötig werden.

Der Übergang von einem Gesellschaftssystem in ein anderes erfolgt seit mehr als vierzig Jahren. Es handelt sich nicht um die Ablösung eines Mannes durch einen anderen.

Hat sich eine echte Revolution gefestigt und geht die Saat der Ideen und des Bewußtseins auf, dann ist kein Mensch unentbehrlich, wie wichtig sein persönlicher Beitrag auch gewesen sein mag. In Kuba kennt man keinen Personenkult. Keine Straßen, Parks oder Schulen führen Namen von lebenden Führungspersönlichkeiten. Man wird nicht einmal auf offizielle Fotos stoßen. Die Verantwortlichkeiten werden von vielen getragen und die Arbeit ist unter vielen aufgeteilt. Zahlreiche bereits erfahrene junge Menschen und eine weniger umfangreiche Gruppe von Revolutionsveteranen, mit denen sie sich zutiefst identifizieren, sind diejenigen, in deren Händen das Leben des Landes liegt. Und nicht zu vergessen: Es gibt eine Partei von hohem Prestige und moralischer Autorität. Warum sollte man also besorgt sein?



F. M. .- Es ist sehr richtig, was Sie sagen. Doch wenn man eben nicht schon von jetzt an die zum gegebenen Zeitpunkt für die Nachfolge fähigen Personen und Strukturen einsetzt, meinen Sie dann nicht auch, dass sich das Risiko des Infragestellens jener sozialen Errungenschaften verstärkt?

F. C. .- Die Nachfolge, von der du sprichst, wird nicht nur bereits vorbereitet, sondern funktioniert bereits seit geraumer Zeit.



F. M. .- Sie haben das Privileg, zu Lebenszeiten zu einem Mythos geworden zu sein. Werden Sie es auch nach Ihrem Ableben bleiben?

F. C. .- Nicht ich habe mich dazu gemacht. Es sind die Regierungen der Vereinigten Staaten, die mich zu dem gemacht haben, was du Mythos nennst. Wenn ich es nun bei Lebzeiten geworden bin, so auch dank des Scheiterns ihrer unzähligen Versuche, meinem Leben ein Ende zu setzen. Natürlich werde ich es auch nach meinem Ableben bleiben. Ist etwa das Verdienst zu unterschätzen, so viele Jahre gegen ein so mächtiges Imperium gekämpft zu haben?



F. M. .- Fidel Castro, der ewige Verschwörer. Gehört dieses Image einer obsoleten Vergangenheit an?

F. C. .- Ganz im Gegenteil. Es ist mir zu einer so wichtigen Gewohnheit geworden, dass ich nicht einmal die bedeutendsten strategischen Geheimnisse meines revolutionären Kampfes mit mir selbst ausmache. Ich ziehe es vor, sie im Fernsehen darzulegen.



F. M. .- Warum leben Sie nachts? Wann bereiten Sie Ihre Reden vor?

F. C. .- Ich lebe und arbeite fast immer zu jeder Zeit, am Tage und bei Nacht. Darf man etwa Zeit verlieren, wenn man die 70 überschritten hat? Hinsichtlich meiner Reden bin ich - vielleicht etwas spät - zu dem Schluß gelangt, dass die Reden kurz zu sein haben.