Dienstag, 21. September 2010

Der nukleare Winter und der Frieden

Reflexionen des Genossen Fidel: Der nukleare Winter und der Frieden

Über zwanzigtausend Atomwaffen befinden sich in den Händen von folgenden acht Ländern: Vereinigte Staaten, Russland, Frankreich, Großbritannien, China, Israel, Indien und Pakistan; mehrere von ihnen mit tief greifenden wirtschaftlichen, politischen und religiösen Differenzen untereinander.

Das neue, im April in Prag von den größten Atommächten unterzeichnete START-Abkommen enthält nichts weiter als Illusionen bezüglich des Problems, das die Menschheit bedroht.

Die Theorie des „nuklearen Winters“, die von dem eminenten Forscher und Professor der Rutgers-Universität von New Jersey Dr. Alan Robock entwickelt und auf den aktuellen Stand gebracht worden ist, - einem bescheidenen Wissenschaftler, der dazu neigt, die Verdienste seiner Kollegen in höherem Maße anzuerkennen als seine eigenen – hat ihre Richtigkeit bewiesen.

Die einzige Möglichkeit, die Anwendung der Atomwaffen zu verhindern, besteht für sie darin, diese zu beseitigen. Das US-amerikanische Volk, das sich an einem privilegierten Ort des Planeten befindet, was es ihm ermöglicht, trotz der unwahrscheinlichen Verschwendung von nicht erneuerbaren Ressourcen die höchsten Lebensniveaus und größten Reichtümer der Welt zu genießen, müsste am meisten an der Information interessiert sein, die ihm die Wissenschaftler bieten. Wie viel Raum widmen die Massenmedien dieser Aufgabe?

Die Theorie des „nuklearen Winters“ hat uns Folgendes gezeigt: – sagte Robock – „Wenn es solche Waffen nicht geben würde, dann könnten sie nicht verwendet werden. Und im Augenblick gibt es absolut kein rationelles Argument für deren Verwendung. Wenn sie nicht verwendet werden können, ist es notwendig, sie zu vernichten und so würden wir uns vor den Unfällen, den Rechenfehlern oder jeglicher schwachsinniger Handlungsweise schützen.“

„…Die mit hochmodernen Modellen funktionierenden Computeranlagen wurden zum einzigen gewählten Labor, und die geschichtlichen Ereignisse – einschließlich der von den Flammen verschlungenen Städte nach den Erdbeben und den Bombardements zu Kriegszeiten, der Rauchsäulen der Waldbrände und der durch die Vulkanausbrüche entstandenen Wolken – wurden zu den Probiersteinen der wissenschaftlichen Einschätzungen.“


Die Verbreitung der Atomwaffen – bei der Israel, Indien und Pakistan sich dem atomaren Club angeschlossen haben, und andere Länder allem Anschein nach danach trachten, Mitglieder desselben zu werden – hat Robock und seine Kollegen dazu gezwungen, die zuerst durchgeführten Forschungen zu überprüfen. Die Ergebnisse dieser modernen Untersuchungen waren überraschend, wie in einer kürzlich veröffentlichten Artikelserie im Detail aufgeführt worden ist.

Bezüglich der Vereinigten Staaten und Russland verhält es sich so, dass – auch wenn jeder von ihnen sich im April 2010 in Prag dazu verpflichtet hat, sein operatives Atomarsenal auf circa 2.000 Waffen zu vermindern - die einzige reale Art und Weise, eine globale klimatische Katastrophe zu vermeiden darin bestehen würde, die Atomwaffen zu vernichten.

„…jedes Land, das zum jetzigen Zeitpunkt den atomaren Weg in Betracht zieht, muss anerkennen, dass es nicht nur seine eigenen Bevölkerung in Gefahr bringen würde, sondern ebenfalls den Rest der Welt, wenn es diesen Weg geht. Es ist an der Zeit, dass die Welt ein weiteres Mal über die Gefahren der Atomwaffen nachdenkt und dieses Mal den Weg des Friedens einschlägt und die Möglichkeit einer durch die Atomenergie hervorgerufenen globalen Klimakrise beseitigt; zum ersten Mal seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts.“

„…die Anwendung der Atomwaffen im Falle eines Totalangriffs gegen einen Feind wäre eine selbstmörderische Handlung, und zwar aufgrund der von dem Rauch der durch die Bombe verursachten Brände hervorgerufenen abnormalen Kälte und Dunkelheit. Eigentlich wurde offensichtlich gemacht: je mehr Atomwaffen ein Land besitzt, desto weniger sicher ist es.“

Albert Einstein hat gesagt: „Die vom Atom entfesselte Macht hat alles verändert, außer unserer Denkweise, und deshalb schreiten wir ziellos auf eine Katastrophe ohnegleichen zu.“ Carl Sagan hatte gesagt, dass unsere Politik der Atomwaffen „ein Weg“ sei, „wo kein Mensch denkt“.

Am Ende des meisterhaften Vortrags habe ich Professor Alan Robock gefragt: „Wie viele Menschen auf der Welt kennen diese Angaben?“ Er antwortete mir: „sehr wenige“. Ich fügte hinzu: „Wie viele in ihrem Land?“ „Ebenfalls wenige“ – antwortete er mir – „sie sind nicht bekannt.“

Ich hegte keine Zweifel, dass das die traurige Wahrheit ist und fügte dem hinzu: „Wir erreichen nichts, wenn nur uns das bekannt ist. Es ist notwendig, dass es die Welt weiß. Vielleicht müsste man die Psychologen zu Rate ziehen, damit diese erklären, warum die Massen nicht verstehen“.

„Ich habe eine Antwort darauf:“
- rief der Wissenschaftler aus – Verleugnung nennt man das. Es ist etwas so Schreckliches, dass die Leute nicht daran denken möchten. Es ist einfacher vorzutäuschen, dass es das nicht gibt.“

Seine Worte – während seines knapp einstündigen Vortrags, bei dem er grafische Darstellungen, Angaben und Fotos verwendete, die er auf eine Leinwand projizierte – waren klar, genau und sprachen für sich. Deshalb sagte ich: „Was bedeutet es, Bewusstsein zu schaffen, von dem wir soviel reden? Was bedeutet es, eine Kultur zu schaffen? Und wie sehr entmutigt es Sie als Wissenschaftler, dass die Leute nicht einmal mitbekommen, was Sie tun, wie viele Stunden Sie dafür aufwenden?“

Ich sagte zu ihm, dass es zu jenen Zeiten, als es weder Rundfunk, noch Fernsehen bzw. Internet gab, unmöglich gewesen ist, solch einen Vortrag wie diesen in Kuba oder auf der Welt zu verbreiten. Und noch geringere Möglichkeiten bestanden, da viele Menschen weder Lesen noch Schreiben konnten.

Wir haben dem Professor versprochen, die Information zu verbreiten, die er uns über die Theorie des „nuklearen Winters“ geboten hat und die in einer Sprache verfasst ist, die sogar die achtjährigen kubanischen Kinder begreifen können. Wir wussten nur ein bisschen hierüber, ausgehend von der Sorge unsererseits bezüglich des Ausbruchs eines globalen Atomkrieges, was es uns zur Pflicht machte, seinen Vortrag anzuhören.

Keine andere Epoche der Menschheitsgeschichte ähnelt dieser. Wenn diese Risiken nicht von denen begriffen werden, die Entscheidungen von jener Höhe ihrer immensen Macht aus treffen, welche ihnen Wissenschaft und Technik in die Hand gegeben haben, dann wird der nächste Weltkrieg mit Sicherheit der letzte sein, und es werden vielleicht viele Millionen Jahre vergehen, bevor neue intelligente Wesen versuchen werden, ihre Geschichte zu schreiben.

Der Zufall wollte es, dass ich am gestrigen Montag, dem 20., die Nachricht erhielt, dass das Kreuzfahrtschiff „Peace Boat“ der Internationalen Nichtregierungsorganisation mit Sonderberatungsstatus vor der UNO, die seit 1983 weltweite Reisen zur Förderung des Friedens, der Menschenrechte, der gerechten und nachhaltigen Entwicklung und des Umweltschutzes organisiert, mit mehreren Stunden Verspätung aufgrund der Wirbelstürme und von den Kanarischen Inseln kommend im Morgengrauen des 21. im Hafen von Havanna einlaufen würde. Die Organisation wurde 2009 wegen ihrer weltweiten Kampagne zur Vermeidung des Krieges für den Friedensnobelpreis nominiert.

In einem Schreiben, das Yoshioka Tatsuya, der Gründer und Direktor der „Peace Boat“ an mich richtete, und das mir von Nao Inoue, dem Leiter der Besuchergruppe, übergeben wurde, steht Folgendes: „Unsere Organisation arbeitete schon seit Jahren, seit kurzem in Zusammenarbeit mit den Ländern des ALBA. […] die klar die Verpflichtung zur Abschaffung der Atomwaffen, zum Verbot von ausländischen Militärstützpunkten und zur friedlichen Lösung von internationalen Streitigkeiten zum Ausdruck bringen […] Japan, das, wie Ihnen bekannt ist, das einzige Land ist, das ein atomares Bombardement erlitten hat, hat bis heute immer noch eine friedliche Verfassung aufrecht erhalten, die durch ihren Artikel 9 förmlich auf den Krieg verzichtet und die Anwendung der Gewalt bei den internationalen Streitigkeiten verbietet.“

„…ein Thema von besonderem Interesse bei unserem zielstrebigen Handeln ist die Beseitigung der ausländischen Militärstützpunkte, - eine in Japan und verschiedenen Teilen der Welt anzutreffende Situation – weil wir der Meinung sind, dass solche ausländische Stützpunkte wie die in Guantánamo und Okinawa der Umwelt irreversible Schäden zufügen und dem Krieg förderlich sind anstelle dem Weltfrieden.“

„Peace Boat“ hat mit dieser seit 1983 insgesamt 70 Reisen rund um die Welt organisiert, unter Teilnahme von mindestens 40 000 Menschen, die über 100 Länder besucht haben. Ihre Losung lautet: „Lerne aus den vergangen Kriegen, um eine friedliche Zukunft aufzubauen“.

In 20 Jahren hat ihr Schiff unser Land 14 Mal besucht, und mittels der Überwindung der von den Vereinigten Staaten aufgezwungenen Hindernisse und Klippen startet es Kampagnen mit bedeutenden Spenden vor allem für die Bereiche Gesundheitswesen und Bildung.

Sie sind bei den zahlreichen internationalen Solidaritätsforen und -treffen mit Kuba anwesend. Sie sind wirklich bewährte Freunde unseres Landes. Im Mai 2009 wurde die Organisation auf Vorschlag des Instituts für Völkerfreundschaft ICAP mit dem vom Staatsrat der Republik Kuba verliehenen Solidaritätsorden ausgezeichnet.

Es war für mich eine große Ehre, die Einladung zu einem Treffen mit einem Teil der Besucher zu erhalten, und ich habe ihnen vorgeschlagen, dies im Kongresspalast und mit der größtmöglichen Anzahl von ihnen zu tun. Das Wort ergriffen haben Hr. Nao Inoue und Fr. Junko Watanabe, die Überlebende, die erst zwei Jahre alt war, als die erste Atombombe auf die Stadt Hiroshima abgeworfen wurde. Das Mädchen befand sich zusammen mit einem kleinen Bruder auf dem Hof eines Hauses in einer Entfernung von 18 Kilometern von dem Punkt, wo jene Bombe abgeworfen wurde, die den größten Teil der Stadt zum Verschwinden brachte, unmittelbar über 100.000 Menschen tötete und den anderen Einwohnern schwere Schäden zufügte.

Sie gab ihre dramatischen Erinnerungen darüber wieder, wie sie Jahre später die Bilder und Einzelheiten jenes Ereignisses kennen lernte, die so vielen unschuldigen Menschen, die absolut nichts mit jenem brutalen Angriff zu tun hatten, so viele Leiden verursacht haben. Es war eine wohl überlegte Handlung, um der Welt durch die unnötige Anwendung einer Massenvernichtungswaffe Angst und Schrecken einzujagen, zu einem Zeitpunkt, als das japanische Imperium schon besiegt war. Diese wurde nicht auf eine militärische Einrichtung abgeworfen, sondern auf ein schutzloses ziviles Ziel. Die über jenes schreckliche Verbrechen verbreiteten Bilder können nicht das zum Ausdruck bringen, was uns die Stimme von Junko Watanabe über die Geschehnisse erzählt hat. Der Anlass war angebracht, um unseren Standpunkt darzulegen und unseren freundlichen japanischen Gästen, Kämpfern für die Abschaffung der Atomwaffen, der Militärstützpunkte und des Krieges, über die Bemühungen zu erzählen, die unser Land unternimmt, um einen atomaren Konflikt zu vermeiden, der dem Bestand unserer Gattung ein Ende setzen kann.


Fidel Castro Ruz

21. September 2010
19:12 Uhr

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