Dienstag, 2. September 2008

Ein Atomangriff

Reflexionen des Genossen Fidel: Ein Atomangriff

Ich übertreibe nicht. Das ist der meist benutzte Ausdruck vieler Mitbürger. Das war der Eindruck des Generalstabschefs der Streitkräfte, Álvaro López Miera, eines erfahrenen Militärs, als er auf der Isla de la Juventud (Jugendinsel) die Stahlträgermasten ganz zusammengeknickt und verdreht, die Häuser in Ruinen verwandelt und überall nur Zerstörung sah.

„Es war ein harter Schlag, ich hätte mir das nicht einmal vorstellen können“, sagte Ana Isa Delgado, Parteisekretärin und Vorsitzende des Zivilschutzkomitees des wichtigen Verwaltungskreises mit einer vor Anstrengung ermüdeten, aber standhaften und entschlossenen Stimme. „Ich habe in den fünfzig Jahren, die ich hier lebe, niemals so etwas gesehen!“, gab ein Nachbar erstaunt kund. Ein junger Soldat, der von einem Amphibienfahrzeug kletterte, rief: „Wir werden beweisen, dass wir bereit sind, sogar unser Leben für das Volk zu lassen!“

In Herradura, hat General des Armeekorps Leopoldo Cintra Frías, als er rund um sich alles in Ruinen verwandelt sah, sein Erstaunen und seine Bewunderung über den Mut der Bevölkerung wie folgt zum Ausdruck gebracht: „Das ist, als ob man eine atomare Explosion sehen würde.“ Er war nahe daran, eine im Südwesten von Angola zu sehen, wenn die Rassisten sich entschlossen hätten, gegen die kubanisch-angolanischen Truppen eine der sieben Bomben abzuwerfen, die ihnen die Regierung der Vereinigten Staaten zukommen ließ. Das war jedoch ein einkalkuliertes Risiko und es wurden die angebrachten Taktiken angewandt.

An der Seite von Polo befand sich Olga Lidia Tapia, Erste Parteisekretärin und Vorsitzende des Zivilschutzkomitees der Provinz, ohne auch nur einen Augenblick an den Ergebnissen der Anstrengungen und der Entschlossenheit ihrer Mitbürger zu zweifeln.

Ich wage es unumwunden zu sagen, dass mich die am Sonntag von den Landes-Fernsehstationen gezeigten Fotos und gefilmten Ansichten an die Zerstörungen erinnerten, die ich bei meinem Besuch in Hiroshima gesehen habe, das im August 1945 Opfer des ersten Atombombenangriffs wurde.

Nicht umsonst wird behauptet, dass ein Wirbelsturm eine riesige Energie freisetzt, die vielleicht tausenden Atomwaffen wie jenen entspricht, die auf die Städte Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden. Es wäre nützlich, dass irgendein kubanischer Physiker oder Mathematiker die entsprechenden Berechnungen anstellt und das auf verständliche Art und Weise darlegt.

Jetzt geht der Kampf darum, die Opfer des Hurrikans zu ernähren. Die Schwierigkeit besteht nicht darin, so schnell als möglich die Stromversorgung wiederherzustellen. Das Problem auf der Isla de la Juventud ist, dass von 16 Bäckereien, die alle elektrische Öfen und Stromaggregate haben, nur zwei sofort in Betrieb gesetzt werden konnten, da die Gebäude beschädigt worden waren. Die Inselbewohner mussten mit Brot oder Brotplätzchen beliefert werden. Die Anzahl der für die Wohnungen benötigten Dachziegeln bzw. Dachplatten und Materialien ist im Augenblick riesengroß und die Jugendinsel ist durch das Meer abgetrennt. Es reicht nicht aus, Lastwagen mit Nahrungsmitteln und Materialien zu beladen, um sie ihnen direkt zu liefern.

Unsere Streitkräfte haben ausgebildetes Fachpersonal für Flugplätze und für die Beförderung auf dem Luft- und Landweg geschickt. Tag und Nacht können die Flugzeuge mit Hilfe der Stromaggregate auf dem Flughafen der Insel landen. Sie haben den Auftrag, ihre Schlacht für die Bevölkerung ohne jegliche Verschwendung von Mitteln durchzuführen. Mit der gleichen Einsatzfreude werden sie in den völlig zerstörten Gebieten von Pinar del Rio handeln. Alle staatlichen Organe haben ihre Aufgaben zugewiesen bekommen, alle sind wichtig. Aber die Güter entstehen nicht aus dem Nichts. Miteinander teilen erfordert Opfer. Wir dürfen uns nicht den Luxus leisten, dies in einigen Tagen zu vergessen.

Die widrige Tatsache muss uns dazu dienen, jeden Tag mit mehr Effizienz zu arbeiten und jedes Gramm Material genau und rationell anzuwenden. Wir müssen gegen unsere Oberflächlichkeiten und Egoismen ankämpfen. Einhundert Millionen Dollar bedeuten nur neun Dollar pro Einwohner, und wir benötigen viel mehr. Wir brauchen allein zur Befriedigung unserer elementarsten Bedürfnisse 30 Mal, 40 Mal diese Menge. Solch eine Anstrengung muss aus der Arbeit des Volkes hervorgehen. Das kann niemand für uns übernehmen.

Es ist offensichtlich, dass sich unsere Fähigkeit zur Informations- und Kenntnisverbreitung vervielfacht hat und unsere Bevölkerung, die lesen und schreiben kann, besitzt außerdem ein hohes Ausbildungsniveau.

Kcho, der Maler, war auf die Jugendinsel geflogen, das Stück von Kuba, wo er das Licht der Welt erblickt hat, und hat uns einen Brief über die hohe Moral der dortigen Einwohner zukommen lassen. Ich werde ein paar Absätze daraus auswählen:

„Lieber Fidel!

Seit ich auf der Insel angekommen bin und das ganze Geschehen mit meinen eigenen Augen sehen und alles körperlich spüren konnte, schien es mir wichtig, Kontakt zu Richard aufzunehmen, damit Sie über die schreckliche, im Sonderkreis entstandene Situation Bescheid wissen.

Mir fehlen die Worte, um das, was ich gestern auf der Jugendinsel gesehen habe, auszudrücken. In meinen 38 Lebensjahren habe ich nichts Ähnliches gesehen und jene Personen meines Heimatgebiets, mit denen ich gesprochen habe, haben nie etwas Schlimmeres gesehen, aber unglaublicherweise ist ihre Moral noch sehr, sehr hoch… viele haben ihre Häuser bzw. Wohnungen verloren und bei fast allen sind solche Eigentumsgüter, wie Betten, Matratzen, Fernsehgeräte, Kühlschränke usw., vollkommen zerstört. Der Großteil der Bevölkerung befindet sich in dieser Situation. Es wird geschätzt, dass von den 25.000 Wohnungen auf der Insel etwa 20.000 – das ist noch nicht die endgültige Zahl – auf die eine oder andere Art beschädigt sind, und von diesen 20.000 haben etwa 10.000 ihr Dach verloren bzw. sind vollkommen zerstört.”

„…die 52köpfige Brigade der Elektromonteure aus Camagüey hat mit sehr großer Bereitschaft bis 3 Uhr früh gearbeitet und sie haben heute um 6:30 Uhr erneut begonnen. Zu ihnen soll sich noch eine Gruppe von über 60 Monteuren aus Holguin gesellen…“

„…es gibt noch viele Probleme, wie zum Beispiel etliche jener vom Wirbelsturm Michelle im Jahr 2001 zerstörte Wohnungen, die noch ausstehen.“

„Es gibt ernsthafte Schwierigkeiten bei der Ernährung… Im Augenblick ist die Insel aufgrund ihres Inseldaseins wie ein Gefängnis, obwohl die Flüge schon wieder aufgenommen wurden… Das Geld hat überhaupt keinen Wert, das es weder irgendwo noch irgendetwas zu kaufen gibt.“

„Die menschliche Solidarität ist im Augenblick die wichtigste Waffe. Es gibt eine hohe Moral, aber das wird nicht ewig so sein. In den nächsten Tagen werden einige Dinge gelöst werden müssen. In dem Maße, in dem die Stromversorgung wiederhergestellt wird, sollten Informationspunkte geschaffen werden, wo die Menschen zusammentreffen können, um darüber Kenntnis zu bekommen, was im Land und im Kreis geschieht, bzw. auch nur Musik zu hören oder gewisse Zeit gemeinsam zu verbringen.“

„Im Augenblick ist das Gebiet ‘ein Schauplatz militärischer Operationen im Waffenstillstand’. Die Leute sind noch fröhlich, weil sie überlebt haben, und denken noch nicht viel an den Verlust ihrer Habseligkeiten. Sie sind dabei, zu retten, was ihnen geblieben ist, und zu sehen, wie sie sich dieser neuen Situation anpassen, aber im Verlaufe der Tage kann die Moral der Menschen absinken und in Depression übergehen.”

„…die Bedingungen des Krankenhauses sind unmenschlich und es ist nur durch den Willen und die Überzeugung von revolutionären Männern und Frauen in Betrieb.“

„Die Inselbewohner sind revolutionär und kämpferisch, und alle sind dort (Patienten, Familienangehörige und das Ärzteteam) und arbeiten intensiv. Seit ungefähr 16 Uhr des gestrigen Nachmittags befinden sich schon 32 Hämodialyse-Patienten mit je einem Begleiter und Krankenschwestern in der Hauptstadt. Sie waren 48 Stunden ohne Behandlung, aber ihr Zustand war gut.“

„Die Jugendinselbewohner haben weiter hohe Moral und freuen sich sehr über die Arbeit der zuständigen Organe und darüber, dass kein einziges Menschenleben zu beklagen war, weder in Pinar del Rio, noch auf der Insel oder in Matanzas.“

„Ich glaube, damit die Insel wieder zu dem wird, was sie war, muss viel Zeit und viel Arbeit aufgewendet werden, als ob sie eine Provinz wäre, da jetzt alles zerstört ist.“


Er schickt im Briefumschlag – einem Umriss der Jugendinsel, auf dem eine kubanische Flagge gehisst ist - ausdrucksreiche Fotos der Zerstörung mit.

Die ausgezeichneten Maler, welche unsere Ideenschlachten zu begleiten pflegten, können das erlebte Geschehen festhalten und unser Volk in seinem epischen Kampf ermutigen.

Orfilio Peláez erzählte uns in Granma von einem 1846 aufgetretenen Hurrikan, bei dem von einem Gerät ein Niedrigdruck-Rekord von 916 Hektopascal gemessen wurde. Das geschah vor 162 Jahren, als es noch keinen Rundfunk, kein Fernsehen, Kino, Internet und viele andere Mittel der Nachrichtentechnik gab, die manchmal Zusammenstöße untereinander haben und Chaos in den Köpfen schaffen.

Zu jener Zeit war die Bevölkerung mindestens 12 Mal geringer. Das Land exportierte über eine bedeutende Anzahl Jahre jenes Jahrhunderts die größte Menge Zucker und auch Kaffee, die durch Sklavenarbeit und sklavenähnliche Arbeit erzeugt wurden. Es gab kein In-Rente-Gehen, die durchschnittliche Lebenserwartung war viel geringer und die Krankheiten des hohen Lebensalters oder die Ausbildung für die gesamte Bevölkerung, die so viele Arbeitskräfte und Köpfe zu ihrer Entwicklung benötigt, waren fast unbekannt. Es gab Naturressourcen in Hülle und Fülle. Die Wirbelstürme bedeuteten trotz ihres großen Einflusses keine landesweite Katastrophe. Über den Klimawandel – der weit entfernt war – sprach man noch nicht einmal.

In der Zeitung Granma vom heutigen Tag, erzählt uns der Journalist selbst die Heldentaten unseres Volkes in seinem Kampf zur Wiederherstellung und über die Ergebnisse der Bemühungen der letzten Jahre. Rubiera, der Wissenschaftler, beobachtet bei seiner Fahrt durch Pinar del Río seinerseits genau den in den Ruinen der Wetterstationsgebäude in Paso Real von San Diego befindlichen Windgeschwindigkeitsmesser, der 340 Kilometer/Stunde anzeigte, als er von starken Windböen zerstört wurde. Es ist angesagt, dass Rubiera heute zum Podiumsgespräch im Fernsehen sprechen wird. Er hat Theorien, die das Geschehene erklären. Juan Varela sprach seinerseits über die im größten landwirtschaftlichen Anbaubetrieb in Güira de Melena, in der Provinz La Habana (Havanna-Land), erlittenen Schäden. Dieser Betrieb sollte dieses Jahr circa 140.000 Tonnen Wurzelgemüse, Hülsenfrüchte und Gemüse erzeugen. Die zu internationalen Preisen aufgerechneten Verluste erreichen meines Erachtens in diesem einzigen Betrieb Millionengröße, wenn man die Arbeitsstunden, Nahrungsmittel, Geräte und Anlagen für den Anbau und zur Berieselung, den Kraftstoff und andere Ausgaben berücksichtigt.

Jedoch das am meisten Beeindruckende war aufgrund des menschlichen Dramas die Information, die vom Journalisten Alfonso Nacianceno und dem Fotografen Juvenal Balán gegeben wurde: die von den fünf Besatzungsmitgliedern des Langustenfangschiffs 100 von Batabanó, Provinz La Habana, erlebte Odyssee. Sie hatten wie alle Fischereischiffe rechtzeitig den Befehl erhalten, zum Hafen zurückzukehren. Durch ein Missgeschick verspäteten sie sich. Seit Samstag hatte man jeden Kontakt zu ihnen verloren, als der Wirbelsturm mit hoher Geschwindigkeit vorstieß. Ich habe zweimal in vorangegangenen Reflexionen gesagt: „Zum Glück haben wir eine Revolution! Kein Mitbürger wird seinem Schicksal überlassen. “

Ich erfuhr am Samstag selbst, beinahe um Mitternacht, von dem fehlenden Kontakt zum Langustenfangschiff. Raúl hatte mir berichtet, was geschah. Ich setzte meine Hoffnungen in die Erfahrung der Fischer im Umgang mit Stürmen und Hurrikans. Er sagte mir, dass er im Morgengrauen die notwendigen Mittel zu ihrer Auffindung losschicken würde. Sobald das Schlechtwetter etwas nachließ, begann die Suche, die schließlich 36 Schiffe, drei Hubschrauber und zwei Flugzeuge über knapp zwei Tage umfasste. Von dem Schiff keine Spur, jedoch die Schiffbrüchigen wurden aufgefunden. Was sie erzählen ist unglaublich. Denjenigen, die gut über das Meer Bescheid wissen, ist bekannt, was es bedeutet unendliche Stunden an ein Ruder und dann an eine Boje geklammert zu sein.

Das revolutionäre Wunder geschah und die Fischer wurden gerettet.

Wir wollen uns nicht von Illusionen mitreißen lassen. Dieser Hurrikan hinterlässt uns Schäden an einhunderttausend Wohnungen, die von größerem oder geringerem Ausmaß sind, und den beinahe vollkommenen Verlust von nach der Tragödie notwendigen Artikeln, wie Kcho in seinem Brief erläutert. Wie viele wirbelsturmsichere Wohngebäude braucht Kuba? Nicht unter 1,5 Millionen für insgesamt 3,5 Millionen Familien. Wir wollen die Kosten solcher Investitionen zu jenen internationalen Preisen berechnen, die den Angaben entsprechen, die auf der Welt gehandhabt werden.

Eine Familie in Europa muss mindestens 100.000 Dollar zahlen, plus die Zinsen, für die sie 15 Jahre lang monatlich 700 Dollar ihrer Einkünfte aufbringt. Zehn Milliarden Dollar betragen ungefähr die Kosten für einhunderttausend Wohngebäude für Durchschnittsfamilien in den entwickelten Ländern, wo die Preise für Industrieerzeugnisse und Nahrungsmittel auf der Welt bestimmt werden. Man müsste noch den Aufwand für die wieder aufzubauenden beschädigten sozialen Einrichtungen und die anderen Wirtschaftseinrichtungen hinzufügen und die erforderlichen Ausgaben für die Entwicklung.

Ich wiederhole, nur aus unserer Arbeit können die Mittel hervorgehen. Während die neuen Generationen diese Aufgabe voranbringen, brauchen die Männer und Frauen, die diese Insel bewohnen, die Solidarität, den Mut und die Kampfbereitschaft, wie sie von den Bewohnern von Pinar del Río und der Jugendinsel gezeigt wurden.

Das Imperium steht im Augenblick in der zweiten Jahreshälfte vor einer schwierigen Probe, und zwar die seiner Fähigkeit, die Schwierigkeiten zu überwinden, die seinen Lebensstandard auf Kosten der anderen Völker in Frage stellen Sie benötigen jetzt einen Steuerwechsel.

Bush und Cheney wurden von der Wahlkampfkampagne der Republikaner aufgrund ihres Rufs als Kriegstreiber und unerwünschte Personen fast ferngehalten. Es wird nicht über einen Systemwechsel diskutiert, sondern darüber, wie das System mit weniger Aufwand beibehalten werden kann.

Der entwickelte Imperialismus wird schließlich alle diejenigen töten, die ohne seine Erlaubnis in sein Hoheitsgebiet zu kommen versuchen, um zu Sklaven mit Gehalt zu werden und etwas vom Konsum abzubekommen. Sie tun das schon. Der Chauvinismus und der Egoismus, die das System hervorbringt, sind sehr groß.

Das wissen wir und werden weiter die Solidarität fördern, die unsere größte Ressource innerhalb und außerhalb unseres Vaterlandes ist.



Fidel Castro Ruz

2. September 2008
18:17 Uhr

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